Europarecht

Keine systemischen Mängel bei Aufnahmebedingungen und Asylverfahren in Ungarn

Aktenzeichen  M 7 S 16.50061

Datum:
18.7.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 27a, § 34a
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, 3, Art. 13, Art. 18 Abs. 1, Art. 25 Abs. 2
GR-Charta Art. 4
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

Auf Grundlage jüngerer Erkenntnisse zum ungarischen Asylrecht und zur Situation von Asylbewerbern in Ungarn ist derzeit nicht zu befürchten, dass in Ungarn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber systemische Mängel aufweisen, die einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK begründen könnten. (red. LS Clemens Kurzidem)
Die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthält und Dublin-Rückkehrer in Ungarn auf dieser Grundlage auch inhaftiert werden, ist noch kein begründeter Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems (vgl. VGH München BeckRS 2015, 48019). (red. LS Clemens Kurzidem)
Aus der seit 1. August 2015 veränderten Rechtslage in Ungarn, wonach Serbien sicherer Herkunftsstaat (vgl. Anlage II zu § 29a AsylG) ist, die Asylverfahren verkürzt und Anträge abgelehnt werden, wenn sich ein Asylbewerber unentschuldigt länger als 48 Stunden aus der ihm zugewiesenen Unterkunft entfernt, ergeben sich keine systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen. (red. LS Clemens Kurzidem)
Schwierigere Lebensumstände in Ungarn einschließlich einer schlechten Arbeitsmarktlage, von denen ungarische Staatsangehörige gleichermaßen betroffen sind, rechtfertigen noch nicht die ernsthafte Befürchtung, dass die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichkommen und ergeben sich auch nicht aus den vorliegenden Erkenntnissen (vgl. VG Berlin BeckRS 2016, 43994). (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller, nach seinen Angaben ein afghanischer Staatsangehöriger tadschikischer Volkszugehörigkeit, reiste seinen Angaben zufolge ohne Personaldokumente am 7. Juli 2015 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 6. Oktober 2015 Asyl.
Bei der Antragstellung bzw. am 5. November 2015 gab er bei seiner Befragung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge München (im Folgenden: Bundesamt) an, er sei alleinstehend und habe im April 2014 sein Herkunftsland verlassen. Er sei über die Türkei, wo er elf Monate verbracht habe, nach Griechenland gereist und von dort über Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich weiter nach Deutschland, was sein Ziel gewesen sei. In Ungarn, wo man ihn gezwungen habe, seine Fingerabdrücke abzugeben, könne man nichts aus seinem Leben machen.
Eine EURODAC-Recherche ergab am 7. Oktober 2015, dass der Antragsteller am 1. Juli 2015 in Ungarn ein Schutzgesuch gestellt hatte. Am 4. Dezember 2015 richtete das Bundesamt ein Wiederaufnahmeersuchen an Ungarn, auf das keine Reaktion erfolgte.
Mit Bescheid vom 22. Januar 2016 erklärte das Bundesamt den Asylantrag des Antragstellers für unzulässig (Nummer 1), ordnete seine Abschiebung nach Ungarn an (Nummer 2) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nummer 3). Auf die Gründe des Bescheids wird gem. § 77 Abs. 2 AsylVfG Bezug genommen.
Gegen den am 26. Januar 2016 zugestellten Bescheid ließ der Antragsteller durch seinen Bevollmächtigten am 1. Februar 2016 Klage (M 7 K 16. 50060) erheben mit dem Antrag, den Bescheid vom 26. Januar 2016 aufzuheben, und gleichzeitig beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung wurde die desolate Lage für Flüchtlinge in Ungarn angeführt. Die Durchführung des Asylverfahrens und die Aufnahmebedingungen in Ungarn wiesen systemische Mängel auf. Dies sei durch Berichte des UNHCR, wonach den Dublin-Rückkehrern eine Inhaftierung drohe, belegt. Davon gingen auch etliche Verwaltungsgerichte aus.
Mit Schreiben vom 8. März 2016 übersandte das Bundesamt die Behördenakten.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (§ 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG) gegen die in Nummer 2 des Bescheides des Bundesamtes vom 22. Januar 2016 verfügte Abschiebung nach Ungarn hat keinen Erfolg.
