Europarecht

Örtlichen Zuständigkeit in Diesel-Abgasskandal-Fällen

Aktenzeichen  102 AR 121/21

Datum:
20.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 31629
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 32, § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2, § 281 Abs. 2 S. 2, S. 4
BGB § 823 Abs. 2, § 826, § 831
StGB § 263
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Der Ort des Schadenseintritts liegt regelmäßig am (Wohn-)Sitz des Geschädigten, wenn sich der Eingriff unmittelbar gegen das Vermögen als Ganzes richtet. Um einen solchen Eingriff in das Vermögen als Ganzes handelt es sich, wenn der Schaden in einem sogenannten Dieselfall bereits in der Eingehung einer ungewollten Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises liegt. Wo und wie der Kaufpreis in einem solchen Fall bezahlt wurde, ist dagegen nicht entscheidend, da die Begleichung der Entgeltforderung den bereits mit Vertragsschluss verwirklichten Schaden nur perpetuiert. (Rn. 21)
2. Neben den Schadensort (am Belegenheitsort des Vermögens) tritt ein Erfolgsort am Ort des Vertragsschlusses, der jedoch nur einen zusätzlichen Gerichtsstand nach Wahl des Klägers begründet. (Rn. 23)
3. Wird ein Verweisungsbeschluss maßgeblich mit einem tatsächlichen Umstand begründet, der keine Stütze im Parteivorbringen findet, so fehlt ihm jegliche sachliche Rechtfertigung. Das hat zur Folge, dass er als offensichtlich unhaltbar und damit objektiv willkürlich anzusehen ist und deshalb nicht die Bindungswirkung gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO entfaltet. (Rn. 27 – 28)
Ein sachlich zu Unrecht ergangener Verweisungsbeschluss und die diesem Beschluss zugrunde liegende Entscheidung über die Zuständigkeit entziehen sich grundsätzlich jeder Nachprüfung; die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als objektiv willkürlich betrachtet werden muss (stRspr BGH BeckRS 2017, 123744). (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Örtlich zuständig ist das Landgericht München II.

Gründe

I.
Der im Bezirk des Landgerichts München II wohnhafte Kläger macht mit seiner zu diesem Gericht erhobenen Klage vom 29. Dezember 2020 gegen die im Bezirk des Landgerichts Ingolstadt ansässige Beklagte Ansprüche aus § 826 BGB, § 831 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB sowie i. V. m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Schadens geltend, der ihm aus dem Kauf eines Gebrauchtwagens von einem in N. im Bezirk des Landgerichts Regensburg ansässigen Autohaus entstanden sei. In dem Fahrzeug sei ein Motor der Baureihe EA 288 eingebaut, der von Manipulationen an der Motorsteuersoftware in einer unzulässigen Abschaltvorrichtung betroffen sei. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München II ergebe sich aus § 32 ZPO. Da bei einem Anspruch nach § 826 BGB der Eintritt eines Schadens zum Tatbestand gehöre, sei auch der Ort des Schadenseintritts Begehungsort im Sinne des § 32 ZPO; das sei sein Wohnort.
Das Landgericht München II hat in seiner Eingangsverfügung vom 19. Januar 2021 auf Bedenken gegen seine örtliche Zuständigkeit hingewiesen. Insbesondere sei keine Zuständigkeit gemäß § 32 ZPO erkennbar. Der Kaufvertrag sei mit einem Autohaus in N. und damit im Gerichtsbezirk des Landgerichts Ingolstadt [sic!] geschlossen worden; auf welche Weise der Kaufpreis entrichtet worden sei, worauf es für die Zuständigkeit nach § 32 ZPO regelmäßig ankomme, trage der Kläger nicht vor, obwohl dieser Umstand für die Bestimmung des Schadensorts von Bedeutung sei; die Ansicht des Klägers, für Klagen wie die vorliegende sei stets ein Gerichtsstand nach § 32 ZPO am Wohnort des in seinem Vermögen Geschädigten gegeben, überzeuge nicht.
