Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen in Italien

Aktenzeichen  M 6 S 16.50874

Datum:
17.3.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 34a
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2
EMRK EMRK Art. 3

 

Leitsatz

1 Asylbewerber laufen in Italien nicht Gefahr, aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (ebenso BayVGH BeckRS 2014, 52068; OVG BW BeckRS 2014, 51025; OVG RhPf BeckRS 2014, 48239, OVG Bln-Bbg BeckRS 2013, 53383; OVG NRW BeckRS 2014, 48497 u. BeckRS 2015, 45053 u. BeckRS 2016, 47662; NdsOVG BeckRS 2015, 47840). (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Umstand, dass es sich bei Italien nicht um den ersten, sondern den zweiten Mitgliedstaat handelt, in den der Asylbewerber aus einem Drittstaat kommend unerlaubt eingereist ist und einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht dazu, dass Italien unzuständig ist, da nach dem Rechtsgedanken der Dublin III-VO derjenige Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sein soll, in dem der Antragsteller erstmals – zumutbar – internationalen Schutz beantragen konnte. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die mit Bescheid vom 12. Oktober 2016 angeordnete Abschiebung nach Italien im Rahmen eines Dublin-Verfahrens.
Die Antragstellerin ist nach eigenen Angaben und ausweislich ihres (abgelaufenen) Reisepasses 1989 geboren und nigerianische Staatsangehörige. Laut Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender (BüMA) reiste sie am 7. Dezember 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein (Bl. 27, 29 der Behördenakte) und stellte dort am 7. Juli 2016 einen Asylantrag (Bl. 7, 12 der Behördenakte). Laut einem Vermerk der Antragsgegnerin vom 7. Juli 2016, den die Antragstellerin unterschrieben hat, lebte sie bis 2007 in Nigeria, von 2007 bis 2012 in Griechenland und anschließend bis 2015 in Italien (Bl. 4, 32 der Behördenakte).
Die Ermittlungen der Antragsgegnerin ergaben am 7. Juli 2016 jeweils einen Eurodac-Treffer der Kategorie 1 für Griechenland („GR1…“, Bl. 24 der Behördenakte) und für Italien („IT1…“, Bl. 25 der Behördenakte).
Am 2. August 2016 richtete die Antragsgegner unter Berufung auf den Eurodac-Treffer für Italien, insbesondere den dort bereits am 6. Februar 2013 gestellten Asylantrag, ein Wiederaufnahmeersuchen an Italien gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. b Dublin III-VO (Bl. 36 ff. der Behördenakte). Eine Antwort Italiens auf das Wiederaufnahmeersuchen erfolgte – abgesehen von der Eingangsbestätigung vom 2. August 2016 (Bl. 44 der Behördenakte) – nicht.
Im Rahmen des Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens (Zweitbefragung) verneinte die Antragstellerin die Frage, ob sie (u.a.) an Beschwerden oder Erkrankungen leide. Auf die Frage, ob es Staaten gebe, in die sie nicht überstellt werden wolle, gab sie Griechenland und Italien an. In Griechenland habe sie keinen Schutz bekommen. Die Lebenssituation dort sei schwierig. In Italien gebe es keine Arbeit und kein Geld. „Sie haben gesagt, ich soll gehen. Es gab dort kein Essen. Dort sind zu viele Menschen“ (Bl. 50 der Behördenakte).
Mit Bescheid vom 12. Oktober 2016, laut Postzustellungsurkunde zugestellt am 15. Oktober 2016, lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Nr. 3) und befristete das gesetzliche Einreise und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4). Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass der Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 des AsylG unzulässig sei, da Italien aufgrund des dort bereitgestellten Asylantrags gemäß Art. 18 Abs. 1 b Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG lägen nach Erkenntnissen des Antragsgegners nicht vor. Insbesondere führten die derzeitigen humanitären Bedingungen in Italien nicht zu der Annahme dass bei Abschiebung der Antragstellerin eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege.
Mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2016, beim Bayerischen Verwaltungsgericht eingegangen am 18. Oktober 2016, erhoben die Bevollmächtigten der Antragstellerin Klage für diese (M 6 K 16.50873) und beantragten,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 2 des Bescheids vom 12. Oktober 2016 gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.
