Europarecht

keine unzulässige Abschalteinrichtung durch Einbau eines sog. Thermofensters

Aktenzeichen  371 O 909/19

Datum:
29.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 22907
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 32
StGB § 263
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6, § 27
VO (EG) 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

1. Bei einer Motorsteuerungssoftware, die dazu dient, bei ungünstigen Betriebsbedingungen Motorschäden zu vermeiden (sog. Thermofenster), handelt es sich nicht um eine unzulässige Abschalteinrichtung (OLG Stuttgart BeckRS 2019, 17247). (Rn. 20 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei den Zulassungsvorschriften der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV handelt es sich nicht um Schutzgesetze iSd § 823 Abs. 2 BGB (OLG München BeckRS 2019, 19592). (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.
I.
Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Augsburg ergibt sich aus § 32 ZPO. Die Klägerin macht deliktische Ansprüche gegen die Beklagte geltend und behauptet, durch die Handlungsweise der Beklagten in ihrem Vermögen geschädigt zu sein. Maßgeblich ist folglich der Schädigungs- und Erfolgsort, also der Wohnsitz der Klägerin.
II.
Allerdings stehen der Klägerin aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts keine Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte zu, und zwar weder aus § 826 BGB noch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB oder §§ 6, 27 EGFGV.
1. § 826 BGB
Eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch die Beklagte hat die Klägerin nicht dargetan.
a) Objektiv sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB ist nach herrschender Auffassung ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt und mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist (BGH NJW 2017, 250 Tz. 16). Hierfür ist ein Rechtsverstoß weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung. Ausschlaggebend ist vielmehr eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich insbesondere aus dem verfolgten Zweck, den hierfür eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung des Handelnden oder den eintretenden Schadensfolgen ergeben kann (vgl. nur Sprau in: Palandt, BGB, 79. Aufl., § 826 Rn. 4).
b) Nach Ansicht der Klägerin besteht eine derartig verwerfliche Handlungsweise der Beklagten im vorliegenden Fall darin, dass diese bewusst einen mangelhaften Motortyp in Verkehr gebracht habe, ohne den Rechtsverkehr und insbesondere die Klägerin über diesen Mangel zu informieren.
Soweit die Klägerin dabei auf den Einbau einer Motorsteuerungssoftware im Aggregat OM 651 abstellt, geht das Gericht aufgrund des unbestrittenen Sachvortrags der Beklagten davon aus, dass es sich bei der streitgegenständlichen Motorsteuerungssoftware nicht um eine solche handelt, die das Abgasverhalten des Fahrzeugs In der Welse gezielt manipuliert, dass sie auf das Erkennen einer Prüfstandsituation programmiert ist und speziell für diese Situation zu Täuschungszwecken einen Arbeitsmodus vorsieht, der im realen Fährbetrieb nicht zur Verfügung steht. Wie ein solcher Mechanismus rechtlich zu bewerten wäre, steht daher hier nicht zur Diskussion. Zwischen den Parteien ist vielmehr unstreitig, dass das streitgegenständliche Fahrzeug einen sogenannten „Thermofenster’-Mechanismus aufweist, der das Abgasrückführungsverhalten des Motors nach Maßgabe der realen Betriebsbedingungen steuert.
Die Parteien haben sich eingehend mit der Frage beschäftigt, ob dieser Thermofenster-Mechanismus mit den Vorgaben des einschlägigen Unionsrechts in Einklang steht. Diese Frage wird in Rechtsprechung, Literatur und Rechtspolitik nicht einheitlich beantwortet. Umstritten ist nicht nur, ob es sich bei diesem Mechanismus um eine Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 3 Nr. 10 der einschlägigen Verordnung (EG) 715/2007 handelt. Unklar ist außerdem, ob der Mechanismus dem Regelverbot des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung unterfällt oder nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst, a) der Verordnung ausnahmsweise als zulässig anzusehen ist, weil er notwendig ist, um den Motor vor Beschädigungen zu schützen.
Selbst wenn alle diese Fragen im Sinne der Klägerin zu beantworten wären, wäre damit der Nachweis eines im Sinne des § 826 BGB verwerflichen Handelns der Beklagten nicht geführt. Die Beklagte hat unbestritten vorgetragen, der streitgegenständliche Mechanismus diene dazu, bei ungünstigen Betriebsbedingungen Motorschäden zu vermeiden. Sie nimmt damit Bezug auf eine Zielsetzung, die in Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst, a) der einschlägigen Verordnung unionsrechtlich ausdrücklich anerkannt ist und das allgemeine Verbot des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung insoweit begrenzt.
Man mag diese Ausnahmeregelung für nicht hinreichend bestimmt und für umweltpolitisch kritikwürdig oder verfehlt halten. Das ändert nichts daran, dass es sich um geltendes Unionsrecht handelt. Eine Auslegung dieser Bestimmung, wonach ein Thermofenster-Mechanismus zulässig sei, wird nach verbreiteter Rechtsauffassung als jedenfalls nicht unvertretbar angesehen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, Az. 10 U 134/19; OLG Nürnberg, Urteil vom 19.07.2019, Az. 5 U 1670/18; OLG Nürnberg, Beschluss vom 02.10.2019, Az. 5 U 1783/19; OLG Köln, BeSchluss vom 04.07.2019, 3 U 148/18; OLG Köln, Beschluss vom 10.09.2019, Az. 16 U 193/19; Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 18.09.2019, Az. 12 U 123/18). Selbst dann, wenn sich im Laufe der weiteren Rechtsdiskussion die Auffassung durchsetzen würde, Abschaltmechanismen wie der hier streitgegenständliche seien von der genannten Ausnahmeregelung nicht gedeckt, erschiene es schwerlich vertretbar, die abweichende Auslegung eines offenkundig auslegungsfähigen und -bedürftigen Tatbestandes (vgl. die Ergebnisse des einschlägigen Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages in BT-Drs. 18/12900, S. 536 ff.) als „verwerflich“ im Sinne des § 826 BGB zu brandmarken, und dies mit Rückwirkung auf das Jahr 2011.
c) Bei dieser Sachlage kommt es nicht mehr darauf an, durch wen und in welcher Weise im vorliegenden Fall der subjektive Tatbestand des § 826 BGB (Vorsatz bezgl. Sittenverstoß und Schaden) erfüllt sein könnte und ob die Beklagte insoweit eine sekundäre Darlegungslast treffen würde. Auch insoweit erschiene es fernliegend, an eine vertretbare Auslegung des Unionsrechts den qualifizierten Verschuldensvorwurf des § 826 BGB zu knüpfen.
2. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB
Ein Betrugsvorwurf wäre im vorliegenden Fall schon deshalb nicht zu rechtfertigen, weil das streitgegenständliche Aggregat nach unwidersprochenem Sachvortrag der Beklagten zum Herstellungszeitpunkt (2011) die seinerzeit maßgeblichen Abgasgrenzwerte des NEFZ einhielt und damit eine diesbezügliche Täuschung des Rechtsverkehrs ausscheidet.
3. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6. 27 EG-FGV
Bei den Zulassungsvorschriften der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV handelt es sich nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB (dazu OLG München, Beschluss vom 29.08.2019, Az. 8 U 1449/19). Denn Schutzgüter dieser Vorschriften sind nach den Erwägungsgründen der einschlägigen Richtlinie 2007/46/EG (dort Nr. 3) Verkehrssicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamer Schutz gegen unbefugte Fahrzeugbenutzung, nicht aber individuelle Vermögensinteressen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.


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