Daraufhin hat der Kläger innerhalb der ihm zur Stellungnahme gesetzten Frist die Auffassung vertreten, das Landgericht München II sei gemäß § 32 ZPO örtlich zuständig, denn maßgeblich sei der Ort, an dem sich die Kaufsache bestimmungsgemäß befinde; das sei sein Wohnort. Zu den zuständigkeitsbegründenden Begehungsorten i. S. d. § 32 ZPO gehöre auch der Ort, an dem das streitgegenständliche Ereignis eingetreten sei, demnach der Ort des Kaufvertragsschlusses, der im Bezirk des Landgerichts Regensburg liege. Daneben bestehe der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten im Bezirk des Landgerichts Ingolstadt. Aufgrund dieser unterschiedlichen Gerichtsstände stehe ihm ein Wahlrecht zu. Soweit das Gericht seiner Auffassung nicht folgen sollte, werde beantragt, den Rechtsstreit an das Landgericht Regensburg zu verweisen, hilfsweise an das Landgericht Ingolstadt.
Die Beklagte hat in ihrer Klageerwiderung lediglich die Abweisung der Klage als unbegründet beantragt und sich in den ihr zur Stellungnahme auf den gerichtlichen Hinweis und in der Folge auf den Verweisungsantrag gesetzten Fristen nicht zur örtlichen Zuständigkeit geäußert.
Mit den Parteien mitgeteiltem Beschluss vom 8. März 2021 hat sich das Landgericht München II für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Regensburg verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, örtlich unzuständig zu sein. Seine Zuständigkeit ergebe sich insbesondere nicht aus § 32 ZPO. Grundsätzlich gelte, dass der Ort, an dem eine unerlaubte Handlung begangen worden sei (Begehungsort), sowohl der Ort sein könne, an dem der Täter gehandelt habe (Handlungsort), als auch der Ort, an dem in das geschützte Rechtsgut eingegriffen worden sei (Erfolgsort), sowie, wenn der Schadenseintritt selbst zum Tatbestandsmerkmal der Rechtsverletzung gehöre, der Ort des Schadenseintritts. Nach obergerichtlicher Rechtsprechung solle daraus folgen, dass ein Gerichtsstand aus § 32 ZPO an dem Ort begründet sei, an dem der Kaufvertrag abgeschlossen worden sei, und an dem Ort, an dem die Erfüllungshandlungen zu dem Vertrag vorgenommen worden seien. Darüber hinaus solle es darauf ankommen, auf welche Art und Weise der Kaufpreis entrichtet worden sei; zur Art und Weise der Bezahlung des Kaufpreises trage die Klagepartei jedoch trotz gerichtlichen Hinweises nicht vor. Vorliegend sei im Bezirk des Landgerichts Regensburg der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß § 32 ZPO begründet, da die Klagepartei hier den Kaufvertrag über das Fahrzeug abgeschlossen und die Barzahlung geleistet habe, die zum Schaden geführt habe. Bei dem Hinweis in der Verfügung vom 19. Januar 2021, dass Erfolgsort das Landgericht Ingolstadt sei, da dort der Kaufvertrag abgeschlossen worden sei, handele es sich um ein Schreibversehen; der Kaufvertrag sei in N. und daher im Bezirk des Landgerichts Regensburg geschlossen worden. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München II ergebe sich auch nicht daraus, dass sich der behauptete Eingriff unmittelbar gegen das Vermögen als geschütztes Rechtsgut am Wohnsitz des Geschädigten richte (a. A. OLG München, Beschluss vom 11. März 2020, 34 AR 235/19, [juris] Rn. 14; BayObLG BeckRS 2019, 15058 [Beschluss vom 22. Januar 2019, 1 AR 23/18, juris]). Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25. Mai 2020, VI ZR 252/19 [BGHZ 225, 316], folge, dass der Schadensort sich in dem für N. zuständigen Gerichtsbezirk befinde, denn dort sei der streitgegenständliche Kaufvertrag geschlossen worden. Der Bundesgerichtshof habe in der zitierten Entscheidung die bislang streitige Frage entschieden, dass in den sogenannten Diesel-Abgasskandal-Fällen der Schaden im Abschluss des Kaufvertrags des bemakelten Fahrzeugs liege; wenn der Schaden jedoch der Abschluss des Kaufvertrags sei, sei der Schadensort der Ort, an dem der Kaufvertrag geschlossen worden sei. Das sei auch sachgerecht, da der besondere Gerichtsstand der unerlaubten Handlung auf dem Gedanken der Sachnähe beruhe, denn die Konzentration der Zuständigkeit am Handlungs- oder Verletzungsort der unerlaubten Handlung knüpfe an die Sachnähe und damit einhergehende leichtere Aufklärbarkeit des Sachverhaltes an. § 32 ZPO sei dabei restriktiv auszulegen. In den sogenannten Diesel-AbgasskandalFällen sei bislang zwar streitig gewesen, worin der Schaden der Käufer liege, der gezahlte Kaufpreis (= Schadenshöhe) sei dagegen regelmäßig als eines der wenigen Tatbestandsmerkmale, wenn nicht sogar als einziges, nicht streitig. Deshalb sei aufgrund der restriktiven Auslegung des Anwendungsbereichs des § 32 ZPO das Gericht, in dessen Bezirk sich der durch den Abschluss des Kaufvertrags eingetretene Schaden konkret im Vermögen des Geschädigten niedergeschlagen habe, nicht das sachnähere Gericht. Der Zweck der Konzentration würde verfehlt, wenn immer auch auf den Ort abgestellt werden könnte, an dem sich das Vermögen des Geschädigten im Zeitpunkt der Vornahme der schädigenden Handlung befunden habe (OLG Hamm, Beschluss vom 9. Mai 2019, 32 SA 21/19, juris Rn. 23).
