Europarecht

Lebensmittelrecht, Ethylenoxid, 2-Chlorethanol, Untersagung des Inverkehrbringens, Sperrung der im Lager befindlichen Ware, VO (EU) 2017/625 über amtliche Kontrollen und andere amtliche Tätigkeiten zur Gewährleistung der Anwendung des Lebens- und Futtermittelrechts und der Vorschriften über Tiergesundheit und Tierschutz, Pflanzengesundheit und Pflanzenschutzmittel, Johannisbrotkernmehl (KontrollVO), VO (EG) Nr. 178/2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen, Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (BasisVO), VO (EG) Nr. 1333/2008 über Lebensmittelzusatzstoffe (ZusatzstoffVO)

Aktenzeichen  M 26a S 21.6633

Datum:
3.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 3467
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VO (EU) 2017/625 Art. 138 Abs. 1 Buchst. b)
VO (EU) 2017/625 Art. 138 Abs. 2 Buchst. d)
Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) VO (EG) Nr. 178/2002
Art. 14 Abs. 2 Buchst. b) VO (EG) Nr. 178/2002
Art. 5 i.V.m. Art. 14 VO (EG) Nr. 1333/2008

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 291.276,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1. Streitgegenständlich ist die Untersagung des Inverkehrbringens und die Sperrung der Speiseeisprodukte „A.eis nach italienischer Art mit hochwertiger Bourbon-Vanille aus Madagaskar, frischer Vollmilch und frischer Schlagsahne“, „B.eis nach italienischer Art mit Edelkakao und frischer Vollmilch“, „Veganes C. nach italienischer Art“ und „D.Eis nach italienischer Art mit frischem Joghurt und Blütenhonig“, in denen mit 2-Chlorethanol belastetes Johannisbrotkernmehl bestimmter Chargen verarbeitet wurde.
2. Mit E-Mail vom … Juli 2021 teilte die Firma A. … ihren Kunden, so auch der Antragstellerin, mit, von ihrem Lieferanten darüber informiert worden zu sein, dass in Stichproben von Johannisbrotkernmehl eine ETO-Belastung (Summe aus Ethylenoxid und 2-Chlorethanol, ausgedrückt als Ethylenoxid) gefunden worden sei. Der Lieferant habe gebeten, das Johannisbrotkernmehl nicht weiter einzusetzen, da die Ware mit dem gefundenen Wert nicht mehr verkehrsfähig wäre bzw. den zulässigen Grenzwert überschritten hätte. Die Firma A. … bat ihre Kunden, Ware mit den Chargen Charge/Lot A. . …, Charge/Lot B. . …, Charge/Lot C. . …, Charge/Lot D. . …, Charge/Lot E. . … und Charge/Lot F. . … zu sperren und nicht weiter zu verarbeiten. Das für die lebensmittelrechtliche Überwachung der Firma A. … zuständige Landratsamt A. wurde ebenfalls informiert.
Von diesem Sachverhalt wurde u.a. der Antragsgegner mit E-Mail der Regierung von Oberbayern, Verbraucherschutz, vom … Juli 2021 in Kenntnis gesetzt und um weitere Veranlassung gebeten.
Ebenfalls am … Juli 2021 unterrichtete die Antragstellerin den Antragsgegner gemäß Art. 19 Abs. 3 der VO (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. EG L 31 vom 1.2.2002, S. 1, im Folgenden: BasisVO). Der Meldung beigefügt war eine toxikologische Bewertung einer von der IHK für M. und O. öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Lebensmittelchemie der … GmbH vom … Juli 2021 und eine juristische Bewertung durch die Bevollmächtigten der Antragstellerin, ebenfalls vom … Juli 2021.
Der toxikologischen Bewertung vom … Juli 2021 zufolge ist 2-Chlorethanol das Hauptabbauprodukt von Ethylenoxid. Ethylenoxid ist ein erbgutverändernder und krebserzeugender Stoff, die potentielle Kanzerogenität von 2-Chlorethanol werde in Fachkreisen kontrovers diskutiert. Dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zufolge sollte bis zu einer abschließenden Klärung 2-Chlorethanol toxikologisch mit Ethylenoxid gleichgestellt werden. Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) erachte 2-Chlorethanol hingegen nicht als krebserzeugend, da keine Tierversuchsdaten auf eine eindeutige Kanzerogenität hindeuten würden; Rückstände an 2-Chlorethanol seien separat von Ethylenoxid zu bestimmen und zu bewerten. Die analysierten Befunde im Eis hätten ergeben, dass in allen vier Speiseeissorten Ethylenoxid als Einzelwert nicht nachweisbar sei. 2-Chlorethanol sei im C. mit 0,10 mg/kg, im A.eis mit 0,11 mg/kg, im B.eis mit 0,091 mg/kg und im D.Eis mit 0,058 mg/kg analysiert worden, die Analyse von Ethylenoxid als Summenparameter habe beim C. 0,055 mg/kg, beim A.eis 0,060 mg/kg, beim B.eis 0,050 mg/kg und beim D.Eis 0,032 mg/kg betragen. Alle Analysenergebnisse hätten gezeigt, dass die vorliegenden Belastungen ausschließlich auf 2-Chlorethanol zurückzuführen seien, Ethylenoxid selbst jedoch nicht detektierbar bzw. nicht nachweisbar gewesen sei, weshalb nur die Menge von 2-Chlorethanol und nicht die als Ethylenoxid ausgedrückte Summe dieser beiden Stoffe betrachtet werde. Die anhand der Analysen im Johannisbrotkernmehl berechneten Chlor-ethanol-Befunde seien geringer als die in den Endprodukten analysierten Werte gewesen, weshalb letztere bei der Risikobewertung zugrunde gelegt worden seien. Unter Berücksichtigung des höchsten 2-Chlorethanol-Befundes im Eis (0,11 mg/kg) und unter Anwendung des Referenzwertes für 2-Chlorethanol von 0,824 mg/kg müsste bei einem Erwachsenen (70 kg) die Menge von 57,7 mg 2-Chlorethanol pro Tag bei einer kurzfristigen Aufnahme überschritten werden, ab dann mit einer gesundheitlichen Wirkung zu rechnen sei. Bei Kindern (16,15 kg) läge die entsprechende Menge an 2-Chlorethanol bei 13,3 mg. Diese Mengen wären im vorliegenden Fall (höchster Chlorethanol-Befund von 0,11 mg/kg im Eis) erst bei einem Tagesverzehr von 524 kg Eis (Erwachsener) bzw. von 121 kg Eis (Kind) erreicht, weshalb anzunehmen sei, dass die vier betroffenen Eisvariationen bei kurzfristiger Aufnahme nicht gesundheitsschädlich seien.
Im Hinblick auf den angenommenen Referenzwert für 2-Chlorethanol von 0,824 mg/kg wurde ausgeführt, dass in Europa noch von keiner wissenschaftlichen Behörde ein Schwellenwert für die orale Aufnahme von 2-Chlorethanol abgeleitet worden sei. Die US EPA (environmental protection agency) habe bei ihrer Bewertung im Jahre 2020 den aus einer Tierstudie an Ratten etablierten NOAEL (no observed adverse effect level – Dosis ohne beobachtete schädliche Wirkung) von 82,4 mg/kg Körpergewicht als Referenzwert herangezogen. Daraus habe die EPA unter Berücksichtigung eines Sicherheitsfaktors von 100 eine cPAD (chronic population adjusted dose) von 0,824 mg/kg Körpergewicht abgeleitet. Dieser Wert sei auch für eine akute Disposition ausgewählt worden. Der Wert von 0,824 mg/kg Körpergewicht könne daher auch als provisorischer Referenzwert für eine kurzfristige Aufnahme dienen. Das heiße, dass erst ab einer Dosis oberhalb dieses Wertes mit toxischen Effekten zu rechnen sei. Diese von der EPA abgeleitete cPAD stelle auch die wissenschaftliche Basis für den Höchstgehalt an 2-Chlorethanol in den USA und Kanada dar, der für die meisten Lebensmittel bei 940 mg/kg liege.
Zum rechtlichen Rahmen wurde im Schreiben der Bevollmächtigten der Antragstellerin vom … Juli 2021 ausgeführt, dass nach Art. 14 Abs. 1 BasisVO Lebensmittel nicht in den Verkehr gebracht werden dürfen, wenn sie nicht sicher seien. Nicht sichere Lebensmittel sollen nach Art. 19 BasisVO zurückgenommen oder zurückgerufen werden. Spezifische Vorschriften dazu, wann Lebensmittel, die Ethylenoxid enthalten, als sicher oder nicht sicher gelten würden, existierten nicht. In der VO (EG) Nr. 396/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Februar 2005 über Höchstgehalte an Pestizidrückständen in oder auf Lebens- und Futtermitteln pflanzlichen und tierischen Ursprungs (ABl. EU L 70 vom 16.3.2005, S. 1, im Folgenden: PestizidrückständeVO) sei zwar für Ethylenoxid in Johannisbrot ein Rückstandshöchstgehalt von 0,10 mg/kg (ausgedrückt als Summenwert für Ethylenoxid und 2-Chlorethanol) festgelegt. Dieser Rückstandshöchstgehalt bezeichne aber zum einen nur eine regulatorische Vorgabe, enthalte mithin keine Aussage zur Lebensmittelsicherheit, geschweige denn lege er einen Rückruf oder eine Rücknahme fest. Zum anderen betreffe er nur die Verwendbarkeit von Johannisbrot als solches; für weiterverarbeitete oder zusammengesetzte Erzeugnisse, die mit Ethylenoxid belastetes Johannisbrot enthielten, gebe es keine gesetzlich festgelegten spezifischen Grenzwerte. Demzufolge sei die Lebensmittelsicherheit anhand der allgemeinen Bestimmungen der BasisVO zu beurteilen. Es sei eine Risikobewertung vorzunehmen, die am konkreten Fall orientiert sei und sämtliche Umstände einbeziehe. Die Risikobewertung müsse – zwingend – den spezifischen in Rede stehenden Stoff und dessen spezifischen Gehalt im Lebensmittel berücksichtigen. Während man dafür zu Beginn der Ethylenoxid-Problematik, d.h. nach Bekanntwerden der ersten Ethylenoxid-Befunde, vornehmlich in Sesam, noch auf den Summenparameter abgestellt habe, sei eine solche Vorgehensweise nunmehr überholt. Für eine verlässliche und nachvollziehbare Prüfung der Lebensmittelsicherheit sei vielmehr maßgeblich, ob und ggf. in welcher Konzentration Ethylenoxid einerseits und 2-Chlorethanol (das auf Ethylenoxid umgerechnet werde) andererseits in dem betroffenen Lebensmittel vorlägen. Auf die diesbezügliche Auffassung des LGL wurde hingewiesen. Demzufolge habe auch die Sachverständige in der toxikologischen Bewertung differenziert.
