Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens in der Schweiz

Aktenzeichen  W 8 S 19.50160

Datum:
1.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 4034
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 17 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1 lit. d

 

Leitsatz

1 Die Schweiz nimmt – obwohl sie kein Mitgliedstaat der Europäischen Union ist – an den Regelungen der Dublin-Verordnung teil. Bezugnahmen auf Mitgliedstaaten in der Dublin-Verordnung schließen die Schweiz ein (vgl. VG Greifswald BeckRS 2017, 135076).  (Rn. 13) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist nicht davon auszugehen, dass das Asylsystem der Schweiz an systemischen Mängeln leidet, aufgrund derer dorthin rücküberstellte Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung iSv Art. 4 GRCh ausgesetzt wären. (Rn. 14) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Das Schweizer Asylsystem erweist sich nicht deshalb als mangelhaft, weil es keinen dem subsidiären Schutz entsprechenden kodifizierten Schutzstatus besitzt. Vielmehr ist nichts dafür ersichtlich, dass bei einem Asylbewerber Gründe vorliegen können, die nach europäischem Unionsrecht vom subsidiären Schutz erfasst wären, während sie nach Schweizer Recht nicht zur Schutzgewährung führen (vgl. VG Düsseldorf BeckRS 2019, 524). (Rn. 15) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist algerischer Staatsangehöriger. Er reiste am 25. Januar 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein, äußerte am 28. Januar 2019 ein Asylgesuch und stellte am 5. Februar 2019 einen förmlichen Asylantrag.
Nach den Erkenntnissen der Antragsgegnerin lagen Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) vor. Auf ein Übernahmeersuchen vom 13. Februar 2019 erklärten die schweizerischen Behörden mit Schreiben vom 18. Februar 2019 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO.
Mit Bescheid vom 19. Februar 2019 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Abschiebung in die Schweiz wurde angeordnet (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf neun Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Am 27. Februar 2019 erhob der Antragsteller im Verfahren W 8 K 19.50158 zu Protokoll der Urkundsbeamtin Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und beantragte im vorliegenden Verfahren:
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
Zur Begründung verwies der Antragsteller auf seine Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und brachte im Wesentlichen weiter vor: Er habe sich nur 27 Tage in der Schweiz aufgehalten und möchte nicht dorthin zurück. Die Unterbringung in der Schweiz sei wie in einem Gefängnis gewesen. Er habe sie abends nicht verlassen dürfen. Unter solchen Umständen möchte er nicht leben.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Klageverfahrens W 8 K 18.50158) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Bei verständiger Würdigung des Vorbringens des Antragstellers ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bundesamtsbescheides vom 19. Februar 2019 begehrt.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO – betreffend die Abschiebungsanordnung unter Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids – ist zulässig, aber unbegründet.
Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 19. Februar 2019 ist bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung in Nr. 3 rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, so dass das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache noch im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, überwiegt.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheides verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Das Vorbringen in der Antragsbegründung führt zu keiner anderen Beurteilung.
Die Schweiz ist gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig (vgl. § 34a, § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG). Die Schweizer Behörden haben ausdrücklich ihre dahingehende Zuständigkeit bejaht.
Die Schweiz nimmt – obwohl sie kein Mitgliedstaat der Europäischen Union ist (insoweit ist die Begründung im streitgegenständlichen Bescheid unscharf) – an den Regelungen der Dublin-Verordnungen teil (vgl. Abkommen v. 26.10.2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrages sowie Notenaustausch vom 14.8.2013 zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Dublin III-VO zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist). Gemäß Art. 1 Abs. 1 und 2 des Abkommens wendet die Schweiz die Dublin-Verordnungen in ihren Beziehungen zu den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union an und umgekehrt. Bezugnahmen auf die Mitgliedsstaaten schließen die Schweiz ein, Art. 1 Abs. 5 des Abkommens (vgl. VG Greifswald, B.v.6.12.2017 – 6 B 2236/17 As HGW – juris; OVG Berlin-BBG, U.v. 22.1.2016 – OVG 3 B 2.16 – Asylmagazin 2017, 115).