Entfaltet ein Rechtsbehelf wie hier von Gesetzes wegen (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V. m. § 75 Abs. 1 AsylG) keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anordnen. Bei der vom Gericht im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens zu treffenden Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheides und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs sind auch die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen, die ein wesentliches, wenn auch nicht das alleinige Indiz für und gegen die Begründetheit des einstweiligen Rechtsschutzbegehrens sind.
Vorliegend überwiegt das öffentliche Interesse an der Vollziehung der Anordnung gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Denn nach der gebotenen summarischen Prüfung auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) ist davon auszugehen, dass der Antragsteller durch die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung nach Ungarn nicht in subjektiven Rechten verletzt wird.
Nach § 27a AsylG ist ein Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gem. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG kann das Bundesamt in einem solchen Fall die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat anordnen, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Ungarn ist aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Zwar wäre aufgrund der Ersteinreise nach Griechenland ursprünglich dieser Mitgliedstaat gem. Art. 7 Abs. 2, Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrag auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl L 180/31) – Dublin III-VO – primär zuständig gewesen. Da eine Überstellung des Antragstellers dorthin wegen systemischer Mängel des Asylsystems indes nicht in Betracht kommt, konnte die Antragsgegnerin sich für einen Selbsteintritt entscheiden oder, wie hier, die Prüfung der Zuständigkeit fortzusetzen und den nach der Dublin III-VO, ggf. Art. 13 Abs. 2 Dublin III-VO, nächst zuständigen Mitgliedsstaat, hier Ungarn, um Wiederaufnahme ersuchen (EuGH, U. v. 14. November 2013 – C 4/11 – juris Rn. 32 ff.).
Nach Art. 18 Abs. 1 b Dublin III-VO ist Ungarn verpflichtet, den Antragsteller nach Maßgabe der Art. 23, 24, 25 und 29 Dublin III-VO wieder aufzunehmen, da er während der Prüfung seines dort gestellten Antrags auf internationalen Schutz in der Bundesrepublik Deutschland einen weiteren Antrag gestellt hat. Das Bundesamt hat das Wiederaufnahmegesuch am 4. Dezember 2015, also innerhalb von zwei Monaten nach der EURODAC-Treffermeldung vom 7. Oktober 2015, und damit innerhalb der Frist des Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO gestellt. Da die ungarischen Behörden nicht geantwortet haben, ist gem. Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen. Damit ist die Abschiebung nach Ungarn – als EU-Mitgliedstaat ein sicherer Drittstaat im Sinne des § 26 a AsylG – möglich.
Die Antragsgegnerin hat einen Selbsteintritt gem. Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ermessensfehlerfrei abgelehnt. Insbesondere ist derzeit (§ 77 Abs. 1 AsylG) nicht ersichtlich, dass eine Überstellung nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin III-VO unmöglich ist. Das ist dann der Fall, wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller im zuständigen Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – EUGRCh – mit sich bringen. Nach der zur Rechtslage unter der Dublin-II-VO ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U. v. 21. Dezember 2011 – C-411/10 u. C-493/10 – NVwZ 2012, 417/419 Rn. 80) gilt eine widerlegbare Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat mit den Erfordernissen der EUGRCh sowie der Genfer Flüchtlingskonvention – GF – und der Europäischen Menschenrechtskonvention – EMRK – in Einklang steht. Die Vermutung ist dann widerlegt, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsmängel regelhaft so defizitär sind, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B. v. 19. März 2014 – 10 B 6.14 – S. 7). An diese Feststellung sind hohe Anforderungen zu stellen (OVG Lüneburg, B. v. 18. März 2014 – 13 LA 75/13 – juris Rn. 14). Einzelne Missstände stellen noch keine systemischen Schwachstellen dar. Diese liegen vielmehr erst dann vor, wenn dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er überstellt werden soll, der Zugang zu einem Asylverfahren verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder wenn er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z. B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen kann (OVG NW, U. v. 7. März 2014 – 1 A 21/12.A – juris Rn. 126). Es besteht allerdings keine allgemeine Verpflichtung, jedermann mit einer Wohnung zu versorgen, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (OVG NW, a. a. O., Rn. 118 f. m. w. N.).
