Europarecht

Keine systemischen Mängel des niederländischen Asylsystems

Aktenzeichen  W 8 S 19.50569

Datum:
26.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 16495
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 3 Abs. 2, Art. 17 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1 lit. d
GRCh Art. 4

 

Leitsatz

Nach derzeitigem Erkenntnisstand und unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist nicht davon auszugehen, dass das Asylsystem der Niederlande an systemischen Mängeln leidet, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung iSd Art. 4 GRCh ausgesetzt wären.  (Rn. 12 – 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist algerischer Staatsangehöriger. Er reiste am 13. Mai 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein, äußerte ein Asylgesuch und stellte am 22. Mai 2019 einen förmlichen Asylantrag.
Nach den Erkenntnissen der Antragsgegnerin lagen Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) vor. Auf ein Übernahmeersuchen vom 3. Juni 2019 erklärten die niederländischen Behörden mit Schreiben vom 12. Juni 2019 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO.
Mit Bescheid vom 13. Juni 2019 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Abschiebung in die Niederlande wurde angeordnet (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 11 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Am 24. Juni 2019 erhob der Antragsteller im Verfahren W 8 K 19.50568 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und beantragte im vorliegenden Verfahren:
Hinsichtlich der Abschiebungsandrohung nach „Italien“ wird die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angeordnet.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Klageverfahrens W 8 K 18.50568) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Bei verständiger Würdigung des Vorbringens des Antragstellers ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bundesamtsbescheides vom 13. Juni 2019 – betreffend die Niederlande (nicht wie wohl versehentlich in der Antragsschrift geschrieben „Italien“) – begehrt.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO – betreffend die Abschiebungsanordnung unter Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids – ist zulässig, aber unbegründet.
Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 13. Juni 2019 ist bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung in Nr. 3 rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, so dass das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache noch im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, überwiegt.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheides verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Das Vorbringen in der Antragsbegründung führt zu keiner anderen Beurteilung.
Die Niederlande ist gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig (vgl. § 34a, § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG). Die niederländischen Behörden haben ausdrücklich ihre dahingehende Zuständigkeit bejaht.
Die Überstellung in die Niederlande ist auch nicht rechtlich unmöglich (vgl. § 34a AsylG). Außergewöhnliche Umstände die möglicherweise für einen Selbsteintritt gemäß § 3 Abs. 2 Dublin III-VO bzw. für eine entsprechende Pflicht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten, sind vorliegend weder substanziiert vorgebracht noch sonst ersichtlich. Insbesondere ist nach derzeitigem Erkenntnisstand und unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. OGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u.a. – NVWZ 2012, 417) nicht davon auszugehen, dass das Asylsystem der Niederlande an systemischen Mängeln leidet, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta ausgesetzt wären.
Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse bestehen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen solcher Mängel im Asylsystem der Niederlande, zumal der Kläger dahingehend nicht Substanziiertes vorgebracht hat. Das Gericht geht nach den vorliegenden Erkenntnissen davon aus, dass in den Niederlanden keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. In den Niederlanden existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit. Dublin-Rückkehrer haben Zugang zum Asylverfahren. Die speziellen Bedürfnisse des Schutzsuchenden werden berücksichtigt. Gemäß Gesetz haben alle mittellose Asylbewerber ein Recht auf Unterbringung und auf materielle Versorgung ab Antragstellung. Sie erhalten in der Regel eine monatliche Unterstützung/Gutscheine. Sie dürfen 24 Wochen im Jahr auch arbeiten. Asylbewerber sind versichert und haben einen Anspruch auf medizinische Versorgung. Die allgemeine medizinische Behandlung ist, soweit möglich, dieselbe wie für niederländische Bürger, erweitert um besonderes Augenmerk auf sprachliche und kulturelle Unterschiede, die Lebenssituation für Asylbewerber, das Asylverfahren und deren besonderen Bedürfnisse. Asylbewerber haben Zugang zur medizinischen Basisversorgung, darunter Zugang zur Allgemeinmedizin, Krankenhäusern, Psychologen, Zahnmedizin und auf Tagesbasis Zugang zu psychiatrischen Kliniken. Es gibt eine Reihe spezialisierter Institutionen zur Behandlung von Asylbewerbern mit psychischen Problemen. Es ist davon auszugehen, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten in den Niederlanden, wie generell in der EU, im ausreichenden Maße verfügbar sind (BFA, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Niederlande, v. 16.2.2018, m.w.N.). Im Ergebnis bestehen keine rechtlichen Bedenken gegen eine Überstellung in die Niederlande (ebenso zuletzt etwa noch VG Lüneburg, B.v. 22.2.2019 – 8 B 37/19 – juris; VG München, Gerichtsbescheid v. 24.10.2018 – M 1 K 17.51216 – juris; ferner VG Würzburg, B.v. 21.6.2018 – W 4 S 18.50299; B. v. 13.3.2018 – W 4 S 18.50093).
Ferner ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin ermessensfehlerhaft keinen Gebrauch von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin III-VO gemacht hat.
Auch die Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers in den Niederlanden, verbunden mit einer ihm möglicherweise drohenden Abschiebung in sein Heimatland, führt nicht zu einer Zuständigkeit der Antragsgegnerin verbunden mit einer nochmaligen Prüfung seines Schutzbegehrens in Deutschland. Der Antragsgegner hat im streitgegenständlichen Bescheid schon zu Recht darauf hingewiesen, dass es dem Antragsteller freistehe, in den Niederlanden um Rechtschutz nachzusuchen bzw. dort einen Folgeantrag zu stellen. Dass bestandskräftig abgelehnte Asylbewerber mit ihrer Abschiebung in ihr Heimatland zu rechnen haben, ist kein hier relevanter Mangel des Asylverfahrens und auch im Übrigen nicht menschenrechtswidrig. Vielmehr ist davon auszugehen, dass in den Niederlanden ein rechtstaatliches Erst- und gegebenenfalls auch Folgeverfahren durchgeführt wird. Der Asylbewerber hat insbesondere kein Wahlrecht, sich den Mitgliedsstaat auszusuchen, in dem er sich bessere Chancen oder angenehmere Aufenthaltsbedingungen erhofft. Relevant sind allein die Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates nach der Dublin III-VO.
Schließlich sind auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die die Antragsgegnerin selbst zu berücksichtigen hätte, nicht ersichtlich.
Im Ergebnis hat der Antragsteller keinen Anspruch, dass die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung vorläufig ausgesetzt wird.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.


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