Europarecht

Keine systemischen Mängel des Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen in Polen

Aktenzeichen  AN 14 S 15.50332

Datum:
2.3.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 12 Abs. 4
AsylG AsylG § 34a Abs. 1

 

Leitsatz

Flüchtlinge laufen in Italien nicht Gefahr, aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (BayVGH BeckRS 2016, 41725; SächsOVG BeckRS 2015, 54313). (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wird abgelehnt.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Die Antragsteller wenden sich gegen eine Abschiebungsanordnung nach Polen.
Sie sind ukrainische Staatsangehörige und reisten eigenen Angaben zufolge am 5. März 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Am 29. April 2015 stellten die Antragsteller Asylanträge.
In dem persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens am 7. Juli 2015 gab die Antragstellerin zu 1) an, dass sie und ihre beiden minderjährigen Kinder, die Antragsteller zu 2) und zu 3), von dem Konsulat in … etwa Ende Februar 2015 ein Visum ausgestellt bekommen hätten. Die Ukraine hätten sie Anfang März 2015 verlassen und seien zunächst nach Polen gereist. Am 5. März 2015 seien sie nach Deutschland weiter gereist. Deutschland sei ein stabiles, zuverlässiges und sicheres Land, deswegen möchte sie gerne in Deutschland bleiben.
Nach den Erkenntnissen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (polnische Visa) lagen Anhaltspunkte vor für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO).
Das Bundesamt richtete am 10. Juli 2015 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin III-VO an Polen. Die polnischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 20. Juli 2015 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO.
Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. Juli 2015, den Antragstellern zugestellt am 25. Juli 2015, wurden die Anträge als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1) und die Abschiebung der Antragsteller nach Polen angeordnet (Ziffer 2).
Mit Schriftsatz vom 30. Juli 2015, am selben Tage beim zuständigen Verwaltungsgericht Ansbach eingegangen, wurde Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes eingereicht und ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass der Bescheid rechtswidrig sei und die Antragsteller in ihren Rechten verletze. Gerade bei Kindern solle zur Vermeidung eines Verstoßes gegen das Förderungs- und Kontinuitätsprinzip ein Herumreichen in verschiedene Schengenstaaten vermieden werden. Die Kinder würden bereits hier in die Schule gehen und schon etwas Deutsch sprechen. Es sei ihnen im Hinblick auf ihr Alter nicht zumutbar, nochmals den Staat, die Wohnung und die Sprache zu wechseln. Die Antragstellerin zu 1) sei die Ehefrau des Herrn … und lebe mit diesem in ehelicher Lebensgemeinschaft. Hierzu wird auf das ebenfalls beim Verwaltungsgericht Ansbach rechtshängige Klage- und Antragsverfahren mit den Aktenzeichen AN 14 S 15.50341 und AN 14 K 15.50342 verwiesen. Eine Aufenthaltsbeendigung ohne den Ehemann wäre rechtswidrig, Art. 6 GG.
Darüber hinaus dürften die Antragsteller nicht nach Polen abgeschoben werden. Polen habe unter Berücksichtigung des hohen Ansturms von Flüchtlingen das Problem, die Anforderungen des Dublin III-Abkommens einzuhalten und habe aufgrund dessen systemische Mängel. Zuständig für das Asylverfahren der Antragsteller sei deshalb Deutschland. Eine Abschiebung nach Polen komme daher nicht in Betracht, auch wenn Polen die Übernahmebereitschaft erklärt habe.
Mit weiterem Schriftsatz vom 24. Februar 2016 wurden ärztliche Atteste des Dr. med. …, vom 15. Februar 2016 für die Antragstellerin zu 3) und vom 10. Februar 2016 für den Antragsteller zu 2) durch den Prozessbevollmächtigten vorgelegt. Aus dem ärztlichen Attest für die Antragstellerin zu 3) ergibt sich, dass aufgrund der berichteten Symptome (Ängste, Konzentrationsstörungen und emotionale Labilität) die Verdachtsdiagnose einer Anpassungsstörung vorliege. Positive psychosoziale Umstände würden mit großer Wahrscheinlichkeit eine Verbesserung der seelischen Beeinträchtigung bewirken. Auch bei dem Antragsteller zu 2) bestehe aufgrund der berichteten Symptome (Schlafstörungen, Ängste und emotionale Labilität) die Verdachtsdiagnose einer Anpassungsstörung. Positive psychosoziale Umstände würden mit großer Wahrscheinlichkeit eine Verbesserung der seelischen Beeinträchtigungen bewirken.
