Europarecht

Mangels Vorliegens eines Primäreffekts erfolglose Klage auf Förderung nach dem bayerischen regionalen Förderprogramm für die gewerbliche Wirtschaft

Aktenzeichen  RO 5 K 17.1401

Datum:
21.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 3921
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 3 Abs. 1
VwGO § 114

 

Leitsatz

1 Die Gerichte sind zur Auslegung von Ermessensrichtlinien nach Art der Gesetzesauslegung nicht befugt, sondern an die authentische Interpretation der zuständigen Behörde gebunden. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2 Die zuständige Bewilligungsbehörde entwickelt durch regelmäßige Wiederholung bestimmter Förderentscheidungen eine bestimmte Förderpraxis, die sie bei vergleichbaren Entscheidungen auch in Parallelverfahren bindet und Maßstab für deren gerichtliche Kontrolle ist. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3 Versagt eine Behörde regelmäßig die Gewährung einer Zuwendung, so verletzt sie das Gleichbehandlungsgebot in seiner objektiv-rechtlichen Funktion, wenn sie sich im Einzelfall über diese Praxis hinwegsetzt und trotz Fehlens der ansonsten geforderten Voraussetzungen die Leistung gewährt, so dass in einem solchen Fall die Entscheidung wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG rechtswidrig ist. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.
III. Das Urteil ist in Ziffer II. vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten über die Streitsache ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
I.
Die Klage ist zulässig, hat in der Sache aber sowohl im Haupt-, als auch im Hilfsantrag keinen Erfolg.
Die Ablehnungsbescheide des Beklagten vom 19.04.2017 bzw. 11.07.2018 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerinnen nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Die Klägerinnen haben keinen Anspruch auf eine Zuwendung nach dem bayerischen regionalen Förderprogramm für die gewerbliche Wirtschaft.
1. Die am 11.08.2017 bei Gericht eingegangene Klage ist zulässig, insbesondere nicht verfristet. Der (erste) Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 19.04.2017 war nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung:versehen, sodass dadurch gemäß § 58 Abs. 2 VwGO lediglich eine Jahresfrist ausgelöst wurde. Da der (zweite) Ablehnungsbescheid vom 11.07.2018, den Klägerinnen zugegangen am 12.07.2018, eine Rechtsbehelfsbelehrung:enthielt, begann die einmonatige Klagefrist des § 74 Abs. 2 VwGO gemäß § 57 VwGO i.V.m. § 222 ZPO i.V.m. § 187 Abs. 1 BGB am 13.07.2017 und endete gemäß § 57 VwGO i.V.m. § 222 ZPO i.V.m. § 188 Abs. 2 BGB folglich am 12.08.2017 um 24 Uhr.
2. Die Ablehnungsbescheide des Beklagten vom 19.04.2017 bzw. 11.07.2018 sind jedoch rechtmäßig, sodass die Klage in der Sache keinen Erfolg hat.
Maßgeblich für die Prüfung der Zuwendungsvoraussetzungen ist die Richtlinie zur Durchführung des bayerischen regionalen Förderprogramms für die gewerbliche Wirtschaft, Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie vom 1. Juli 2014, Az. III/2-3541/191/3 (AllMBl. S. 376). Danach kann der Freistaat Bayern für gewerbliche, regionalwirtschaftlich bedeutsame Vorhaben in den Bereichen Industrie, Handwerk, Tourismus und sonstige Dienstleistungen Zuwendungen gewähren. Die Förderung erfolgt jedoch ohne Rechtsanspruch und nur im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel.
Gemäß Ziffer 4 der Richtlinie ist Fördervoraussetzung, dass an der Durchführung der Vorhaben ein volks- und regionalwirtschaftliches sowie struktur- und arbeitsmarktpolitisches, bei touristischen Vorhaben auch ein tourismuspolitisches Interesse besteht. Dies ist dann zu bejahen, wenn das Vorhaben einen Primär- und einen Arbeitsplatzeffekt aufweist (vgl. 4.1 und 4.2. der Richtlinie) und wenn die Investitionen eine „besondere Anstrengung“ des Betriebs erfordern (vgl. 4.3. der Richtlinie).
Streitgegenständlich ist das Vorliegen des Primäreffekts bei der streitgegenständlichen Investition der Klägerinnen.
