Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens in Italien

Aktenzeichen  W 2 S 18.50028

Datum:
2.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 9421
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 13 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1, Art. 22 Abs. 7
AsylG § 29 Abs. 1, § 34a

 

Leitsatz

1 Grundsätzlich erhalten Dublin-Rückkehrer in Italien Unterkunft, medizinische Behandlung und sonstige Versorgung. Sofern sie einen Asylantrag stellen, wird ein Asylverfahren durchgeführt. Trotz starker Belastung des Asylsystems sind die feststellbaren Defizite nicht so gravierend, dass ein grundlegendes systemisches Versagen des Mitgliedsstaates vorläge. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Italien hat auf die erhöhte Zahl von Einwanderern Maßnahmen ergriffen und speziell für Dublin-Rückkehrer Zentren zur übergangsweisen Unterbringung eingerichtet. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der am 18. März 1997 in Damaskus/Syrien geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger mit islamisch-sunnitischer Religionszugehörigkeit. Er reiste nach eigenen Angaben am 17. September 2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 30. Oktober 2017 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) die Gewährung politischen Asyls.
Der Antragsteller trug im Rahmen einer Anhörung vor dem Bundesamt am 6. November 2017 vor, er habe sein Heimatland am 23. Juli 2017 verlassen und sei über den Sudan nach Libyen, Italien und der Schweiz in Deutschland eingereist. Er wolle nicht nach Italien, weil er in Deutschland eine Bruder und einen Onkel habe.
Aus der Behördenakte ist ersichtlich, dass für den Antragsteller nach Übermittlung der Fingerabdrücke durch die Antragsgegnerin Eurodac-Treffer vorlagen.
Am 14. November 2017 wurde ein Übernahmeersuchen nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO an Italien gestellt. Eine entsprechende Reaktion Italiens erfolgte nicht.
Mit Bescheid vom 16. Januar 2018, dem Antragsteller am 18. Januar 2018 zugestellt, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorliegen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4). Zur Begründung wurde ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG unzulässig, da Italien aufgrund der dortigen illegalen Ersteinreise und Fingerabdruckname gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrages zuständig sei.
Auf die Begründung des Bescheides im Übrigen wird Bezug genommen.
Am 25. Januar 2018 erhob der Antragsteller im Verfahren W 2 K 18.50027 Klage gegen den Bescheid vom 16. Januar 2018 und beantragte zugleich im vorliegenden Verfahren:
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
Zur Begründung des Antrages wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass der Antragsteller gern bei seiner Großfamilie in Deutschland bleiben möchte.
Die Antragsgegnerin beantragte,
den Antrag abzulehnen.
Sie bezog sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.
Im Übrigen wird auf das weitere schriftsätzliche Vorbringen der Parteien, auf den Inhalt der Gerichtsakte W 2 K 18.50027 sowie auf den Inhalt der einschlägigen Verwaltungsakten des Bundesamtes, welche dem Gericht in elektronischer Form vorliegen, Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig. Insbesondere wurde er innerhalb der Wochenfrist des § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG gestellt.
Der Antrag ist jedoch unbegründet.
Der angefochtene Bescheid vom 16. Januar 2018 ist bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung zum hier maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Somit überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen.
Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung eines Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG), sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Aus dem in der Behördenakte befindlichen Eurodac-Treffer und aufgrund der Angaben des Antragstellers selbst wird ersichtlich, dass der Antragsteller zuerst in Italien eingereist ist. Italien ist daher gem. Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO wegen der Ersteinreise in Italien für die Bearbeitung des Asylantrags des Antragstellers zuständig. Italien hat auf das Übernahmeersuchen nicht reagiert. Somit gilt gem. Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO das Übernahmeersuchen als angenommen und akzeptiert. Dies zieht die Verpflichtung Italiens nach sich, den Antragsteller wiederaufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für seine Ankunft in Italien zu treffen.
