Europarecht

Kostentragung bei Erledigungserklärung nach Aufhebung eines Dublin-Bescheids wegen Ablaufs der Überstellungsfrist

Aktenzeichen  AN 17 K 19.50816

Datum:
4.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 14540
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 161 Abs. 2
VwVfG § 43 Abs. 2
Dublin III-VO Art. 29 Abs. 1
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a

 

Leitsatz

1. Hebt das Bundesamt einen angefochtenen Dublin-Bescheid wegen Ablaufs der Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 UAbs. 1, Abs. 2 S. 1 Dublin III-VO auf, liegt hierin für den zugrunde liegenden Rechtsstreit das erledigende Ereignis. Demgegenüber führt allein der Ablauf der Überstellungsfrist nicht zur Erledigung des Bescheids nach § 43 Abs. 2 VwVfG und bildet daher auch nicht den zeitlichen Bezugspunkt der summarischen Prüfung des hypothetischen Ausgangs des Rechtsstreits (VGH München BeckRS 2020, 14679). (Rn. 3) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Das Bundesamt muss Entscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AsylG während der Dauer eines Gerichtsverfahrens “unter Kontrolle halten”. Nachteilige Veränderungen gehen dabei prinzipiell zu seinen Lasten (VGH München BeckRS 2020, 14679). (Rn. 4) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Dient der Gang ins Kirchenasyl aus Sicht des Betroffenen der Verhinderung der Abschiebung, erweist sich diese gleichwohl objektiv-rechtlich als möglich und beruht der Verzicht auf deren Vollzug lediglich der Respektierung kirchlich-humanitärer Traditionen (OLG München BeckRS 2018, 7252), sodass dieser Umstand rechtlich dem Bundesamt zuzurechnen ist. (Rn. 5) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Die Aussetzung der Abschiebung nach § 80 Abs. 4 VwGO iVm Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO führt nicht zur Unterbrechung der Überstellungsfrist (VG Ansbach BeckRS 2020, 26548). (Rn. 6) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

1. Das Verfahren wird eingestellt.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Nachdem der Kläger durch seine Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 21. Mai 2021 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt hat und die Beklagte mit Schriftsatz vom 14. April 2021 der Erledigungserklärung bereits vorab zugestimmt hatte, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und über die Kosten des Verfahrens gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen zu entscheiden.
In der Regel entspricht es billigem Ermessen, demjenigen Beteiligten die Kosten aufzuerlegen, der – nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage – ohne die Erledigung im Verfahren voraussichtlich unterlegen wäre.
Als erledigendes Ereignis ist hier die Aufhebung des angefochtenen Dublin-Bescheids mit Abschiebungsanordnung nach Griechenland vom 6. August 2019 durch Schriftsatz des Bundesamts vom 14. April 2021 in Folge des Ablaufs der sechsmonatigen Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1, Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EU) 604/2013 (Dublin III-VO) anzusehen; der Ablauf der Überstellungsfrist für sich genommen führt hingegen nicht zur Erledigung des Bescheids nach § 43 Abs. 2 VwVfG und ist deshalb nicht zeitlicher Bezugspunkt der summarischen Prüfung des hypothetischen Ausgangs des Rechtsstreits (BVerwG, U.v. 27.4.2016 – 1 C 24.15 – juris Rn. 9, BayVGH, B.v. 18.5.2020 – 3 ZB 20.50004/50005 – juris Rn. 5, VG Frankfurt/Oder, B.v. 15.12.2017 – 2 K 1092/17.A – juris Rn. 7 ff., VG Dresden, B.v. 16.5.2019 – 1 K 2225/18.A – juris Rn. 4; a.A. BayVGH, B.v. 30.3.2015 – 21 ZB 15.50026 – juris Rn. 2; B.v. 22.11.2017 – 9 ZB 17.50037 – juris Rn. 3).
Dies zugrunde gelegt sind die Kosten des Verfahrens der Beklagten aufzuerlegen, weil diese ohne die Aufhebung unterlegen wäre, da nach Ablauf der Überstellungsfrist die Zuständigkeit für das Asylverfahren des Klägers gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO auf die Beklagte überging und damit die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG und die auf sie aufbauenden Folgeentscheidungen rechtswidrig macht. Dieser Rechtsnachteil ist der Beklagten gesetzlich zugewiesen; er folgt aus dem nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung. Daraus folgt, dass das Bundesamt seine Entscheidung während der Dauer des Gerichtsverfahrens „unter Kontrolle zu halten“ hat und nachteilige Veränderungen prinzipiell zu Lasten des Bundesamtes gehen (BayVGH, B.v. 18.5.2020 – 3 ZB 20.50004/50005 – juris Rn. 7; VG Würzburg, B.v. 26.3.2020 – W 10 K 19.50533 – juris Rn. 4).
Es besteht kein Anlass, von dieser Entscheidung deshalb abzuweichen und den Kläger an der Kostenlast zu beteiligen, weil nicht das Bundesamt selbst, sondern die zuständige Ausländerbehörde die Abschiebungsanordnung des Bundesamtes umzusetzen hat. Zwar hat das Bundesamt nur bedingt Einfluss auf das Tätigwerden der Ausländerbehörde, noch weitaus weniger Einfluss auf die Durchsetzung des Bundesamtsbescheids hat aber der Kläger selbst (vgl. auch BayVGH, B.v. 18.5.2020 – a.a.O). Da dieser sich nicht durch Flucht, Untertauchen oder ähnlichem der Abschiebung entzogen hat, wäre es nach Ansicht des Gerichts unbillig, ihn an den Kosten des Verfahrens zu beteiligen. Der Gang ins Kirchenasyl erfolgte aus Klägersicht zwar in der Absicht der Verhinderung der Abschiebung, objektiv-rechtlich war eine solche aber möglich und beruhte der Verzicht hierauf lediglich auf der Respektierung kirchlich-humanitärer Tradition (OLG München, U.v. 3.5.2018 – 4 OLG 13 Ss 54/18), so dass dieser Umstand rechtlich dem Beklagten zuzurechnen ist.
Auch die Nichtvollziehung der Abschiebung aufgrund der Corona-Pandemie ist kein Umstand, der der Sphäre des Klägers entspringt und führt deshalb nicht zu einer anderen Kostenverteilung. Nach der Rechtsprechung der Kammer führte auch die Aussetzung der Abschiebung nach § 80 Abs. 4 VwGO i.V.m. Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO nicht zur Unterbrechung der Überstellungsfrist (VG Ansbach, B.v. 23.7.2020 – AN 17 E 20.50215, U.v. 11.9. 2020 – AN 17 K 20.50158, U.v. 17.11.2020 – AN 17 K 19.51109 – jeweils juris).
Es verbleibt damit bei der Kostenentscheidung zu Lasten der Beklagten.
Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylG.


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