Die Überstellung in die Schweiz ist auch nicht rechtlich unmöglich (vgl. § 34 a AsylG). Außergewöhnliche Umstände die möglicherweise für einen Selbsteintritt gemäß § 3 Abs. 2 Dublin III-VO bzw. für eine entsprechende Pflicht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten, sind vorliegend weder substanziiert vorgebracht noch sonst ersichtlich. Insbesondere ist nach derzeitigem Erkenntnisstand und unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. OGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u.a. – NVWZ 2012, 417) nicht davon auszugehen, dass das Asylsystem der Schweiz an systemischen Mängeln leidet, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta ausgesetzt wären.
Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse bestehen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen solcher Mängel im Asylsystem der Schweiz, zumal der Kläger dahingehend nicht Substanziiertes vorgebracht hat. Das Gericht geht nach den vorliegenden Erkenntnissen davon aus, dass in der Schweiz keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Grundsätzlich erhalten Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft, Verpflegung, medizinische Versorgung und finanzielle Unterstützung, sofern sie bedürftig sind (vgl. BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Schweiz, v. 16.11.2017, S. 8 ff.). Die Schweiz beachtet die Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Insofern besteht kein Anlass zu zweifeln, dass die Schweiz die rechtlichen Vorgaben nicht einhält (vgl. m.w.N. VG Düsseldorf, B.v. 21.1.2019 – 22 L 3215/18.A – juris; B.v. 20.3.2018 – 22 L 79/18.A – juris; VG Leipzig, U.v. 19.9.2018 – 6 K 445/18.A – juris; VG München, B.v. 12.7.2018 – M 18 S 18.51044 – juris; VG Gelsenkirchen, B.v. 4.1.2018 – 6a L 3589/17.A – juris; B.v. 22.11.2017 – 6a L 3327/17.A – juris; VG Würzburg, U.v. 16.1.2018 – W 8 K 17.50655 – juris; B.v. 9.11.2017 – W 4 S 17.50715; VG Greifswald, B.v. 6.12.2017 – 6 B 2236/17 As HGW – juris). Der Umstand, dass das Schweizer Recht keinen förmlichen Schutzstatus wie den subsidiären Schutz ausdrücklich kodifiziert enthält, führt nach dem Vorstehenden zu keiner anderen Beurteilung. Insbesondere ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass hier beim Antragsteller Gründe für die Gewährung internationalen Schutzes vorlägen, die nach Schweizer Recht nicht zu einer Schutzgewährung führen würden, obwohl sie nach europäischem Unionsrecht vom subsidiären Schutz erfasst wären (siehe näher VG Düsseldorf, B.v. 21.1.2019 – 22 L 3215/18.A – juris).
Ferner ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin ermessensfehlerhaft keinen Gebrauch von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin III-VO gemacht hat.
Das Vorbringen des Antragstellers, die Unterbringung in der Schweiz sei wie in einem Gefängnis gewesen, er habe die Unterkunft abends nicht verlassen dürfen, führt zu keiner anderen Beurteilung. Denn die Auflage, dass der Antragsteller sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten hat, besteht in Form der Residenzpflicht dem Grunde nach etwa auch in Deutschland. Im Übrigen ist anzumerken, dass der Umstand, dass in einem Mitgliedsstaat die Aufenthaltsbedingungen besser sind als in einem anderen Staat (also hier in Deutschland besser als in der Schweiz), im Rahmen des Dublin-Verfahrens irrelevant ist. Der Asylbewerber hat insbesondere kein Wahlrecht, sich den Mitgliedsstaat auszusuchen, in dem er sich bessere Chancen oder angenehmere Aufenthaltsbedingungen erhofft. Relevant sind allein die Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates nach der Dublin III-VO, nach denen die vom Antragsteller genannten Gründe keine Rolle spielen.
Schließlich sind auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die die Antragsgegnerin selbst zu berücksichtigen hätte, nicht ersichtlich.
Im Ergebnis hat der Antragsteller keinen Anspruch, dass die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung vorläufig ausgesetzt wird.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.


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