Europarecht

Keine wirksame Ersatzzustellung durch Übergaben an einen Angehörigen eines Sicherheitsdienstes

Aktenzeichen  M 6 S 16.50628

Datum:
20.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG AsylG § 10 Abs. 2 S. 4, Abs. 5, § 34a Abs. 2 S. 2
VwZVG VwZVG § 3, § 8
ZPO ZPO § 178 Abs. 1 Nr. 3, § 181
VwZG VwZG § 3 Abs. 2 S. 1

 

Leitsatz

Eine Ersatzzustellung durch Übergaben an einen Angehörigen eines Sicherheitsdienstes ist unzulässig. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Antragsverfahren M 6 S 16.50628 wird abgelehnt.
II.
Die Antragsgegnerin wird angewiesen, die zuständige Ausländerbehörde anzuweisen, vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache M 6 K 16.50627 von einer Überstellung des Antragstellers nach Bulgarien abzusehen.
III.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen seine Überstellung nach Bulgarien nach der Dublin III-VO. Ein bereits erfolgter erster Versuch einer Abschiebung schlug fehl.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte mit Bescheid vom 17. Juni 2016 den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Bulgarien an (Bl. 91 ff. der Akte des Bundesamts).
Ausweislich der Postzustellungsurkunde erfolgte am … Juni 2016 eine Ersatzzustellung durch Niederlegung bei einer Postfiliale (Bl. 137 f.). Die schriftliche Mitteilung über die Niederlegung sei in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben worden, nämlich „Beim Sicherheitsdienst abgegeben“.
Der Bescheid gelangte jedoch mit seinem Umschlag am … Juli 2016 an das Bundesamt zurück (Bl. 156). Auf dem Umschlag war die Adresse des Antragstellers durchgestrichen und darunter von einer unbekannten Person vermerkt: „unbekannt verzogen“.
In einem Begleitschreiben hierzu von der Deutschen Post vom … Juli 2016 (Bl. 155) wurde mitgeteilt, dass das Schriftstück nachträglich im Bereich der Deutschen Post AG aufgefunden worden sei. Die näheren Umstände seien nicht bekannt, so dass hierzu keine weiteren Angaben gemacht werden könnten.
Am … August 2016 erhob der Antragsteller zur Niederschrift beim Bayerischen Verwaltungsgericht München Klage mit dem Antrag, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm eine Entscheidung über seinen Asylantrag rechtswirksam zuzustellen, so dass ihm der Rechtsweg eröffnet werden. Er habe nie Post vom Bundesamt erhalten und dadurch nicht gegen eine Entscheidung rechtlich vorgehen können. In einem weiteren Schriftstück beantragte er außerdem Prozesskostenhilfe und einen Anwalt.
Der Bevollmächtigte des Antragstellers meldete mit Schriftsatz vom … August 2016 Zweifel an der Zulässigkeit der erhobenen Klage an und beantragte hilfsweise die Feststellung, dass von dem Bescheid des Bundesamts im Verfahren des Antragstellers keine Rechtswirkung ausgehe. Für den Fall einer wirksamen Zustellung beantragte er weiter hilfsweise die Aufhebung des Bescheids und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zudem beantragte er gemäß § 123 VwGO,
das Bundesamt zu verpflichten, die …-stadt A. anzuweisen, einstweilen von der Vollziehung der Abschiebungsanordnung im Verfahren des Antragstellers abzusehen.
Hilfsweise beantragte er, gemäß § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin übersandte mit Schreiben vom 27. Juni 2016, 10. August 2016 und 23. August 2016 ihre (jeweils ergänzte) Akte, in die der Bevollmächtigte des Antragsgegners am … August 2016 Einsicht nahm.
Sodann äußerte er mit Schriftsatz vom … September 2016 die Auffassung, dass eine fehlerhafte, nicht geheilte Zustellung des Bescheids vom 17. Juni 2016 vorliege. Insbesondere führte er aus, dass der Sicherheitsdienst Bewachungsaufgaben habe, jedoch nicht für die Postverteilung zuständig sei. Da der Antragsteller in einer Unterkunft gewohnt habe, hätte die Zustellung an den Leiter oder dessen Vertreter erfolgen müssen. Die Praxis, die sich offenbar eingespielt habe, dass die Postsendungen an der Pforte abgegeben würden, ohne dass von dort eine Weiterleitung erfolge, sei nicht ordnungsgemäß. Offenkundig sei nicht nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO verfahren worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten im vorliegenden Antragsverfahren und im zugehörigen Klageverfahren M 6 K 16.50627 sowie auf die Akten der Antragsgegnerin ergänzend Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag nach § 123 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – (der von Seiten des Gerichts zunächst als Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO aufgefasst und so angelegt wurde) ist begründet und hat daher im tenorierten Umfang Erfolg.