Die Antragsteller beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen in dem streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hinsichtlich der weiteren Ausführungen auf die vorliegenden Behörden- und Gerichtsakten, insbesondere auch hinsichtlich des Ehemannes der Antragstellerin zu 1) mit den Aktenzeichen AN 14 S 15.50341 und AN 14 K 15.50342 verwiesen.
II.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO ist abzulehnen. Er ist zwar zulässig, aber unbegründet.
Die Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes vom 21. Juli 2015 hat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 AsylG keine aufschiebende Wirkung. Jedoch kann das Gericht gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, wenn das Interesse der Antragsteller auf Aussetzung des Vollzugs das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Bescheids überwiegt. Hierbei sind im Wesentlichen auch die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache zu berücksichtigen.
Die im Bescheid vom 21. Juli 2015 enthaltene und sofort vollziehbare Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG in die Republik Polen ist auch unter Berücksichtigung des Sachvortrags der Antragsteller nicht zu beanstanden. Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung an, wenn feststeht, dass sie auch durchgeführt werden kann.
Hierbei bedarf es nach § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG einer vorherigen Androhung und Fristsetzung nicht. Dem liegt zugrunde, dass das Bundesamt die Asylanträge der Antragsteller nach § 27a AsylG zu Recht als unzulässig abgelehnt hatte. Die polnischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 20. Juli 2015 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO.
Formfehler diesbezüglich sind weder erkennbar noch vorgetragen.
Damit treffen die Verpflichtungen aus Art. 18 ff der Dublin-III-VO Polen.
Besondere Umstände, die zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2
Dublin-III-VO durch die Bundesrepublik Deutschland führen würden, sind weder konkret vorgetragen noch ersichtlich.
Hierbei ist aufgrund des vom Bundesverfassungsgericht zur Drittstaatenregelung des § 26a AsylG entwickelten Konzepts der normativen Vergewisserung davon auszugehen, dass dort die Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention als auch der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist, da es sich bei Polen um einen Mitgliedsstaat der Europäischen Union und damit um einen sicheren Drittstaat im Sinne des Art. 16a Abs. 2 GG bzw. § 26a AsylG handelt.
Die Dublin III-VO ist die grundlegende Vorschrift auf dem Weg zu einem gemeinsamen Europäischen Asylsystem (vgl. Erwägungsgründe Nr. 2, 4 ff der Dublin III-VO), mit dem eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedsstaats bezweckt wird, um letztendlich einen effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft und eine zügige Bearbeitung der Asylanträge zur gewährleisten (vgl. hierzu BVerwG, B.v. 19.03.2014, Az.: 10 B 6/14 m. w. N., juris). Dieses gemeinsame Europäische Asylsystem gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens dahingehend, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und in der EMRK finden (so grundsätzlich EUGH, gro-ße Kammer, U.v. 21.12.2011, Rechtssache: RS: C-411/10 und C-493/10, juris). Davon kann nur dann abgesehen werden, wenn dieser zuständige Mitgliedsstaat sogenannte „systemische Mängel“ des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufweist, so dass die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gefahr für Asylbewerber bestünde, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden. Dies wiederum hat zur Folge, dass der Asylbewerber der Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat nur mit dem Einwand sogenannter systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten kann (so grundsätzlich EUGH, große Kammer, U.v. 10.12.2013, RS: 10-394/12, juris). Diese Rechtsprechung mündete in Art. 3 Abs. 2 der Dublin-III-VO, der bestimmt, dass im Falle systemischer Schwachstellen in einem Mitgliedsstaat für den Fall, dass keine anderen zuständigen Staaten gefunden werden können, der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedsstaat der zuständige Mitgliedsstaat wird.
Solche systemische Mängel im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO liegen aber – entgegen der Auffassung der Antragsteller – erst dann vor, wenn die bereits angesprochenen Grundrechtsverletzungen oder Verstöße gegen Art. 3 EMRK nicht nur in Einzelfällen vorliegen, sondern strukturell bedingt sind. Deshalb setzen systemische Mängel im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO voraus, dass die Asylverfahren bzw. die Aufnahmebedingungen im eigentlich zuständigen Mitgliedsstaat so defizitär sind, dass einem Asylbewerber im konkreten Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Hierbei ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich die konkrete Gefahr einer gegen die Grundrechte verstoßenden Behandlung im zuständigen Staat aus der grundsätzlichen Behandlung der Asylbewerber heraus ergeben muss, die eben systemisch angelegt sein muss, dass also eine Verletzung von Grundrechten in einem Einzelfall nicht zur Aktivierung des Selbsteintritts ausreicht (BVerwG, B.v. 6.6.2014, Az.: 10 B 25/14, juris). Diese Defizite müssen des Weiteren in der Art und Weise offensichtlich sein, dass sie im überstellenden Mitgliedsstaat allgemein bekannt sein müssen (EUGH, U.v. 21.12.2011, a. a. O.) und im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedsstaats angelegt sein oder die Vollzugspraxis dort strukturell prägen, so dass sie des Weiteren aufgrund ihrer systemimmanenten Regelhaftigkeit aus Sicht der zuständigen Behörden und Gerichte verlässlich zu prognostizieren sind (BVerwG v. 6.6.2014, a. a. O., m. w. N.).
Allerdings ist im vorliegenden Fall nicht von solchen systemischen Schwachstellen auszugehen. Hierzu wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen gemäß § 77 Abs. 2 AsylG auf die zutreffende Begründung des streitgegenständlichen Bescheids des Bundesamtes vom 21. Juli 2015 Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe abgesehen.
Ergänzend ist noch auszuführen, dass auch nach der überwiegenden Rechtsprechung der deutschen Verwaltungsgerichtsbarkeit systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Polen nicht vorliegen (vgl. BayVGH, U.v. 19.01.2016, Az. 11 B 15.50130; Sächsisches OVG, B.v. 12.10.2015, Az. 5 B 259/15.A; VG Ansbach, U.v. 27.01.2016, Az. AN 14 K 15.50448 und AN 14 K 15.50450; VG Aachen, B.v. 30.01.2015, Az. 6 L 895/14.A m. w. N., VG Stade, B.v. 20.10.2015, Az. 3 B 1709/15; alle juris). Das Gericht schließt sich dieser Rechtsauffassung an. Die Situation für Asylbewerber in Polen mag im Vergleich zu der Situation in der Bundesrepublik noch etwas unangenehmer sein, die oben genannte Schwelle zur Annahme sogenannter systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen sind jedoch bei weitem nicht erreicht.
Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, wie zum Beispiel eine Reise- oder Transportunfähigkeit, sind vorliegend nicht erkennbar.
Erstmals mit Schriftsatz vom 24. Februar 2016 wurde hinsichtlich der Antragsteller zu 2) und zu 3) jeweils ein ärztliches Attest des Dr. med. … vorgelegt, der die Verdachtsdiagnose einer Anpassungsstörung äußerte. Nicht einmal im Ansatz ist von einer Reiseunfähigkeit der beiden Kinder auszugehen. Es wurde lediglich eine Verdachtsdiagnose erstellt. Der die Kinder behandelnde Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie hat weder einen Vorschlag für eine mögliche Therapie noch eine gegebenenfalls medikamentöse Behandlung vorgeschlagen. Die beiden Antragsteller sind auf die medizinischen Versorgungsmöglichkeiten in Polen zu verweisen.
Die Antragsteller können auch keinen Verstoß gegen Art. 6 GG geltend machen. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO des Ehemannes der Antragstellerin zu 1) in dem Parallelverfahren mit dem Az. AN 14 S 15.50341 wurde ebenfalls mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 2. März 2016 abgelehnt.
Der Antrag ist daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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