Die angekündigte Klagebegründung ist bislang bei Gericht nicht eingegangen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten im vorliegenden Antragsverfahren und im Klageverfahren M 6 K 16.50873 und die Behördenakte der Antragsgegnerin ergänzend Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Nach § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des hier einschlägigen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft hierbei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem privaten Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei der Abwägung sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren nur erforderliche und mögliche summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts zunächst verschont zu bleiben, zurück. Erweist sich umgekehrt der Bescheid nach vorläufiger Prüfung als rechtswidrig, wird das Gericht die aufschiebende Wirkung in der Regel anordnen, da kein öffentliches Interesse an der Vollziehung eines voraussichtlich rechtswidrigen Bescheids besteht. Ist der Ausgang des Verfahrens nicht absehbar, bleibt es bei der allgemeinen Interessenabwägung.
Gemessen an diesen Grundsätzen überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochten Bescheids, da nach vorläufiger Prüfung davon auszugehen ist, dass der angefochtene Bescheid sich als rechtmäßig erweisen wird und die streitgegenständliche Abschiebungsanordnung die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist dabei der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Halbsatz 2 Asylgesetz – AsylG).
Der Bescheid findet seine Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31 – sog. Dublin III-VO), für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG verweist auf § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG und verpflichtet das Bundesamt in einem solchen Fall, die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat anzuordnen, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
1. Italien ist vorliegend der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Mitgliedstaat.
Die Dublin III-VO findet gemäß Art. 49 Abs. 1 und 2 Dublin III-VO auf alle in der Bundesrepublik Deutschland ab dem 1. Januar 2014 gestellten Anträge auf internationalen Schutz Anwendungen, also auch auf das hier streitgegenständliche Schutzgesuch der Antragstellerin vom 7. Juli 2016.
Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO der erste Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
Bei Anwendung dieser Kriterien wäre vorliegend Griechenland als derjenige Mitgliedstaat, in den die Antragstellerin aus einem Drittstaat kommend illegal eingereist ist und einen Asylantrag gestellt hat, gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1, Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 1 Dublin III-VO primär zuständig gewesen. Da eine Überstellung der Antragstellerin dorthin wegen systemischer Mängel des Asylsystems jedoch nicht in Betracht kommt, war die Antragsgegnerin als der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat verpflichtet – vorbehaltlich der Befugnis, den Antrag im Sinne des Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO selbst zu prüfen – die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fortsetzen, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach einem dieser Kriterien oder andernfalls nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO als zuständig bestimmt werden kann (Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO; so auch schon EuGH, U.v. 14.11.2013 – Puid, C-4/11 – juris Rn. 33 ff. – zur Auslegung des Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 – sog. Dublin II-VO). Dem ist die Antragsgegnerin nachgekommen und hat zu Recht Italien als den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat um die Wiederaufnahme der Antragstellerin ersucht.
Dahingestellt bleiben kann dabei, ob die in Kapitel III der Dublin III-VO normierten Zuständigkeitskriterien drittschützend sind, ob also ein Antragsteller eine fehlerhafte Anwendung eines der in Kapitel III festgelegten Zuständigkeitskriterien geltend machen kann, wenn der ersuchte Mitgliedstaat der Wiederaufnahme zugestimmt oder auf das Wiederaufnahmegesuch nicht reagiert hat, mithin die Fiktion des Art. 25 Abs. 2 Dublin III eingetreten ist (so EuGH, U.v. 7.6.2016 – Ghezelbash, C-63/15 – juris; a.A. EuGH, U.v. 10.12.2013 – Abdullahi, C-384/12 – juris – zur Auslegung u.a. des Art. 19 Abs. 2 Dublin II-VO). Denn vorliegend ist Italien als derjenige Staat, in den die Antragstellerin von Griechenland kommend illegal eingereist ist und in dem sie einen (weiteren) Asylantrag gestellt hat, gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 1, Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO (analog) zuständig (so im Ergebnis auch VGH BW, U.v. 16.04.2014 – A 11 S 1721/13 – juris Rn. 24). Der Umstand, dass es sich bei Italien nicht um den ersten, sondern den zweiten Mitgliedstaat handelt, in den die Antragstellerin aus einem Drittstaat kommend unerlaubt eingereist ist und einen Asylantrag gestellt hat, mithin Art. 13 Abs. 1 Satz 1, Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 1 Dublin III-VO nicht unmittelbar anwendbar sind, steht dem nicht entgegen. Denn diesen Vorschriften liegt der Rechtsgedanke zugrunde, dass derjenige Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sein soll, in dem der Antragsteller erstmals – zumutbar – internationalen Schutz beantragen konnte. Dies ist vorliegend – angesichts der nach wie vor bestehenden systemischen Mängel des Asylsystems in Griechenland – Italien. Andernfalls könnte ein Asylbewerber für den Fall der Ersteinreise in einen Mitgliedstaat, in den er wegen systemischer Mängel nicht überstellt werden kann (wie z.B. Griechenland), den für die Durchführung seines Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat selbst bestimmen, indem er in den Mitgliedstaat seiner Wahl weiterreist und dort (erneut) einen Asylantrag stellt. Ein derartiges „forum shopping“ will das Dublin-System gerade vermeiden (EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – juris Rn. 79).
