Europarecht

(Materiell rechtmäßige) Rücknahme eines Verwaltungsakts durch unzuständige Behörde

Aktenzeichen  AN 4 K 19.01192

Datum:
20.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 20045
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 3, Art. 46, Art. 48
PBZugV § 5 Abs. 4 S. 2

 

Leitsatz

1 Aufgrund der Trennung von Ausgangs- und Rücknahmeverfahren und dem in Art. 48 Abs. 5 BayVwVfG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, dass sich ein rechtswidriges Verwaltungshandeln nicht dadurch fortsetzen soll, dass auch die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes wieder durch die unzuständige Behörde erfolgt, ist eine örtlich unzuständig handelnde Ausgangsbehörde nicht automatisch auch für die Rücknahme zuständig. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG findet auf einen Zuständigkeitswechsel zwischen Ausgangs- und Rücknahmeverfahren keine Anwendung.  (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3 In Anbetracht des Rücknahmeermessens liegt bei örtlicher Unzuständigkeit auch im Fall der Zustimmung der zuständigen Behörde zur – rechtlich nicht zulässigen – Fortführung des Verwaltungsverfahrens kein Anwendungsfall des Art. 46 BayVwVfG vor.  (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)

Gründe

1. Die Klage konnte trotz des Ausbleibens des Klägers verhandelt und entschieden werden, da die Beteiligten auf diese Möglichkeit in der ordnungsgemäßen Ladung vom 3. Juli 2019 hingewiesen worden sind, § 102 Abs. 2 VwGO. Da der Klägerbevollmächtigte keinen erheblichen Grund für eine Terminsänderung im Sinne des § 227 Abs. 1 und 2 ZPO i.V.m. § 173 VwGO glaubhaft gemacht hat, war dem Verlegungsgesuch vom 19. August 2019 nicht stattzugeben.
2. Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid vom 7. Juni 2019 ist wegen der örtlichen Unzuständigkeit der Beklagten rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
a) Dahinstehen kann letztlich, ob die Beklagte zutreffend davon ausgegangen ist, dass der Kläger keine ordnungsgemäße Fachkundeprüfung abgelegt hat, somit die Bescheinigung der fachlichen Eignung rechtswidrig ist und auf Grundlage des Art. 48 Abs. 3 BayVwVfG zurückzunehmen war, oder ob stattdessen ein Widerruf nach Art. 49 Abs. 2 BayVwVfG vorzunehmen gewesen wäre. Das Gericht hat anhand des von ihm erforschten Sachverhalts keine ernstlichen Zweifel, dass der Kläger nicht an einer solchen Prüfung teilgenommen hat. Hierfür sprechen schon die von der Beklagten ermittelten Umstände, dass die im Prüfprotokoll genannten Prüfer bestätigten, dem Kläger die Prüfung nicht abgenommen zu haben, und die Prüfungsanmeldung, das Prüfprotokoll und die Bescheinigung über die fachliche Eignung auf denselben Tag datiert sind und sich auch hinsichtlich der Meldeadresse des Klägers Auffälligkeiten zeigen. Der Kläger klärte diese Unstimmigkeiten auch im Gerichtsverfahren nicht auf, insbesondere äußerte er sich nicht zu den vom Gericht mit Schreiben vom 31. Juli 2019 gestellten Fragen (vgl. § 86 Abs. 1 VwGO).
b) Die Rücknahmeentscheidung ist jedoch rechtswidrig, da die Beklagte hierfür örtlich unzuständig ist, vgl. Art. 3 BayVwVfG.
aa) Eine zur allgemeinen Zuständigkeitsregelung aus Art. 3 BayVwVfG vorrangige, speziellere Norm, die die örtliche Zuständigkeit für das Rücknahmeverfahren regelt, existiert nicht.
Spezielle Zuständigkeitsbestimmungen für die Aufhebung des Verwaltungsakts enthält insbesondere die PBZugV nicht. § 5 Abs. 4 Satz 2 PBZugV regelt die örtliche Zuständigkeit nur für das Ausgangsverfahren, indem sie den Prüfungsausschuss bestimmt, bei dem der Bewerber seinen Wohnsitz hat. Zur Rücknahme oder zum Widerruf einer Fachkundebescheinigung trifft die Norm keine Regelung.
