Europarecht

Keine systemischen Mängel des niederländischen Asylverfahrens

Aktenzeichen  M 9 S 18.50057

Datum:
2.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 56834
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, § 34a
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 12

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Die Antragstellerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die bevorstehende Überstellung in die Niederlande im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens.
Die Antragstellerin ist (alles nach eigenen Angaben, die Antragstellerin hat keine Original-Personaldokumente ihres Heimatlands vorgelegt, vgl. aber die Kopie ihres Personalausweises, Bl. 90 – 92 der Bundesamtsakte) jordanische Staatsangehörige und am 6. April 1986 geboren. Auf ihre Angaben im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates und die persönliche Anhörung zur Klärung der Zulässigkeit des gestellten Asylantrags am 21. September 2017 (Bl. 14 – 17 der Bundesamtsakte) wird Bezug genommen. Sie hat am 21. September 2017 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) – Außenstelle München einen Asylantrag gestellt hat.
Am 25. September 2017 fand die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 – 4 AsylG i.V.m. § 25 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 AsylG statt. Dort machte die Antragstellerin auf die Frage, ob es Gründe gebe, warum sie nicht in die Niederlande überstellt werden wolle, keine Angaben. Auf die Niederschrift im Übrigen wird Bezug genommen (Bl. 49 – 52 bzw. Bl. 58 – 61 der Bundesamtsakten).
Ebenfalls am 25. September 2017 fand außerdem noch eine Anhörung gemäß § 25 AsylG statt. Auf die Niederschrift über die Anhörung wird Bezug genommen (Bl. 43 – 48 bzw. Bl. 62 – 67 der Bundesamtsakten).
Für die Antragstellerin folgt aus dem von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgang (Bl. 38 der Bundesamtsakte, vgl. auch den VIS-Treffer, Bl. 69 der Bundesamtsakte), dass ihr von den Niederlanden ein Visum zum Kurzaufenthalt (30 Tage), gültig vom 20. August 2017 bis 4. Oktober 2017 erteilt wurde.
Auf ein Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin vom 17. Oktober 2017 an die Niederlande erfolgte keine Reaktion.
Mit Bescheid vom 22. Dezember 2017 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2) und ordnete die Abschiebung in die Niederlande an (Nr. 3). Die Nr. 4 des Bescheids enthält die Befristungsentscheidung hinsichtlich des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG. Auf den Bescheid und seine Begründung wird Bezug genommen.
Ausweislich der in der Bundesamtsakte enthaltenen Kopie der Empfangsbestätigung wurde der Bescheid am 29. Dezember 2017 zugestellt.
Die Antragstellerin ließ hiergegen mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 4. Januar 2018, beim Verwaltungsgericht München eingegangen am selben Tag, Klage (Az.: M 9 K 18.50056) erheben und beantragen, den Bescheid vom 22. Dezember 2017 aufzuheben, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ein Asylverfahren durchzuführen und hilfsweise die Antragsgegnerin zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG vorliegen.
Außerdem ließ die Antragstellerin beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Begründung der Rechtsbehelfe werde in einem gesonderten Schriftsatz erfolgen, der bis heute nicht eingegangen ist.
Die Antragsgegnerin legte die Behördenakten vor, äußerte sich in der Sache aber nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten in diesem und im dazugehörigen Klageverfahren und der Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der Antrag hat keinen Erfolg.
Der Antrag ist zwar zulässig, insbesondere ist er fristgerecht gestellt, § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Dass sich die Klage wegen des Verpflichtungsbegehrens (Verpflichtung zur Durchführung eines Asylverfahrens) als mindestens teilweise unzulässig erweisen wird – gegen einen sog. Dublin-Bescheid ist ausschließlich die Anfechtungsklage richtige Klageart (BVerwG, U.v. 27.10.2015 – 1 C 32/14 – juris Rn. 13) -, schadet für den hiesigen Antrag nicht.
Der Antrag ist jedoch unbegründet, denn die Klage in der Hauptsache hat voraussichtlich keinen Erfolg.
Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 22. Dezember 2017, auf den im Sinne von
§ 77 Abs. 2 AsylG Bezug genommen wird, ist voraussichtlich rechtmäßig.
Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.
1. Die Niederlande sind für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens richtet sich vorliegend nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-VO).
