Europarecht

Note „ungenügend“ in der Ersten Juristischen Staatsprüfung wegen Verwendung nicht zugelassenen Hilfsmittels

Aktenzeichen  M 4 K 17.3273

Datum:
29.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 4546
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
JAPO § 11 Abs. 1 S. 1, S. 3
VwGO § 44a

 

Leitsatz

1. Eine Notenmitteilung kann mangels Regelungswirkung bzw. wegen § 44a VwGO nicht isoliert angefochten werden (wie BayVGH BeckRS 2008, 38038). (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Auslegung des Begriffs der Doppelseite in Ziff. 4.1 der Hilfsmittelbekanntmachung ergibt, dass davon eine aufgeschlagene Doppelseite (bzw. zwei nebeneinanderliegende Seiten) erfasst ist. (Rn. 42 – 48) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei der Hilfsmittelbekanntmachung handelt es sich um eine Verwaltungsvorschrift, da sie sicherstellt, dass die Beurteilung eines zugelassenes Hilfsmittels in den Prüfungen nach einem einheitlichen Verfahren und nach einheitlichen Maßstäben erfolgt und damit insbesondere der Grundsatz der Chancengleichheit gewährleistet wird. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Der hier angegriffene Bescheid des Beklagten vom 12. Juni 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin folglich nicht in ihren Rechten. Die Bewertung der von der Klägerin im Prüfungstermin 2017/1 gefertigten Aufgabe 6 mit der Note „ungenügend“ (null Punkte) ist rechtlich nicht zu beanstanden.
I.
Die Klage gegen den „Unterschleifbescheid“ ist zulässig.
Wegen § 11 Abs. 7 Satz 1 JAPO, wonach die Entscheidung über die Rechtsfolgen nach § 11 Abs. 1 bis Abs. 6 JAPO durch schriftlichen Verwaltungsakt bekannt gegeben wird, kann in diesem Fall eine Einzelnote, die in einen abschließenden Prüfungsbescheid einfließt, gesondert mit der Anfechtungsklage angegriffen werden. Allerdings fehlt einer Klage gegen einen „Unterschleifbescheid“ wohl das Rechtsschutzbedürfnis, wenn der Prüfungsbescheid mit der Prüfungsgesamtnote bestandskräftig geworden ist. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.
Zwar war die Klage vom 16. Januar 2018 gegen die Notenmitteilung vom 26. Juni 2017 (im Verfahren M 4 K 18.266) zunächst unzulässig, da sie ausschließlich auf die Aufhebung der Notenmitteilung gerichtet war und die Notenmitteilung mangels Regelungswirkung bzw. wegen § 44a Verwaltungsgerichtsordnung -VwGOnicht isoliert anfechtbar ist (vgl. BayVGH, B.v. 25.4.2008 – 7 ZB 07.2331 – juris Rn. 9 ff.; BVerwG, U.v. 22.6.1994 – 6 C 37/92 – juris Rn. 16; B.v. 25.3.2003 – 6 B 8/03 – juris Rn. 3). Jedoch wurde die Klage vom 16. Januar 2018 gegen den Prüfungsbescheid vom … nach dessen Änderung mit Bescheid vom 28. März 2018 mit Schriftsatz vom 10. Januar 2019, bei Gericht am 14. Januar 2019 eingegangen, zulässig geändert. Damit ist der Prüfungsbescheid nicht bestandskräftig geworden und steht er als solcher einer zulässigen Anfechtungsklage gegen den „Unterschleifbescheid“ nicht entgegen.
II.
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid vom 12. Juni 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Die Entscheidung des Prüfungsausschusses für die Erste Juristische Staatsprüfung, die Bearbeitung der Aufgabe 6 der Ersten Juristischen Staatsprüfung 2017/1 der Klägerin mit der Note „ungenügend“ (0 Punkte) zu bewerten, findet ihre Rechtsgrundlage in § 11 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 JAPO i.V.m. § 7 Abs. 2 Nr. 4 JAPO.