Das Landgericht Regensburg hat die Übernahme des Verfahrens mit Beschluss vom 19. März 2021 abgelehnt. Die Entscheidung ist ohne Anhörung der Parteien ergangen, diesen jedoch mitgeteilt worden. Das Landgericht hat zur Begründung ausgeführt, dass auch das Landgericht München II örtlich zuständig sei und dessen Beschluss ausnahmsweise keine Bindungswirkung zukomme. Der Wohnsitz des Klägers im Bezirk des Landgerichts München II begründe dessen örtliche Zuständigkeit gemäß § 32 ZPO. Denn durch die Eingehung einer Verbindlichkeit, die er nach seinem schlüssigen Vorbringen in Kenntnis des Vorliegens einer behaupteten Abschaltvorrichtung nicht eingegangen wäre und die deshalb „ungewollt“ gewesen sei, habe er sich mit seinem gesamten Vermögen insgesamt dem Anspruch des Verkäufers auf Kaufpreiszahlung ausgesetzt. In diesem Fall liege der Ort, an dem in das Vermögen als geschütztes Vermögen eingegriffen worden sei, regelmäßig am (Wohn-)Sitz des Geschädigten (vgl. BayObLG, Beschluss vom 25. Juni 2020, 1 AR 57/20, und Beschluss vom 18. Juli 2019, 1 AR 23/19). Verfehlt sei letztlich auch die Annahme des Landgerichts München II zur Frage der Bezahlung des Kaufpreises. Zutreffend führe jenes Gericht zunächst noch aus, dass der Kläger zur Art und Weise der Bezahlung des Kaufpreises trotz gerichtlichen Hinweises nicht vorgetragen habe, behaupte allerdings drei Zeilen weiter ohne jeden Anhaltspunkt, mithin völlig aus der Luft gegriffen, der Kläger habe im Bezirk des Landgerichts Regensburg die Barzahlung geleistet, die zum Schaden geführt habe. Unabhängig davon, dass der klägerische Vortrag hierzu nichts hergebe, lasse sich diese Annahme auch nicht auf die mit der Klage vorgelegte Rechnung stützen, die jeden Vermerk zu einer etwaigen Barzahlung vermissen lasse. Der örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts München II stehe dessen Verweisungsbeschluss nicht entgegen, der ausnahmsweise keine Bindungswirkung entfalte. Das Landgericht München II habe einen bei ihm nach § 32 ZPO begründeten besonderen Gerichtsstand übergangen, der sich über den Wohnsitz des Klägers nach mittlerweile einhelliger Auffassung aufgedrängt habe und von diesem auch thematisiert worden sei, indem es völlig aus der Luft gegriffen, mithin willkürlich, angenommen habe, der Kläger habe im Bezirk des Landgerichts Regensburg die Barzahlung geleistet, die zum Schaden geführt habe.
