Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen in Italien

Aktenzeichen  M 25 S 15.51005

Datum:
7.1.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 27a, § 34a Abs. 1
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 25 Abs. 2
Dublin II-VO Dublin II-VO Art. 16 Abs. 1b
EMRK EMRK Art. 3
GRCh GRCh Art. 4

 

Leitsatz

1. Dublin Verfahren; Italien (amtlicher Leitsatz)
2 Asylbewerber laufen in Italien nicht Gefahr, aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (ebenso BayVGH BeckRS 2014, 52068; OVG BW BeckRS 2014, 51025; OVG RhPf BeckRS 2014, 48239; OVG Bln-Bbg BeckRS 2013, 53383; OVG NRW BeckRS 2014, 48497 u. BeckRS 2015, 45053 u. BeckRS 2016, 47662; NdsOVG BeckRS 2015, 47840). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die drohende Überstellung nach Italien im Rahmen des sog. „Dublin Verfahrens“.
Der Antragsteller ist afghanischer Staatsangehöriger und reiste nach eigenen Angaben am 8 Juni 2015 ins Bundesgebiet ein und stellte hier am 20. August 2015 Asylantrag.
Ein EURODAC-Abgleich ergab einen Treffer der Kategorie I für Italien. Ein am 14. Oktober 2015 an Italien gerichtetes Übernahmeersuchen wurde nicht beantwortet.
Mit Bescheid vom … Dezember 2015 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1), ordnete die Abschiebung nach Italien an (Ziffer 2) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 3). Der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylG unzulässig, da Italien aufgrund des dort bereits gestellten Asylantrags und der stillschweigenden Zustimmung gemäß Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO auszuüben, sei nicht ersichtlich.
Mit Schreiben vom 18. Dezember 2015 erhob der Kläger Klage und beantragte gleichzeitig gemäß § 80 Abs. 5 VwGO,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Zur Begründung führte der Antragsteller aus, der Bescheid sei rechtswidrig, da er nach seiner illegalen Einreise im Juli 2008 und dem Aufenthalt in mehreren Ländern der EU 2013 wieder in seine Heimat zurückgekehrt und im Februar 2015 über Griechenland wieder in die EU eingereist sei. Die Zuständigkeit Italiens für die Prüfung des Asylantrags sei somit nicht gegeben. Auf die Regelung des Art. 19 Abs. 2 Dublin-III-VO könne er sich auch berufen. Im Übrigen würden das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien an systemischen Mängeln leiden.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist nicht begründet.
Die gemäß § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zulasten des Antragstellers aus. Es bestehen keine durchgreifenden Bedenken an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids.
Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers zu Recht nach § 27 a AsylG als unzulässig abgelehnt.
Nach § 27 a AsylG ist ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt in einem solchen Fall die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Für die Prüfung des am 20. August 2015 (erneut) in Deutschland gestellten Asylantrag ist gemäß Art. 16 Abs. 1 b VO (EG) Nr. 343/2003, des Rates vom 28. Februar 2003 -Dublin-II-VO- Italien zuständig, da er dort bereits einen Asylantrag gestellt hat. Da Italien auf das Übernahmeersuchen vom 14. Oktober 2015 nicht fristgerecht geantwortet hat, ist davon auszugehen, dass dem Wideraufnahmegesuch stattgegeben wird, Art. 25 Abs. 2, 49 Abs. 2 Dublin-III-VO. Italien ist aufgrund dieser Regelung für die Prüfung des Asylantrags des Antragstellers zuständig. Der Antragsteller kann sich nicht auf die Regelung des Art. 19 Abs. 2 Dublin-III-VO berufen. Unabhängig davon, dass der Antragsteller keinen Nachweis für ein Verlassen der Mitgliedstaaten für mindestens 3 Monate erbracht hat, gewähren die Dublin-II-VO und Dublin-III-VO keine subjektiven Rechte der Asylbewerber, sondern halten sich als zwischenstaatliche Regelungen vorrangig an die Mitgliedsstaaten (EuGH U. v. 14.11.2013 – C-4/11; U. v. 10.12.2015 – C-394/12).
Die Antragsgegnerin ist nicht verpflichtet trotz der Zuständigkeit Italiens den Asylantrag des Antragstellers selbst inhaltlich zu prüfen.
Von Verfassungswegen kommt eine Prüfungspflicht der Antragsgegnerin nur in Betracht, soweit ein von vornherein außerhalb der Reichweite des Konzepts der normativen Vergewisserung liegender Sachverhalt gegeben ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, U. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93) ist dies – bezogen auf die Verhältnisse im Abschiebezielstaat – etwa dann der Fall, wenn sich die, für die Qualifizierung des Drittstaates als sicher, maßgeblichen Verhältnisse schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung darauf noch aussteht oder wenn der Aufnahmestaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung zu greifen droht und dadurch zum Verfolgerstaat wird. An die Darlegung eines solchen Sonderfalles sind allerdings hohe Anforderungen zu stellen.
Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U. v. 21. Dezember 2011 C-411/10 und C-493/10) ist Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtscharta) dahin auszulegen, dass es den Mitgliedsstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den „zuständigen Mitgliedsstaat im Sinne der Dublin-VO zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden.
In Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung (OVG NRW, U. v. 24.04.2015 – 14 A 2356/12A; VGH BW, U. v. 16.04.2014 – A 11 S 1721/13; OVG Münster, U. v. 7.3.2014 – 1 A 21/12.A; OVG Koblenz, U. v. 21.2.2014 – 10 A 10656/13; OVG Lüneburg, B. v. 18.3.2014 – 13 LA 75/13; BayVGH U. v. 28.2.2014 – 13 a B 13.30295; OVG Magdeburg, B. v. 14.11.2013 – 4 L 44/13; OVG Berlin-Brandenburg, B. v. 17.10.2013 – OVG 3 S 40.13) geht das Gericht zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt nicht davon aus, dass ein außerhalb des Konzepts normativer Vergewisserung liegender Ausnahmefall vorliegt, noch dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber i. S. v. Art. 4 Grundrechtscharta implizieren.
Dublin-Rückkehrer erhalten in der Regel einen ungehinderten Zugang zum Asylverfahren und in der ersten Zeit nach der Überstellung ein geordnetes Aufnahmeverfahren mit den zugehörigen Leistungen zur Sicherung der Grundbedürfnisse.
Sie werden im Allgemeinen in den früheren Stand ihres Asylverfahrens eingesetzt (vgl. BayVGH a. a. O.).
Diese Einschätzung wird auch durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG B. v. 17.9.2014 – 2 BvR 939/14) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR v. 4.11.2014 – 2921/12 – Tarakhel gegen Schweiz) bestätigt. Der volljährige, alleinstehende Antragsteller gehört nicht zu den in diesen Entscheidungen angeführten besonders schützenswerten Personen.
Die Aufnahmebedingungen in Italien begründen für den alleinstehenden jungen Mann grundsätzlich keine Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK (EGMR, U. v. 13.01.2015 – 51428/10 – A.M.E. gegen Niederlande).
Der Umstand, dass sich die Situation des Antragstellers in Italien deutlich schlechter als im Bundesgebiet darstellt, begründet keinen systemischen Mangel des Asylverfahrens (vgl. EGMR, B. v. 2.4.2013 Mohamad Hussein u. a. gegen Niederlande und Italien).
Keinen Bedenken begegnet das auf § 11 Abs. 2, 3 AufenthG gestützte 6-monatige Einreise- und Aufenthaltsverbot.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.


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