Danach ist die Arbeit eines Prüflings, der versucht, das Ergebnis seiner Prüfungsarbeit durch Unterschleif, Täuschung oder Benutzung nicht zugelassener Hilfsmittel zu eigenem oder fremdem Vorteil zu beeinflussen, mit der Note „ungenügend“ (0 Punkte) zu bewerten. Nach § 11 Abs. 1 Satz 3 JAPO stellt auch der Besitz nicht zugelassener Hilfsmittel nach Ausgabe der Prüfungsaufgabe einen Unterschleif dar, sofern der Prüfling nicht nachweist, dass der Besitz weder auf Vorsatz noch auf Fahrlässigkeit beruht.
1. Die Klägerin war am 14. März 2017 nach Ausgabe der Prüfungsaufgabe im Besitz eines nicht zugelassenen Hilfsmittels.
Gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 JAPO dürfen die Prüflinge nur die vom Prüfungsausschuss zugelassenen Hilfsmittel benutzen. Der Prüfungsausschuss hat nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 JAPO für die Erste Juristische Staatsprüfung die Hilfsmittelbekanntmachung für die Erste Juristische Staatsprüfung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz – … – vom 16. Oktober 2008 (Az.: PA – 2230 – 9167/2008, JMBl 2008, S. 161; AllMBl 2008, S. 727), zuletzt geändert durch Bekanntmachung vom … … 2015 (Az.: PA 2230 – 2913/2012, JMBl 2015, S. 30), erlassen. Nach Ziffer 4.1 dürfen die Hilfsmittel keine Eintragungen enthalten. Ausgenommen sind bis zu 20 handschriftliche Verweisungen pro Doppelseite mit Bleistift auf Normen (nur Artikel-, Paragraphen- und Gesetzesbezeichnung) sowie einfache Unterstreichungen mit Bleistift, soweit die Verweisungen beziehungsweise Unterstreichungen nicht der Umgehung des Kommentierungsverbots dienen. Darüber hinausgehende Eintragungen sind nicht zugelassen.
Die Auslegung des Begriffs der Doppelseite durch das Gericht ergibt, dass jedenfalls (auch) eine aufgeschlagene Doppelseite damit gemeint ist (1.1.).
Ob auch die Vorder- und Rückseite eines Blattes als Doppelseite verstanden werden kann, kann im vorliegenden Fall dahinstehen; die Klägerin war jedoch auch bei dieser Auslegung im Besitz eines unzulässigen Hilfsmittels (1.2.). Zusätzlich sind die doppelten Unterstreichungen der Klägerin und das eingefügte Kreuz neben § 309 Nr. 7 BGB unzulässige Eintragungen (1.3.). Überdies beruht Ziffer 4.1 der Hilfsmittelbekanntmachung auf einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage und verstößt nicht gegen höherrangiges Recht; sie ist nicht nichtig (1.4.).
1.1. Eine Auslegung des Begriffs der Doppelseite in Ziffer 4.1 der Hilfsmittelbekanntmachung ergibt, dass davon – wie vom Beklagten vertreten und von der Klägerin nicht bestritten – eine aufgeschlagene Doppelseite (bzw. zwei nebeneinanderliegende Seiten) erfasst ist.
1.1.1. Für die Begriffsauslegung sind nach Auffassung des Gerichts vorrangig verwandte Lebenssachverhalte heranzuziehen, d.h. solche, die dem Begriff der Doppelseite in einer Gesetzessammlung nahe stehen. Für die Auslegung des Begriffs der Doppelseite im Sinne einer aufgeschlagenen Doppelseite (bzw. zweier nebeneinanderliegender Seiten) spricht ein Blick auf die verwandten Gebiete des Buch- und Zeitungswesens. Wie vom Beklagten angeführt, definiert der Duden die Doppelseite im Zeitungswesen als Gesamtheit zweier nebeneinanderliegender Seiten, die ein Thema umfassen. Auch der Bundesgerichtshof geht in einer seiner Entscheidungen bei einem Fristenkalender von derselben Lesart aus, indem er von der „zweiten (rechten) Seite“ einer Doppelseite spricht (vgl. BGH, B.v. 23.1.2002 – XII ZB 155/01 – juris Rn. 3).