Die Lebensmittelsicherheit sei vorliegend gewährleistet. Nach Art. 14 Abs. 2 BasisVO sind Lebensmittel nicht sicher, wenn sie entweder gesundheitsschädlich oder für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind. Dem im toxikologischen Gutachten vom … Juli 2021 geäußerten Schluss der Sachverständigen, dass bei den in den betroffenen Produkten ermittelten Mengen an 2-Chlorethanol keine gesundheitlichen Auswirkungen zu erwarten seien, mithin die Produkte nicht gesundheitsschädlich i.S.v. Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) BasisVO seien, werde vollumfänglich zugestimmt. Die betroffenen Produkte seien auch nicht für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet im Sinne von Art. 14 Abs. 2 Buchst. b) BasisVO. Ungeeignet sei ein Lebensmittel nach Art. 14 Abs. 5 BasisVO, wenn es für den Verzehr inakzeptabel sei, beispielsweise aufgrund einer Kontamination durch Fremdstoffe. Bereits dieser Wortlaut zeige, dass es nicht auf das Vorliegen einer Kontamination alleine ankommen könne. Vielmehr müsse diese ihrerseits dazu führen, dass der Verzehr des Produktes inakzeptabel sei. Die Inakzeptabilität könne hier nicht aus dem Umstand hergeleitet werden, dass der Verbraucher das Vorkommen von Ethylenoxid oder 2-Chlorethanol nicht wünsche. Eine Verbrauchererwartung dergestalt, dass sämtliche Lebensmittel frei von unbeabsichtigten Einflüssen und Einträgen seien, sei bereits in tatsächlicher Hinsicht abwegig. Zudem stehe ihr entgegen, dass der Gesetzgeber in einer Vielzahl von Vorschriften Regeln zu unerwünschten Stoffen erlassen habe und damit der Gehalt derselben – jedenfalls in gewissen Grenzen – ausdrücklich legitimiert sei. Insoweit sei der vorliegende Sachverhalt mit klassischen Fällen der Kontamination wie z.B. durch Fliegeneier, Schimmel oder Mäusekot bereits im Ansatz nicht vergleichbar. Andere Gründe, aufgrund derer die Produkte „inakzeptabel“ sein sollten, würden nicht vorliegen. Wie bereits dargelegt, sei der Abstand zu einer Menge, die gesundheitliche Auswirkungen haben könnte, ausgesprochen groß. Hinzu komme, dass nicht zu erwarten sei, dass der Verbraucher jeden Tag das gleiche Eis verzehre, so dass nur ein kurzzeitiger Verzehr anzunehmen sei. Selbst wenn man annehmen sollte, dass das Produkt zum Verzehr ungeeignet nach Art. 14 Abs. 2 Buchst. b) BasisVO wäre, stehe eine Verpflichtung zur Rücknahme oder gar zum Rückruf von bereits in Verkehr gebrachten Lebensmitteln unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit gemäß Art. 17 Abs. 2 UAbs. 3 Satz 2 BasisVO bzw. Art. 20 Abs. 1 GG. Dabei sei von der Rechtsprechung anerkannt, dass insbesondere dann, wenn der Lebensmittelunternehmer den Vorfall nicht schuldhaft herbeigeführt und nach Bekanntwerden umgehend reagiert habe und anderenfalls einen schwerwiegenden Imageschaden zu befürchten hätte, die Rücknahme oder ein Rückruf nicht veranlasst sei (BVerwG, B.v. 24.08.2020 – 3 B 41/10; VGH Baden-Württemberg, U.v. 2.3.2020 – 9 S 171/09). So liege der Fall auch hier. Das in den Produkten enthaltene Johannisbrotkernmehl stamme nicht aus dem Haus der Antragstellerin, sondern von ihrem Rohwaren-Lieferanten, der Firma A. … Vor Bekanntwerden des Analysebefunds bzgl. des eingesetzten Johannisbrotkernmehls, der der Antragstellerin von ihrem Lieferanten mitgeteilt worden sei, habe sie keine Kenntnis der teilweise erhöhten Werte an 2-Chlorethanol gehabt. Nach Bekanntwerden habe die Antragstellerin sofort alle erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zur Prüfung der Angelegenheit veranlasst und umgehend die Sperrung des gesamten noch vorhandenen Warenbestandes verfügt. Überdies habe die Antragstellerin unverzüglich Maßnahmen zur Sachverhaltsaufklärung eingeleitet, Analysen der insoweit betroffenen Speiseeissorten veranlasst und eine toxikologische Bewertung der Befunde in Auftrag gegeben. Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten der Antragstellerin gebe es nicht, so dass auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip einer Rücknahme oder gar einem Rückruf entgegenstehe.
Mit E-Mail vom 27. Juli 2021 leitete der Antragsgegner die Meldung der Antragstellerin nach Art. 19 Abs. 3 BasisVO an die Regierung von Oberbayern weiter mit dem Hinweis, dass aufgrund der aktuellen Faktenlage behördliche Maßnahmen wie die Anordnung einer Rücknahme/eines Rückrufs als nicht verhältnismäßig angesehen würden.
Das von der Regierung von Oberbayern am 28. Juli 2021 um Stellungnahme gebetene LGL teilte dieser per E-Mail vom 29. Juli 2021 mit, dass aus den vorgelegten Unterlagen hervorgehe, dass von der Antragstellerin Speiseeis hergestellt worden sei, zu dessen Produktion teilweise Johannisbrotkernmehl verwendet worden sei, das den entsprechenden Standardwert (Höchstgehalt) für Ethylenoxid (Summe aus Ethylenoxid und 2-Chlorethanol) nach Anhang V der PestizidrückständeVO überschritten habe. Mit dieser Überschreitung habe das verwendete Johannisbrotkernmehl nicht den Anforderungen des Art. 18 PestizidrückständeVO in Verbindung mit deren Anhang V entsprochen. Das daraus hergestellte Eis würde damit nicht den Anforderungen des Art. 20 Abs. 1 PestizidrückständeVO sowie des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) entsprechen. Nach Art. 19 PestizidrückständeVO sei es verboten, Erzeugnisse, die Art. 18 Abs. 1 oder Art. 20 nicht entsprechen, im Hinblick auf ihr Inverkehrbringen als Lebens- oder Futtermittel oder ihre Verfütterung an Tiere zu verarbeiten und/oder zu Verdünnungszwecken mit dem gleichen Erzeugnis oder mit anderen Erzeugnissen zu mischen. Nach Informationen aus dem Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz (StMUV) seien die Regelungen aus dem dortigen Schreiben vom 23. November 2020, das sich mit Ethylenoxid und 2-Chlorethanol in Sesamsamen und in mit belasteten Sesamsamen verarbeiteten und/oder zusammengesetzten Lebensmitteln beschäftigte, auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Demnach gelte, dass, wenn Ethylenoxid im verarbeiteten/zusammengesetzten Erzeugnis nicht mehr bestimmt werden könne, die Anforderungen des Art. 20 Abs. 1 PestizidrückständeVO eingehalten seien. Insofern greife für diese Fälle das Verkehrsverbot nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 LFGB für das verarbeitete oder zusammengesetzte Erzeugnis nicht. Wegen der geringen Rückstände an 2-Chlorethanol im Fertigprodukt sei vorliegend davon auszugehen, dass dieses weder beim kurzfristigen noch langfristigen Verzehr durch Kinder und Erwachsene als gesundheitsschädlich angesehen werden müsse. Somit liege kein nicht sicheres Lebensmittel im Sinne von Art. 14 Abs. 1 BasisVO vor; demzufolge werde auch keine ausreichende Rechtsgrundlage für Maßnahmen gesehen, die für nicht sichere Lebensmittel anzuordnen seien, wie eine Rücknahme oder ein öffentlicher Rückruf.
Auf erneute Nachfrage der Regierung von Oberbayern vom 30. Juli 2021 erläuterte das LGL seine Stellungahme vom … Juli 2021 mit Schreiben vom 2. August 2021 dahingehend, dass das zitierte Schreiben des StMUV vom 23. November 2020 für den vorliegenden Fall bedeute, dass für die verarbeiteten/zusammengesetzten Erzeugnisse kein Höchstgehalt heranzuziehen sei, sondern dass die Anforderungen des Art. 20 Abs. 1 PestizidrückständeVO nicht eingehalten seien, wenn in ihnen Ethylenoxid (Summe aus Ethylenoxid und 2-Chlorethanol, ausgedrückt als Ethylenoxid) bestimmt werden könne, was bei allen vier genannten Produkten der Fall gewesen sei.
Diese Rechtsauffassung teilte der Antragsgegner, der seinerseits von der Regierung von Oberbayern am 2. August 2021 informiert wurde, mit E-Mail vom 2. August 2021 der Firma A. … mit.
Mit Schreiben vom … August 2021 zeigten die Bevollmächtigten der Antragstellerin deren Vertretung gegenüber dem Antragsgegner an und teilten – bezugnehmend auf die von der Firma A. … übermittelte E-Mail vom … August 2021 – mit, dass die Antragstellerin keine Rücknahme veranlassen werde, da es sich bei den Speiseeis-Sorten um sichere Lebensmittel i.S.d. Art. 14 BasisVO handele. Zudem werde sie noch vorhandene Ware abverkaufen. Am … Juli 2021 habe die Antragstellerin die juristische Bewertung vom … Juli 2021 sowie das toxikologische Gutachten der Sachverständigen für Lebensmittelchemie im Rahmen der Meldung gemäß Art. 19 Abs. 3 BasisVO übersandt, auf die verwiesen werde. Das Verkehrsverbot gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 LFGB sei nicht einschlägig. Gemäß dieser Vorschrift sei es verboten, Lebensmittel in den Verkehr zu bringen, die den Anforderungen nach Art. 18 Abs. 1, auch in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 PestizidrückständeVO nicht entsprechen würden. Wie bereits in der juristischen Bewertung vom … Juli 2021 dargelegt, sei die PestizidrückständeVO vorliegend jedoch überhaupt nicht anwendbar. Es gäbe keine gesetzlich festgelegten spezifischen Grenzwerte für weiterverarbeitete oder zusammengesetzte Erzeugnisse, die mit 2-Chlorethanol belastetes Johannisbrotkernmehl enthielten. Aus diesem Grund sei eine Risikobewertung nach den allgemeinen Kriterien erforderlich. Es entspreche der seit 22. Januar 2021 gültigen Einschätzung des LGL, Rückstände an 2-Chlorethanol anders zu bewerten als Ethylenoxid. Anordnungen könnten daher in Fällen, in denen lediglich ein Rückstand an 2-Chlorethanol nachgewiesen worden sei, nicht auf einen vermeintlichen Befund für „Ethylenoxid (Summe aus Ethylenoxid und 2-Chlorethanol, ausgedrückt als Ethylenoxid)“ gestützt werden. Dem Erlass einer Anordnung stehe zudem das Verhältnismäßigkeitsprinzip entgegen. Da die Speiseeis-Sorten vorliegend sicher i.S.d. Art. 14 BasisVO seien, werde die Antragstellerin keine weiteren Maßnahmen ergreifen, insbesondere werde sie die Speiseeis-Sorten nicht zurückrufen; zudem werde sie noch vorhandene Ware abverkaufen.
