Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen in Italien

Aktenzeichen  M 9 S 16.50436

Datum:
17.8.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1
EGMR Art. 3

 

Leitsatz

Asylbewerber laufen in Italien nicht Gefahr, aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (ebenso BayVGH BeckRS 2014, 52068; OVG NRW BeckRS 2016, 47662; NdsOVG BeckRS 2015, 47840). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der 1989 geborene Antragsteller reiste nach eigenen Angaben am 26. September 2015 in das Bundesgebiet ein. Er beantragte am 31. März 2016 Asyl (Bl. 25 des Behördenakts). Der Antragsteller ist Staatsangehöriger Eritreas.
Aufgrund eines Eurodac-Treffers – Abgleich der Fingerabdrücke – wurde am 13. Mai 2016 ein Übernahmeersuchen an Italien gerichtet (Bl. 62ff. des Behördenakts). Die italienischen Behörden haben nicht geantwortet.
Mit Bescheid vom …Juni 2016, dem Antragsteller gegen Postzustellungsurkunde zugestellt am 25. Juni 2016, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1.), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 2.) und befristete das Verbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung.
Der Asylantrag sei unzulässig, da Italien zuständig sei, § 27a AsylG. Außergewöhnliche humanitäre Gründe für ein Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO seien nicht ersichtlich. Auf die Gründe des Bescheids wird Bezug genommen.
Die Bevollmächtigte des Antragstellers hat mit Schriftsatz vom 27. Juni 2016 Klage gegen den Bescheid erhoben. Vorliegend beantragt sie,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom …Juni 2016, Az. …, anzuordnen bzw. wiederherzustellen.
Es werde nicht abgestritten, dass Italien grundsätzlich als der Staat der ersten Einreise in das Gebiet der Mitgliedstaaten für die Prüfung des Asylantrages zuständig sei. Eine Überstellung des Antragstellers nach Italien sei jedoch wegen systematischer Schwachstellen des italienischen Asylsystems, v.a. im Hinblick auf die Unterbringungsbedingungen von Asylsuchenden, derzeit unmöglich.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf die Gerichts- sowie die beigezogene Behördenakte.
II.
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu.
An der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt zutreffend auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gestützten Abschiebungsanordnung bestehen bei summarischer Prüfung keine Zweifel. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Nach § 27a AsylG a. F. bzw. § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG n. F. ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat u. a. aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013, für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Italien ist hier für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Dies ergibt sich aus Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2, Art. 22 Abs. 7, Art. 13 Dublin III-VO. Die italienischen Behörden haben auf das Aufnahmegesuch vom 13. Mai 2016 (Bl. 62ff. des Behördenakts) nicht geantwortet.
Die Überstellung an Italien ist auch nicht rechtlich unmöglich im Sinn des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Das Gericht geht nach den vorliegenden Erkenntnissen davon aus, dass in Italien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Grundsätzlich erhalten auch Rückkehrer eine Unterkunft, medizinische Behandlung und sonstige Versorgung. Sofern sie einen Asylantrag stellen, wird ein Asylverfahren durchgeführt. Zusätzliche Aufnahmezentren sind geschaffen worden. Aktuelle Erkenntnisse diesbezüglich liegen den neueren Entscheidungen zugrunde (BayVGH, U. v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris; OVG NRW, U. v. 21.6.2016 – 13 A 1896/14.A – juris; NdsOVG, U. v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14 – juris). Probleme bei der Unterbringung in der zweiten Jahreshälfte 2015 rechtfertigen keine andere Einschätzung, da diesbezügliche Schwierigkeiten nicht nur in Italien, sondern in weiten Teilen Europas bestanden.
Auch aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 4. November 2014 – 29217/12 – juris ergibt sich nichts anderes. Der EGMR hat hier keine systemischen Mängel in Italien gesehen, sondern lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller des dortigen Verfahrens in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammen bleiben darf. Das Urteil beinhaltet damit keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien nach Italien, wohingegen der Antragsteller eine volljährige Einzelperson ohne vorgetragene körperliche oder geistige Einschränkungen ist. Ein alleinstehender junger Mann gehört grundsätzlich nicht zu den besonders schutzwürdigen Personen im Sinn der genannten Entscheidung des EGMR (EGMR, E. v. 5.2.2015 – 51428/10 – juris; NdsOVG, U. v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14 – juris).
Aus diesen Gründen bestand für die Beklagte auch keine Veranlassung, das Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO auszuüben.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Der Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben