Europarecht

Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sogenannten „VW-Abgas-Skandal“

Aktenzeichen  33 O 215/16

Datum:
4.5.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 155547
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Aschaffenburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 826
StGB § 263

 

Leitsatz

1 Zur Darlegungslast eines Klägers bei Geltendmachung einer Haftung nach § 31 BGB gehört, dass er den für seinen Schaden verantwortlichen Organwalter (verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne von § 31 BGB) benennt. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)
2 Im Rahmen der sekundären Darlegungslast ist es der anderen Partei nicht zumutbar, Angaben zu machen, wenn sie damit sämtliche interne Entscheidungsprozesse und die interne Organisation offenbaren müsste. Das Gleiche gilt, wenn seitens der Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren gegen eine Vielzahl von Mitarbeitern der Beklagten geführt wird. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
3 In der Verwendung von Abschaltevorrichtungen liegt keine sittenwidrige Schädigung.   (Rn. 50) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
I.
Die Klage ist insgesamt zulässig.
1. Das Landgericht Aschaffenburg ist zunächst aufgrund der rügelosen Verhandlung der Beklagten örtlich zuständig, § 39 ZPO.
2. Zu Gunsten des Klägers besteht auch ein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Abs. 1 ZPO, welches grundsätzlich sehr weit auszulegen ist, weil der klägerseits behauptete Schaden noch nicht abschließend beziffert werden kann.
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Der Klage hat gegen die Beklagte als Herstellerin des streitgegenständlichen VW Passat keine Ansprüche auf Schadensersatz.
1. Mangels eines unmittelbaren Vertragsschlusses zwischen den Parteien bestehen zu Gunsten des Klägers keine Schadensersatzansprüche auf vertragliche Grundlage.
Auch etwaige Schadensersatzansprüche, wie sie der Kläger behauptet nach §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB bestehen nicht.
Dabei geht der Kläger fehlerhaft davon aus, dass die seitens der Rechtssprechung entwickelten Grundsätze zur sogenannten Prospekthaftung im Zusammenhang mit Kapitalanlagen auf den vorliegenden Sachverhalt (Pkw-Kaufvertrag) zu übertragen seien, was nach Auffassung des Gerichts nicht möglich ist. Das Gericht sieht diesbezüglich prinzipiell keine Veranlassung, die im Rahmen des Kapitalmarktrechts relevanten Überlegungen im Wege einer Analogie auf den vorliegenden Pkw-Kaufvertrag zu übertagen.
Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte eine besondere Vertrauensposition, wie sie grundsätzlich vom § 311 Abs. 2 BGB vorausgesetzt wird, inne hatte.
2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch gegen die Beklagte gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, weil der Kläger den Tatbestand des § 263 StGB nicht schlüssig dargelegt hat.
a. Eine Haftung der Beklagten als juristische Person setzt nach § 31 BGB voraus, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter den objektiven und subjektiven Tatbestand der verletzten Norm verwirklicht hat.
Mithin müsste im vorliegenden Fall ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten den Tatbestand des Betruges nach § 263 StGB verwirklicht haben und dabei insbesondere die entsprechende Bereicherungsabsicht aufgewiesen haben.
Diesbezüglich wird seitens des Klägers lediglich behauptet und der Schluss gezogen, dass die Vorstandsmitglieder, insbesondere Herr … seinerzeit entschieden haben, dass die Fahrzeuge manipuliert werden, da er ansonsten die Spitzenposition auf dem Weltmarkt nicht hätte erreichen können. Dies genügt allerdings nicht für den schlüssigen und konkreten Vortrag, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter selbst die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes gekannt bzw. vorausgesehen und in seinem Willen aufgenommen hat. Der diesbezügliche Vortrag des Klägers ist rein spekulativ, was gerade auch der weitere Vortrag des Klägers zur sekundären Darlegungslast zeigt.
b. Im Prozess gehört es zur Darlegungslast eines Klägers, dass er den für seinen Schaden verantwortlichen Organwalter (verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne von § 31 BGB) benennt, verabsäumt er diesen Vortrag, so fehlt es an einem hinreichend substantiierten Vortrag da gerade die Person des handelnden für die in Bezug genommene Haftungsnorm (hier § 263 StGB) als auch für § 31 BGB selbst eine wichtige Rolle spielt (vgl. Münchner Kommentar zum BGB 7. Auflage 2015 § 31 Rd-Nr.: 44).
Mangels ordnungsgemäßer Darlegung des verantwortlichen Organwalters durch den Kläger fehlt es diesbezüglich an einem schlüssigen Klagevortrag.
c. Eine sekundäre Darlegungslast, wie sie vom Kläger behauptet wird, besteht nach Auffassung des Gerichts auf Seiten der Beklagten nicht.