3. Nach Abstimmung des Antragsgegners mit der Regierung von Oberbayern bzw. dem Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz wurde der Firma B. … … mit Bescheid vom 9. August 2021 ab sofort das Inverkehrbringen der Sorten Speiseeis B., A., C. … und D. (nicht ausgeliefert, gesperrt im Lager des Herstellers), für deren Herstellung Johannisbrotkernmehl der Firma A. …, … straße, … A. mit den Chargen Charge/Lot A. . …, Charge/Lot B. . …, Charge/Lot C. . …, Charge/Lot D. . …, Charge/Lot E. . … und Charge/Lot F. . … verwendet wurde, untersagt und aufgegeben, die noch auf Lager befindliche Ware zu sperren (Nr. 1). Die Firma B. … … wurde – ab sofort – verpflichtet, die Sorten Speiseeis B., A. und C. …, für deren Herstellung Johannisbrotkernmehl der Firma A**, … straße, A. … mit den genannten Chargen verwendet wurde, aus dem Einzelhandel zurückzunehmen (Nr. 2). Die sofortige Vollziehung der Ziffern 1 und 2 wurde angeordnet (Nr. 3). Der Firma B. … … wurde aufgegeben, die erfolgte Rücknahme gemäß Ziffer 2 dem Landratsamt B. … anhand der Rücknahmemitteilungen und der Verteilerliste bis spätestens 16. August 2021 nachzuweisen (Nr. 4). Für den Fall des Inverkehrbringens der betroffenen Produkte und für den Fall der nicht oder nicht vollständigen Rücknahme der betroffenen Produkte wurde jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000,00 EUR und für den Fall der nicht oder nicht vollständigen Vorlage der betreffenden Rücknahmemitteilungen und der Verteilerliste für die betroffenen Produkte bis 16. August 2021 wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 1.000,00 EUR angedroht (Nr. 5). Der Firma B. … … wurden die Verfahrenskosten auferlegt (Nr. 6) und für den Bescheid eine Gebühr in Höhe von 500,00 EUR und Auslagen in Höhe von 14,95 EUR festgesetzt (Nr. 7).
Die Anordnung in Nr. 1 (Untersagung des Inverkehrbringens und Sperrung der noch im Lager befindlichen Ware) wurde auf § 39 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 LFGB und Art. 54 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. b) der VO (EG) 882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz (ABl. L 191 vom 28.05.2004, S.1) gestützt, die Anordnung in Nr. 2 (Rücknahme aus dem Einzelhandel) auf § 39 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 4 LFGB und Art. 54 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. c) der VO (EG) 882/2004.
4. Mit Telefax vom … August 2021 erhob die Antragstellerin durch ihre Bevollmächtigten gegen diesen Bescheid Klage (M 26a K 21.4272) und beantragte im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (M 26a S 21.4273), die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 9. August 2021, Az. … wiederherzustellen, hilfsweise die sofortige Vollziehung aufzuheben.
Der Bescheid vom 9. August 2021 richte sich gegen die nicht mehr existierende B. … …; aus diesem Grund sei der Antrag von der C. … … . … gestellt worden. Die Antragstellerin produziere unter der Marke A. … Tiefkühlpizzen. Es handele sich um ein junges Unternehmen, das sich noch in der Aufbauphase befinde. Die Antragstellerin habe dieses Jahr in die Entwicklung ihres zweiten Produktes Eiscreme und der Marke A. … sehr viel investiert und dies erst kürzlich in den Markt eingeführt. Das streitgegenständliche Verbot des Inverkehrbringens würde dazu führen, dass keine Ware für eine Belieferung der Einzelhandelsketten vorhanden und die gesamte Investition fehlgeschlagen sei, was das Unternehmen in ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen würde. Mit dem belasteten Johannisbrotkernmehl seien insgesamt 835.896 Becher à 500ml produziert worden. Davon seien bislang nur 265.824 Becher à 500ml an den Einzelhandel ausgeliefert worden. Im Lagerbestand befänden sich somit noch 582.552 Becher à 500ml; geplant sei gewesen, diese Ware bis zum Jahresende an die Einzelhändler zu bringen. Die betroffenen Produkte würden die gesamte, bis Jahresende geplante Auslieferungsmenge umfassen. Die vom Antragsgegner angeführte Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs genüge den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO nicht. Sie gebe lediglich floskelhaft die Ausführungen des Bundesministeriums für Ernährung wieder. Auf den Fall der Antragstellerin gehe der Antragsgegner nicht ein. Insbesondere werde nicht miteinbezogen, dass von den betroffenen Produkten keine Gesundheitsgefahr ausgehe.
Die angeordnete Untersagung des Inverkehrbringens der betroffenen Sorten Speiseeis sei rechtswidrig. Als Rechtsgrundlage hierfür komme nicht § 39 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 3 LFGB und Art. 54 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. b) der VO (EG) 882/2004 in Betracht, weil Art. 54 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. b) der VO (EG) 882/2004 seit 14. Dezember 2019 durch Art. 138 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. d) der VO (EU) 2017/625 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 15. März 2017 über amtliche Kontrollen und andere amtliche Tätigkeiten zur Gewährleistung der Anwendung des Lebens- und Futtermittelrechts und der Vorschriften über Tiergesundheit und Tierschutz, Pflanzengesundheit und Pflanzenschutzmittel (ABl. L 95 vom 07.04.2017, S. 1, im folgenden KontrollVO) ersetzt worden sei. Als unmittelbar in den Mitgliedstaaten geltendes EU-Recht habe Art. 138 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. d) der VO (EU) 2017/625 Vorrang vor nationalem Recht, weshalb § 39 LFGB als Eingriffsgrundlage des nationalen Rechts unanwendbar sei.
Obwohl Ethylenoxid über verschiedenste Eintragsquellen allgegenwärtig sei, rücke die Thematik erst seit Herbst 2020 in den Fokus, als man Rückstände von Ethylenoxid in Sesam gefunden habe. Seit Juni 2021 sei bekannt, dass nicht nur Sesam von entsprechenden Belastungen betroffen sei. Nachdem nunmehr gezielt nach Ethylenoxid und 2-Chlorethanol analysiert werde, würden zunehmend 2-Chlorethanol Rückstände aufgespürt, erstaunlicherweise auch in zahlreichen Produkten, bei denen eine Begasung gar keinen Sinn ergebe. Es sei daher davon auszugehen, dass die Befunde auch eine andere Ursache als die Begasung mit Ethylenoxid haben könnten. Rechtlich gesehen werde Ethylenoxid bei der Verwendung als Pestizid über die PestizidrückständeVO geregelt, in der Rückstandshöchstgehalte festgelegt würden. Dieser liege für Johannisbrot hinsichtlich der Substanz Ethylenoxid bei 0,1 mg/kg. In der PestizidrückständeVO sei Ethylenoxid und 2-Chlorethanol als Summe reguliert. Toxikologisch und analytisch handele es sich jedoch um zwei unterschiedlich zu bewertende Stoffe. Die PestizidrückständeVO sei vorliegend nicht anwendbar, da streitgegenständlich weder bekannt noch nachgewiesen sei, dass das verwendete Johannisbrotkernmehl mit Ethylenoxid in Form der Begasung behandelt worden sei. Das allein nachgewiesene 2-Chlorethanol habe auch auf andere Weise in das Speiseeis gelangen können. Soweit man von der Anwendbarkeit der PestizidrückständeVO ausgehen sollte, ergebe sich ein Verkehrsverbot nicht aus den Vorschriften der PestizidrückständeVO, sondern aus dem nationalen Recht, § 9 Abs. 1 Nr. 3 LFGB. Art. 17 Abs. 2 Unterabsatz 3 der BasisVO gebe den Mitgliedstaaten auf, Vorschriften bei Verstößen gegen das unionale Lebensmittelrecht zu erlassen, die wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Maßnahmen vorsehen müssten. Es sei daher davon auszugehen, dass § 9 Abs. 1 Nr. 3 LFGB unionsrechtswidrig und daher wegen des Vorrangs des Unionsrechts nicht anwendbar sei, da eine aus Gründen der Verhältnismäßigkeit gebotene Einzelfallprüfung, eine Härtefallregelung oder die Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahmeerlaubnis nicht vorgesehen sei. Bereits rein formale, unverschuldete Überschreitungen könnten zu Totalverboten und der Vernichtung erheblicher Warenbestände führen, obwohl keinerlei Gesundheitsgefahren drohen würden. Jedenfalls sei die Vorschrift unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass das bestehende Verkehrsverbot verhältnismäßig sein müsse. Der Antragsgegner habe somit grundlegend verkannt, dass auch bei § 9 Abs. 1 Nr. 3 LFGB eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen sei. Die in dem Bescheid angeordneten Maßnahmen seien nicht geeignet, nicht erforderlich und auch nicht angemessen. Hinsichtlich der Rücknahmeanordnung gelte das oben Gesagte entsprechend. Wollte man am Ausgang des Verfahrens Zweifel hegen, so müsse man im Rahmen der konkreten Interessenabwägung zu dem Ergebnis kommen, dass das Suspensivinteresse hier überwiege. Die streitgegenständlichen Eissorten würden kein Gesundheitsrisiko hervorrufen.
Mit Schreiben vom 17. August 2021 legte der Antragsgegner im Verfahren M 26a S 20.21.4273 die Behördenakte vor und beantragte, den Antrag abzulehnen. Soweit gerügt werde, dass sich der Bescheid auf die falsche Rechtsgrundlage stütze, führe diese jedenfalls nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheides. Ein Wechsel der Normen lasse den Regelungsinhalt des Bescheides unberührt, zumal sich wegen der inhaltlichen und strukturellen Parallelen der Vorschriften (Art. 54 Abs. 1, Abs. 2 der VO (EG) 882/2004 bzw. Art. 138 Abs. 1, Abs. 2 der VO (EU) 2017/625) keine wesentlichen Änderungen ergeben würden. Auch inhaltlich erweise sich der Bescheid als rechtmäßig. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 LFBG sei es verboten, Lebensmittel in den Verkehr zu bringen, die den Anforderungen nach Art. 18 Abs. 1, auch in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 PestizidrückständeVO, nicht entsprächen. Dies sei vorliegend der Fall. Unstreitig habe das im Speiseeis verarbeitete Johannisbrotkernmehl diesen gesetzlichen Anforderungen nicht entsprochen, weshalb dieses auch vom Lieferanten zurückgenommen worden sei. Wie sich aus der anliegenden Stellungnahme des LGL vom … August 2021 ergebe und auch durch die Ausführungen der Sachverständigen im Gutachten vom … Juli 2021 bestätigt werde, sei in den betroffenen Eissorten sowohl 2-Chlorethanol sowie Ethylenoxid (als Summenparameter) festgestellt worden. Nach den Ausführungen des LGL in der Stellungnahme vom … August 2021 würden die ermittelten Gehalte an Ethylenoxid (als Summenparameter) in der angegebenen Größenordnung nach dem Anhang V der PestizidrückständeVO liegen und seien damit als glaubwürdig anzusehen. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit seien die Befunde damit auf die zurückgenommene Zutat „Johannisbrotkernmehl“ zurückzuführen. Unabhängig davon sei festzustellen, dass – sollte die Ursache für die Befunde woanders liegen, wie von der Gegenseite als Möglichkeit aufgezeigt – dies nichts an der Tatsache ändere, dass bei einem positiven Befund von Ethylenoxid (als Summenparameter) wie vorliegend das Produkt Speiseeis nicht den Vorgaben des Art. 20 Abs. 1 PestizidrückständeVO entspreche und damit das Verkehrsverbot des § 9 Abs. 1 Nr. 3 LFBG greife. Auf die Frage, ob ein sicheres Lebensmittel vorliege, worauf das von Seiten der Antragstellerin eingeholte Gutachten der Sachverständigen vom … Juli 2021 abstelle, komme es mithin nicht an. Nur ergänzend werde darauf hingewiesen, dass allein in der 32. Kalenderwoche verschiedene Rücknahmen unterschiedlichster Produkte, auch Speiseeis anderer Hersteller, erfolgt seien. Zur Frage der Verhältnismäßigkeit wegen der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung sei anzuführen, dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung sehr wohl angestellt worden sei. Im Rahmen der Anhörung habe die Antragstellerin keine Angaben zu den vorhandenen (Rest-)beständen der jeweiligen Eissorten gemacht. Ungeachtet dessen ordne die hier maßgebliche Vorschrift ein Verkehrsverbot an. Dass weder der lang- noch der kurzfristige Verzehr der Produkte aufgrund der geringen Rückstände an 2-Chlorethanol im Fertigprodukt zu – unmittelbaren – Gesundheitsschäden führe, könne im Sinne eines effektiven Verbraucherschutzes nicht zur Ungeeignetheit der angeordneten Maßnahmen führen. Ziel des Gesetz- und Verordnungsgebers sei es, den Verbraucher generell vor Ethylenoxid aufgrund der nachgewiesenen erbgutverändernden und krebserregenden Wirkung zu schützen. Insbesondere im Hinblick auf den vielfältigen Einsatz des hier ursächlichen Johannisbrotkernmehls sei es nicht ausreichend, nur die Kontrolle bezüglich dieser Zutat zu erhöhen, sondern auch Maßnahmen bezüglich der späteren Endprodukte zu ergreifen, wenn – wie vorliegend – auch in diesen noch Rückstände feststellbar seien. Damit sei die Maßnahme aber auch erforderlich und angemessen. Der Austausch des Zusatzstoffes möge ein milderes Mittel im Hinblick auf die künftige Produktion sein, ändere aber nichts für die hier streitgegenständliche Frage, wie mit den bereits produzierten und mit Rückständen belasteten Produkten umzugehen sei. Die Maßnahme sei auch im engeren Sinne verhältnismäßig. Auf die Tatsache, dass der Verstoß gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften nicht aus der Sphäre des Herstellers stamme, könne es unter dem Aspekt des Verbraucherschutzes nicht ankommen. Der Verbraucher sei auch nicht weniger schutzwürdig, weil es sich bei dem Hersteller um ein Start-up-Unternehmen handele. Auch das Argument der Lebensmittelverschwendung greife nicht. Die Anordnung des Sofortvollzugs sei ausreichend und nicht nur formelhaft begründet worden. Bei einem Zuwarten bis zu einer gerichtlichen Entscheidung wäre die beanstandete Ware mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bereits abverkauft gewesen, was zum Leerlauf der rechtlichen Regelungen führen und den Zielen eines wirksamen Verbraucherschutzes entgegenstehen würde.
Mit Schreiben vom … August 2021 nahmen die Bevollmächtigen der Antragstellerin zur Antragserwiderung des Antragsgegners vom 17. August 2021 im Verfahren M 26a S 21.4273 Stellung. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners könne die Rechtsgrundlage gerade bei Ermessensentscheidungen nicht ohne Weiteres ausgetauscht werden. Die Befunde an 2-Chlorethanol in dem Speiseeis könnten nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf die Zutat Johannisbrotkernmehl zurückgeführt werden. 2-Chlorethanol werde immer häufiger in allen möglichen Produkten nachgewiesen, die eben gerade auch nicht mit Pestiziden behandelte Komponenten enthielten; eine Kreuzkontamination sei somit nicht auszuschließen. Dies würde allerdings dazu führen, dass der Anwendungsbereich der PestizidrückständeVO überhaupt nicht eröffnet sei. Es spiele somit sehr wohl eine Rolle, worin die Ursache für die Befunde liege. Ebenso komme es auf die Frage an, ob ein sicheres Lebensmittel vorliege, da diese Tatsache im Rahmen der durchzuführenden Verhältnismäßigkeitsprüfung eine maßgebliche Rolle spiele. Die vom Antragsgegner angeführte Verhältnismäßigkeitsprüfung sei nur im Rahmen des § 39 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 Nr. 4 LFGB, Art. 54 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. b) der VO (EG) 882/2004, nicht aber im Rahmen des § 9 Abs. 1 Nr. 3 LFGB erfolgt. Hierzu sei vielmehr ausgeführt worden, dass es sich bei § 9 LFGB um eine absolute Vorschrift handele, die keine Ausnahmetatbestände enthalte. Aus diesem Grund sei auch nicht gewürdigt worden, dass es sich um ein sicheres Lebensmittel handele. Wie jedoch bereits dargelegt worden sei, sei davon auszugehen, dass § 9 Abs. 1 Nr. 3 LFGB unionsrechtswidrig und daher wegen des Vorrangs des Unionsrechts nicht anwendbar sei, zumindest jedoch unionsrechtskonform dahingehend ausgelegt werden müsse, dass auch bei § 9 Abs. 1 Nr. 3 LFGB eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen sei. Eine solche sei aber gerade nicht vorgenommen worden. Selbst das LGL habe in seinem Schreiben vom 20. Juli 2021 ausgeführt, dass kein nicht sicheres Lebensmittel im Sinne von Art. 14 Abs. 1 BasisVO vorliege, und habe daher auch keine Rechtsgrundlage für Maßnahmen, die für nicht sichere Lebensmittel anzuordnen seien, wie eine Rücknahme oder ein öffentlicher Rückruf, für gegeben angesehen.
5. Mit Beschluss vom 11. Oktober 2021, M 26a S 21.4273, stellte das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid des Landratsamtes B. … vom 9. August 2021 wieder her, soweit sie sich gegen die Nrn. 1 und 2 des genannten Bescheides richtet, und ordnete die aufschiebende Wirkung der gegen die Zwangsgeldandrohung in Nr. 5 des genannten Bescheides Klage an. Als Rechtsgrundlage für die Anordnungen in Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 4 des Bescheides wurde Art. 138 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. d) und Buchst. g) KontrollVO herangezogen. Der vom Antragsgegner angeführte Verstoß i.S.v. Art. 138 Abs. 1 KontrollVO wurde voraussichtlich nicht für gegeben erachtet, da das Inverkehrbringen der im Bescheid vom 9. August 2021 in Nr. 1 und Nr. 2 genannten Speiseeissorten voraussichtlich nicht gegen § 9 Abs. 1 Nr. 3 LFGB i.V.m. Art. 18 Abs. 1, auch in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1, PestizidrückständeVO verstoße. Da die streitgegenständlichen Anordnungen auf einen Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 BasisVO nicht gestützt wurden, da auch der Antragsgegner (zum damaligen Zeitpunkt) nicht davon ausging, dass ein derartiger Verstoß vorliege, wurden weitere Ausführungen im gerichtlichen Beschluss vom 11. Oktober 2021 hierzu für entbehrlich erachtet.
6. Mit an die Regierung von Oberbayern gerichtetem Schreiben vom 11. Oktober 2021 teilte das LGL mit, dass Bayern fortan der am 1. September 2021 aktualisierten Stellungnahme Nr. 024/2021 des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) zur gesundheitlichen Bewertung von Ethylenoxid-Rückständen in Sesamsamen folgen werde. In dieser Stellungnahme sei für Ethylenoxid eine Aufnahmemenge geringer Besorgnis von 0,037µg je kg Körpergewicht und Tag abgeleitet worden. Nach bisherigen Erkenntnissen sei in den bekannt gewordenen Produkten lediglich 2-Chlorethanol nachgewiesen, dessen toxische Eigenschaften noch nicht abschließend ermittelt worden sei, das aber als potentiell gesundheitsschädlich gelte. Nach der Rückstandsdefinition in Anhang V der PestizidrückständeVO müsse 2-Chlorethanol in Ethylenoxid umgerechnet werden, um über den Gehalt des Summenparameters die Einhaltung der geltenden Höchstgehalte zu überprüfen. Gleiches gelte für die Überprüfung der oben genannten Aufnahmemenge geringer Besorgnis. Mit den Werten für die Ethylenoxid-Summe und den üblichen bzw. vorhersehbaren Verzehrmengen pro Tag könne geprüft werden, ob die Aufnahmemenge geringer Besorgnis überschritten werde oder nicht. Werde diese überschritten, seien die betroffenen Produkte unter Berücksichtigung von Art. 14 Abs. 3 und 5 BasisVO als für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet und damit nicht sicher gemäß Art. 14 Abs. 2 Buchst. b) BasisVO.
Mit weiteren an die Regierung von Oberbayern gerichteten Schreiben vom 15. und 19. Oktober 2021 konkretisierte und wiederholte das LGL seine Ausführungen und berechnete bei einer Verzehrmenge für Erwachsene (durchschnittliches Gewicht 70 kg) und für Kinder (durchschnittliches Gewicht 15 kg) entsprechend der – in der von der Antragstellerin vorgelegten toxikologischen Bewertung vom … Juli 2021 angeführten – normalen Verzehrmenge von 74 g Eis für Erwachsene bzw. 42 g Eis für Kinder und der Verzehrmenge für Vielverzehrer von 252 g Eis für Erwachsene bzw. 152 g für Kinder folgende Aufnahmemengen von Ethylenoxid gesamt (Angaben jeweils in µg/kg Körpergewicht und Tag):
Eissorte
EW, Normalverzehrer
EW, Vielverzehrer
Kind, Normalverzehrer
Kind, Vielverzehrer
A.
0,063
0,216
0,168
0,608
B.
0,053
0,180
0,140
0,507
C.
0,058
0,198
0,154
0,557
D.
0,034
0,115
0,090
0,324
Die in der Bewertung vom … Juli 2021 mitgeteilten Verzehrmengen seien plausibel. Mit Ausnahme der Fälle „Erwachsene Normalverzehrer“ würden die Aufnahmemengen geringer Besorgnis in allen anderen Fällen maßgeblich überschritten. Das LGL würde Proben, bei denen es die in der Tabelle genannten Aufnahmemengen an Ethylenoxid (gesamt bei Erwachsenen, Vielverzehrer sowie Kind, Normal- und Vielverzehrer) feststelle, als für den Verzehr durch Menschen ungeeignet im Sinne des Art. 14 Abs. 2 Buchst. b) BasisVO und damit als nicht sicheres Lebensmittel im Sinne des Art. 14 Abs. 1 BasisVO beurteilen.