Das Wiederaufnahmegesuch an Italien erfolgte auch nicht verspätet. Gemäß Art. 23 Abs. 2 Dublin III-VO ist ein Wiederaufnahmegesuch so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von zwei Monaten nach der EURODAC-Treffermeldung zu stellen. Ausweislich der in der Akte befindlichen Eingangsbestätigung Italiens vom 2. August 2016 ist das Wiederaufnahmegesuch dort am 2. August 2016 und damit vor Fristablauf eingegangen. Da Italien auf das Wiederaufnahmegesuch nicht innerhalb der hier maßgeblichen Zweiwochenfrist reagiert hat, ist davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Antragstellerin wieder aufzunehmen (Art. 18 Abs. 1 Buchst. b i.V.m. Art. 25 Abs. 2 Dublin III-VO). Auch die Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO ist noch nicht abgelaufen.
2. Die Zuständigkeit ist auch nicht nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen. Es liegen keine Gründe im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO vor, die der Überstellung der Antragstellerin nach Italien entgegenstünden.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der aktuellen obergerichtlichen Rechtsprechung ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass die Antragstellerin in Italien wegen systemischer Mängel des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. OVG NW, U.v. 18.7.2016 – 13 A 1859/14A – juris; U.v. 21.6.2016, 13 A 990/13.A; U.v. 19.5.2016 – 13 A 516/14.A – jeweils juris – m.w.N.; NdsOVG, U.v. 25.6.2015 – 11 LB 248/14; B.v. 30.01.2014 – 4 LA 167/13 – jeweils juris; VGH BW, U.v. 16.04.2014 – A 11 S 1721/13 – juris; BayVGH, U.v. 28.2.2014 – 13a B 13.30295 – juris; OVG Rh-Pf, U.v. 21.02.2014 – 10 A 10656/13.OVG – juris; OVG LSA, U.v. 02.10.2013 – 3 L 645/12 – juris; OVG Berlin-Bbg, B.v. 17.06.2013 – OVG 7 S. 33.13 – juris). Danach verfügt Italien unter Berücksichtigung der Verwaltungspraxis über ein im Wesentlichen ordnungsgemäßes, richtlinienkonformes Asyl- und Aufnahmeverfahren, welches trotz einzelner Mängel nicht nur abstrakt, sondern gerade auch unter Würdigung der vor Ort tatsächlich anzutreffenden Rahmenbedingungen prinzipiell funktionsfähig ist und dabei insbesondere sicherstellt, dass der rücküberstellte Asylbewerber im Normalfall nicht mit schwerwiegenden Verstößen und Rechtsbeeinträchtigungen rechnen muss. Obwohl sich in Teilbereichen der tatsächlichen Aufnahmebedingungen durchaus erhebliche Mängel und Defizite feststellen lassen, werden diese – weder für sich genommen noch insgesamt – als so gravierend bewertet, dass ein grundlegendes, systemisches Versagen des Mitgliedsstaates vorläge, welches für einen Dublin-Rückkehrer nach dem Prognosemaßstab der Wahrscheinlichkeit Rechtsverletzungen im Schutzbereich von Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK mit dem dafür notwendigen Schweregrad impliziert (vgl. OVG NW, U.v. 7.3.2014 – a.a.O., Rn. 132; OVG Rh-Pf, U.v. 21.2.2014 – a.a.O., Rn. 45 f.). Der teilweise hiervon abweichenden Rechtsprechung (z.B. VG Düsseldorf, U.v. 15.12.2015 – 12 K 7303/15.A – juris; VG München; U.v. 8.8.2016 – M 24 K 16.50486 – juris) folgt das entscheidende Gericht nicht.