Auf Grundlage jüngerer Erkenntnisse zum ungarischen Asylrecht und zur Situation von Asylbewerbern in Ungarn (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amts an das VG München vom 2. März 2015, an das VG Hannover vom 3. Juli 2015, an das VG Regensburg vom 27. Januar 2016; Gutachten des Instituts für Ostrecht vom 2. Oktober 2015 an das VG Düsseldorf; Lagebericht des Liaisonmitarbeiters des Bundesamtes beim Ungarischen Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft vom 13. Januar 2016; European Council on Refugees and Exiles, Case Law Fact Sheet: Prevention of Dublin Transfers to Hungary, Januar 2016; Human Rights Watch vom 1. Dezember 2015, Hungary: Locked Up for Seeking Asylum; Bericht des Hungarian Helsinki Committee (HHC) zu den Änderungen des ungarischen Asylrechts vom 7. August 2015; Anmerkungen und Empfehlungen des UNHCR vom 7. Januar 2015 zu migrations- und asylbezogenen Gesetzesentwürfen und Stellungnahme des UNHCR vom 9. Mai 2014 an das VG Düsseldorf; AIDA, Bericht vom 1. November 2015 und „Regular Procedure, Hungary“ des HHC 2016 unter Berücksichtigung der Asylpraxis, veröffentlicht im Internet; Amnesty International, Jahresbericht 2016 v. 24. Februar 2016 und Europe´s Borderlands: Violations against refugees and migrants in Macedonia, Serbia and Hungary vom Juli 2015) und der jüngeren obergerichtlichen Rechtsprechung (EGMR, U. v. 3. Juli 2014 – Nr. 71932/12 – Mohammadi ./. Österreich – NLMR – Newsletter Menschenrechte – 2014, 282 Rn. 74 f.; BayVGH, B. v. 12. Juni 2015 – 13a ZB 15.50097 – juris) ist derzeit nicht ernsthaft zu befürchten, dass in Ungarn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für den Asylbewerber systemische Mängel aufweisen, die einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK begründen könnten. Das Asylverfahren von Dublin-Rückkehrern wird weitergeführt oder auf Antrag wieder aufgenommen (Lagebericht des Bundesamtes vom 13. Januar 2016, Seite 2). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dessen Rechtsprechung über den jeweils entschiedenen Fall hinaus Orientierungs- und Leitfunktion für die Auslegung der EMRK hat (st. Rspr. des BVerwG, vgl. U. v. 20. Dezember 2013 – 2 B 44/12 – juris Rn. 5), hat keine systemischen Mängel des ungarischen Asyl- und Asylhaftsystems und kein tatsächliches Risiko einer schwerwiegenden Beeinträchtigung im Sinne des Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr nach Ungarn angenommen (vgl. U. v. 3. Juli 2014 – Nr. 71932/12 – NLMR – Newsletter Menschenrechte – 2014, 282 Rn. 74 f.). Danach erfolgt trotz in den Jahren 2011 und 2012 festgestellter alarmierender Defizite keine systematische Inhaftierung von Asylsuchenden. Die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthält und Dublin-Rückkehrer in Ungarn auf dieser Grundlage auch inhaftiert werden, ist noch kein begründeter Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems (vgl. BayVGH, B. v. 12. Juni 2015 – 13a ZB 15.50097 – juris Rn. 5). Die in Art. 31 A Abs. 1 des ungarischen Asylgesetzes (vgl. englische Übersetzung des Act LXXX of 2007 on Asylum durch UNHCR im Internet) genannten Haftgründe entsprechen weitgehend denen des Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2013/33/EU vom 26. Juni 2013. Nach den Vorgaben der Richtlinie darf nach Art. 31 A Abs. 2 und 3 ung. Asylgesetz eine solche Inhaftierung nur aufgrund einer individuellen Ermessensentscheidung erfolgen, wenn keine mildere Maßnahme in Betracht kommt (vgl. Art. 8 Abs. 2 RL 2013/33/EU), und nach Art. 31 B Abs. 1 ung. Asylgesetz nicht alleine deswegen, weil der Antragsteller einen Asylantrag gestellt hat (Art. 8 Abs. 1 RL 2013/33/EU). Sie endet spätestens nach sechs Monaten und unterliegt gerichtlicher Überwachung (Art. 31 A Abs. 6 – 8 ung. Asylgesetz). Für minderjährige Schutzsuchende ist sie ausgeschlossen (Art. 31 B Abs. 2 ung. Asylgesetz). Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 3. Juli 2015 an das VG Hannover sind im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2015 in Ungarn 1078 Personen in Asylhaft genommen, was einer Quote von 2,1% aller Asylantragsteller entspricht. Für Dublin-Rückkehrer besteht gegenüber Neuankömmlingen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit (offizielle statistische Informationen sind der Stellungnahme des Auswärtigen Amtes an das VG Augsburg vom 27. Januar 2016 nicht vorhanden), in Asylhaft genommen zu werden, da die vorangegangene Ausreise als gewichtiges Indiz dafür gelten mag, dass sich der Rückkehrer bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens nicht freiwillig in Ungarn zur Verfügung halten wird. Es erscheint nachvollziehbar und weder willkürlich noch als systematische Überschreitung der Grenzen des europäischen Rechts, dass bei Dublin-Rückkehrern, die wie der Antragsteller Ungarn lediglich als „Transitland“ ansehen, dort keinen Asylantrag stellen wollen und sich dem Asylverfahren in Ungarn bereits einmal entzogen haben, überproportional häufig der Haftgrund der Verfahrensbehinderung oder Fluchtgefahr gem. Art. 31 A Abs. 1 ung. Asylgesetz angenommen wird (vgl. VG Berlin, B. v. 30. Juli 2014 – 34 L 95.14 A – juris Rn. 20; VG Osnabrück, U. v. 18. Mai 2016 – 5 A 68/16 – juris Rn. 45). In diesem Fall hält das Gericht auch eine Verlängerung der 30-tägigen Haftdauer, die maximal sechs Monate nicht überschreiten darf, für verhältnismäßig. Es kann daher offen bleiben, ob Asylantragsteller aus sogenannten anerkennungsträchtigen Herkunftsländern wie Syrien, Somalia, Eritrea und Afghanistan (zu den Anerkennungsquoten vgl. ECRE, „Crossing Boundaries“, Stand: 1. Oktober 2015, S. 9), zu denen der Antragsteller gehört, regelmäßig weder in Asylhaft noch in Abschiebehaft genommen werden (so die Erklärung des Direktors des ungarischen Asyldirektorats gegenüber dem Liaisonmitarbeiter des Bundesamtes in Budapest im September 2013, Auskunft des BAMF an VG München vom 30. Dezember 2013, S. 7; siehe aber Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Regensburg, S. 6: „Die Praxis, Antragsteller aus bestimmten Herkunftsländern nicht in Asylhaft zu nehmen, wurde u. a. deswegen aufgegeben, da vermehrt Staatsangehörigkeitstäuschungen festgestellt wurden.“). Systemische Mängel lassen auch die Bedingungen während einer Asylhaft (vgl. dazu Lagebericht des Bundesamtes vom 13. Januar 2016, Seite 2 ff.; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Regensburg vom 27. Januar 2016, S. 8 f.) unter Berücksichtigung der vom ungarischen Helsinki Komitee beklagten Defizite bei sprachlichen und anwaltlichen Dienstleistungen (HHC „Regular Procedure“ 2016) nicht erkennen. Nach diesem Bericht sorgt das HHC, wenn auch auf nicht abgesicherter, projektfinanzierter Grundlage, für rechtlichen Beistand in allen Aufnahmezentren und Asylhafteinrichtungen.