Maßgeblich zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Asylgesetz – AsylG – wegen der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung der Zeitpunkt, in dem der vorliegende Beschluss erlassen wird.
Mit dieser Maßgabe steht für die erkennende Kammer nach summarischer Prüfung mit hinreichender Sicherheit fest, dass der Bescheid des Bundesamts vom 17. Juni 2016 fehlerhaft ersatzzugestellt wurde und dieser Zustellungsmangel nicht geheilt wurde. Der Bescheid wurde dem Antragsteller also bislang nicht bekannt gegeben. Eine Anfechtungsklage dagegen wäre noch ebenso unstatthaft wie ein hierzu gestellter Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
§ 10 AsylG enthält detaillierte Zustellungsvorschriften, die sehr formalisiert sind und einem Ausländer bestimmte Pflichten auferlegen, deren Vernachlässigung für ihn zu Rechtsnachteilen führen kann. So gilt nach § 10 Abs. 2 Satz 4 AsylG eine Sendung unter bestimmten Voraussetzungen selbst dann als zugestellt, wenn sie dem Ausländer nicht zugestellt werden konnte und die Sendung als unzustellbar zurückgekommen ist. Daher müssen andererseits an die Einhaltung der Voraussetzungen hierfür strenge Anforderungen gestellt werden.
Nach § 10 Abs. 5 AsylG bleiben die Vorschriften über die Ersatzzustellung unberührt.
Für die Ausführung einer Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde nach § 3 Verwaltungszustellungsgesetz – VwZG – gelten nach § 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG die §§ 177 bis 182 der Zivilprozessordnung – ZPO – entsprechend unter Berücksichtigung der § 3 Abs. 2 Sätze 2 und 3 VwZVG.
Eine Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO erfolgte ausweislich der Postzustellungsurkunde (Bl. 137 und 138) nicht.
Die Ersatzzustellung durch Niederlegung nach § 181 Abs. 1 ZPO wiederum erfolgte unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften.
Zwar ist aus der Postzustellungsurkunde ersichtlich, dass die schriftliche Mitteilung über die Niederlegung in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben worden sein soll, § 181 Abs. 1 Satz 3 ZPO. Dort ist aber als Art der Abgabe vermerkt: „Beim Sicherheitsdienst abgegeben“.
Bei der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise muss es sich jedoch um eine rechtlich zulässig und tatsächlich zuverlässige Weise handeln. Das sieht die erkennende Kammer bei einer Übergabe an einen Angehörigen eines Sicherheitsdienstes – dessen Name nicht einmal vermerkt worden ist – nicht als gegeben an. Wären Angehörige des Sicherheitsdienstes hierzu befugt, so würde es sich vielmehr schon um eine Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO gehandelt haben müssen.
Für die Heilung von Zustellungsmängeln nach § 8 VwZVG ist es erforderlich, dass das zuzustellende Dokument dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist.
Das ist hier nicht der Fall gewesen. Der Antragsteller hat den Bescheid vom 17. Juni 2016 unstreitig nicht selbst erhalten. Vielmehr kam es zu einer Rücksendung dieses Bescheids im Umschlag an das Bundesamt (Bl. 156) unter Umständen, die von der Post nicht mehr aufgeklärt werden konnten (Schreiben der Deutschen Post vom …7.2016; Bl. 155). Dabei verwundert insbesondere, dass auf dem Umschlag die Adresse durchgestrichen ist und eine unbekannte Person „unbekannt verzogen“ notierte, obwohl der Antragsteller unverändert unter der angegebenen Adresse wohnte.
Weil der Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO Erfolg hat, bedarf der Antragsteller der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht (mehr).
Abschließend sei angemerkt, dass nach Aktenlage (Bl. 52) die Überstellungsfrist hinsichtlich Bulgarien am … September 2016 ungehindert abgelaufen sein dürfte. Der Antragsteller hat nach obigen Ausführungen mit vorliegendem Antrag schon gar keinen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung im Sinne des § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylG stellen können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b Abs. 1 AsylG nicht erhoben.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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