Europarecht

Kostenerstattung für die Leistung des begleiteten Umgangs

Aktenzeichen  B 3 K 16.576

Datum:
26.6.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 142302
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Bayreuth
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII § 86 Abs. 1, Abs. 6

 

Leitsatz

Wenn den leiblichen Eltern das Sorgerecht entzogen wird und diese nach Beginn einer Jugendhilfeleistung unterschiedliche gewöhnliche Aufenthalte begründen, bleibt der örtliche Träger für die Erstattung erbrachter Leistungen der Jugendhilfe am Ort des Kindes und der Pflegefamilie zuständig.  (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verpflichtet, an den Kläger 1.147,80 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.08.2016 sowie weitere 71,87 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.09.2016 zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

Über die Klage kann ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid, der als Urteil wirkt, entschieden werden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden gemäß § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid gehört.
Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg.
1. Ein Erstattungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte ist nach den Regelungen zur Kostenerstattung für die streitgegenständliche Leistung des begleiteten Umgangs gemäß § 89a Abs. 1 Sozialgesetzbuch Achtes Buch – Kinder und Jugendhilfe (SGB VIII) in der geltend gemachten Höhe gegeben.
a) Nach § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind Kosten, die ein örtlicher Träger auf Grund einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten, der zuvor zuständig war oder gewesen wäre. Ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII wäre hier die Beklagte für die streitgegenständliche Leistung örtlich zuständig gewesen.
aa) Eine Zuständigkeit der Beklagten wäre ohne die Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII begründet worden. Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII ist für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich die Eltern ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Die leiblichen Eltern von … hatten im Zeitpunkt des Antrags und des Leistungsbeginns im September 2013 bzw. im Januar/Februar 2014 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Stadtgebiet der Beklagten. Dass die leiblichen Eltern unabhängig voneinander und zeitlich verschieden in das Stadtgebiet der Beklagten gezogen waren und dort getrennt lebten, sowie das Sorgerecht ihnen bereits 2004 entzogen worden war, hindert nicht die Begründung einer Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Der Wortlaut der Norm stellt alleine auf den Aufenthalt der (leiblichen) Eltern im Zuständigkeitsbereich desselben Jugendhilfeträgers ab (vgl. Bohnert in Hauck/Noftz, SGB VIII, § 86 Rn. 9) und knüpft hiermit an den räumlichen Verantwortungsbereich des jeweiligen örtlichen Trägers an. Hingegen ist ein gemeinsamer Wohnsitz der (leiblichen) Eltern und auch das Bestehen des Sorgerechts bei den (leiblichen) Eltern nach dem Willen des Gesetzgebers keine Tatbestandsvoraussetzung für die Anwendbarkeit des § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII (vgl. Bohnert in Hauck/Noftz, SGB VIII, § 86 Rn. 11 m.w.N.).
bb) Auch der am 02.07.2015 erfolgte Wegzug des leiblichen Vaters aus dem Stadtgebiet der Beklagten in den Landkreis … hat auf die Erstattungspflicht der Beklagten keinen Einfluss. Zwar wird gemäß § 89a Abs. 3 SGB VIII der örtliche Träger kostenerstattungspflichtig, der ohne Anwendung des § 86 Abs. 6 SGB VIII örtlich zuständig geworden wäre, wenn sich während der Gewährung der Leistung nach § 89a Abs. 1 SGB VIII der für die örtliche Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 bis 5 SGB VIII maßgebliche gewöhnliche Aufenthalt ändert. Allerdings würde sich im vorliegenden Fall eine nach § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII begründete Zuständigkeit auf Grund der Regelung des § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII nicht ändern. Hiernach bleibt die bisherige Zuständigkeit bestehen, wenn den (leiblichen) Eltern das Sorgerecht nicht zusteht und diese nach Beginn der Leistung – hier der Gewährung des begleiteten Umgangs – unterschiedliche gewöhnliche Aufenthalte begründen.
cc) Schließlich war die Gewährung des begleiteten Umgangs durch den Kläger auch von seiner im Rahmen des § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII begründeten Zuständigkeit mitumfasst. Durch den Zuständigkeitsübergang gehen nicht nur die Verpflichtungen aus der zu Grunde liegenden Gewährung von Hilfe zur Erziehung oder zur Eingliederungshilfe, sondern auch die Zuständigkeit für die weiteren Leistungen nach dem SGB VIII mit auf den neuen Jugendhilfeträger über (vgl. Bohnert in Hauck/Noftz, SGB VIII, § 86 Rn. 84 am Ende). Zum einen soll hier eine umfassende Zuständigkeit des Jugendamts am Ort des Kindes und der Pflegefamilie begründet werden, um Leistungen der Jugendhilfe möglichst ortsnah erbringen zu können. Zum anderen soll im Rahmen der Kostenerstattung aber auch sichergestellt werden, dass die Pflegeorte durch die Aufnahme von Pflegekindern in ihren Zuständigkeitsbereich nicht zusätzlich finanziell belastet werden. Beides kann nur erreicht werden, wenn auch Leistungen wie der hier streitgegenständliche begleitete Umgang mit von dem Zuständigkeitsübergang des § 86 Abs. 6 SGB VIII erfasst werden, weil die Jugendhilfeleistungen das Pflegekind betreffen, auch wenn der konkrete Anspruchsinhaber nicht das Pflegekind selbst, sondern dessen (leiblicher) Vater ist.
dd) Hinsichtlich der Notwendigkeit und der Höhe der Kosten des begleiteten Umgangs bestehen keine Bedenken. Zunächst handelt es sich bei dem Recht auf Umgang um ein verfassungsmäßig geschütztes Recht des leiblichen Vaters, so dass dessen Recht auf Umgang mit … dem Grunde nach nicht in Frage steht. Deshalb ist es auch geboten, auf Grund der auch von der Beklagten gesehenen Schwierigkeiten, die bei den Umgängen zwischen … mit ihrem (leiblichen) Vater hervortraten, adäquate Leistungen der Jugendhilfe in Form von Umgangsbegleitung gemäß § 18 Abs. 3 Satz 3 SGB VIII zu gewähren. Jedenfalls ist diese Form der Hilfeleistung vor dem Hintergrund der eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Überprüfung darauf, ob allgemeingültige fachliche Maßstäbe beachtet, keine sachfremden Erwägungen eingeflossen und die Leistungsadressaten beteiligt worden sind (vgl. BVerwG, U.v. 24.06.1999 – 5 C 24/98, juris, Rn. 39), nicht zu beanstanden. Vielmehr erweist sich die Hilfeleistung in Form eines begleiteten Umgangs durch einen freien Träger der Jugendhilfe, der über für die Begleitung des Umgangs geeigneten Fachkräfte verfügt und dadurch den Umgang zwischen … und ihrem (leiblichen) Vater zu einem Stundensatz von 47,91 Euro ermöglicht, als eine angemessene, fachlich vertretbare und nachvollziehbare Lösung zur Bewältigung der festgestellten Belastungssituation.
b) Die Verzinsung des Zahlungsanspruchs des Klägers erfolgt entsprechend §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit mit Eingang der entsprechenden Anträge beim Verwaltungsgericht (§ 90 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
c) Da die Klage bereits im Hauptantrag Erfolg hat, war über den gestellten Hilfsantrag nicht mehr zu entscheiden.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Als unterlegener Beteiligter hat die Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen.
3. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 und 2, 709 Satz 2 ZPO.


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