Die erkennende Kammer schließt sich damit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (vgl. EGMR, B.v. 02.04.2013 – Hussein u.a./Niederlande und Italien, Nr. 27725/10 – ZAR 2013, 336; B.v. 18.06.2013 – Halimi/Österreich und Italien, Nr. 53852/11 – ZAR 2013, 338). Unter Berücksichtigung der Berichte von Regierungs- und Nichtregierungsinstitutionen und -organisationen über die Aufnahmeprogramme für Asylbewerber in Italien kam der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die allgemeine Situation und die Lebensbedingungen in Italien für Asylbewerber, anerkannte Flüchtlinge und Ausländer, die aus Gründen des internationalen Schutzes oder zu humanitären Zwecken eine Aufenthaltserlaubnis erhalten hätten, zwar einige Mängel aufweisen mögen, dass die vorliegenden Materialien jedoch kein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen für Asylbewerber als Mitglieder einer besonders schutzbedürftigen Personengruppe aufzeigen würden. Berichte des UNHCR und des Menschenrechtskommissars wiesen auf jüngste Verbesserungen der Situation hin mit dem Ziel der Mängelbeseitigung; alle Berichte zeigten übereinstimmend und ausführlich die Existenz ausgearbeiteter Strukturen von Einrichtungen und Hilfsmaßnahmen, die auf die Bedürfnisse der Asylbewerber zugeschnitten seien. Diese Rechtsauffassung hat der EGMR, dessen Rechtsprechung für die Auslegung der EMRK auch über den jeweilig entschiedenen Fall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion hat (BVerfG, U.v. 04.05.2011 – 2 BvR 2333/08 – juris), durch seine Entscheidung vom 10. September 2013 (Nr. 2314/10 – HUDOC) ausdrücklich bestätigt.
Etwas anderes ergibt sich weder aus dem Urteil des EGMR vom 4. November 2014 (29217/12 – Tarakhel/Schweiz – NVwZ 20154, 127) noch aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. September 2014 (2 BvR 732/14 – juris). Der EGMR hat hier lediglich entschieden, dass die Schweizer Behörden die Abschiebung einer Familie nach Italien nicht vornehmen dürfen, ohne vorher individuelle Garantien von den italienischen Behörden erhalten zu haben, dass die Antragsteller in Italien in einer dem Alter der Kinder adäquaten Art und Weise behandelt werden und die Familie zusammen bleiben darf. Eine derartige Sicherstellung verlangt auch das Bundesverfassungsgericht für den Fall der Überstellung von Familien mit Neugeborenen und Kleinstkindern. Die genannten Entscheidungen beinhalten damit keine Aussage zu eventuellen systemischen Mängeln in Italien, sondern lediglich eine Einschränkung für die Abschiebung von Familien nach Italien. Als alleinstehende junge Frau gehört die Antragstellerin nicht zu dieser Gruppe besonders schutzbedürftiger Personen. Zudem hat der EGMR in seiner Entscheidung vom 5. Februar 2015 im Verfahren A.M.E. gegen Niederlande (Nr. 51428/10) entschieden, dass die Struktur und die Gesamtsituation des italienischen Flüchtlings- und Asylbewerberaufnahmesystems kein genereller Grund sind, eine Überstellung im Zuge des sog. Dublin-Verfahrens zu verbieten.
Auch aus neueren Erkenntnismitteln können keine Hinweise auf systemische Mängel entnommen werden. In dem vom Europäischen Rat für Flüchtlinge und im Exil lebende Personen (ECRE) für das Projekt AIDA – Asylum Information Database erstellten Länderbericht zu Italien vom Dezember 2015 (abrufbar unter http: …www.asylumineurope.org/reports/country/italy) wird zwar ausgeführt (vgl. S. 62 ff. des Berichts), dass dort zumindest in der Vergangenheit nicht für alle Asylbewerber adäquate Aufnahmeeinrichtungen zur Verfügung gestanden haben und die Zahl von Unterbringungsplätzen nur unzureichend war. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der italienische Staat hiergegen erfolgsversprechende Gegenmaßnahmen ergreift. Zum einen werden die Kapazitäten der Aufnahmeeinrichtungen dem vorgenannten Bericht zufolge seit 2013 deutlich erhöht. UNHCR und Nichtregierungsorganisationen beraten die staatlichen Stellen bei der Verbesserung der Aufnahmebedingungen. Speziell für Dublin-Rückkehrer wurden zum anderen Zentren zur übergangsweisen Unterbringung eingerichtet (vgl. S. 63f. des Berichts). Die zuvor angenommene maximale Aufenthaltsdauer von 20 bis 35 Tagen in CARA/CDA-Zentren oder sechs Monaten in SPAR-Einrichtungen, die zudem oft überschritten wurde, gibt es für Asylantragsteller nicht mehr (OVG NW, U.v. 19.5.2016, 13 A 516/14.A – juris Rn. 116 ff. unter Hinweis auf den AIDA-Bericht vom Dezember 2015, S. 74). Ein systemisches Versagen der Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen lässt sich dem AIDA-Bericht nicht entnehmen. Ein systemischer Mangel der Aufnahmebedingungen kann daher auch für die Personengruppe, der die Antragstellerin angehört, nicht angenommen werden.