Mit Schreiben vom … Oktober 2021 wurden die Bevollmächtigten der Antragstellerin zu einem beabsichtigten Verkehrsverbot auf der Grundlage von Art. 5 i.V.m. Art. 14 der ZusatzstoffVO i.V.m. Anhang der VO (EU) Nr. 231/2012, erster Satz, und Art. 14 Abs. 2 Buchst. b) BasisVO angehört. Gemäß dem Anhang der VO (EU) Nr. 231/2012 (erster Satz) gelte ein ausdrückliches Verwendungsverbot von Ethylenoxid zur Sterilisierung von Lebensmittelzusatzstoffen. Niemand dürfe einen Lebensmittelzusatzstoff oder ein Lebensmittel, in dem ein Lebensmittelzusatzstoff vorhanden sei, in den Verkehr bringen, wenn die Verwendung des Lebensmittelzusatzstoffes nicht mit der ZusatzstoffVO in Einklang stehe. Die in Rede stehenden Eissorten würden unter Berücksichtigung der aktualisierten Stellungnahme Nr. 024/2021 des BfR vom 1. September 2021 als für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet beurteilt.
Hierzu nahmen die Bevollmächtigten der Antragstellerin mit Schreiben vom … November 2021 Stellung. Der Wortlaut des Anhangs der VO (EU) Nr. 231/2012 setze ausdrücklich voraus, dass Ethylenoxid zur Sterilisierung von Lebensmittelzusatzstoffen verwendet wurde. Der Zusatzstoff sei streitgegenständlich das Johannisbrotkernmehl. Es würden jedoch keinerlei Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass für dessen Sterilisierung Ethylenoxid verwendet worden sei. Es gebe vielmehr etliche verschiedene Möglichkeiten auf verschiedenen Stufen, bei denen es zu einer Kontamination mit Ethylenoxid gekommen sei. Da Ethylenoxid weltweit noch vielfach als Biozid Verwendung finde, da es Bakterien, Viren und Pilze abtöte und es daher häufig zur Begasung von hitzeempfindlichen Produkten eingesetzt würde, könnten bereits die Schoten des Johannisbrots mit Ethylenoxid kontaminiert worden sein; dies könne nach der Ernte, beim Transport oder bei der Lagerung geschehen sein. Damit wäre jedoch nicht mehr die ZusatzstoffVO anwendbar, sondern die PestizidrückständeVO, da rechtlich gesehen Ethylenoxid bei der Verwendung als Pestizid über die PestizidrückständeVO geregelt werde. Eine Kontamination könnte auch durch die Begasung der Transportcontainer erfolgt sein, bevor die Produkte dort eingelagert worden seien. Zudem werde bei der Herstellung bestimmter Zusatzstoffe Ethylenoxid verwendet, wie sich aus der VO (EU) Nr. 231/2012 ergebe. Es gebe somit viele mögliche Eintragsquellen, die gerade nicht auf einer Sterilisierung des Johannisbrotkernmehls mit Ethylenoxid beruhen würden. Die gegenständlichen Produkte seien auch nicht unter Berücksichtigung von Art. 14 Abs. 3 und 5 BasisVO als für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet und damit als nicht sicher gemäß Art. 14 Abs. 2 Buchst. b) BasisVO einzustufen. Ungeeignet sei ein Lebensmittel nach Art. 14 Abs. 5 BasisVO, wenn es für den Verzehr inakzeptabel sei, beispielsweise aufgrund einer Kontamination durch Fremdstoffe. Bereits dieser Wortlaut zeige, dass es nicht auf das Vorliegen einer Kontamination alleine ankommen könne. Diese müsse ihrerseits dazu führen, dass der Verzehr des Produktes inakzeptabel sei. Die Inakzeptabilität könne hier nicht aus dem Umstand hergeleitet werden, dass der Verbraucher das Vorkommen von Ethylenoxid oder 2-Chlorethanol nicht wünsche. Eine Verbrauchererwartung dergestalt, dass sämtliche Lebensmittel frei von unbeabsichtigten Einflüssen und Einträgen seien, sei bereits in tatsächlicher Hinsicht abwegig. Zudem stehe ihr entgegen, dass der Gesetzgeber in einer Vielzahl von Vorschriften Regeln zu unerwünschten Stoffen erlassen habe und damit der Gehalt derselben – jedenfalls in gewissen Grenzen – ausdrücklich legitimiert sei. Insoweit sei der vorliegende Sachverhalt mit klassischen Fällen der Kontamination wie z.B. durch Fliegeneier, Schimmel oder Mäusekot bereits im Ansatz nicht vergleichbar. Andere Gründe, aufgrund derer die Produkte „inakzeptabel“ sein sollten, würden nicht vorliegen. Wie aus dem bisherigen Verfahren bekannt sei, würden die streitgegenständlichen Eissorten kein Gesundheitsrisiko hervorrufen. Zudem wäre das Verbot des Inverkehrbringens auch unverhältnismäßig. Dabei müsse insbesondere die toxikologische Bewertung durch das LGL und entsprechend der Sachverständigen Dr. A. mit einbezogen werden, die ergeben hätten, dass wegen der geringen Rückstände an 2-Chlorethanol im Fertigprodukt davon auszugehen sei, dass dieses weder beim kurzfristigen noch beim langfristigen Verzehr durch Kinder und Erwachsene als gesundheitsschädlich angesehen werden müsse. Deshalb sei die Untersagung, die Produkte in den Verkehr zu bringen, nicht geeignet, die Verbraucher vor einer Gesundheitsgefahr zu schützen. Die Maßnahme sei auch nicht erforderlich, da die Antragstellerin bereits den Lieferanten für das Johannisbrotkernmehl gewechselt habe. Es fehle auch an der Angemessenheit. Die Produkte der Antragstellerin seien nicht gesundheitsschädlich. Der Verstoß gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften stamme zudem nicht aus ihrer Sphäre. Unter diesen Umständen wäre die Vernichtung von über 800.000 Eisbecher auch unverhältnismäßig und auch im Hinblick auf das Gebot, Lebensmittelverschwendung zu vermeiden, nicht gerechtfertigt.
Seitens des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz wurden das LGL und die Regierungen mit Schreiben vom 2. November 2021 über den aktuellen Sachstand im Zusammenhang mit diversen Fällen zu Rückständen von Ethylenoxid bzw. dessen Abbauprodukt 2-Chlorethanol informiert. In den Ländern werde derzeit das Vorgehen bei verarbeiteten und/oder zusammengesetzten Lebensmitteln, bei deren Herstellung Zusatzstoffe verwendet wurden, die Rückstände von Ethylenoxid bzw. dessen Abbauprodukt 2-Chlorethanol enthielten, intensiv diskutiert; die Beratungen seien noch nicht abgeschlossen. Wegen der Dringlichkeit der Angelegenheit werde darauf hingewiesen, dass neben den Vorgaben der Art. 18 und 20 PestizidrückständeVO und dem Verkehrsverbot gemäß § 9 LFGB bei Lebensmittelzusatzstoffen ein Verkehrsverbot nach Zusatzstoffrecht bestehe. Als Grundlage für die Beurteilung, ob ein Zusatzstoff als in unzulässiger Weise mit Ethylenoxid behandelt anzusehen sei und somit den Vorgaben der VO (EU) Nr. 231/2012 und der LebensmittelzusatzstoffVO nicht entspreche, sei die Überschreitung der Bestimmungsgrenze durch einen Rückstand an Ethylenoxid als Summenparameter heranzuzuziehen, am Beispiel von Johannisbrotkernmehl 0,1 mg/kg. Für die Annahme eines begründeten Verdachts der Herstellung eines Verarbeitungserzeugnisses mit einem unzulässig mit Ethylenoxid behandelten Zusatzstoff könne auch ein ausschließlich dokumentatorischer Nachweis (z.B. über die Nachverfolgung nachweislich vorbelasteter Vorprodukte) genügen. Es sei nicht zwingend erforderlich, dass Ethylenoxid als Summenparameter im verarbeiteten Erzeugnis bestimmt werden könne. Im Hinblick auf die am 1. September 2021 aktualisierte Stellungnahme Nr. 024/2021 des BfR und im Sinne einer bundeseinheitlichen Bewertung von Rückständen an Ethylenoxid und dessen Abbauprodukt 2-Chlorethanol wurde das LGL gebeten, die Stellungnahme des BfR als Grundlage für die Bewertung heranzuziehen. Da in weiterverarbeiteten Erzeugnissen in der Regel ausschließlich 2-Chlorethanol-Rückstände nachweisbar seien, hätten die Länder das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gebeten, auf verstärkte Anstrengungen zur toxikologischen Bewertung von 2-Chlorethanol hinzuwirken.
Mit an das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz gerichteten Schreiben vom 30. November 2021 teilte das LGL unter dem Betreff „Aktualisierung der Ausführungen“ mit, dass das LGL der gesundheitlichen Bewertung von Rückständen an Ethylenoxid der Stellungnahme des BfR vom 1. September 2021 folge. Mit an die Regierung von Oberbayern gerichteten Schreiben vom 19. Oktober 2021 habe das LGL für die in Rede stehenden Eissorten die Aufnahmemengen von Ethylenoxid berechnet. Proben, bei denen es die in der Tabelle gennannten Aufnahmemengen an Ethylenoxid (gesamt bei Erwachsenen, Vielverzehrer sowie Kind, Normal- und Vielverzehrer) feststelle, würde das LGL jetzt als gesundheitsschädlich im Sinne des Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) BasisVO und damit als nicht sicheres Lebensmittel im Sinne des Art. 14 Abs. 1 BasisVO beurteilen.
Daraufhin gab der Antragsgegner den Bevollmächtigten der Antragstellerin mit erneutem Anhörungsschreiben vom … Dezember 2021 Gelegenheit, zum beabsichtigten Verkehrsverbot auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) BasisVO Stellung zu nehmen.
Seitens der Bevollmächtigten der Antragstellerin wurde hierzu mit Schreiben vom … Dezember 2021 erwidert, dass die nunmehrige Einschätzung zur Gesundheitsschädlichkeit der betroffenen Eissorten im Widerspruch zur bisherigen Einschätzung stehe. Im Bescheid vom 9. August 2021 sei der Antragsgegner ausdrücklich von keiner Gesundheitsgefahr der Produkte der Antragstellerin ausgegangen. Zu demselben Ergebnis sei die öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige in ihrer Stellungnahme vom … Juli 2021 gekommen. Auch das VG München habe in seinem Beschluss vom 11. Oktober 2021, M 26a S 21.4273, festgehalten, dass der Antragsgegner nicht von einem Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 und Abs. 2 BasisVO ausgehe. Es seien keinerlei Gründe vorgetragen worden, weswegen nunmehr doch eine Gesundheitsschädlichkeit angenommen werde. Zugleich werde darauf hingewiesen, dass die in der Anhörung benannten Mindesthaltbarkeitsdaten (MHD) der betroffenen Chargen nicht korrekt seien. Das MHD bei den einzelnen Chargen beginne Ende September 2022, Ende Oktober 2022 bis Ende Januar 2023; die korrekten Angaben zu den betroffenen Chargen mit den MHD könne der als Anlage beigefügten Tabelle entnommen werden. Angesichts dieser MHD sei der Antragstellerin auch ein baldiger Abschluss der Angelegenheit wichtig, da die Ware vom Handel bis 120 Tage vor Ende des MHD abgenommen werden müsse. Es werde nunmehr kurzfristig um einen rechtsmittelfähigen Bescheid gebeten. Die Dauer des Verfahrens führe zu einem immer höheren Schaden, der auch im Interesse des Antragsgegners möglichst eingedämmt werden sollte. Sollte der Bescheid nicht im Lauf dieser Woche kommen, werde die Antragstellerin in Erwägung ziehen, die Ware in den Verkehr zu bringen.
7. Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 16. Dezember 2021 wurde der Antragstellerin das Inverkehrbringen der Speiseeisprodukte „A.eis nach italienischer Art mit hochwertiger Bourbon-Vanille aus Madagaskar, frischer Vollmilch und frischer Schlagsahne“, „B.eis nach italienischer Art mit Edelkakao und frischer Vollmilch“, „C. … nach italienischer Art“ und „D.Eis nach italienischer Art mit frischem Joghurt und Blütenhonig“ (nicht ausgeliefert, gesperrt im Lager des Herstellers), für deren Herstellung Johannisbrotkernmehl der Firma A. …, … straße, A. … mit den Chargen Charge/Lot A. . …, Charge/Lot B. . …, Charge/Lot C. . …, Charge/Lot D. . …, Charge/Lot E. . … und Charge/Lot F. . … verwendet wurde, untersagt und aufgegeben, die noch auf Lager befindliche Ware zu sperren (Nr. 1). Die sofortige Vollziehung der Ziffer 1 wurde angeordnet (Nr. 2). Für den Fall des Inverkehrbringens der betroffenen Produkte wurde jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000,00 EUR angedroht (Nr. 3). Der Antragstellerin wurden die Verfahrenskosten auferlegt (Nr. 4) und für den Bescheid eine Gebühr in Höhe von 500,00 EUR und Auslagen in Höhe von 14,95 EUR festgesetzt (Nr. 5).
Die Anordnung in Nr. 1 (Untersagung des Inverkehrbringens und Sperrung der noch im Lager befindlichen Ware) wurde auf Art. 138 Abs. 1 Buchst. b), Abs. 2 Buchst. d) KontrollVO i.V.m. § 39 Abs. 1 LFGB i.V.m. Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Buchst. a) BasisVO gestützt, hilfsweise nur für den Fall, dass die genannten Vorschriften als Rechtsgrundlage für den Bescheid ausscheiden sollten, auf Art. 138 Abs. 1 Buchst. b), Abs. 2 Buchst. d) KontrollVO i.V.m. § 39 Abs. 1 LFGB i.V.m. Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Buchst. b) BasisVO, weiter hilfsweise nur für den Fall, dass die erstgenannten Vorschriften als Rechtsgrundlage für den Bescheid ausscheiden sollten, auf Art. 5 i.V.m. Art. 14 der VO (EG) Nr. 1333/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über Lebensmittelzusatzstoffe (ABl. L 354 vom 31.12.2008, S. 16) -ZusatzstoffVO – i.V.m. Anhang der VO (EU) Nr. 231/2012, erster Satz, der Kommission vom 9. März 2012 mit Spezifikationen für die in den Anhängen II und III der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates aufgeführten Lebensmittelzusatzstoffe (ABl. L 83 vom 22. März 2012, S. 1).
8. Mit Telefax ihrer Bevollmächtigten vom … Dezember 2021 erhob die Antragstellerin gegen diesen Bescheid Klage (M 26a K 21.6632) und beantragte im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (M 26a S 21.6633),
I. die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 16. Dezember 2021, Az. …, soweit sich dieser auf die Rechtsgrundlage des Art. 14 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a) der VO (EG) 178/2002 stützt, anzuordnen, im Übrigen wiederherzustellen,
II. hilfsweise die sofortige Vollziehung aufzuheben.
Auf die umfangreiche Antragsbegründung, in der im Wesentlichen der bisherige Verfahrensgang und die bisher im Verfahren vorgetragenen Argumente vorgebracht werden, wird insoweit Bezug genommen.
Der Antragsgegner legte mit Schreiben vom 30. Dezember 2021 die Verfahrensakte vor und beantragte mit Schreiben vom 4. Januar 2022 unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Bescheid vom 16. Dezember 2021,
den Antrag abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten (M 26a S 21.6633, M 26a K 21.6632, M 26a S 21.4273 und M 26a K 21.4272) und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 39 Abs. 7 LFGB, soweit die Untersagung des Inverkehrbringens der streitgegenständlichen Eissorten in Nr. 1 des Bescheides vom 16. Dezember 2021 auf Art. 138 Abs. 1 Buchst. b), Abs. 2 Buchst. d) KontrollVO i.V.m. § 39 Abs. 1 LFGB i.V.m. Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Buchst. a) BasisVO gestützt wurde. Nach § 39 Abs. 7 Nr. 1 LFGB haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Anordnungen, die der Durchführung von Verboten nach Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Buchst. a) BasisVO dienen, keine aufschiebende Wirkung. Diese Vorschrift gilt auch dann, wenn § 39 Abs. 2 LFGB von unmittelbar geltendem Unionsrecht, hier Art. 138 KontrollVO, auf den sich die streitgegenständliche Anordnung stützt, überlagert oder verdrängt wird (vgl. zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift des Art. 54 der Verordnung (EG) 882/2004: OVG Hamburg, B.v. 5.9.2011 – 5 Bs 139/11 – juris Rn. 9 ff.; Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, 178. EL November 2020, LFGB § 39 Rn. 56).
Hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung in Nr. 3 des Bescheides ergibt sich die sofortige Vollziehbarkeit aus Art. 21a des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG); insofern ist der Antrag als ein solcher auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung auszulegen (§§ 122, 88 VwGO).
Der Antragstellerin fehlt es auch im Hinblick auf den gerichtlichen Beschluss vom 11. Oktober 2021 im Verfahren M 26a S 21.4273 nicht am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis für ihren Antrag, da es sich bei dem streitgegenständlichen Bescheid des Antragsgegners vom 16. Dezember 2021 gegenüber dem Bescheid vom 9. August 2021 nicht um eine lediglich wiederholende Verfügung handelt mit der Folge, dass sich der streitgegenständliche Bescheid vom 16. Dezember 2021 nicht als Verwaltungsakt im Sinne des Art. 35 Satz 1 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG) darstellen würde, soweit er mit dem Regelungsgegenstand des Bescheids vom 9. August 2021 deckungsgleich ist, sondern um einen sog. Zweitbescheid. Ob ein Bescheid (ganz oder teilweise) als Zweitbescheid oder lediglich als wiederholende Verfügung anzusehen ist, bestimmt sich danach, ob und inwieweit die Behörde durch ihre Verlautbarung eine neue Sachentscheidung getroffen hat. Das ist durch Auslegung der Verfügung zu ermitteln (vgl. BVerwG, B.v. 25.2.2016 – 1 WB 33.15 – juris Rn. 35). Hierfür kommt es auf deren Erklärungsinhalt an, der durch fallbezogene, die konkreten Umstände in den Blick nehmende Auslegung nach Maßgabe der entsprechend anwendbaren gesetzlichen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln ist (vgl. BVerwG, B.v. 14.6.2010 – 2 B 23.10 – juris Rn. 7). In der Regel ist von einer erneuten Sachentscheidung dann auszugehen, wenn sich die tragenden Erwägungen der Begründung in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht gegenüber der ursprünglichen Entscheidung erheblich geändert haben (OVG Magdeburg, B.v. 23.4.2018 – 3 L 85/16 – BeckRS 2018, 42228 Rn. 29).
Dies zugrunde gelegt, ist vorliegend davon auszugehen, dass es sich bei streitgegenständlichen Bescheid vom 16. Dezember 2021 um einen Zweitbescheid handelt, da die im Tenor des Bescheides vom 16. Dezember 2021 unter Nr. 1 verfügten Anordnungen – auch wenn sie mit denen in Nr. 1 des Bescheides vom 9. August 2021 im Wesentlichen deckungsgleich sind – im Rahmen der Begründung des Bescheides auf andere Rechtsgrundlagen gestützt wurden.
2. Der Antrag hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen bzw. im Fall des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO wiederherstellen. Hierbei hat das Gericht selbst abzuwägen, ob diejenigen Interessen, die für eine sofortige Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts streiten, oder diejenigen, die für die Anordnung/Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung sprechen, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache als wesentliches, aber nicht als alleiniges Indiz zu berücksichtigen (beispielsweise BVerwG, B.v. 25.3.1993 – 1 ER 301/92 – NJW 1993, 3213, juris Rn. 3). Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, weil er zulässig und begründet ist, so wird im Regelfall nur die Anordnung/Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid bei summarischer Prüfung als offensichtlich rechtmäßig, besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an seiner sofortigen Vollziehung und der Antrag bleibt voraussichtlich erfolglos. Sind die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen zu beurteilen, findet eine eigene gerichtliche Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt. Im Fall der Anordnung der sofortigen Vollziehung muss diese dem Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO entsprechen; zudem bedarf es für den Sofortvollzug eines öffentlichen Interesses oder überwiegenden Interesses eines Beteiligten (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO).
Nach diesen Maßstäben ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abzulehnen, da der streitgegenständliche Bescheid vom 16. Dezember 2021 voraussichtlich rechtmäßig ist und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), so dass die in der Hauptsache zwar zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Anfechtungsklage keinen Erfolg haben wird.
2.1. Der Bescheid vom 16. Dezember 2021 ist formell rechtmäßig, insbesondere hat die erforderliche Anhörung der Antragstellerin mit Schreiben des Antragsgegners vom 26. Oktober 2021 und 1. Dezember 2021 stattgefunden.
2.2. Der Bescheid ist voraussichtlich auch materiell rechtmäßig.
a) Rechtsgrundlage für die Anordnungen in Nr. 1 des Bescheides ist Art. 138 Abs. 1 Buchst. b) und Abs. 2 Buchst. d) KontrollVO. Nach dieser Vorschrift ergreifen die zuständigen Behörden, wenn ein Verstoß festgestellt wird, geeignete Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass der betreffende Unternehmer den Verstoß beendet und dass er erneute Verstöße dieser Art verhindert (Art. 138 Abs. 1 Satz 1 Buchst. b) KontrollVO). Bei der Entscheidung über die zu ergreifenden Maßnahmen berücksichtigen die zuständigen Behörden die Art des Verstoßes und das bisherige Verhalten des betreffenden Unternehmers in Bezug auf die Einhaltung der Vorschriften. Wenn die zuständigen Behörden in Einklang mit Absatz 1 dieses Artikels tätig werden, ergreifen sie alle ihnen geeignet erscheinenden Maßnahmen, um die Einhaltung der Vorschriften gemäß Art. 1 Abs. 2 zu gewährleisten. Dazu gehört, jedoch nicht ausschließlich, u.a. die Maßnahme, das Inverkehrbringen, die Verbringung, den Eingang in die Union oder die Ausfuhr von Tieren und Waren zu beschränken oder zu verbieten (Art. 138 Abs. 2 Buchst. d) KontrollVO).
b) Der festgestellte Verstoß i.S.v. Art. 138 Abs. 1 der KontrollVO, der den Antragsgegner zum Erlass der streitgegenständlichen Anordnungen in Nr. 1 ermächtigt und auf den der Antragsgegner – im Gegensatz zu den Anordnungen in Nr. 1 des Bescheides vom 9. August 2021 – seine Anordnungen nunmehr auch stützt, ist insoweit gegeben, als dass der Vertrieb des streitgegenständlichen Speiseeises gegen den lebensmittelrechtlichen Verbotstatbestand des Art. 14 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. a) BasisVO verstößt, wonach Lebensmittel, die nicht sicher sind, nicht in den Verkehr gebracht werden dürfen und Lebensmittel als nicht sicher gelten, wenn davon auszugehen ist, dass sie gesundheitsschädlich sind.
aa) Unstreitig handelt es sich bei dem in Rede stehenden Speiseeis um Lebensmittel im Sinne von Art. 2 Satz 1 BasisVO.
bb) Ebenso unstreitig ist davon auszugehen, dass dieses Speiseeis, soweit es von der Anordnung in Nr. 1 des Bescheides vom 16. Dezember 2021 umfasst ist, 2-Chlorethanol, einem Abbauprodukt von Ethylenoxid, enthält.
cc) Aufgrund der Belastung mit 2-Chlorethanol ist das streitgegenständliche Speiseeis gesundheitsschädlich ist im Sinne von Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) BasisVO.