Nach Ziffer 4.1 kann ein Investitionsvorhaben nur gefördert werden, wenn es geeignet ist, durch Schaffung von zusätzlichen Einkommensquellen das Gesamteinkommen in dem jeweiligen Wirtschaftsraum unmittelbar und auf Dauer nicht unwesentlich zu erhöhen (Primäreffekt). Diese Fördervoraussetzung gilt in gleichem Wortlaut im gesamten Bundesgebiet und ist in den bundeseinheitlichen Regelungen im Koordinierungsrahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ festgelegt (vgl. Teil II, A, 2.1. Primäreffekt). Dieser Koordinierungsrahmen benennt zwei Varianten des Nachweises des Primäreffekts, nämlich den „Artbegriff“ und den „Einzelnachweis“.
a) Nach Teil II, A, 2.1.1 des Koordinierungsrahmens sind die Voraussetzungen des Artbegriff dann als erfüllt angesehen werden, wenn in der zu fördernden Betriebsstätte überwiegend (das heißt zu mehr als 50 Prozent des Umsatzes) Güter hergestellt oder Leistungen erbracht werden, die ihrer Art nach regelmäßig überregional abgesetzt werden (sogenannter „Artbegriff“). Als überregional ist gemäß Ziffer 2.1.2. Satz 2 des Koordinierungsrahmens in der Regel ein Absatz außerhalb eines Radius von 50 km von der Gemeinde, in der die Betriebsstätte liegt, anzusehen. Eine Fußnote zur Förderung nach dem Artbegriff verweist auf eine im Anhang 8 zu findende Positivliste. Bei den dort genannten Tätigkeiten könne unterstellt werden, dass die Voraussetzungen des Primäreffekts des Artbegriffs erfüllt sind.
Zum Zeitpunkt der Antragstellung lautete Nr. 32 der Positivliste wie folgt:
„Nahrungs- und Genussmittel, soweit sie für den überregionalen Versand bestimmt oder geeignet sind“.
Zwar mag man den Klägerinnen insoweit Recht geben, als diese Formulierung dem Wortlaut nach nahe legt, dass die Voraussetzungen „bestimmt“ und „geeignet“ in einem Alternativverhältnis stehen und nicht kumulativ vorliegen müssen. Die Gerichte sind zur Auslegung von Ermessensrichtlinien nach Art der Gesetzesauslegung jedoch nicht befugt. Sie sind durch § 114 VwGO an die authentische Interpretation der zuständigen Behörde gebunden. Diese kann sich aus der – u.U. wortlautwidrigen – Verwaltungspraxis ergeben (vgl. Schoch/Schneider/Bier/Gerhardt VwGO § 114 Rn. 22, beck-online).
Auf Zuwendungen besteht grundsätzlich und ausweislich der Präambel der Förderrichtlinie kein Anspruch. Sie werden bei Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Ausgestaltung vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel vergeben (BVerwG NJW 1996, 1766). Dabei obliegt es dem Zuwendungsgeber, das „ob” und „wie“ der Förderung frei zu bestimmen. Hierbei ist er nur durch den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz bzw. das Willkürverbot (Art. 3 GG) und das Rechtsstaatsprinzip sowie den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung eingeschränkt. Ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften unterliegen keiner eigenständigen richterlichen Auslegung wie Rechtsnormen. Sie begründen nicht wie Gesetze und Rechtsverordnungen unmittelbar Rechte und Pflichten, sondern entfalten erst durch ihre Anwendung Außenwirkung. Das Gericht ist somit grundsätzlich an den Zuwendungszweck gebunden, wie ihn der Zuwendungsgeber versteht, und kann lediglich überprüfen, ob die ausgeübte Verwaltungspraxis den vorgenannten Grundsätzen genügt (BayVGH v. 28.10.1999 – 19 B 96.3964). Für die gerichtliche Überprüfung einer Förderung bzw. ihrer Rücknahme ist deshalb entscheidend, wie die Behörden des zuständigen Rechtsträgers die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt haben und in welchem Umfang sie infolgedessen durch den Gleichheitssatz gebunden sind. Entscheidender Anknüpfungspunkt für den Selbstbindungsgrundsatz ist letztlich also „die tatsächliche Handhabung der Verwaltungsvorschriften in der Verwaltungspraxis zur maßgeblichen Zeit” (vgl. BVerwG DVBl. 1996, 814; ähnlich Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs VwVfG § 40 Rn. 105, 111; BVerwG DÖV 2012, 780). Für den Zuwendungsbereich bedeutet dies vor allem, dass die zuständige Bewilligungsbehörde durch regelmäßige Wiederholung bestimmter Förderentscheidungen eine bestimmte Förderpraxis entwickelt. Diese bindet sie bei vergleichbaren Entscheidungen auch in Parallelverfahren und ist Maßstab für deren gerichtliche Kontrolle.
Gemessen an diesen Grundsätzen besteht vorliegend kein Anspruch der Klägerinnen auf Gewährung einer Zuwendung aus dem bayerischen regionalen Förderprogramm für die gewerbliche Wirtschaft für das streitgegenständliche Projekt.