Das Landgericht München II hat das Verfahren mit Verfügung vom 31. März 2021 dem Oberlandesgericht München zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Dabei hat es unter anderem die Auffassung vertreten, Willkür ergebe sich nicht daraus, dass es ausgeführt habe, der Kläger habe im Bezirk des Landgerichts Regensburg den Kaufvertrag abgeschlossen und die Barzahlung geleistet; dabei handele es sich um eine offensichtliche Unrichtigkeit aufgrund eines Übertragungsfehlers, die ohne weiteres ersichtlich sei, da es unmittelbar davor ausgeführt habe, dass der Kläger nicht dazu vorgetragen habe, auf welche Weise der Kaufpreis entrichtet worden sei.
Gegenüber dem Oberlandesgericht München haben sich beide Parteien zur Zuständigkeit geäußert.
Mit Beschluss vom 2. Juli 2021 hat das Oberlandesgericht München die Sache an das Landgericht München II zurückgegeben, weil es für die Bestimmungsentscheidung nicht zuständig sei. Daraufhin hat das Landgericht München II das Verfahren mit Verfügung vom 8. Juli 2021, die im Wesentlichen den gleichen Inhalt hat wie die Verfügung vom 31. März 2021, dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
Im Verfahren vor dem Bayerischen Obersten Landesgericht haben die Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.
II.
Auf die statthafte Vorlage des Landgerichts München II ist dessen örtliche Zuständigkeit auszusprechen.
1. Die Voraussetzungen für die Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 36 Rn. 34 ff. m. w. N.) durch das Bayerische Oberste Landesgericht liegen vor.
Das Landgericht München II hat sich durch unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 8. März 2021 für unzuständig erklärt, das Landgericht Regensburg durch die zuständigkeitsverneinende Entscheidung vom 19. März 2021. Die jeweils beiden Parteien mitgeteilte und ausdrücklich ausgesprochene Leugnung der eigenen Zuständigkeit erfüllt das Tatbestandsmerkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2017, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 12; Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 35; jeweils m. w. N.). Dem steht nicht entgegen, dass das Landgericht Regensburg den Parteien vor seiner Entscheidung kein rechtliches Gehör gewährt hat, denn es hat seine Entscheidung den Parteien zumindest nachträglich bekannt gemacht (vgl. BayObLG, Beschluss vom 15. September 2020, 1 AR 88/20, juris Rn. 11; KG, Beschluss vom 6. März 2008, 2 AR 12/08, NJW-RR 2008, 1465 [juris Rn. 5]; Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 35; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 36 Rn. 44).
Zuständig für die Bestimmungsentscheidung ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht, weil die Bezirke der am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte zu den Zuständigkeitsbereichen unterschiedlicher Oberlandesgerichte (München und Nürnberg) gehören, so dass das für sie gemeinschaftliche im Rechtszug zunächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof ist. An dessen Stelle entscheidet das Bayerische Oberste Landesgericht, weil das mit der Rechtssache zuerst befasste Gericht in Bayern liegt.
2. Örtlich zuständig ist das Landgericht München II.
a) Bei dem vom Kläger gemäß § 35 ZPO gewählten Landgericht München II ist ein Gerichtsstand aus § 32 ZPO eröffnet, denn neben dem allgemeinen Gerichtsstand im Bezirk des Landgerichts Ingolstadt (§§ 12, 17 ZPO) stand der besondere Gerichtsstand der unerlaubten Handlung im Bezirk des Landgerichts München II zur Verfügung.
aa) Zur Begründung des besonderen Gerichtsstands der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO ist es ausreichend, dass der Kläger schlüssig Tatsachen behauptet, die – ihre Richtigkeit unterstellt – bei zutreffender rechtlicher Würdigung die Tatbestandsmerkmale einer Deliktsnorm erfüllen (BGH, Urt. v. 5. Mai 2011, IX ZR 176/10, BGHZ 189, 320 Rn. 16; Urt. v. 29. Juni 2010, VI ZR 122/09, NJW-RR 2010, 1554 Rn. 8; BayObLG, Beschluss vom 10. Februar 2021, 1 AR 161/20, juris Rn. 23; BayObLG, Beschluss vom 25. Juni 2020, 1 AR 57/20, juris Rn. 15; Schultzky in Zöller, ZPO, § 32 Rn. 22 m. w. N.).