(1) Der Begriff „gesundheitsschädlich“ ist in der BasisVO nicht definiert. Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) BasisVO regelt, wann Lebensmittel als nicht sicher „gelten“ und nennt als weitere Voraussetzungen lediglich, dass „davon auszugehen“ sein muss, dass eine der nachfolgenden Tatbestände der nicht sicheren Lebensmittel zur Anwendung kommt. Mit der Wortwahl berücksichtigt der Gesetzgeber, dass bei gesundheitsschädlichen Lebensmitteln i.S.v. Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) BasisVO kein eindeutiger Nachweis dafür vorliegen muss, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen. Denn bei der wissenschaftlichen Bewertung auf der Grundlage einer Risikoanalyse gemäß Art. 6 Abs. 2 BasisVO und der sich daran anschließenden Risikomanagemententscheidung gemäß Art. 6 Abs. 3 BasisVO kann nicht immer vollständige Gewissheit darüber gewonnen werden, ob der Verzehr eines Lebensmittels tatsächlich gesundheitsschädlich ist. Dies zeigt sich auch deutlich in den Vorschriften des Art. 14 Abs. 4 Buchst. a) und b) BasisVO, die hinsichtlich der Beurteilung der Frage, ob ein Lebensmittel gesundheitsschädlich ist, jeweils die wahrscheinlichen Auswirkungen des Lebensmittels ausreichen lässt (Streinz/Meisterernst/Meisterernst, 1. Aufl. 2021, Basis-VO Art. 14 Rn. 13).
Diese Eignung muss allerdings tatsächlich und konkret bestehen, d. h. der Stoff muss bestimmt feststellbare Eigenschaften aufweisen, die eine Gesundheitsschädigung verursachen können. Abstrakte Erwägungen ohne unmittelbare Bezugnahme auf die Beschaffenheit des Lebensmittels können deshalb eine Gesundheitsschädlichkeit nicht begründen (Zipfel/Rathke LebensmittelR/Rathke, 179. EL März 2021, EG-Lebens-mittel-Basisverordnung Art. 14 Rn. 39).
(2) Der aktualisierten Stellungnahme des BfR, einer bundesunmittelbaren rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts, vom 1. September 2021 zufolge ist Ethylenoxid erbgutverändernd und krebserzeugend. Einen Richtwert ohne Gesundheitsrisiko gibt es somit nicht und Rückstände des Stoffes in Lebensmitteln sind grundsätzlich unerwünscht. Auf Grundlage der Methode „large assessment factor approach“ der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat das BfR für Ethylenoxid eine sogenannte „Aufnahmemenge geringer Besorgnis“ in Höhe von 0,037 Mikrogramm je Kilogramm Körpergewicht und Tag (µg/kg KG/Tag) berechnet. Diese dient dem Risikomanagement grundsätzlich als eine Hilfestellung bei der Priorisierung der Risikominderungsmaßnahmen von Substanzen in Hinblick auf Umfang und Dringlichkeit. Sowohl die EFSA (2005) als auch das BfR (2005, 2020) haben übereinstimmend herausgestellt, dass für gentoxische Kanzerogene ohne Schwellenwert die Ableitung eines gesundheitsbasierten Referenzwertes ohne Gesundheitsrisiko nicht möglich ist. Daher empfiehlt die Risikobewertung dem Risikomanagement eine umfassende Minderung solcher Stoffe in Lebensmitteln und Verbraucherprodukten gemäß dem ALARA-Prinzip („as low as reasonably achievable“). Lebensmittel mit entsprechenden Rückständen oberhalb der Bestimmungsgrenze bzw. des verbindlich festgelegten Rückstandshöchstgehaltes sollten auch bei Feststellung eines „low level of concern“ grundsätzlich nicht verkehrsfähig sein. Bei lebenslanger Aufnahme einer solchen Menge sei es unwahrscheinlich, dass das zusätzliche Risiko, an Krebs zu erkranken, ca. 1:100.000 übersteige. Dieser Ansatz solle jedoch keinesfalls als Grundlage zur Feststellung der Verkehrsfähigkeit von Lebensmitteln mit Ethylenoxid-Rückständen durch die Länderbehörden herangezogen werden oder zu einer generellen Abkehr vom Minimierungsgebot für gentoxische Kanzerogene ohne Schwellenwert führen.
Bezüglich 2-Chlorethanol ist der Bewertung des BfR zufolge die Datenlage widersprüchlich und teilweise unvollständig. Zu den kanzerogenen Eigenschaften von 2-Chlorethanol könne auf Basis der derzeit vorliegenden Informationen keine sichere Aussage getroffen werden. Für eine gentoxische Aktivität gebe es – aus in vitro-Gentoxizitätsstudien – zahlreiche Hinweise, die Existenz eines möglichen Schwellenwertes und die In-vivo-Relevanz seien noch nicht abschließend geklärt. Die in-vivo-Daten zur Gentoxizität von 2-Chlorethanol seien nicht geeignet, die gentoxischen Befunde in vitro vollständig zu wiederlegen. Gemäß den für Pflanzenschutzmittel einschließlich Vorratsschutzmittel anzuwendenden Maßstäben der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 sowie nachgeordneter Regelungen könne für 2-Chlorethanol auf Basis der vorliegenden Daten daher eine sichere Aufnahmemenge ohne gesundheitliche Risiken für Verbraucherinnen und Verbraucher nicht mit der erforderlichen Zuverlässigkeit abgeleitet werden. Es gebe jedoch derzeit keine Hinweise, dass 2-Chlorethanol eine höhere Toxizität als Ethylenoxid aufweise. Aus toxikologischer Sicht sollte die Risikobewertung von 2-Chlorethanol auf Basis der derzeit vorliegenden Daten daher wie die von Ethylenoxid erfolgen, um einen höchstmöglichen gesundheitlichen Schutz zu gewährleisten und Unterschätzungen vorzubeugen.
(3) Angesichts des unter (1) dargelegten Maßstabs und unter Zugrundelegung der unter (2) widergegebenen Bewertung des BfR geht das Gericht mit dem Antragsgegner davon aus, dass von einer Gesundheitsschädlichkeit des betroffenen Speiseeises auszugehen ist.
(3.1) Mit Ausnahme des Verzehrs des D.Eises durch erwachsene Normalverzehrer ist die vom BfR zugrunde gelegte Aufnahmemenge von geringer Besorgnis mit 0,037 µg/kg Körpergewicht überschritten.
Dies gilt unabhängig davon, ob man, wie der Antragsgegner, der insoweit der Auffassung des BfR folgt, auf den Summenparameter von Ethylenoxid und 2-Chlorethanol abstellt oder, wie von der Antragstellerin vertreten, allein auf den Gehalt von 2-Chlorethanol, da die im Eis analysierten Befunde von 2-Chlorethanol im Vergleich zum Summenparameter, wie im von der Antragstellerin vorgelegten Gutachten vom … Juli 2021 dort unter Ziffer III.3. aufgeführt, sogar noch höher sind (A.eis: 0,11 mg/kg CE gegenüber 0,060 mg/kg EETOSumme, B.eis: 0,091 mg/kg CE gegenüber 0,050 mg/kg ETOSumme, C.: 0,10 mg/kg CE gegenüber 0,055 mg/kg ETOSumme und D.Eis: 0,058 mg/kg CE gegenüber 0,032 mg/kg ETOSumme).
Im Hinblick auf die normalen Bedingungen der Verwendung des Speiseeises im Sinne von Art. 14 Abs. 3 Buchst. a) BasisVO geht das Gericht – wie dies auch von der Antragstellerin und dem Antragsgegner übereinstimmend zugrunde gelegt wurde – von einer (täglichen) normalen Verzehrmenge von 74 g Eis für Erwachsene bzw. 42 g Eis für Kinder und der Verzehrmenge für Vielverzehrer von 252 g Eis für Erwachsene bzw. 152 g für Kinder aus. Bei einer Belastung der Speiseeissorten mit Ethylenoxid als Summenparameter von 0,060 mg/kg im A.eis, 0,050 mg/kg im B.eis, 0,055 mg/kg im C. und 0,032 mg/kg im D.Eis ergibt sich eine Belastung mit Ethylenoxid – wie mit Schreiben des LGL an die Regierung von Oberbayern vom 15. Oktober 2021 berechnet und oben unter Gründe I. bereits dargelegt – in µg pro Kilogramm Körpergewicht und Tag wie folgt (jeweils gerechnet: Summenparameter Ethylenoxid in mg dividiert durch 1000, multipliziert mit der täglichen Eisverzehrmenge in g, dividiert durch das jeweilige Körpergewicht):
Eissorte
EW, Normalverzehrer
EW, Vielverzehrer
Kind, Normalverzehrer
Kind, Vielverzehrer
A.
0,063
0,216
0,168
0,608
B.
0,053
0,180
0,140
0,507
C.
0,058
0,198
0,154
0,557
D.
0,034
0,115
0,090
0,324
Soweit man das von der Antragstellerin angegebene durchschnittliche Körpergewicht bei Kindern von 16,15 kg zugrunde legen würde, ergäben sich folgende Werte:
Eissorte
Kind, Normalverzehrer
Kind, Vielverzehrer
A.
0,156
0,564
B.
0,130
0,470
C.
0,143
0,517
D.
0,083
0,301
Wie vom Antragsgegner in seinem Bescheid vom 16. Dezember 2021 zutreffend dargelegt, wird nur bei einem erwachsenen Normalverzehrer durch den Verzehr des D.Eises der vom BfR angenommene Schwellenwert geringer Besorgnis von 0,037 µg/kg KG, wenn auch nur in sehr geringfügigen Umfang um 0,003 µg, nicht überschritten. Soweit man nicht vom Ethylenoxidwert als Summenparameter, sondern allein vom 2-Chlorethanolwert ausgehen sollte, wären die jeweiligen Werte in µg pro Kilogramm Körpergewicht und Tag sogar noch höher, da jener den Ethylenoxidsummenwert übersteigt.