Das Argument der Klägerin, wonach im Druckereiwesen der „doppelseitige“ und „beidseitige“ Druck synonym verwendet würden, überzeugt nicht, weil beim Drucken in der Regel nur ein Blatt gedruckt wird und der Befehl eines doppelseitigen Drucks nur die Vorder- und Rückseite meinen kann. Das Argument des „doppelseitigen Klebebands“ überzeugt ebenfalls nicht, da es auch hier nur eine Vorder- und Rückseite gibt. Dass vorgenannte Erwägungen hinsichtlich der Loseblattsammlung „Schönfelder“ dafür sprechen, dass eine Doppelseite eine Vorder- und Rückseite sein soll, ist für das Gericht nicht ersichtlich.
Auch steht dieser Auslegung nicht das System der Ergänzungslieferungen entgegen. Es mag sein, dass bei einer Verschiebung des Druckbildes nicht nur die von der Nachlieferung betroffenen Seiten neu zu kommentieren sind, sondern auch von der Nachlieferung nicht betroffene Seiten überprüft werden müssen, ob die zulässige Anzahl an Verweisungen eingehalten wird. Dieser Vorgang ist dem Ein- und Aussortieren von Seiten in einer Loseblattsammlung jedoch immanent. Sinn und Zweck von Ziffer 4.1 der Hilfsmittelbekanntmachung ist es nicht, den Prüflingen den Austauschvorgang der Seiten zu erleichtern. Der Prüfling muss seine Hilfsmittel nicht kommentieren; wenn er es macht, ist er für den zulässigen Zustand verantwortlich.
1.1.2. Für die Auslegung des Begriffs der Doppelseite spricht auch der Wille des Vorschriftengebers (hier des Prüfungsausschusses).
Bei der Hilfsmittelbekanntmachung handelt es sich um eine Verwaltungsvorschrift, da sie sicherstellt, dass die Beurteilung eines zugelassenes Hilfsmittels in den Prüfungen nach einem einheitlichen Verfahren und nach einheitlichen Maßstäben erfolgt und damit insbesondere der Grundsatz der Chancengleichheit gewährleistet wird (vgl. Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 33; BVerwG, U.v. 28.9.1971 – VI C 41.68 – BeckRS 1971, 31294360). Dafür spricht auch, dass die Hilfsmittelbekanntmachung in der für Verwaltungsvorschriften üblichen Form, im Ministerialblatt, bekanntgemacht worden ist (vgl. BVerwG, U.v. 24.3.1977 – II C 14.75 – juris Rn. 17).
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BVerwG, U.v. 29.4.1971 – II C 20.69 – juris Rn. 38; U.v. 28.9.1971 – VI C 41.68 – BeckRS 1971, 31294360) ist bei der Auslegung einer Verwaltungsvorschrift der Wille des Vorschriftengebers nach der allgemeingültigen Auslegungsregel des § 133 BGB zu erforschen. Für die Ermittlung dessen, was wirklich gewollt war, ist danach bei Erklärungen, die generalisierend auf eine unbestimmte Vielzahl künftiger Fälle abstellen, die tatsächliche Verwaltungspraxis jedenfalls insoweit heranzuziehen, als sie von dem Urheber der Verwaltungsvorschrift gebilligt oder doch geduldet wurde und wird (vgl. BVerwG, U.v. 29.4.1971 – II C 20.69 – juris Rn. 38; U.v. 28.9.1971 – VI C 41.68 – BeckRS 1971, 31294360). Danach entspricht die Auslegung der „Doppelseite“ als aufgeschlagene Doppelseite unstreitig der Ansicht und dem Willen des Prüfungsausschusses, wie sich aus dem Bescheid vom 12. Juni 2017 ergibt. Dies hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Auch die Rubrik „Häufig gestellte Fragen zur Hilfsmittelbekanntmachung für die Erste Juristische Staatsprüfung“ auf der Internetseite des Landesjustizprüfungsamtes bestätigt diese Auslegung.
1.1.3. Die handschriftlichen Eintragungen, die 20 Verweisungen pro aufgeschlagene Doppelseite überschreiten, sind daher unzulässig. Selbst wenn die Klägerin das Prüfungsergebnis nicht durch das unzulässige Hilfsmittel beeinflussen wollte (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 JAPO), war sie zumindest im Besitz eines unzulässigen Hilfsmittels (§ 11 Abs. 1 Satz 3 JAPO), da sie nicht nachgewiesen hat, dass der Besitz weder auf Vorsatz noch auf Fahrlässigkeit beruht.