Selbst wenn nach § 5 Abs. 4 Satz 2 PBZugV aufgrund der … amtlichen Meldeadresse des Klägers die Beklagte für den Erlass des Ausgangsverwaltungsakts örtlich zuständig war, gilt dies nicht ohne Weiteres auch für das Rücknahmeverfahren: Es handelt sich dabei um zwei selbstständige Verwaltungsverfahren im Sinne des Art. 9 BayVwVfG (vgl. BVerwG, U.v. 20.12.1999 – 7 C 42/98 – JuS 2000,823; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 48 Rn. 253; Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, 2. Aufl. 2019, § 48 Rn. 214). Es kann daher dahinstehen, ob die Beklagte im Ausgangsverfahren trotz der anzunehmenden Täuschung des Klägers über seine tatsächliche Wohnung (vgl. §§ 17, 20 f. BMG) örtlich zuständig war oder nicht: Für die örtliche Zuständigkeit im Rücknahmeverfahren ist dies unerheblich. Weder könnte die Beklagte ihre örtliche Zuständigkeit für die Rücknahme alleine auf ihre örtliche Zuständigkeit im Ausgangsverfahren stützen, noch könnte sie ihre Zuständigkeit für die Rücknahme alleine daraus herleiten, dass sie bereits den Verwaltungsakt vom 27. August 2018 als örtlich unzuständige Ausgangsbehörde erlassen hat. Aufgrund der Trennung von Ausgangs- und Rücknahmeverfahren und dem in Art. 48 Abs. 5 BayVwVfG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, dass sich ein rechtswidriges Verwaltungshandeln nicht dadurch fortsetzen soll, dass auch die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes wieder durch die unzuständige Behörde erfolgt, ist eine örtlich unzuständig handelnde Ausgangsbehörde nicht automatisch auch für die Rücknahme zuständig (vgl. Mann/Sennekamp/Uechtritz, a.a.O., § 48 Rn. 226 f.; zum inhaltsgleichen § 44 Abs. 3 SGB X: BVerwG, B.v. 25.8.1995 – 5 B 141/95 – NVwZ-RR 1996, 538).
bb) Art. 3 BayVwVfG ist zur Prüfung der örtlichen Zuständigkeit der Beklagten hier ohne die Verweisung in Art. 48 Abs. 5 BayVwVfG bzw. Art. 49 Abs. 4 BayVwVfG anwendbar, da der nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung:versehene und somit binnen Jahresfrist (§ 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO) anfechtbare Verwaltungsakt vom 27. August 2018 noch nicht in Bestandskraft erwachsen war (vgl. BeckOK VwVfG, Stand 1.1.2019, § 48 Rn. 124). Der Kläger betreibt jedoch weder sein Taxiunternehmen im Zuständigkeitsbereich der Beklagten, vgl. Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG, noch hat er dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt gemäß Art. 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a) BayVwVfG. Aufgrund der oben dargestellten Trennung von Ausgangs- und Rücknahmeverfahren kann die Beklagte auch nicht Art. 3 Abs. 1 Nr. 4 BayVwVfG heranziehen, um ihre örtliche Zuständigkeit zu begründen: Unabhängig von der Subsidiarität zu Nr. 1 bis 3 kann jedenfalls nicht darauf abgestellt werden, dass das Rücknahmeverfahren durch das Ausgangsverfahren veranlasst war, weil andernfalls eine vom Gesetzgeber gerade nicht gewünschte Annexkompetenz der Ausgangsbehörde für das Aufhebungsverfahren geschaffen werden würde (vgl. auch BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 1 C 5/11 – NVwZ 2012, 1485, Rn. 16).
cc) Die Beklagte kann ihre örtliche Zuständigkeit auch nicht aus Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG herleiten, weil dieser im vorliegenden Fall keine Anwendung findet. Demnach kann die bisher zuständige Behörde das Verwaltungsverfahren fortführen, obwohl sich in dessen Verlauf die die Zuständigkeit begründenden Umstände geändert haben, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Behörde zustimmt.
Nach § 1 Abs. 1 VwVfGBln i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 lit. a) VwVfG ist die Industrie- und Handelskammer … örtlich zuständig für das Rücknahmeverfahren: Der Kläger betreibt nach derzeitigem Kenntnisstand ein Taxiunternehmen in …, § 3 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, und hat dort jedenfalls seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a) VwVfG. Die Industrie- und Handelskammer … hat ihre nach Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG erforderliche Zustimmung am 16. August 2019 gegenüber der Beklagten erklärt. Dies ist gemäß Art. 45 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m Abs. 2 BayVwVfG auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren noch möglich (vgl. BayVGH, B.v. 22.2.2012 – 10 ZB 11.969 – BeckRS 2012, 25704, Rn. 19; B.v. 23.11.2009 – 1 ZB 06.1768 – BeckRS 2011, 46130; BVerwG, U.v. 15.3.2005 – 1 C 26/03 – NVwZ 2005, 1091). Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG findet jedoch auf einen Zuständigkeitswechsel zwischen Ausgangs- und Rücknahmeverfahren keine Anwendung. Nach dem Gesetzeswortlaut erfasst Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG Konstellationen, in denen sich die die Zuständigkeit begründenden Umstände im Laufe des Verwaltungsverfahrens ändern. Die die Zuständigkeit verlagernde Änderung, auf die die Beklagte hier nur abstellen kann, ist die Ummeldung des Klägers zum 1. Oktober 2018 von … nach … Diese Ummeldung erfolgte jedoch nicht während eines Verwaltungsverfahrens, sondern zwischen Ausgangs- und Rücknahmeverfahren. Ausweislich seines Wortlautes ist Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG in dieser Konstellation nicht anwendbar (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, U.v. 23.1.1985 – 2 A 3/84 – DVBl 1985, 1076; ebenso Giehl/Adolph/Käß, BayVwVfG, Stand Februar 2019, Art. 3 Rn. 80; BeckOK VwVfG, a.a.O., § 48 Rn. 124). Wie bereits dargestellt sind Ausgangs- und Rücknahmeverfahren zwei getrennte Verwaltungsverfahren im Sinne des Art. 9 BayVwVfG, die gerade nicht wie ein einheitliches Verfahren zu behandeln sind.
Eine in der Literatur vertretene Mindermeinung (Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 48 Rn. 256) sieht im Verweis des Art. 48 Abs. 5 BayVwVfG auf Art. 3 BayVwVfG in seiner Gesamtheit einen Anlass, im Rahmen des Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG Ausgangs- und Rücknahmeverfahren zu verklammern und wie nur ein Verwaltungsverfahren zu behandeln. Abgesehen davon, dass selbst diese Mindermeinung inkonsequent dargestellt wird (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 48 Rn. 257), findet sie keine Stütze im Gesetz. Der Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG steht einer solchen Rechtsauffassung eindeutig entgegen. Der Gesetzgeber hat von der Möglichkeit, für die Fälle einer Zuständigkeitsverlagerung zwischen Ausgangs- und Rücknahmeverfahren eine ausdrückliche, abweichende Regelung zu treffen, keinen Gebrauch gemacht. Er hat sich hinsichtlich einer Sonderregelung zur örtlichen Zuständigkeit im Rücknahmeverfahren auf Art. 48 Abs. 5 BayVwVfG beschränkt (vgl. Giehl/Adolph/Käß, a.a.O., Art. 3 Rn. 80; BeckOK VwVfG, a.a.O., § 48 Rn. 124). Art. 48 Abs. 5 BayVwVfG stellt – auch wenn er vor Unanfechtbarkeit des Ausgangsverwaltungsakts keine Anwendung findet – deutlich heraus, dass das erneute Handeln einer unzuständigen Behörde im Rücknahmeverfahren und die damit verbundene Fortsetzung eines Verfahrensfehlers dem Willen des Gesetzgebers ausnahmslos nicht entspricht und von ihm in keiner Sachverhaltskonstellation toleriert wird. Die abweichende Meinung scheint sich darauf zu stützen, dass der Verweis in Art. 48 Abs. 5 BayVwVfG auf Art. 3 BayVwVfG andernfalls überflüssig sein solle: Da Art. 3 BayVwVfG sofern nichts Abweichendes geregelt ist ohnehin auf das Rücknahmeverfahren anwendbar ist, könne der Verweis nur den Zweck haben, Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG ausdrücklich für eine Zuständigkeitsverlagerung zwischen Ausgangs- und Rücknahmeverfahren für anwendbar zu erklären, der ansonsten wegen seines Wortlautes im Rahmen eines Rücknahmeverfahrens keinen Anwendungsbereich hätte (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs, a.a.O., § 48 Rn. 256). Dieser Argumentation kann jedoch nicht gefolgt werden. Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG hat auch im Rücknahmeverfahren einen Anwendungsbereich: Er erfasst Zuständigkeitsverlagerungen während dieses Rücknahmeverfahrens. Damit besteht weder Raum noch Anlass, Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG über seinen Wortlaut hinaus auf eine Zuständigkeitsverlagerung zwischen Ausgangs- und Rücknahmeverfahren auszudehnen (vgl. Giehl/Adolph/Käß, a.a.O., Art. 3 Rn. 76 und Rn. 80). Das im vorliegenden Einzelfall unpraktikable Ergebnis, dass die Beklagte als sachnähere Behörde zwar die Aufklärung des Sachverhaltes durch interne Ermittlungen vornimmt, die Rücknahmeentscheidung jedoch durch eine andere Industrie- und Handelskammer zu treffen ist, nimmt der Gesetzgeber in Kauf.