Art. 3 Abs. 1 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO als zuständiger Staat bestimmt wird. Bei Anwendung dieser Kriterien sind ohne weiteres die Niederlande für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. Das ergibt sich aus Art. 12 Dublin III-VO, hier insbesondere aus Art. 12 Abs. 2 und Abs. 4 Dublin III-VO, da die Antragstellerin mit einem von den Niederlanden ausgestellten Visum in den Schengen-Raum bzw. in den Anwendungsbereich der Dublin III-VO eingereist ist. Damit sind die Niederlande als der Staat, der das Visum ausgestellt hat, für die Prüfung des Asylantrags der Antragstellerin zuständig. Der Umstand der Ausstellung des Visums durch die Niederlande unterliegt keinen Zweifeln. Er wird von der Antragstellerin selbst eingeräumt, außerdem geht er aus dem niederländischen VIS-Treffer hervor.
Da die niederländischen Behörden auf das Aufnahmeersuchen der Antragsgegnerin nicht reagiert haben, ist gemäß Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO davon auszugehen, dass dem Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die betreffende Person wieder aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen (Art. 18 Abs. 1 Dublin III-VO).
2. Die Abschiebung in die Niederlande kann gemäß § 34a Abs. 1 AsylG auch durchgeführt werden.
Die Zuständigkeit ist nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin III-VO auf die Antragsgegnerin übergegangen, weil eine Überstellung in die Niederlande als den zuständigen Mitgliedstaat an Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO scheitern würde. Es sind keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Antragstellerin im Falle einer Abschiebung in die Niederlande infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wäre.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v.14.05.1996 – 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 -, juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtscharta) entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragstellerin führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 Grundrechtscharta ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v.21.12.2011 a.a.O.). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v.19.03.2014 – 10 B 6.14 -, juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der einhelligen aktuellen Rechtsprechung ist, abgesehen davon, dass seitens der Antragstellerin nichts dazu vorgetragen ist, dass das niederländische Asylverfahren an systemischen Mängeln leiden würde, nicht davon auszugehen, dass die Antragstellerin in den Niederlanden aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. statt aller VG München, U.v. 22.12.2016 – M 9 K 16.51025 – juris Rn. 30 m.w.N.).
Individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO notwendig machen liegen ebenso wenig vor wie inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse. Für die Antragstellerin ist im Verwaltungsstreitverfahren überhaupt kein individuelles Vorbringen erfolgt. Auch unter Berücksichtigung ihres Vorbringens im Verwaltungsverfahren ergibt sich kein anderes Ergebnis. Der Umstand, dass sich aus dem Verwaltungsverfahren ergibt, dass die Antragstellerin mit ihrem geltend gemachten Ehemann und ihrem Kind eingereist ist, ändert nichts an der Unzulässigkeit des Asylantrags und an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung. Denn unabhängig davon, dass weder die Ehe noch sonst die familiären Verhältnisse nachgewiesen sind, obwohl das Sache der Antragstellerin wäre, ist von einer gemeinsamen Überstellung in die Niederlande auszugehen, da auch insofern die Niederlande zuständig sind. Das ergibt sich auch aus dem Rechtsgedanken von § 43 Abs. 3 Satz 1 AsylG und wird von den zuständigen Behörden nach Kenntnis des Gerichts aus einer Vielzahl von Verfahren in ständiger Praxis so gehandhabt.
Die Angaben der Antragstellerin im Rahmen der Anhörung nach § 25 AsylG führen ebenfalls nicht zu einem anderen Ergebnis. Hierbei handelt es sich um die Geltendmachung von Umständen, die für die Überstellung der Antragstellerin im Rahmen der Anwendung der Dublin III-Verordnung nicht relevant sind, vielmehr handelt es sich um sog. zielstaatsbezogenes Vorbringen, das zum Asylantrag der Antragstellerin gehört, für den die Antragsgegnerin aber gerade nicht zuständig ist.
Auch gegen die Rechtmäßigkeit der Entscheidungen in den Nummern 2 und 4 des streitgegenständlichen Bescheids bestehen keine Bedenken.
Der Antrag wird daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abgelehnt. Das Verfahren ist nach § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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