Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens in Frankreich auch bei Schwangerschaft – Vaterschaftsanerkennung und Sorgerechtserklärung

Aktenzeichen  W 2 S 18.50430

Datum:
17.9.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 28103
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2
GG Art. 6
EMRK Art. 8
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

1. Auch unter Berücksichtigung einer nachgewiesenen Schwangerschaft und einer eventuell notwendigen medizinischen Betreuung bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass in Frankreich generelle systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. (Rn. 13 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Weder die Schwangerschaft als solche, noch die bloße Abgabe einer gemeinsamen Sorgerechtserklärung durch den mit Fiktionsbescheinigung ausgewiesenen Vater führen ohne Weiteres zu einer rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung. (Rn. 13 – 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die am … … 1980 in Bouake/Elfenbeinküste geborene Antragstellerin wurde am 6. Mai 2018 erkennungsdienstlich erfasst und äußerte ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 8. Mai 2018 schriftlich Kenntnis erlangte. Am 25. Juni 2018 stellte sie einen förmlichen Asylantrag.
Eine Eurodac-Abfrage vom 8. Mai 2018 ergab für die Antragstellerin keine Treffer. Ein Abgleich im Visa-Informationssystem ergab, dass der Antragstellerin am 16. Januar 2018 von französischen Konsulat in Abidjan ein 20 Tage gültiges Schengen-Visum ausgestellt wurde.
Im Rahmen von Anhörungen vor dem Bundesamt am 25. Juni 2018 und am 28. Juni 2018 bestätigte die Antragstellerin, dass ihr im Januar 2018 ein französisches Visum ausgestellt worden sei, mit dem sie im Januar 2018 auf dem Luftweg nach Frankreich eingereist sei. Sie habe sich nur eine Nacht in Frankreich aufgehalten und sei dann nach Deutschland weitergereist. Sie habe dort keinen Asylantrag gestellt. Sie könne in Frankreich ihre Asylgründe nicht vortragen, weil es dort viele Afrikaner aus der Elfenbeinküste gebe. Ihre Familie aus der Elfenbeinküste habe auch Kontakt zu französischen ivorischen Landsleuten. Sie wüssten Bescheid, was der Antragstellerin in der Elfenbeinküste passiert sei. Es könne sein, dass diese Leute ihrer Familie ausrichten würden, dass die Antragstellerin in Frankreich sei. Das wolle die Antragstellerin nicht. Sie sei in Deutschland schwanger geworden. Der Vater des Kindes sei seit zehn Jahren in Deutschland. Sie habe ihn in Essen kennengelernt.
Am 29. Juni 2018 stellte das Bundesamt, gestützt auf Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO, ein Aufnahmegesuch an Frankreich. Die französischen Behörden nahmen das Aufnahmegesuch mit Schreiben vom 10. September 2018 an.
Mit Bescheid vom 3. September 2018, der Antragstellerin am 4. September 2018 zugestellt, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Frankreich an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf neun Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). Zur Begründung wurde ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, da Frankreich aufgrund des von Frankreich ausgestellten Visums für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Auch Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Auf die weitere Begründung des Bescheides wird Bezug genommen.
Am 11. September 2018 ließ die Antragstellerin im Verfahren W 2 K 18.50430 Klage gegen den Bescheid vom 3. September 2018 erheben und zugleich im vorliegenden Verfahren beantragen:
Die aufschiebende Wirkung der gleichzeitig gegen die im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 3. September 2018 zum Az.: 7486794-231 enthaltene Abschiebungsandrohung erhobene Klage wird insoweit angeordnet, als „dem Antragsteller“ darin die Abschiebung nach Frankreich angedroht wird.
Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wurde die Kopie einer Vaterschaftsanerkennung und gemeinsamen Sorgerechtserklärung vom 10. September 2018 vorgelegt, aus der hervorgeht, dass der Vater des von der Antragstellerin erwarteten Kindes ein guineischer Staatsangehöriger ist, der über eine Fiktionsbescheinigung als derzeitigen Aufenthaltstitel verfügt. Errechneter Geburtstermin ist laut Sorgerechtserklärung der 23. November 2018.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der Gerichtsakten im Sofort- und Hauptsacheverfahren sowie auf den Inhalt der einschlägigen Verwaltungsakte des Bundesamtes, welche dem Gericht in elektronischer Form vorliegt, Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig, insbesondere firstgerecht (§ 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG) erhoben, jedoch unbegründet.
Die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des in der Hauptsache angefochtene Bescheid vom 3. September 2018 ist bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung zum hier maßgeblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) derzeit (noch) rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten. Somit überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse der Antragstellerin, vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen.
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG), sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dabei sind sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse (BayVGH, B.v. 12.3.2014 – 10 CE 14.427 – juris) zu berücksichtigen. Dies gilt auch bei nachträglich auftretenden Abschiebungshindernissen oder Duldungsgründen (BVerfG, B.v. 17.9.2014 – 2 BvR 1795/14 – juris). Die Voraussetzungen des Erlasses einer Abschiebungsanordnung liegen hier vor. Aus der Behördenakte, insbesondere aus den Angaben der Antragstellerin wird ersichtlich, dass die Antragstellerin mit einem Visum in Frankreich eingereist ist. Frankreich ist daher gemäß Art. 12 Abs. 4 Uabs. 1 Dublin III-VO für die Bearbeitung des Asylantrages der Antragstellerin zuständig. Diese Zuständigkeit hat Frankreich anerkannt.
Die Überstellung an Frankreich ist auch nicht rechtlich unmöglich i.S.d. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Diese Vorschrift entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (z.B. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C 411/10 u.a. – juris). Danach ist eine Überstellung eines Asylsuchenden an einen anderen Mitgliedsstaat nur dann zu unterlassen, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende im zuständigen Mitgliedsstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der rücküberstellten Asylsuchenden im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechtecharta zufolge hätten.
Für das Gericht ergeben sich – auch unter Berücksichtigung der bei der Antragstellerin nachgewiesenen Schwangerschaft – nach den vorliegenden Erkenntnissen keine Anhaltspunkte dafür, dass in Frankreich generelle systemische Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden (vgl. VG Würzburg, B.v. 31.5.2017 – W 8 S 17.50301; B.v. 18. Juni 2018 – W 2 S 18.50265 – juris). Das Gericht folgt – insbesondere im Hinblick auf die bezüglich der Schwangerschaft eventuell notwendigen medizinischen Betreuung – der zutreffenden Begründung des angefochtenen Bescheides (§ 77 Abs. 2 AsylG).
Es sind auch keine Anhaltspunkte für innerstaatliche oder zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf Frankreich ersichtlich.
Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die die Antragsgegnerin selbst zu berücksichtigen hätte, sind derzeit ebenfalls nicht erkennbar. Weder die Schwangerschaft als solche, noch die bloße Abgabe einer gemeinsamen Sorgerechtserklärung durch den mit Fiktionsbescheinigung ausgewiesenen Vater führen ohne weiteres zu einer rechtlichen Unmöglichkeit der Abschiebung.
Schon aufgrund der jedenfalls derzeit vorhandenen räumlichen Trennung zwischen der in Schweinfurt zugewiesenen Antragstellerin und dem in Essen ansässigen Vater des Kindes kann – bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes alleine möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage – jedenfalls nicht ausschließlich anhand der vorgelegten Sorgeerklärung von einer gelebten Beistands- und Umgangsgemeinschaft ausgegangen werden.
Denn weder aus dem Vortrag der Antragstellerin noch aus den beigezogenen Behördenakten geht hervor, dass es bei der Schwangerschaft der Antragstellerin um eine sog. Risikoschwangerschaft handelt und sie – auch vorgeburtlich – auf die dauerhafte Unterstützung und Anwesenheit des Kindsvaters angewiesen wäre. Insoweit kann offen bleiben, ob und unter welchen Umständen sich aus dem vorläufigen Aufenthaltsstatus, den die Fiktionsbescheinigung des Kindsvaters vermittelt, sich für die Antragstellerin und ihr ungeborenes Kind ein Aufenthaltsrecht ableiten ließe, dessen Vorwirkung eine Abschiebung nach Frankreich verhindern würde.
Jedenfalls nach summarischer Prüfung der derzeit vorliegenden Sach- und Rechtslage erscheint eine (temporäre) Trennung der werdenden Mutter und des Kindsvaters nicht als Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG bzw. Art. 8 EMRK. Es dürfte der Antragstellerin, dem Kindsvater und dem ungeborenen Kind zumutbar sein, die aufenthaltsrechtlich notwendigen Schritte zur Erwirkung eines entsprechenden Aufenthaltsrechtes von Frankreich aus zu betreiben. Insbesondere erscheint es nicht unverhältnismäßig, ein entsprechendes Visumsverfahren abzuwarten.
Das Gericht weist jedoch ausdrücklich darauf hin, dass mit dem in Kürze beginnenden gesetzlichen Mutterschutz der Antragstellerin absehbar Umstände eintreten werden, die die Durchführung einer Abschiebung rechtlich unmöglich machen werden. Bis zu diesem Zeitpunkt jedoch bestehen nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aktuell keine rechtlichen wie tatsächlichen Hinderungsgründe für eine Abschiebung nach Frankreich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.


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