Die vom Beklagtenvertreter angeführte Entscheidung des OVG Nordrhein-Westfalen (U.v. 22.1.1998 – 8 A 940/96 – BeckRS 1998, 21284) basiert auf der hier nicht anwendbaren speziellen Bestimmung in § 97 Abs. 1 BSHG, der Zuständigkeitsverlagerungen im Rahmen der Gewährung von Sozialhilfeleistungen erfasst (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, U.v. 22.1.1998, a.a.O., Rn. 31).
Die Beklagte war für den Erlass des Bescheides vom 7. Juni 2019 somit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt örtlich zuständig.
c) Schließlich liegt kein Anwendungsfall des Art. 46 BayVwVfG vor. Nach dieser Bestimmung kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach Art. 44 BayVwVfG nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass diese Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Vorliegend ist nicht offensichtlich, dass die Verletzung der Bestimmungen zur örtlichen Zuständigkeit die getroffene Entscheidung nicht beeinflusst hat: Es ist nicht jeglicher Zweifel ausgeschlossen, dass die örtlich zuständige Industrie- und Handelskammer … eine andere Entscheidung getroffen hätte (zu dieser hypothetischen Betrachtung vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2010 – 3 C 14/09 – BVerwGE 137, 199; U.v. 9.8.2007 – 1 C 47.06 – BVerwGE 129, 162; Giehl/Adolph/Käß, a.a.O. Art. 46 Rn. 45 f.).
Dies ergibt sich bereits daraus, dass es sich bei der Aufhebung des Verwaltungsakts vom 27. August 2018 nicht um eine gebundene Entscheidung handelte. Art. 48, 49 BayVwVfG räumen der Behörde einen Entscheidungsspielraum ein, der – je nachdem, welcher Rücknahme- oder Widerrufstatbestand einschlägig ist – dem Vertrauensschutz des Adressaten in unterschiedlicher Intensität Rechnung trägt. Insbesondere lag hier kein Fall der Ermessensreduzierung auf Null vor: Selbst wenn der Kläger die Fachkundebescheinigung durch kollusives Zusammenwirken mit einem Mitarbeiter der Beklagten in unrechtmäßiger Weise erwirkt hat, hat die Behörde nach Art. 48 Abs. 3 Satz 1 und 2, Abs. 2 Satz 3 BayVwVfG ihre Entscheidung unter Abwägung der betroffenen Interessen, darunter das Vertrauen des Klägers in den Bestand des Verwaltungsakts, ermessensfehlerfrei zu treffen (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2017 – 5 C 5/16 – NJW 2018, 568). Im Rahmen des Art. 48 Abs. 3 BayVwVfG, den die Beklagte ihrer Rücknahmeentscheidung zugrundelegte, ist von der Behörde insbesondere zu berücksichtigen, ob eine gesetzlich vorgesehene Entschädigung ausreichend sein kann, um dem grundsätzlich schutzwürdigen Vertrauen des Klägers Rechnung zu tragen, und ob sein negatives Interesse überhaupt beziffert werden kann (vgl. Giehl/Adolph/Käß, a.a.O., Art. 48 Ziffer IV. 1b). Diese Erwägungen hätten bei der zuständigen Industrie- und Handelskammer … anders ausfallen können. Dies kann nunmehr auch nicht dadurch ausgeschlossen werden, dass die Industrie- und Handelskammer … dem von der Beklagten durchgeführten Verwaltungsverfahren und dessen Fortführung am 16. August 2019 zugestimmt hat. Diese Zustimmungserklärung bringt nicht zum Ausdruck, dass die Industrie- und Handelskammer … ihr Rücknahmeermessen genauso wie die Beklagte ausgeübt hätte. Die Erklärung bezieht sich primär auf die Zuständigkeitsverlagerung nach Art. 3 Abs. 3 BayVwVfG. Soweit daneben dem von der Beklagten durchgeführten Rücknahmeverfahren allgemein zugestimmt wird, kann dem nicht entnommen werden, dass die Industrie- und Handelskammer … sich mit den hierbei zu treffenden Ermessenserwägungen der Beklagten auseinandergesetzt hat und diesen vollumfänglich gefolgt wäre. Die Kausalität zwischen der Unzuständigkeit und der Rücknahmeentscheidung kann durch diese nachträgliche Erklärung somit nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden.
Nach alledem war der Klage stattzugeben.
3. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.


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