Die Überstellung an Italien ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Diese Vorschrift entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (z.B. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C 411/10 u.a. – juris). Danach ist eine Überstellung eines Asylsuchenden an einen anderen Mitgliedsstaat nur dann zu unterlassen, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende im zuständigen Mitgliedsstaat systematische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der rücküberstellten Asylsuchenden im Sinne von Art. 4 GK-Charta zur Folge hätten.
Das Gericht geht nach den vorliegenden Erkenntnissen davon aus, dass in Italien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Das Gericht folgt der zutreffenden Begründung des angefochtenen Bescheides (§ 77 Abs. 2 AsylG). Ergänzend ist noch Folgendes auszuführen:
Nach den vorliegenden Erkenntnissen ist davon auszugehen, dass in Italien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Grundsätzlich erhalten auch Dublin-Rückkehrer eine Unterkunft, medizinische Behandlung und sonstige Versorgung. Sofern sie einen Asylantrag stellen, wird ein Asylverfahren durchgeführt. Zusätzliche Aufnahmezentren sind geschaffen worden. Aktuelle Erkenntnisse diesbezüglich liegen den neueren Entscheidungen zugrunde (vgl. VG Greifswald, B.v. 8.11.2017 – 6 B 2052/17 As HGW – juris; VG München, B.v. 7.11.2017 – M 9 S 17.52825 – juris; B.v. 2.5.2017 – M 9 S 17.50821 – juris; B.v. 4.4.2017 – M 9 S 17.50786 – m.w.N.; OVG NRW, U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A – juris Rn. 41 ff.; U.v. 7.7.2016 – 13 A 2302/15.A – juris Rn. 41; OVG Lüneburg, U.v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14 – DÖV 2015, 807). Es mag zwar immer wieder vorkommen, dass Asylsuchende während der Bearbeitung ihres Asylantrages in Italien auf sich alleine gestellt und zum Teil auch obdachlos sind. Dies und auch die zum Teil lange Dauer der Asylverfahren sind darauf zurückzuführen, dass das italienische Asylsystem aufgrund der momentan hohen Asylbewerberzahlen stark ausgelastet und an der Kapazitätsgrenze ist. Die im Bereich der Entwicklung und Versorgung der Asylbewerber weiterhin feststellbaren Mängel und Defizite sind aber weder für sich genommen noch insgesamt als so gravierend zu bewerten, dass ein grundlegendes systemisches Versagen des Mitgliedsstaates vorläge, welches für einen „Dublin-Rückkehrer“ nach dem Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 3 EMRK oder Art. 4 GR-Charta mit dem dafür notwendigen Schwergrad nahe lägen (vgl. OVG NRW, U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14.A – juris Rn. 41 ff.). Probleme bei der Unterbringung in der zweiten Jahreshälfte 2015 rechtfertigen keine andere Einschätzung, da diesbezügliche Schwierigkeiten nicht nur in Italien, sondern in weiten Teilen Europas bestanden. Aus diesen Gründen bestand für die Antragsgegnerin auch keine Veranlassung, das Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben.
Auch die gegenwärtige hohe Zahl von Einwanderern nach Italien stellt keinen Umstand dar, der eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien wird erst dann überschritten, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern hin keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung der damit verbundenen Probleme ergriffen würden. Davon kann nicht ausgegangen werden. Speziell für Dublin-Rückkehrer wurden Zentren zur übergangsweisen Unterbringung eingerichtet (vgl. auch VG München, B.v. 2.5.2017 – M 9 S 17.50821 – juris). Ein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen lässt sich nicht annehmen. Vielmehr geht das Gericht von einer hinreichenden Unterbringungsmöglichkeit in Italien aus.
Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufenthG oder inlandsbezogene Vollzugshindernisse (BayVGH, B.v. 12.3.2014 Az.: 10 CE 14.427 juris) wurden nicht glaubhaft dargelegt, auf etwaige Abschiebungsverbote wird nicht eingegangen.
Somit ist die Abschiebung des Antragstellers nach Italien rechtlich zulässig und möglich.
Nachdem die Klage in der Hauptsache voraussichtlich erfolglos bleiben wird, überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung des Bescheides.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).


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