Der Beklagte legte im Schriftsatz vom 21.06.2018 (vgl. Blatt 98 GA) ausführlich und glaubhaft dar, dass es jahrelange gängige Verwaltungspraxis in der Wirtschaftsförderung des Beklagten sei, dass eine alleinige theoretische Geeignetheit zum Versand nicht ausreiche. Der Beklagte gab weiterhin an, er habe auch in der Vergangenheit keine herkömmlichen Metzgereien (Vollsortimenter mit Absatz über regionale Ladengeschäfte) gefördert. Bei den wenigen Betrieben, die im Bereich der Fleischwaren- bzw. Wurstherstellung in den letzten Jahren gefördert worden seien, handele es sich nicht um normale, im regionalen Umfeld absetzende Metzgereien, sondern eher um industriell aufgestellte Firmen der Nahrungsmittelherstellung mit tatsächlich stattfindendem überregionalem – teils europaweitem – Absatz in Supermärkten, Filialen, als Groß- und Einzelhändler, bei denen der Primäreffekt durch überregionalen Absatz tatsächlich erzielt worden und das auch faktisch nachprüfbar gewesen sei.
Dies führt dazu, dass sich der Beklagte durch diese ständige Förderpraxis selbst gebunden hat und damit das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 GG vorliegend zu Lasten der Klägerinnen Anwendung findet. Versagt eine Behörde regelmäßig die Gewährung einer Zuwendung, so verletzt sie das Gleichbehandlungsgebot in seiner objektiv-rechtlichen Funktion, wenn sie sich im Einzelfall über diese Praxis hinwegsetzt und trotz Fehlens der ansonsten geforderten Voraussetzungen die Leistung gewährt, so dass in einem solchen Fall die Entscheidung wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG rechtswidrig ist (vgl. Müller/Richter/Ziekow, Handbuch Zuwendungsrecht, A. Grundlagen Rn. 87-88, 91, beck-online). Es wäre im vorliegenden Fall umgekehrt also rechtswidrig, wenn der Beklagte den Klägerinnen Zuwendungen bewilligen und im Gegensatz dazu anderen regionalen Metzgereibetrieben, deren Produkte ebenfalls lediglich für den überregionalen Versand „geeignet“ sind, Zuwendungen versagen würde.
Zudem widerspricht die Handhabung des Beklagten nicht dem Zuwendungszweck, wie ihn der Beklagte als Zuwendungsgeber versteht.
Ausweislich des Schriftsatzes vom 22.11.2017 (vgl. Blatt 35 des GA) verfolgt der Beklagte mit dem Programm der regionalen Wirtschaftsförderung die Zielsetzung, durch Firmen mit überwiegend überregionalem Absatz zusätzliche Kaufkraft von außerhalb in wirtschaftsschwächere Regionen zu ziehen. Dieser Zuwendungszweck wird jedoch tatsächlich nur dann erfüllt, wenn die Nahrungs- und Genussmittel nicht nur theoretisch zum Versand geeignet, sondern auch tatsächlich zum Versand bestimmt sind und schlussendlich auch tatsächlich versendet werden.
b) Zwar ist eine Förderung nach Teil II, A, 2.1.2 des Koordinierungsrahmens auch dann möglich, wenn im Einzelfall die in der Betriebsstätte hergestellten Güter oder erbrachten Dienstleistungen tatsächlich überwiegend überregional abgesetzt werden und dadurch das Gesamteinkommen in dem jeweiligen Wirtschaftsraum unmittelbar und auf Dauer nicht unwesentlich erhöht wird (sogenannter „Einzelfallnachweis“, vgl. Satz 1) oder wenn aufgrund einer begründeten Prognose des Antragstellers zu erwarten ist, dass nach Durchführung des geförderten Investitionsvorhabens die in der Betriebsstätte hergestellten Güter oder erbrachten Dienstleistungen überwiegend überregional abgesetzt werden (vgl. Satz 3). Der überwiegend überregionale Absatz ist dabei innerhalb einer Frist von maximal drei Jahren nach Abschluss des Investitionsvorhabens nachzuweisen (vgl. Satz 4).
Diese Fördermöglichkeit scheitert für die Klägerinnen jedoch daran, dass eine Prüfung des Investitionsvorhabens ergeben hat, dass gemäß den von den Klägerinnen im Antrag gemachten Angaben bei den für 2020 erwarteten Gesamtumsätzen lediglich ein überregionaler Umsatzanteil von 7% vorliegen würde. Zudem geben die Klägerinnen im Antrag an, dass ihnen die gemäß Ziffer 2.1.2 Satz 4 verpflichtende Nachweisführung über den tatsächlich überwiegenden überregionalen Absatz innerhalb einer Frist von maximal drei Jahren nach Abschluss des Investitionsvorhabens anhand konkreter Buchführungsunterlagen nicht möglich sein wird (vgl. Blatt 113 der BA).
II.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.


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