Auch der UNHCR, der in seinen Anmerkungen und Empfehlungen vom 7. Januar 2015 besorgniserregende Gesetzeslücken bei der Inhaftierung und Defizite beim Rechtsschutz beklagt hat, hat dies nicht zum Anlass genommen, systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in Ungarn festzustellen, und keine generelle Empfehlung ausgesprochen, im Rahmen des Dublin-Verfahrens Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen (vgl. BayVGH, B. v. 12. Juni 2015 – 13a ZB 15. 50097 – juris Rn. 6; VG Stade, B. v. 4. November 2015 – 1 B 1749/15 – juris). Dem kommt besondere Bedeutung zu, weil die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente im Rahmen der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach den Kriterien der Dublin III-VO zuständigen Staat angesichts der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, besonders relevant sind (vgl. EuGH, U. v. 30. Mai 2013 – C 528/11 – NVwZ-RR 2013, 660).
Ebenso wenig ergeben sich aus der seit 1. August 2015 veränderten Rechtslage in Ungarn, wonach Serbien sicherer Herkunftsstaat (vgl. Anlage II zu § 29a AsylG) ist, die Asylverfahren verkürzt und Anträge abgelehnt werden, wenn sich ein Asylbewerber unentschuldigt länger als 48 Stunden aus der ihm zugewiesenen Unterkunft entfernt, systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen. Es liegen keine auf Tatsachen beruhenden Erkenntnisse darüber vor, dass Dublin-Rückkehrer systematisch von Ungarn nach Serbien abgeschoben werden. Serbien lehnt die Übernahme von Drittstaatsangehörigen aus Ungarn ab, wenn die Einreise über sein Staatsgebiet nach Ungarn nicht nachgewiesen ist, was mangels Registrierung der Flüchtlinge in Serbien regelmäßig der Fall ist, oder länger als ein Jahr zurückliegt (vgl. Lagebericht des Bundesamtes vom 13. Januar 2016, S. 7; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Januar 2016 an das VG Regensburg vom 27. Januar 2016, S. 4; VG Osnabrück, U. v. 18. Mai 2016 – 5 A 68/16 – juris Rn. 38 f.). Somit ist nicht davon auszugehen, dass dem Antragsteller, der eigenen Angaben zufolge im Juni 2015, also vor mehr als einem Jahr, über Serbien nach Ungarn eingereist ist, konkret eine Überstellung nach Serbien droht.
Schwierigere Lebensumstände in Ungarn einschließlich einer schlechten Arbeitsmarktlage, von denen ungarische Staatsangehörige gleichermaßen betroffen sind, rechtfertigen noch nicht die ernsthafte Befürchtung, dass die Aufnahmebedingungen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung gleichkommen und ergeben sich auch nicht aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das VG Magdeburg vom 2. März 2015 und an das VG Regensburg vom 27. Januar 2016, S. 5 f.; ECRE, Country Report 11/2015, S. 56; UNHCR, Ungarn als Asylland, April 2012, S. 26 ff.; vgl. auch VG Berlin, U. v. 4. März 2016 – 23 K 323.14 A – juris Rn. 29 f.; VG Dresden, B. v. 30. Dezember 2015 – 2 L 1378/15.A – juris Rn. 10). Beim Zugang zum Arbeitsmarkt sind Schutzberechtigte den ungarischen Staatsangehörigen gleichgestellt (Auskunft AA vom 2. März 2015, S. 4). Zur Eingliederung bedürftiger Schutzberechtigter können Integrationsverträge mit der Asylbehörde abgeschlossen werden, in dessen Rahmen Hilfe bei der Arbeitssuche, der Anmietung einer Wohnung und der Erlernung der Sprache gewährt wird (AA vom 27. Januar 2016, S. 5 f.). Es besteht regelmäßig kostenfreier Krankenversicherungsschutz (AA vom 2. März 2015, a. a. O., S. 5 f.). Schutzberechtigte ohne Anspruch auf besondere Förderung haben Zugang zu den öffentlichen Notaufnahmeeinrichtungen (AA vom 2. März 2015, a. a. O., S. 5; Auskunft des BAMF an das VG München vom 30. Dezember 2013, S. 8).
Die Abschiebungsanordnung ist ebenfalls rechtmäßig. Gem. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylG) an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen vor. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote hinsichtlich Ungarns bestehen nicht. Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse und Duldungsgründe, die im Rahmen des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG vom Bundesamt zu prüfen sind (BayVGH, B. v. 12. März 2014 – 10 CE 14.427- juris Ls), sind ebenfalls nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben