Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens in Frankreich

Aktenzeichen  AN 17 K 19.50538

Datum:
20.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 20038
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 3 Abs. 2, Art. 7 Abs. 2
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
VwVfG § 47 Abs. 1, § 48, § 51
EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Der unanfechtbare Abschluss eines sog. Dublin-Verfahrens ist unter das Tatbestandsmerkmal des „früheren Asylantrages“ des § 71 Abs. 1 S. 1 AsylG zu fassen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das französische Asylsystem leidet nicht an flächendeckenden systemischen Mängeln. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1. Das Gericht konnte trotz Ausbleibens eines Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung über die Klage verhandeln und entscheiden, da die Beklagte hierauf mit der ordnungsgemäßen Ladung hingewiesen worden war (§ 102 Abs. 2 VwGO).
2. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 16. Mai 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in dessen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klage war daher abzuweisen.
a) Der erneute Asylantrag der Antragsteller vom 8. Mai 2019 stellt sich als Folgeantrag gemäß § 71 AsylG dar. Dass nach dem Wortlaut des Tenors des streitgegenständlichen Bescheides lediglich die Änderung des Erstbescheides vom 29. August 2018 abgelehnt wurde, führt nicht zur Rechtswidrigkeit des hier angegriffenen Bescheides. Denn selbst wenn man darin formal keine Entscheidung über den gestellten Folgeantrag nach § 71 AsylG sehen würde, könnte der Bescheid nach § 47 Abs. 1 VwVfG in eine solche umgedeutet werden. Da der Erstbescheid bereits die Ablehnung des Asylantrages als unzulässig, die Feststellung des Nichtvorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG sowie eine Abschiebungsanordnung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes nach § 11 Abs. 1 AufenthG enthielt, ist die Ablehnung der Abänderung dieses Bescheides auf die Aufrechterhaltung dieser Rechtsfolge und damit auf das gleiche Ziel gerichtet wie eine ausdrückliche Ablehnung des Folgeantrages als unzulässig sowie die Feststellung des Nichtvorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Unbeachtlich ist ebenso, dass die Beklagte auf § 48 VwVfG abstellt, soweit sie die Abänderung des Erstbescheids ablehnt, obgleich nicht anzunehmen ist, dass die Beklagte davon ausgeht, ihr Erstbescheid sei rechtswidrig. Ungeachtet dessen ergibt sich aus den Gründen des Bescheides vom 16. Mai 2019, dass die Beklagte eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG getroffen und auch das Vorliegen von nationalen Abschiebungsverboten nochmals geprüft, im Ergebnis aber erneut verneint hat. Auf die Fassung des Bescheidtenors kommt es damit nicht maßgeblich an. Eine (erneute) Abschiebungsandrohung oder -anordnung ist nach § 71 Abs. 5 Satz 1 AsylG ohnehin entbehrlich.
b) Gegen die erneute Unzulässigkeitsentscheidung ist wiederum nur die Anfechtungsklage statthaft. Dem gegenüber wäre nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes dem erkennenden Gericht eine materielle Prüfung der vorgetragenen Asyl- und Schutzgründe verwehrt, da das Bundesamt selbst hierüber noch keine Entscheidung getroffen hat (BVerwG, U.v. 27.10.2015 – 1 C 32/14 – NVwZ 2016, 154). Somit erwiesen sich die ursprünglich vom Bevollmächtigten des Klägers mit seiner Klageschrift angekündigten Anträge teilweise als unzulässig. Maßgeblich kommt es jedoch auf die Fassung der Anträge in der mündlichen Verhandlung an, wonach eine (zulässige) Verpflichtungsklage gegen die Beklagte nur noch insoweit gestellt wurde als die (hilfsweise) Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird. Die so zulässigerweise gestellten Anträge sind indes unbegründet, so dass die Klage insgesamt abzuweisen war.
c) Nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist, wenn ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag (Folgeantrag) stellt, ein Asylverfahren (nur) durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Danach kommt die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens dann in Betracht, wenn sich die zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat, neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung (ZPO) gegeben sind sowie darüber hinaus der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen im früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.
Der Bescheid des Bundesamtes vom 29. August 2018, mit dem der erste Asylantrag des Klägers als unzulässig abgelehnt wurde, ist bestandskräftig. Die Voraussetzungen nach § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG liegen allerdings für den Folgeantrag nicht vor, dieser ist damit unzulässig. Zutreffend hat die Beklagte daher eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG beschieden. Auch der unanfechtbare Abschluss eines sog. Dublin-Verfahrens ist unter das Tatbestandsmerkmal des „früheren Asylantrages“ des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG zu fassen ist (Bergmann/Dienelt/Bergmann, 12. Aufl. 2018, AsylG § 71 Rn. 7).
Bei der Bewertung der Frage, ob der Kläger im vorliegenden Verfahren eine neue, für ihn günstige Sach- oder Rechtslage vorgetragen hat, ist – unter Beachtung des Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO – maßgeblich auf die Zuständigkeits- und Prüfkriterien der Dublin III-VO abzustellen. So kann sich eine für den Kläger günstigere Situation etwa daraus ergeben, dass sich nach der aktualisierten Erkenntnislage zu dem Asylsystem eines Zielstaates im europäischen Asylverbund, die sowohl die Beklagte als auch die Verwaltungsgerichte laufend zu prüfen haben, nunmehr systemische Mängel im Asylsystem des Ziellandes ergeben (Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO). Ebenso können die zwingend einzuhaltenden Fristen nach der Dublin III-VO, die dem Kläger subjektiven Schutz vermitteln, zu einer nachträglich günstigeren Situation für ihn führen, so dass im Einzelfall ein Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte zu bejahen sein könnte. Dem gegenüber wird sich der Kläger mit dem Einwand, im Zielstaat drohe ihm eine gewaltsame Behandlung durch dritte Personen, gegen die zureichender Schutz durch staatliche Behörden des Ziellandes nicht zu erwarten steht, nicht auf eine neue Sach- und Rechtslage hinsichtlich der Unzulässigkeitsentscheidung des Bundesamtes berufen können, sondern allenfalls auf ein – gleichwohl zu prüfendes – Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG.
Nicht zu vertiefen braucht das Gericht in diesem Zusammenhang die Frage, ob bloße Streitigkeiten hinsichtlich des Ablaufs der Überstellungsfristen nach der Dublin III-VO mit der klägerischen Behauptung eines Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte Gegenstand eines Asylfolgeantrages sein können (zur Zulässigkeit einer Feststellungsklage zur Überprüfung der Überstellungsfrist vgl. etwa: VG Ansbach, U.v. 9.8.2019 – AN 17 K 18.50463, BeckRS 2019, 18510; Ablauf der Überstellungsfrist und Wiederaufgreifensgründe bei einem Zweitantrag: VG Regensburg, U.v. 13.3.2015 – RN 5 K 15.50118 – BeckRS 2015, 121142). Denn der Kläger hat sich auf den Ablauf einer solchen Frist nicht berufen. Für das Gericht vermittelt sich ein solcher Ablauf, den es von Amts wegen zu berücksichtigen hätte, auch nicht aus dem Inhalt der Behördenakten. Insbesondere ist die von der Beklagten vorgenommene Verlängerung der Überstellungsfrist gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin III-VO auf 18 Monate mit Mitteilung vom 3. Januar 2019 unter Beachtung der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache C-163/17 (U.v. 19.3.2019 – NVwZ 2019, 712) nicht zu beanstanden. Selbst wenn zu Gunsten des Klägers davon auszugehen wäre, dass mit dessen Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland Anfang April 2019 und der Kenntnis einer neuen ladungsfähigen Anschrift die Beklagte verpflichtet wäre, von der 18-monatigen Überstellungsfrist Abstand zu nehmen und zur regelmäßigen Überstellungsfrist zurückzukehren (so bspw. VG Trier U.v. 16.11.2018 – 1 K 12434/17 – BeckRS 2018, 34484), würde dies zu keiner für den Kläger vorteilhaften Situation führen. Denn jedenfalls wäre der Beklagten dann erneut ein zusammenhängender Zeitraum von sechs Monaten für die Überstellung des Klägers zuzubilligen, der ersichtlich noch nicht abgelaufen ist.
Ein Zuständigkeitsübergang auf die Beklagte ergibt sich auch nicht aus Art. 23 Abs. 3 Dublin III-VO. Nach dieser Vorschrift wird der ersuchende Mitgliedsstaat für den erneuten Antrag auf internationalen Schutz zuständig, wenn er nicht innerhalb der Fristen des Absatzes 2 der Vorschrift ein Wiederaufnahmegesuch an den als zuständig erkannten Mitgliedsstaat richtet. Dieses Verfahren ist verbindlich anzuwenden (EuGH (3. Kammer), U.v. 5.7.2018 – C-213/17 – NVwZ 2018, 1385). Jedoch setzt ein solches Verfahren weiter voraus, dass sich die Rücknahmeverpflichtung des ersuchten Staates aus Art. 18 Abs. 1 Buchstaben b), c) oder d) Dublin III-VO ergibt. Vorliegend ergibt sich die Rücknahmeverpflichtung Frankreichs bezüglich des Klägers allerdings aus Art. 18 Abs. 1 Buchstabe a) Dublin III-VO, da er – auch nach eigener Aussage – bislang in Frankreich keinen Asylantrag gestellt hat. Demnach bedurfte es keines erneuten Wiederaufnahmegesuchs der Beklagten an die Republik Frankreich vor Erlass des hier streitgegenständlichen Bescheides.
d) Das Gericht würdigt den Vortrag des Klägers somit – gemessen an seinem Rechtsschutzziel – unter zwei Aspekten. Soweit der Kläger vorträgt, er habe sich aus Angst vor einer Rückführung in sein Heimatland nicht an die französischen Behörden gewandt und vor allem in Frankreich keinen Asylantrag gestellt, intendiert dies die Behauptung, die französischen Behörden würden seinen Asylantrag ohne jegliche Sachprüfung behandeln und den Kläger – unter Verstoß gegen asylrechtliche Bestimmungen – zurückweisen. Nach Aussage des Klägers sei von seinem Problemkreis eine Vielzahl von Menschen aus dem Benin betroffen. Darin liegt jedenfalls die Behauptung systemischer Mängel des französischen Asylsystems, weil – die Behauptung des Klägers als wahr unterstellt – dann nicht nur von einem Rechtsverstoß im Einzelfall, sondern von einem flächendeckenden Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Satz 1 und Art. 18 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-VO sowie Art. 4 Abs. 1 Satz 2 u. Abs. 3 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) auszugehen wäre.
Der zweite Aspekt betrifft den Vortrag des Klägers, ihm sei in Frankreich durch Landsleute mitgeteilt worden, seine Peiniger aus dem Benin hätten von seiner Ausreise nach Frankreich erfahren und würden über Mittelsmänner nach ihm suchen, weswegen sein Leben in Frankreich in Gefahr sei. Dieser Vortrag betrifft das Asylverfahren in Frankreich nicht unmittelbar. Sein Rechtsschutzziel kann der Kläger insoweit nur über eine Ermessensentscheidung der Beklagten nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO zu seinen Gunsten oder über die Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erreichen.
Bezüglich der Darlegungslast für die Gründe, die einen Asylfolgeantrag tragen sollen, gilt der allgemeine asylrechtliche Maßstab. Für den Erfolg des Antrags muss das Gericht dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals erlangen. Angesichts des typischen Beweisnotstands, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Herkunftsland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu. Demgemäß setzt ein Anspruch auf der Grundlage des § 3 Abs. 4 und 1 AsylG voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei ist es seine Sache, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asylbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141.83 – Buchholz § 108 VwGO Nr. 147). Das Gericht darf hierbei jedoch keine unerfüllbaren Beweisanforderungen an den Asylsuchenden stellen, sondern ist gehalten, den Vortrag möglichst wohlwollend zu bewerten (BVerwG, U.v. 20.10.1987, Buchholz 310, § 86 Abs. 3 VwGO, Nr. 37; B.v. 21.7.1989, Buchholz 402.25, § 1 AsylVfG, Nr. 113). Diese Anforderungen, die zur materiellen Prüfung eines Asylgesuchs aufgestellt wurden, sind jedoch aufgrund der Vergleichbarkeit der Sachverhalte im vorliegenden Fall auf den Vortrag des Klägers im Dublin-Verfahren zu übertragen.
e) Unter Beachtung des Vorstehenden hat der Kläger zur Überzeugung des Gerichts keine der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 VwVfG glaubhaft dargelegt. Insbesondere ist es ihm nicht gelungen, auch nur ansatzweise Anhaltspunkte für seine Behauptung darzulegen, sein Asylantrag werde in Frankreich in der Sache nicht geprüft werden. Die Angaben des Klägers blieben sowohl in seinen bisherigen Anhörungen vor dem Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung vor Gericht vage, spekulativ und erkennbar durch subjektive Befürchtungen des Klägers geprägt. So war der Kläger nicht in der Lage, auf mehrmalige Nachfrage des Gerichts wenigstens im Ansatz zu schildern, woraus sich seine Befürchtungen, Frankreich werde seinen Asylantrag nicht prüfen, speisen. Allein der Umstand, dass er nach eigenen Angaben in seinem Heimatland aus dem Gefängnis entwichen und so als Flüchtiger gesucht werden könnte, begründet diese Furcht nach objektiven Maßstäben nicht. Dass gegen ihn ein offizielles Auslieferungsersuchen seines Heimatlandes an die Republik Frankreich vorliegt, ist nicht ersichtlich. Auch war es dem Kläger möglich, trotz seiner mehrere Wochen zuvor erfolgten Entweichung aus dem Gefängnis sein Heimatland unbehelligt zu verlassen und ohne Festnahme in die Europäische Union einzureisen. Ungeachtet dessen ist nichts dafür ersichtlich und vom Kläger auch nicht substantiiert dargelegt, dass französische Behördenmitarbeiter, die Einfluss auf den Gang des Asylverfahrens des Klägers in Frankreich nehmen könnten, in die vom Kläger angedeuteten Bandenstrukturen des illegalen Medikamentenhandels im Benin eingebunden sind.
Das Gericht ist auch davon überzeugt, dass das französische Asylsystem nicht an flächendeckenden systemischen Mängeln leidet. Nach dem System der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996, 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 31.12.2011, C-411/10 und C-433/10 – NVwZ 2012, 417) gilt die Vermutung, dass die Behandlung von Asylbewerbern in jedem Mitgliedsland der Europäischen Union (EU) den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der EU (ChGR) entspricht. Diese Vermutung ist jedoch dann widerlegt, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in einem Mitgliedsland systemische Mängel aufweisen, die zu der Gefahr für den Asylbewerber führen, bei Rückführung in den Mitgliedsstaat einer unmenschlichen oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 4 ChGR bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein.
Derartige systemische Mängel, mit dem der Asylbewerber der Überstellung alleine entgegen-treten kann (EuGH Gr. Kammer, U.v. 10.12.2013, C-394/12 – juris), sind für Frankreich nicht er-kennbar und wurden vom Kläger auch nicht substantiiert vorgetragen. Das Gericht schließt sich nach Auswertung der zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln, der – soweit ersichtlich – einhelligen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung an (vgl. VG Würzburg, B.v. 2.1.2019, W 8 S 19.50584, VG München, B.v. 14.8.2018, M 9 S 18.52509, VG Augsburg, B.v. 24.7.2018, Au 6 K 18.50603, VG Lüneburg, B.v. 14.3.2019, 8 B 41/19, VG Leipzig, GB v. 15.3.2019, 6 K 232/19.A, VG Arnsberg, B.v. 25.4.2019, 12 L 190/19.A – jeweils juris). An die Annahme des Ausnahmefalls des Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO sind dabei strenge Anforderungen zu stellen. Es müsste die ernsthafte Gefahr grundlegender Verfahrensmängel oder erheblich defizitärer Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem Mitgliedsland erkennbar und für den Rechtschutzsuchenden im zu entscheidenden Einzelfall zu befürchten sein (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014, 10 B 6/14 – juris), was für Frankreich nicht ersichtlich ist. Auch in diesem Zusammenhang verweist das Gericht auf die Darlegungslast des Klägers, der er mit seinem vagen und spekulativen Sachvortrag nicht Genüge getan hat.
Der Kläger gehört auch keiner besonders schutzwürdigen Personengruppe an. Eine Veranlassung bzw. Verpflichtung zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO besteht ebenfalls aus keinem Grund. Ermessensfehler des Bundesamtes zur Anwendung dieser Vorschrift sind weder behauptet noch ersichtlich (§ 114 Satz 1 VwGO).
g) Ebenso liegen keine Abschiebungsverbote i.S.d. § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG vor.
Insbesondere ergibt sich auch aus den vom Kläger angegebenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen keine Gründe für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine erhebliche krankheitsbedingte Gefahr setzt gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG voraus, dass sich der Gesundheitszustand des Ausländers in einen anderen Staat wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde, wobei eine konkrete Gefahr besteht, wenn der Ausländer alsbald nach der Rückkehr in diesen Staat in diese Lage geriete, weil er auf die dortigen unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seines Leidens angewiesen wäre und auch anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen könnte (BVerwG, U.v. 25.11.1997 – 9 C 58/96 – BVerwGE 105, 383).