Eine solche sekundäre Darlegungslast besteht nur, wenn der beweisbelasteten Partei (Kläger) näherer Vortrag nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während die bestreitende Partei (Beklagte) alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihr zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Der Gegner (der primär) darlegungspflichtigen Partei darf sich nicht auf ein einfaches Bestreiten beschränken, wenn die darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablauf steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und die näheren Angaben zumutbar sind (vgl. BGHZ 140, 156).
Diese Voraussetzung der sekundären Darlegungslast liegen im vorliegenden Fall gerade nicht vor, weil die Beklagte zunächst eine etwaige Kenntnis des Vorstandes nicht einfach bestreitet sondern vielmehr mitteilte, dass eine solche Kenntnis nicht bestanden habe. Im Übrigen erachtet es das Gericht für die Beklagte auch nicht zumutbar ein, sämtliche interne Entscheidungsprozesse und die interne Organisation offen zu legen. Die fehlende Zumutbarkeit folgte bereits aus dem Umstand, dass seitens der Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren gegen eine Vielzahl von Mitarbeitern der Beklagten geführt wird.
Damit bleibt insgesamt festzuhalten, dass der darlegungs- und beweisbelastete Kläger die Voraussetzung des § 31 BGB nicht ausreichend schlüssig dargelegt hat.
d. Im Übrigen fehlt es auch an einem täuschungsrelevanten Irrtum im Sinne von § 263 StGB auf Seiten des Klägers:
Der Kläger schilderte im Rahmen seiner informatorischen Anhörung, dass beim Erwerb des Fahrzeugs nicht über Stickstoffoxid-Ausstöße gesprochen worden sei. Für den Kläger sei lediglich maßgeblich gewesen, dass es sich um ein Dieselfahrzeug handelte.
Daher lag bei Abschluss des Kaufvertrages auf Seiten des Klägers schon kein täuschungsrelevanter Irrtum vor, weshalb auch aus diesem Grund Ansprüche aus §§ 823 Abs. 2 BGB i.V. m § 263 StGB zu Gunsten des Klägers gegenüber der Beklagten ausscheiden.
3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch gegen die Beklagten gemäß § 826 BGB auf Grund einer behaupteten vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, weil er auch ein diesbezüglichen Anspruch nicht schlüssig dargelegt hat.
a. Auch für einen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB ist es erforderlich, dass der darlegungs- und beweisbelastete Kläger die Voraussetzungen des § 31 BGB schlüssig darlegt, was jedoch gerade seitens des Klägers nicht erfolgte (siehe oben).
b. Im Übrigen ist in der behaupteten Verwendung der „Manipulationssoftware“ kein sittenwidriges Verhalten im Sinne von § 826 BGB zu sehen.
Ein Verhalten ist objektiv sittenwidrig, wenn es nach Inhalt und Gesamtcharakter, welcher durch eine zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl allerbillig und gerechtdenkender verstößt, mithin mit dem grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist (vgl. beispielhaft BGH NJW-RR 2013, 550). Nicht ausreichend ist hingegegen, dass das Verhalten gesetzes- und vertragswidrig ist, unbillig erscheint oder einen Schaden hervorruft. Vielmehr muss eine nach dem Maßstab der allgemeinen Geschäftsmoral und des als anständig geltenden besonderen Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Zweck, den eingesetzten Mitteln, der zu tragenden Gesinnung oder den eingetragenen Folgen ergeben kann, gegeben sein (vgl. beispielhaft BGH NJW 2012, 1800). Ein Gesetzesverstoß allein führt nicht zwingend zum vorliegend der Sittenwidrigkeit, vielmehr muss die relevante Norm Ausdruck einer sittlichen Wertung und nicht wertneutral sein.
Gemessen an diesen Maßstäben liegt keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung im Sinne von § 826 BGB vor.
In der behaupteten Verwendung von Abschaltevorrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert, liegt zwar ein Verstoß gegen Artikel 5 Abs. 2 i.V.m. Artikel 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nummer 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emission von leichten Personen Kraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zur Reparatur- und Wartungsinformation für Fahrzeuge. Wie sich allerdings aus den Erwägungsgründen der Verordnung erkennen lässt, dient diese gerade nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen, sondern gesamtgesellschaftlichen Zielen, wie der Weiterentwicklung des Binnenmarkts durch Harmonisierung der technischen Vorschriften über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen, sowie der Sicherstellung eines hohen Umweltschutzniveaus.
Etwaige Vermögensschäden der Käufer von Fahrzeugen mit unzulässigen Abschaltevorrichtungen fallen daher nicht in den Schutzbereich der verletzen Norm, sodass gerade keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vorliegt (vgl. LG Köln Urteil vom 07.10.2016 Az.: 7 O 138/16; LG Ellwangen Urteil vom 10.06.2016 Az.: 5 O 385/15).
4. Auch sonstige weitere Schadensersatzansprüche zu Gunsten des Klägers gegenüber der Beklagten als Herstellerin der streitgegenständlichen Fahrzeugs sind nicht ersichtlich.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erstattung seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, da bereits keine begründete Hauptforderung besteht.
III.
Die Kostenentscheidung erfolgt auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit erfolgt aus § 709 S. 2 ZPO.
Verkündet am 04.05.2017


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