Die gegenwärtig hohe Zahl von Einwanderern nach Italien stellt keinen Umstand dar, der eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien würde erst dann überschritten, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern hin keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung der damit verbundenen Probleme ergriffen würden. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden (vgl. OVG NW, U.v. 24.04.2015, 14 A 2356/12 A. – juris Rn 41; U.v. 19.5.2016, 13 A 516/14.A – juris Rn. 130). Dafür gibt es auch nach dem aktuellen Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom August 2016 keine Hinweise (abrufbar unter https: …www.fluechtlingshilfe.ch/herkunftslaender/dublin-staaten/italien-1.html). Vielmehr ist das Aufnahmesystem in Italien innerhalb von vier Jahren von ca. 5.000 Plätzen auf ca. 120.000 Plätze gewachsen (vgl. SFH, Aufnahmebedingungen in Italien – Zur aktuellen Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden in Italien, Bern August 2016, S. 18).
Auch der Umstand, dass sich die Situation der Antragstellerin in Italien u.U. deutlich schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR, B.v. 02.04.2013 – a.a.O.).
Auch im Hinblick auf medizinische Betreuung und Versorgung ergibt sich keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, das Asylverfahren durchzuführen (vgl. EGMR, U.v. 30.6.2015 – Nr. 39350/13 – A.S./Schweiz), da Italien über eine umfassende Gesundheitsfürsorge verfügt, die italienischen Staatsbürgern sowie Flüchtlingen, Asylbewerbern und unter humanitären Schutz stehenden Personen gleichermaßen zugänglich ist. Nach der bestehenden Auskunftslage funktioniert die notfallmedizinische Versorgung und der Zugang zu Hausärzten grundsätzlich ebenso wie das Angebot von psychologischer und psychiatrischer Behandlung (vgl. VG Ansbach, U.v. 11.12.2015 – AN 14 K 15.50316 – juris Rn. 26 m.w.N.). Auch der bereits erwähnte Bericht von AIDA bestätigt die Gleichstellung von Asylsuchenden und international Schutzberechtigten mit italienischen Staatsangehörigen hinsichtlich der gesundheitlichen Versorgung (vgl. dort S. 84). Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 21. Januar 2013 an das OVG Sachsen-Anhalt steht eine kostenfreie medizinische Versorgung auch Personen zu, die nicht in einer staatlichen Unterkunft untergebracht sind. Eine aktuelle Vereinbarung zwischen der italienischen Zentralregierung und den Regionen garantiert dabei die Not- und Grundversorgung auch von Personen, die sich illegal im Land aufhalten (VG Augsburg, B.v. 19.09.2015 – Au 7 S. 15.50412 – juris). Die Notambulanz ist für alle Personen in Italien kostenfrei (VG München, B.v. 05.11.2014 – M 18 S. 14.50356 – juris). Auch bei Überstellung von kranken Personen, deren Asylverfahren in Italien negativ abgeschlossen ist, besteht damit die Möglichkeit der Behandlung. Es ist daher davon auszugehen, dass die Antragstellerin in Italien Zugang zu einer angemessenen medizinischen Versorgung hat.
Schließlich begründet auch die Lage der Personen, die in Italien einen internationalen Schutzstatus zuerkannt bekommen haben, keine systemischen Mängel. Dies gilt auch in Ansehung des Umstands, dass Italien kein mit dem in der Bundesrepublik bestehenden Sozialleistungssystem vergleichbares, landesweites Recht auf Fürsorgeleistungen kennt und hier nur im originären Kompetenzbereich der Regionen und Kommunen ein sehr unterschiedliches und in weiten Teilen von der jeweiligen Finanzkraft abhängiges Leistungsniveau besteht (VGH BW, U.v. 16.04.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
3. Individuelle außergewöhnliche Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO notwendig machen, sind weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich, ebenso wenig wie inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b Abs. 1 AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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