Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Bulgarien

Aktenzeichen  M 3 S 16.50590

Datum:
16.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a Abs. 1 S. 2
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2

 

Leitsatz

Es liegen keine belastbaren Erkenntnisse vor, die die Befürchtung rechtfertigen, dass Asylverfahren und Aufnahmebedingungen für jedenfalls nicht ernsthaft erkrankte alleinstehende Asylbewerber in Bulgarien – trotz zweifellos bestehender Missstände – systemische Mängel aufweisen, d.h. regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber auch im konkret zu entscheidenden Fall dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der nach seinen eigenen Angaben am … 1995 in … geborene Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger. Er wurde am 3. Juli 2016 in … ohne für die Einreise und den Aufenthalt gültige Papiere von der Bundespolizei aufgegriffen. Einen förmlichen Asylantrag im Bundesgebiet stellte er bislang nicht.
Eine Überprüfung der Fingerabdrücke ergab, dass der Antragsteller bereits am 30. Juni 2016 versucht hatte, unerlaubt in das Bundesgebiet einzureisen, und anschließend am 1. Juli 2016 mit einer Einreiseverweigerung sowie einer Belehrung über Folgen bei der erneuten Einreise nach Österreich zurückgewiesen wurde.
Beim seiner polizeilichen Vernehmung gab der Antragsteller an, er habe sein Heimatland vor ca. vier Monaten verlassen und sei über Iran, Türkei, Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland gereist. Er habe in keinem anderen Land einen Asylantrag gestellt.
Die eingeleitete Eurodac-Recherche hatte bereits am 30. Juni 2016 einen Treffer der Kategorie I (BG…) für Bulgarien ergeben.
Aufgrund des Eurodac-Treffers der Kategorie I richtete das Bundesamt am 5. Juli 2016 ein Wiederaufnahmeersuchen an die bulgarischen Behörden. Eine Reaktion von Bulgarien erfolgte hierauf nach Aktenlage nicht.
Mit Bescheid vom … Juli 2016 ordnete das Bundesamt die Abschiebung nach Bulgarien an. Weiter wurde eine Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots ausgesprochen. Auf die Bescheidsbegründung wird Bezug genommen. Der Bescheid wurde dem Antragsteller gegen Postzustellungsurkunde am 2. August 2016 zugestellt.
Mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 4. August 2016, eingegangen am selben Tag, erhob der Antragsteller Klage (M 3 K 16.50589) und beantragte weiter,
die aufschiebende Wirkung dieser Klage anzuordnen.
Das Bundesamt legte mit Schriftsatz vom 5. August 2016 die Behördenakten vor und äußerte sich im Übrigen nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der gemäß § 34a Abs. 2 S. 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag ist unbegründet, denn die Hauptsacheklage hat voraussichtlich keinen Erfolg.
Der Bescheid der Beklagten vom … Juli 2016 erweist sich voraussichtlich als rechtmäßig.
Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 2 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, wenn der Ausländer einen Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt hat.
1. Die Frist nach Art. 23 Abs. 2 Dublin-III-VO ist gewahrt. Auch ist gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO von der Stattgabe Bulgariens hinsichtlich des Aufnahmegesuchs vom 5. Juli 2016 auszugehen, da hierauf keine fristgemäße Reaktion erfolgte.
2. Die Abschiebung nach Bulgarien kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden. Es liegen keine Gründe i.S.d. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO vor, die der Überstellung des Antragstellers nach Bulgarien entgegenstünden.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass der Antragsteller in Bulgarien aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (BayVGH, U.v. 29.1.2015 – 13a B 14.50039 – juris). Dem erkennenden Gericht liegen keine belastbaren Erkenntnisse vor, die die Befürchtung rechtfertigen, dass Asylverfahren und Aufnahmebedingungen für jedenfalls nicht ernsthaft erkrankte alleinstehende Asylbewerber in Bulgarien – trotz zweifellos bestehender Missstände – systemische Mängel aufweisen, d.h. regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber auch im konkret zu entscheidenden Fall dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. In diese Beurteilung wurden die Erkenntnisse aus dem „Annual Report On The Monitoring Of The Status Determination Procedure In The Republic Of Bulgaria“ des Bulgarian Helsinki Committee von 2015 und der „Country Report Bulgaria“ von aida vom Oktober 2015 einbezogen. Das Ergebnis entspricht – soweit ersichtlich – mittlerweile der überwiegenden Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte in Deutschland (vgl. etwa VG Düsseldorf, B.v. 17.6.2016 – 22 L 1913/16.A – juris; VG des Saarlandes, B.v. 13.5.2016 – 6 L 351/16 – juris; VG Köln, B.v. 29.4.2016 – 2 L 917/16.A – juris; OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 29.3.2016 – 3 L 47/16 – juris; VG Würzburg, U.v. 21.3.2016 – B 3 K 15.30099 – juris). Soweit ein relevantes Risiko für Dublin-Rückkehrer angenommen wird, ohne sachliche Prüfung ihres Asylbegehrens als Folgeantragsteller behandelt zu werden und in eine Hafteinrichtung mit möglicherweise unzureichenden Versorgungsbedingungen zu gelangen (Bulgarian Helsinki Committee, a.a.O., S. 18 f.; aida, a.a.O., S. 29 f.), trifft diese Befürchtung auf den Antragsteller nicht zu. Denn diese Gefahr wird ausdrücklich nur für die Dublin-Rückkehrer aufgezeigt, deren Asylgesuch in Abwesenheit endgültig abgelehnt wurde. Zum einen hielt sich der Antragsteller nicht lange genug in Bulgarien auf, um eine endgültige Prüfung seines Asylgesuchs möglich zu machen; zum anderen hat Bulgarien das Wiederaufnahmegesuch nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO akzeptiert, was gegen eine endgültig getroffene Entscheidung spricht (vgl. auch VG Düsseldorf, B.v. 17.6.2016 – 22 L 1913/16.A – juris Rn. 26 ff.; VG des Saarlandes, B.v. 13.5.2016 – 6 L 351/16 – juris Rn. 68 ff.).
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts notwendig machen, sind ebenfalls nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80b AsylG).


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