Europarecht

Motorsegler; Altlizenzinhaber; luftsicherheitsrechtliche Zuverlässigkeitsüberprüfung

Aktenzeichen  3 C 20/10

Datum:
14.4.2011
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 4 Abs 1 S 2 Nr 3 LuftVG
§ 4 Abs 3 LuftVG
§ 7 Abs 1 Nr 4 LuftSiG
§ 7 Abs 2 LuftSiG
§ 7 Abs 3 LuftSiG
§ 7 Abs 5 LuftSiG
§ 7 Abs 6 LuftSiG
§ 7 Abs 7 LuftSiG
§ 7 Abs 11 LuftSiG
§ 17 LuftSiG
§ 31 Abs 1 BVerfGG
§ 31 Abs 2 BVerfGG
Art 1 Abs 1 GG
Art 2 Abs 1 GG
Art 3 Abs 1 GG
Art 6 S 1 EGV 2320/2002
LuftSiNRG
Spruchkörper:
3. Senat

Leitsatz

Auch Altlizenzinhaber haben sich der Überprüfung ihrer luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit nach dem Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben zu unterziehen.

Verfahrensgang

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 23. April 2008, Az: 20 A 971/07, Urteilvorgehend VG Minden, 8. März 2007, Az: 7 K 185/06