1.2. Ob mit dem Begriff der Doppelseite auch die Vorder- und Rückseite eines Blattes gemeint sein kann, kann deshalb vorliegend offen bleiben. Unabhängig davon hat die Klägerin jedoch auch in diesem Fall die zulässige Anzahl an handschriftlichen Verweisungen mehrfach überschritten.
1.3. Darüber hinaus sind die doppelten Unterstreichungen der Klägerin in der Gesetzessammlung „Schönfelder“ einschließlich des nach Angaben der Klägerseite erst nach Ausgabe der Prüfungsarbeit eingefügten Kreuzes neben § 309 Nr. 7 BGB unzulässig.
1.4. Ziffer 4.1 der Hilfsmittelbekanntmachung beruht auf einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage und verstößt auch sonst nicht gegen höherrangiges Recht. Sie ist nicht nichtig.
Die Kammer folgt der ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach § 11 Abs. 1 JAPO eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage hat (damals Art. 19 Abs. 2 und 115 Abs. 2 Satz 2 BayBG, vgl. ständige Rspr. des BayVGH, vgl. U.v. 23.7.1993 – 3 B 93.48 – BeckRS 1993, 10970 m.w.N.; BayVerfGH, E.v. 28.1.1988 – Vf. 13 VII/86 – BayVBl 1988, 238 m.w.N.).
Dass der Verordnungsgeber es nach § 7 Abs. 2 Nr. 3 JAPO dem Prüfungsausschuss überlassen hat, die zugelassenen Hilfsmittel festzulegen und dass diese Festlegung in Form einer Bekanntmachung erfolgt, die jedem Prüfling mit der Zulassung zur Prüfung zur Kenntnis gebracht wird, begegnet jedenfalls keinen rechtlichen Bedenken (vgl. BayVGH, U.v. 23.7.1993 – 3 B 93.48 – BeckRS 1993, 10970). Art. 12 GG verpflichtet den Verordnungsgeber nicht, die zugelassenen Hilfsmittel durch Rechtsverordnung zu bestimmen.
Die entsprechenden Regelungen sind auch hinreichend bestimmt. Soweit es in § 11 JAPO um den Besitz oder die Benutzung unzulässiger Hilfsmittel geht, handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Verwendung in der Prüfungsordnung rechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. BayVGH, U.v. 23.7.1993 – 3 B 93.48 – BeckRS 1993, 10970). Im Rahmen des ihm eingeräumten Gestaltungsermessens hatte der Verordnungsgeber nämlich die Wahl, eine Fülle abgegrenzter Tatbestände zu regeln oder einen unbestimmten Rechtsbegriff zu verwenden. Nachdem eine Vielzahl von Unterschleif- oder Täuschungshandlungen möglich ist, die in einer Verordnung nicht im Einzelnen vollständig und abschließend geregelt werden können, ist die Entscheidung des Verordnungsgebers für einen unbestimmten Rechtsbegriff nicht zu beanstanden, zumal wenn – wie hier – darunter bestimmte Verhaltensweisen fallen und der Betroffene sein Verhalten danach ausrichten kann (vgl. BayVGH, U.v. 23.7.1993 – 3 B 93.48 – BeckRS 1993, 10970).
1.4.1. Ziffer 4.1 der Hilfsmittelbekanntmachung ist auch hinreichend bestimmt und daher wirksame Rechtsgrundlage für den „Unterschleifbescheid“ vom 12. Juni 2017.
An die Bestimmtheit einer Regelung sind geringere Anforderungen zu stellen, wenn es sich – wie hier – um eine Regelung handelt, die nicht selbst Pflichten des Adressaten begründet, sondern ihn begünstigt oder anderweitig statuierte Pflichten reduziert bzw. ermäßigt (vgl. BVerfG, B.v. 28.11.1991 – 2 BvR 1772/89 – juris Rn. 4). Bei der Bestimmung in Ziffer 4.1 der Hilfsmittelbekanntmachung handelt es sich um eine Vorschrift, die den einzelnen Prüfling begünstigt, denn der Grundsatz gleicher äußerer Prüfungsbedingungen wäre auch erfüllt, wenn jede handschriftliche Eintragung verboten ist. Wenn dem Prüfling gleichwohl das Anbringen von Verweisungen und Unterstreichungen zugestanden wird, so bekommt er mehr als rechtlich geboten ist. Es liegt im Verantwortungsbereich des einzelnen Prüflings, die Zulässigkeit der von ihm verwendeten Hilfsmittel, auf die in der Ladung hingewiesen worden ist, zu überprüfen und insbesondere auf handschriftliche Eintragungen durchzusehen. In Zweifel über die Zulässigkeit des Umfangs handschriftlicher Eintragungen hat er zur Wahrung gleicher äußerer Prüfungsbedingungen im eigenen Interesse auf Eintragungen zu verzichten (vgl. BayVGH, U.v. 3.7.1993 – 3 B 93.48 – BeckRS 1993, 10970 zur Bestimmung des Begriffs „kurze Bemerkung“). Auslegungsschwierigkeiten führen grundsätzlich nicht zur Nichtigkeit der Bestimmung (vgl. BayVGH, U.v. 3.7.1993 – 3 B 93.48 – BeckRS 1993, 10970).
Gegen eine Nichtigkeit von Ziffer 4.1 der Hilfsmittelbekanntmachung spricht auch, dass eine Bestimmung nicht nichtig ist, wenn sie so ausgelegt werden kann, dass sie einen rechtmäßigen Inhalt hat (vgl. BayVGH, U.v. 29.4.2010 – 20 BV 09.2010 – juris Rn. 51). Wie unter Punkt 1.1. ausgeführt, ist eine Auslegung des Begriffs der Doppelseite als aufgeschlagene Doppelseite (bzw. zwei nebeneinanderliegende Seiten) möglich und auch rechtmäßig (vgl. oben).
1.4.2. Ziffer 4.1 der Hilfsmittelbekanntmachung ist auch nicht wegen „Inkohärenz“, wie die Klägerin meint, unwirksam. Warum diese Regelung nicht geeignet sein soll, möglichst gleiche äußere Prüfungsbedingungen so zu erreichen, dass der Grundsatz der Chancengleichheit gewahrt ist, erschließt sich dem Gericht nicht.
Die Auffassung der Klägerin, dass die Auslegung als aufgeschlagene Doppelseite zu ungerechten Konsequenzen führe, da 20 Verweisungen auf der aufgeschlagenen Doppelseite und jeweils 20 auf der vorhergehenden Vorderseite und der nachfolgenden Rückseite – also insgesamt 60 Verweisungen auf vier Seiten – zulässig, hingegen 21 Verweisungen auf der aufgeschlagenen Doppelseite ohne jegliche Verweisung auf der vorhergehenden Vorderseite und der nachfolgenden Rückseite unzulässig seien, ist nicht zielführend. Dem ist nämlich entgegenzuhalten, dass es jedem Prüfling freisteht, die maximal zulässige Anzahl an Verweisungen auszuschöpfen. Entschließt er sich, wie in dem von der Klägerin angeführten Beispiel, keine Verweisungen anzubringen, steht dies dem Grundsatz der Chancengleichheit nicht entgegen. Nach der Logik der Klägerin dürfte es außerdem keine Begrenzung von Verweisungen geben. Denn auch bei der Auslegung der Doppelseite als „Vorder- und Rückseite“ ist die Konstellation denkbar, dass 40 Eintragungen auf der aufgeschlagenen Doppelseite (jeweils 20 auf dem linken Blatt und dem rechten Blatt) zulässig wären – da ja zwei „Doppelseiten“ im Sinne einer „Vorder- und Rückseite“ -, aber zum Beispiel 21 Verweisungen auf einer Vorder- und Rückseite unzulässig wären, auch wenn der Prüfling auf der folgenden Vorder- und Rückseite keine Verweisungen einträgt.
1.4.3. Nach Auffassung des Gerichts bedurfte es keiner längeren Übergangsfristen, und Ziffer 4.1 der Hilfsmittelbekanntmachung verstößt nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
Die Prüflinge hatten ausreichend Zeit, sich auf die Neuregelung einzustellen und vorzubereiten. Die maßgebliche Änderung der Hilfsmittelbekanntmachung wurde am … … 2015 bekannt gemacht und galt erstmalig im Prüfungstermin 2016/2, sodass auch Prüflinge wie die Klägerin, die an mehreren Prüfungsterminen teilnahmen, sich darauf einstellen und die Hilfsmittel entsprechend anpassen konnten.
Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass aus Gründen der Praktikabilität und Flexibilität gerade bei der Auswahl der zugelassenen Hilfsmittel – im Übrigen im Interesse des Prüflings – rasche Entscheidungen entsprechend neueren Erkenntnissen getroffen werden müssen (vgl. BayVGH, B.v. 7.3.2005 – 7 ZB 04.945 – juris Rn. 8).
2. Die Klägerin konnte auch nicht nachweisen, dass der Besitz des nicht zugelassenen Hilfsmittels weder auf Vorsatz noch auf Fahrlässigkeit beruhte (§ 11 Abs. 1 Satz 3 JAPO).
Nach § 28 Abs. 3 Satz 2 JAPO und Ziffer 5 der Hilfsmittelbekanntmachung haben die Prüflinge die zugelassenen Hilfsmittel selbst mitzubringen. Somit sind sie für deren Zustand selbst verantwortlich und haben die Verpflichtung, gründlich zu überprüfen, ob die in ihrem Besitz befindlichen Hilfsmittel der Hilfsmittelbekanntmachung entsprechen. In der Zulassung zum schriftlichen Teil der Ersten Juristischen Staatsprüfung ist ausdrücklich auf die Bestimmungen zu den zulässigen Hilfsmitteln hingewiesen; die Hilfsmittelbekanntmachung wurde im Wortlaut abgedruckt, und in dem mit der Ladung übersandten Merkblatt zur Hilfsmittelbekanntmachung wurde nochmals ausdrücklich auf eine entsprechende Prüfung auf unzulässige Anmerkungen hingewiesen. Notfalls hätte sich die Klägerin im Zweifelsfall rechtzeitig durch Nachfragen beim … kundig machen müssen (vgl. BayVGH, B.v. 3.3.2011 – 7 ZB 10.2819 – juris Rn. 14).
Die Klägerin hat im Anhörungsverfahren und in den Schriftsätzen selbst eingeräumt, dass eine „Doppelseite“ auch die beiden aufeinanderfolgenden Seiten zweier nebeneinanderliegender Blätter bedeuten könne. Was die doppelten Unterstreichungen betrifft, hätte die Klägerin ohne weiteres die Möglichkeit gehabt, sich vor dem schriftlichen Teil der Prüfung neue Gesetzessammlungen zu besorgen. Wenn sie davon abgesehen hat und mit einer während des Studiums mit Eintragungen versehenen Gesetzessammlung in die Prüfung gegangen ist, so war es allein ihr Risiko, wenn sich bei einer Kontrolle herausstellt, dass sich nicht zulässige Eintragungen in der Gesetzessammlung befinden (vgl. VG Mainz, U.v. 11.12.2002 – 7 K 502/02 – NJW 2003, 1545). Die Fahrlässigkeit der Klägerin bewegt sich auch nicht am untersten Rand eines Verschuldens. Von einem Prüfling der Ersten Juristischen Staatsprüfung muss sogar erwartet werden, dass er sorgfältig prüft, welche Hilfsmittel er in die Prüfung mitnehmen darf (vgl. BayVGH, U.v. 21.1.2016 – 7 BV 15.1233 – juris Rn. 22).
3. Die Entscheidung, die Aufgabe 6 mit null Punkten zu bewerten, ist auch nicht unverhältnismäßig.
Zwar kann nach § 11 Abs. 6 JAPO in minder schweren Fällen bei Vorliegen besonderer Umstände von einer Ahndung abgesehen werden. Ein minder schwerer Fall – wenn die Bewertung mit null Punkten ungeeignet wäre, den mit ihr verfolgten legitimen Zweck zu erreichen, weil das sanktionierte Verhalten nicht geeignet war, das Prüfungsergebnis zu beeinflussen (BayVGH, U.v. 21.1.2016 – 7 BV 15.1233 – juris Rn. 17) – liegt jedoch nicht vor.
III.
Nach alledem ist die Klage mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzuweisen.
IV.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 ff. ZPO.
V.
Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.


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