Es ist nicht ersichtlich, weshalb die gesundheitlichen Beschwerden des Klägers – so sie tatsächlich vorliegen – in Frankreich nicht ausreichend behandelt werden könnten. Atteste über seinen konkreten Gesundheitszustand hat der Kläger nicht vorgelegt. In seiner Befragung vor dem Bundesamt am 23. August 2018 hatte er zudem noch angegeben, er sei bei guter Gesundheit. Das französische Gesundheitssystem ist räumlich und fachlich hinreichen weit gefächert und gewährt auch Asylsuchenden einen Zugang zu entsprechenden Leistungen (vgl.: Bundesamt f. Fremdenwesen und Asyl d. Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Frankreich, Stand: 29.01.2018 – Ziffer 6.2). Hierauf muss sich der Kläger allgemein verweisen lassen, da jedenfalls keine konkreten Anhaltspunkte für eine schwere Erkrankung bei ihm vorliegen, die u.U. eine detailliertere Bewertung des französischen Gesundheitssystems nahelegen.
Schließlich begründet der zweite Aspekt des klägerischen Vortrages ebenfalls kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG. § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, der vor allem das Konzept des deutschen subsidiären Schutzes entfaltet, setzt eine individuell-konkrete (zielstaatsbezogene) Gefahr voraus. Für die Annahme einer derartigen Gefahr, die allerdings nicht schon vom Regelungsbereich des § 60 Abs. 2, 4 und 5 AufenthG erfasst sein darf, genügt die bloße (entfernte oder theoretische) Möglichkeit, Opfer von Eingriffen in die Rechtsgüter Leib, Leben oder Freiheit zu werden, nicht. Vielmehr muss die Gefahr – gestützt auf stichhaltige Gründe – beachtlich wahrscheinlich sein (BVerwG, U.v. 12.7.2001 – 1 C 5/01 – NVwZ 2002, 101). Darüber hinaus muss der Ausländer der Gefahr persönlich ausgesetzt sein. Von wem die Gefahr ausgeht oder wodurch sie hervorgerufen wird, ist dagegen bedeutungslos; sie kann auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (BeckOK AuslR/Koch, 22. Ed. 15.8.2016, AufenthG § 60 Rn. 39). Gemessen hieran hat der Kläger es ebenfalls nicht vermocht, dem Gericht in der mündlichen Verhandlung einen nachvollziehbaren, glaubhaften Sachvortrag dazu zu vermitteln, er sei in Frankreich real der Gefahr eines Ergreifens durch seine Peiniger aus dem Benin ausgesetzt. Ungeachtet des Umstandes, dass er diesen Vortrag erstmals mit dem Begründungsschriftsatz zu seiner Klage vortragen lässt und er sich im Anhörungsbogen zu seinen Asylfolgegründen dazu nicht verhält, war dem Kläger insoweit kein Glauben zu schenken. Erst auf mehrmaliges Nachfragen des Gerichts und des Klagebevollmächtigten gab der Kläger in der mündlichen Verhandlung an, Landsleute, die er in Frankreich auf der Straße getroffen habe, hätten ihn erkannt und mitgeteilt, es werde nach ihm gesucht. Zu Begleitumständen dieser Unterredung konnte oder wollte sich der Kläger nicht äußern. Sein Vortrag blieb vage. Dabei wurde schon nicht einmal deutlich, wer denn nun seine Peiniger sind. Aus seinem bisherigen Vortrag zu seinen Asylgründen ist zu entnehmen, dass er durch Gefängnispersonal im Benin geschlagen wurde. Die bekundete er auch in der mündlichen Verhandlung. Dass er darüber hinaus Mitglied eines illegalen und weitgezogenen Medikamentenhändlerrings gewesen war, aus dessen Kreis heraus er Gefahren für Leib und Leben zu befürchten hätte, wurde dem gegenüber in den Anhörungen vor dem Bundesamt nicht angedeutet und vermittelte sich dem Gericht auch nicht in der mündlichen Verhandlung. Hier blieb es vielmehr bei Andeutungen des Klägers, etwa dergestalt, dass die Basis für den illegalen Medikamentenhandel sich in Frankreich befinde. Zudem konnte der Kläger seine Behauptung, die Mittelsmänner würden ihn in Deutschland nicht finden, auch nicht plausibilisieren. Im Ergebnis fehlt es damit an der Darlegung einer realen Möglichkeit einer Gefährdung seines Lebens oder seiner Gesundheit in Frankreich aufgrund Verfolgungshandlungen Dritter. Zu Recht hat die Beklagte daher ein Abschiebungsverbot nicht festgestellt.
Im Übrigen wird auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheides Bezug genommen, § 77 Abs. 2 AsylG. Auch der Hilfsantrag des Klägers ist mithin unbegründet. Damit war die Klage insgesamt abzuweisen.
3. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.


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