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen den Teilwiderruf seiner Berechtigung zum Führen von Luftfahrzeugen.
2
Der 1974 geborene Kläger erwarb 1991 einen befristeten Luftfahrerschein für Segelflugzeugführer. Die Erlaubnis wurde in der Folgezeit verlängert und um weitere Berechtigungen, u.a. zum Führen von Motorseglern, erweitert. Im Oktober 2003 erteilte die Beklagte dem Kläger einen unbefristeten Luftfahrerschein für Segelflugzeugführer, der die Berechtigung zum Führen von Segelflugzeugen mit Hilfsantrieb, die Klassenberechtigung für Reisemotorsegler (TMG) und die Berechtigung zum Schleppen anderer Luftfahrzeuge und anderer Gegenstände ohne Fangschlepp hinter Motorseglern umfasste.
3
Als sich der Kläger im Juli 2005 nach der Umsetzung der Regelungen über die Zuverlässigkeitsüberprüfung für Luftfahrer nach dem Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) erkundigte, forderte ihn die Beklagte auf, eine solche Überprüfung zu beantragen. Dem kam der Kläger nicht nach. Daraufhin widerrief die Beklagte mit Bescheid vom 29. September 2005 die dem Kläger erteilten Erlaubnisse für Motorsegler im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 5 des Luftverkehrsgesetzes (LuftVG), forderte ihn auf, den Luftfahrerschein binnen einer Woche abzugeben, und ordnete die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an. Da wegen unterbliebener Antragstellung keine positive Entscheidung über die Zuverlässigkeit des Klägers vorliege, fehle die Erteilungsvoraussetzung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LuftVG; die Berechtigung des Klägers zum Führen von Motorseglern sei daher zwingend zu widerrufen. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Bescheid vom 13. Januar 2006 zurück, soweit er gegen den Widerruf der Lizenzen und die Anordnung der Vorlage des Luftfahrerscheins gerichtet war. Sie stellte dem Kläger einen Luftfahrerschein für Segelflugzeuge ohne die widerrufenen Erlaubnisse aus.
4
Die Klage blieb beim Verwaltungsgericht ohne Erfolg. Die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Zur Begründung wird ausgeführt: Die Beklagte habe die Erlaubnisse für Motorsegler zu Recht widerrufen, weil eine positive Feststellung der luftsicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit des Klägers fehle. Mit der Neufassung von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LuftVG hätten sich die Anforderungen an die Zuverlässigkeit von Luftfahrern erhöht. Sie sei nicht nur bei der Neuerteilung einer Erlaubnis zu überprüfen, vielmehr müssten auch die Piloten einen solchen Nachweis führen, die ihre Lizenz noch nach altem Recht erhalten hätten. Ermessensfehler stünden nicht in Rede; liege ein Widerrufsgrund vor, sei die Behörde zum Widerruf verpflichtet. Die den Widerruf tragenden gesetzlichen Grundlagen stünden im Einklang mit der Verfassung. Das Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben habe nicht der Zustimmung des Bundesrats bedurft. Die den Kläger treffenden Neuregelungen seien auch materiell verfassungsgemäß. Der Privatpiloten abverlangte Nachweis ihrer Zuverlässigkeit sei eine durch wichtige Gemeinwohlbelange veranlasste, den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes genügende und verhältnismäßige Einschränkung ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit. Soweit die Zuverlässigkeitsüberprüfung mit der Erhebung, Speicherung und Weiterverarbeitung personenbezogener Daten verbunden sei, seien die Anforderungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung gewahrt. Ebenso wenig verstoße die geforderte Überprüfung gegen europäisches Gemeinschaftsrecht. Die maßgebliche Verordnung hindere den nationalen Gesetzgeber nicht, über die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben hinauszugehen und einen weiteren Personenkreis einer Zuverlässigkeitsüberprüfung zu unterziehen.
5
Zur Begründung seiner Revision macht der Kläger geltend: Die von den Privatpiloten geforderte Zuverlässigkeitsüberprüfung sei verfassungswidrig. Sie würden ohne Anlass unter generellen Terrorismusverdacht gestellt. Die Behörden verlangten zum Teil absurde Nachweise und schlössen aus geringfügigen Verstößen auf mangelnde Zuverlässigkeit. Ein Widerrufsgrund könne nicht allein daraus hergeleitet werden, dass kein Antrag auf Durchführung einer Zuverlässigkeitsüberprüfung gestellt worden sei. Inhaber von Altlizenzen seien zu einer solchen Antragstellung nicht verpflichtet; zudem setze ein Widerruf konkrete Anhaltspunkte für einen Terrorismusverdacht voraus. Abgesehen davon sei das Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben ohne die erforderliche Zustimmung des Bundesrates zustande gekommen. Die Regelungen zur Zuverlässigkeitsüberprüfung verletzten außerdem sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung. § 7 LuftSiG sehe verdachtslose Eingriffe in dieses Recht mit großer Streubreite sowie hoher Eingriffsintensität vor. Solche Maßnahmen setzten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Vorliegen einer konkreten Gefahr voraus; diese Gefahr müsse zudem gerade in Bezug auf die Sicherheit des Luftverkehrs im Sinne von § 1 LuftSiG bestehen. Daran fehle es. Das Luftsicherheitsgesetz enthalte auch keinen Katalog der Kriterien für die Bewertung der Zuverlässigkeit; die Gebote der Normenbestimmtheit und -klarheit seien deshalb nicht gewahrt. Ebenfalls nur unzureichend geregelt seien die Einzelheiten der Erhebung, Speicherung und Löschung von personenbezogenen Daten. Dass auch Auskünfte über noch laufende Ermittlungsverfahren eingeholt werden könnten, verstoße gegen die Unschuldsvermutung. Auch den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Gleichbehandlungsgebotes genügten die Regelungen nicht. Anders als die deutschen Piloten würden ausländische Piloten keiner Zuverlässigkeitsüberprüfung unterzogen. Nicht überprüft würden auch Pkw- und Lkw-Fahrer, obwohl sie ebenfalls einen Sprengstoffanschlag verüben könnten und selbst bei einem Pkw eine erheblich höhere Zuladung möglich sei als bei einem Motorsegler. Strengere als im Gemeinschaftsrecht vorgesehene Maßnahmen dürften in der Bundesrepublik nur ergriffen werden, wenn hier eine intensivere Gefährdungslage bestehe als anderswo; das sei aber nicht der Fall.
6
Der Senat hat das Revisionsverfahren mit Beschluss vom 20. Mai 2009 ausgesetzt, weil dem Bundesverfassungsgericht in einem Normenkontrollverfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Frage zur Entscheidung vorlag, ob § 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LuftVG verfassungsgemäß ist. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 4. Mai 2010 – 2 BvL 8/07 und 9/07 – (NVwZ 2010, 1146) festgestellt, dass diese Regelungen mit dem Grundgesetz vereinbar sind, “soweit danach eine Zuverlässigkeitsprüfung erforderlich ist für Luftfahrer im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 4 des LuftVG”.
7
Die Beklagte tritt der Revision entgegen. Die luftsicherheitsrechtliche Zuverlässigkeit sei auch bei Inhabern von Altlizenzen zu überprüfen. Zweifel an der Zuverlässigkeit im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LuftVG bestünden bereits dann, wenn wegen fehlenden Antrags eine Überprüfung nicht durchgeführt werden könne. Das Bundesverfassungsgericht habe bestätigt, dass es verfassungsgemäß sei, von Privatpiloten eine Zuverlässigkeitsüberprüfung zu verlangen und ohne diesen Nachweis die Flugberechtigung zu widerrufen.
8
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hält die Revision ebenfalls für unbegründet und trägt im Einvernehmen mit den Bundesministerien des Innern und der Justiz vor: Die Beklagte habe die Fluglizenz des Klägers widerrufen dürfen. Wegen dessen Weigerung, sich einer Zuverlässigkeitsüberprüfung zu unterziehen, hätten Zweifel an seiner Zuverlässigkeit bestanden. Nach Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und Zweck der Regelungen seien auch Altlizenzinhaber zu überprüfen. Der damit verbundene Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit und in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei im Hinblick auf das hohe Gefährdungspotenzial im Luftverkehr und den Rang der zu schützenden Rechtsgüter gerechtfertigt.

Die gegen diese Entscheidung erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 13.07.2015 – 1 BvR 1846/11 – nicht zur Entscheidung angenommen.


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