Soweit von der Antragstellerin, wie im Gutachten der Sachverständigen vom … Juli 2021 ausgeführt, als Schwellenwert für die orale Aufnahme von 2-Chlorethanol, basierend auf einer Tierstudie mit Ratten der US EPA aus dem Jahr 2020, der Wert von 0,824 mg/kg Körpergewicht pro Tag „auch als provisorischer Wert für eine akute Exposition“ angenommen wird, folgt das Gericht dieser Annahme nicht, da bei der Beurteilung der Gesundheitsschädlichkeit i.S.v. Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) i.V.m. Abs. 4 Buchst. a) BasisVO nicht nur die wahrscheinlichen sofortigen und/oder kurzfristigen, sondern auch die langfristigen Auswirkungen des Lebensmittels auf die Gesundheit der Verbraucher und der nachfolgenden Generationen zu berücksichtigen sind. Vor dem Hintergrund, dass in der Stellungnahme des BfR vom 1. September 2021 eine mutagene Aktivität des 2-Chlorethanol insgesamt als plausibel betrachtet wird, und angesichts dessen, dass der Begriff gesundheitsschädlich in Art. 14 Abs. 2 Buchst. a) BasisVO zugunsten des Verbraucherschutzes weit auszulegen ist (Zipfel/Rathke LebensmittelR/Rathke, 179. EL März 2021, EG-Lebensmittel-Basisverordnung Art. 14), folgt das Gericht dem vom BfR angenommenen Schwellenwert von 0,037 µg/kg KG. Dabei misst das Gericht dem BfR, das bei seinen wissenschaftlichen Bewertungen und Forschungen nach § 2 Abs. 3 des Gesetzes über die Errichtung eines Bundesinstitutes für Risikobewertung (BfRG) im Wesentlichen weisungsunabhängig ist und das insoweit die Risikobewertung in einer unabhängigen, objektiven und transparenten Art und Weise im Sinne von Art. 6 Abs. 2 BasisVO vornimmt, eine besondere Autorität bei, deren vorliegend herangezogene Bewertung von dem von der Antragstellerin in Auftrag gegebenen Gutachten vom … Juli 2021 zumindest nicht entkräftet wurde.
Da im Hinblick auf das D.Eis der Schwellenwert für erwachsene Vielverzehrer und für Kinder sowohl als Normal- als auch Vielverzehrer überschritten ist, ist davon auszugehen, dass das D.Eis zumindest für diese Personengruppen gesundheitsschädlich ist, so dass die streitgegenständlichen Anordnungen in Nr. 1 des Bescheides zu Recht auch das D.Eis umfassen durften, auch wenn der angenommene Schwellenwert bei einem erwachsenen Normalverzehrer nicht überschritten ist.
(3.2) Ob aufgrund der Stellungnahme des BfR vom 1. September 2021 davon auszugehen ist, dass allein das Vorhandensein von 2-Chlorethanol in dem streitgegenständlichen Speiseeis, ohne dass es auf eine bestimmte Menge an 2-Chlorethanol ankommt, dazu führt, dieses als gesundheitsschädlich und damit nicht verkehrsfähig zu betrachten, bedarf vorliegend angesichts der Überschreitung des Schwellenwertes geringerer Besorgnis keiner Entscheidung.
c) Die streitgegenständlichen Anordnungen in Nr. 1 des Bescheides sind auch hinreichend bestimmt im Sinne von Art. 37 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG).
Soweit von den Bevollmächtigten der Antragstellerin im Schreiben vom … Dezember 2021 mitgeteilt wurde, dass die in der Anhörung benannten MHD der betroffenen Chargen nicht korrekt seien, ist dieses Vorbringen bereits deshalb unbeachtlich, weil sich die streitgegenständlichen Anordnungen nicht auf die Chargen des Speiseeises, sondern auf die – mit Ethylenoxid belasteten – Chargen des Johannisbrotkernmehls, das für die Herstellung des Speiseeises verwendet wurden, bezieht, wie sie von der Firma A. … vom Schreiben vom … Juli 2021 an deren Kunden mitgeteilt wurden.
d) Die Anordnungen sind – wie vom Antragsgegner unter Nr. 2.3. des Bescheides vom 16. Dezember 2021 zutreffend ausgeführt wurde – auch verhältnismäßig. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die entsprechenden Ausführungen des Antragsgegners hierzu verwiesen (§ 122 Abs. 1 i.V. mit § 117 Abs. 5 VwGO in entsprechender Anwendung). Insbesondere stellt der Wechsel des Lieferanten von Johannisbrotkernmehl kein gleich geeignetes milderes Mittel dar, da dieser Wechsel auf das bereits mit dem belasteten Ethylenoxid hergestellte und damit – wie oben ausgeführt – gesundheitsschädliche Speiseeis keine Auswirkungen hat.
Das Gericht verkennt nicht, dass die getroffenen Anordnungen, die den Angaben der Antragstellerin im Verfahren M 26a S 21.4273 zufolge 582.552 Becher à 500 ml Speiseeis betreffen, sowohl in finanzieller Hinsicht als auch im Hinblick auf die Vernichtung von Lebensmitteln schwer wiegen. Angesichts deren Gesundheitsschädlichkeit und vor dem Hintergrund des Gesundheitsschutzes der Verbraucher erweisen sich die Anordnungen jedoch als angemessen, mithin verhältnismäßig im engeren Sinne.
e) Auch die Zwangsgeldandrohung ist nicht zu beanstanden. Zweifel an der Rechtmäßigkeit wurden nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich. Die allgemeinen und besonderen Voraussetzungen für die Zwangsgeldandrohung sind erfüllt (Art. 19, Art. 29 ff VwZVG), insbesondere steht das angedrohte Zwangsgeld in Höhe von 10.000,00 EUR angesichts der Gewichtigkeit des Gesundheitsschutzes in angemessenem Verhältnis zu seinem Zweck (Art. 29 Abs. 3 Satz 1 VwZVG) und hält sich im unteren Bereich des in Art. 31 Abs. 2 Satz 1 VwZVG festgelegten Rahmens von 15,00 EUR bis 50.000,00 EUR.
f) Da sich die Anordnungen in Nr. 1 des Bescheides vom 16. Dezember 2021 nach Art. 138 Abs. 1 Buchst. b), Abs. 2 Buchst. d) KontrollVO i.V.m. § 39 Abs. 1 LFGB i.V.m. Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Buchst. a) BasisVO voraussichtlich als rechtmäßig erweisen und die erhobene Anfechtungsklage keinen Erfolg haben wird, besteht ein öffentliches Interesse am sofortigen Vollzug der Anordnungen, so dass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage abzulehnen war.
g) Selbst wenn die Erfolgsaussichten der Klage als offen anzusehen wären, würde im Rahmen der Folgenabwägung das Vollzugsinteresse des Antragsgegners das Suspensivinteresse der Antragstellerin überwiegen. Diesbezüglich gelten die bereits zur Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne angestellten Erwägungen entsprechend. Aufgrund der Gesundheitsschädlichkeit der Speiseeissorten würden die Folgen, die im Falle der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage für die Verbraucher durch den Verzehr des Speiseeises entstehen, die Beeinträchtigungen der Antragstellerin in finanzieller Hinsicht überwiegen. Dafür spricht auch die gesetzgeberische Wertung, dass Anordnungen, die der Durchführung von Verboten nach Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Buchst. a) BasisVO ergehen, nach § 39 Abs. 7 Nr. 1 LFGB kraft Gesetzes sofort vollziehbar sind.
3. Soweit die Untersagung des Inverkehrbringens der streitgegenständlichen Eissorten in Nr. 1 des Bescheides vom 16. Dezember 2021 auf Art. 138 Abs. 1 Buchst. b), Abs. 2 Buchst. d) KontrollVO i.V.m. § 39 Abs. 1 LFGB i.V.m. Art. 14 Abs. 1 i.V.m., Abs. 2 Buchst. b) BasisVO bzw. auf Art. 5 i.V.m. Art. 14 ZusatzstoffVO i.V.m. Anhang der VO (EU) Nr. 231/2012, erster Satz, gestützt wurde, ist der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz als Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO wegen der in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheides angeordneten sofortigen Vollziehung der Nr. 1 statthaft.
Dem Antrag fehlt jedoch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis.
In Einklang mit Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) setzt jede an einen Antrag gebundene gerichtliche Entscheidung ein Rechtsschutzbedürfnis voraus. Nur derjenige, der mit dem von ihm angestrengten gerichtlichen Rechtsschutzverfahren ein rechtsschutzwürdiges Interesse verfolgt, hat einen Anspruch auf die gerichtliche Sachentscheidung. Fehlt es daran, so ist das prozessuale Begehren als unzulässig abzuweisen (BVerfG, B.v. 27.10.1998 – 2 BvR 2662/95 – juris Rn. 16 m.w.N.). Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis ist insbesondere dann nicht gegeben, wenn der Kläger sein Ziel auf anderem Wege schneller und einfacher erreichen könnte, wenn ein Erfolg seine Rechtsstellung nicht verbessern würde oder wenn es ihm auf den Klageerfolg gar nicht ankommen (Eyermann, VwGO, 13. Auflage, vor § 40, Rn. 11).
So liegt es hier. Da die streitgegenständlichen Anordnungen in Nr. 1 des Bescheides vom 16. Dezember 2021 zu Recht auf Art. 138 Abs. 1 Buchst. b), Abs. 2 Buchst. d) KontrollVO i.V.m. § 39 Abs. 1 LFGB i.V.m. Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Buchst. a) BasisVO gestützt wurden, würde sich die Rechtsstellung der Antragstellerin auch dann nicht verbessern, wenn die getroffenen Anordnungen zu Unrecht (hilfsweise) auf Art. 138 Abs. 1 Buchst. b), Abs. 2 Buchst. d) KontrollVO i.V.m. § 39 Abs. 1 LFGB i.V.m. Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Buchst. b) BasisVO bzw. auf Art. 5 i.V.m. Art. 14 ZusatzstoffVO i.V.m. Anhang der VO (EU) Nr. 231/2012, erster Satz, gestützt wurden.
Gleiches gilt für den hilfsweise gestellten Antrag auf Aufhebung der sofortigen Vollziehung, da die auf Art. 138 Abs. 1 Buchst. b), Abs. 2 Buchst. d) KontrollVO i.V.m. § 39 Abs. 1 LFGB i.V.m. Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Buchst. a) BasisVO gestützten Anordnungen kraft Gesetzes sofort vollziehbar sind und das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage mangels deren Erfolgsaussichten nicht angeordnet hat.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
5. Die Höhe des Streitwertes ergibt sich aus § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) i.V.m. Nr. 1.1.4 und Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Da im Hinblick auf den Jahresbetrag der erwarteten wirtschaftlichen Auswirkungen der angeordneten Maßnahmen keine detaillierten Angaben gemacht wurden, hat das Gericht pro noch im Lagerbestand befindlichen Becher von 582.552 Stück einen geschätzten Wert von 1,00 Euro als den nach Nr. 25.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit maßgeblichen Wert angesetzt und vorliegend für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hiervon den hälftigen Wert festgesetzt.
Da über den auf Aufhebung der Vollziehung gerichtete Hilfsantrag nicht entschieden wurde, wirkt sich dieser nicht streitwerterhöhend aus, weshalb der hälftige Streitwert nur einmal festgesetzt wurde (§ 45 Abs. 1 Satz 3 GKG).


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