Dies ist hier der Fall, soweit sich die Klage auf eine behauptete sittenwidrige Schädigung i. S. d. § 826 BGB stützt. Es stand deshalb der besondere Gerichtsstand des Delikts unbesehen des Umstands zur Auswahl, dass die tatsächlichen Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage des § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB bereits deshalb nicht schlüssig dargetan sind, weil im Streitfall einem – unterstellten, aus dem Erwerb des Gebrauchtwagens resultierenden – Vermögensschaden im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB kein „stoffgleicher“ Vermögensvorteil auf der Seite der Beklagten entspricht (vgl. BGH, Urt. v. 30. Juli 2020, VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 19 ff.; BayObLG, Beschluss vom 10. Februar 2021, 1 AR 161/20, juris Rn. 24).
bb) Der Ort, an dem im Sinne des § 32 ZPO eine unerlaubte Handlung begangen ist (Begehungsort), ist sowohl dort, wo eine der Verletzungshandlungen begangen wurde (Handlungsort), als auch dort, wo in das geschützte Rechtsgut eingegriffen wurde (Erfolgsort), sowie, wenn – wie vorliegend bei der Anspruchsgrundlage des § 826 BGB – der Schadenseintritt selbst zum Tatbestandsmerkmal der Rechtsverletzung gehört, der Ort des Schadenseintritts (vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2018, X ARZ 321/18, NJW-RR 2019, 238 Rn. 18; BayObLG, Beschluss vom 10. Februar 2021, 1 AR 161/20, juris Rn. 25; BayObLG, Beschluss vom 25. Juni 2020, 1 AR 57/20, juris Rn. 16; Beschluss vom 18. Juli 2019, 1 AR 23/19, juris Rn. 23; Schultzky in Zöller, ZPO, § 32 Rn. 19; Toussaint in BeckOK ZPO, 41. Ed. Stand: 1. Juli 2021, § 32 Rn. 13; Bendtsen in Saenger, ZPO, 9. Aufl. 2021, § 32 Rn. 15). Bei mehreren Begehungsorten hat der Kläger grundsätzlich gemäß § 35 ZPO die Möglichkeit der Wahl zwischen den einzelnen Gerichtsständen (Schultzky in Zöller, ZPO, § 32 Rn. 21).
Der behauptete Schaden im Sinne des § 826 BGB liegt bereits in der Belastung mit einer Verbindlichkeit durch den Abschluss des Kaufvertrags über den streitgegenständlichen Gebrauchtwagen, den der Kläger nach seinem Vorbringen in Kenntnis des Vorliegens einer – hier unterstellten – unzulässigen Abschaltvorrichtung nicht getätigt hätte (vgl. BGH, Urt. v. 27. Juli 2021, VI ZR 151/20, juris Rn. 24; Urt. v. 30. Juli 2020, VI ZR 397/19, NJW 2020, 2806 Rn. 16; Urt. v. 30. Juli 2020, VI ZR 367/19, NJW 2020, 2804 Rn. 21; Urt. v. 25. Mai 2020, VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 44, 46 f.; Urt. v. 28. Oktober 2014, VI ZR 15/14, NJW-RR 2015, 275 Rn. 19; Urt. v. 19. November 2013, VI ZR 336/12, NJW 2014, 383 Rn. 28). Durch die „ungewollt“ eingegangene Verbindlichkeit hat sich der Kläger mit seinem ganzen Vermögen dem Anspruch des Verkäufers auf Kaufpreiszahlung ausgesetzt. Nach dessen Erfüllung setzt sich der Schaden in dem Verlust der aufgewendeten Geldmittel fort (vgl. BGH, Urt. v. 27. Juli 2021, VI ZR 151/20, juris Rn. 24).
(2) Der Ort des Schadenseintritts liegt regelmäßig am (Wohn-)Sitz des Geschädigten, wenn sich der Eingriff unmittelbar gegen das Vermögen als Ganzes richtet (vgl. BGH NJW-RR 2019, 238 Rn. 18 – für Schäden aus verbotenen Kartellabsprachen; BayObLG, Beschluss vom 10. Februar 2021, 1 AR 161/20, juris Rn. 28; Beschluss vom 18. Juli 2019, 1 AR 23/19, juris Rn. 24 ff. m. w. N.). Um einen solchen Eingriff in das Vermögen als Ganzes handelt es sich, wenn der Schaden, wie hier, bereits in der Eingehung einer ungewollten Verpflichtung liegt. Wo und wie der Kaufpreis in einem solchen Fall bezahlt wurde, ist dagegen nicht entscheidend, da die Begleichung der Entgeltforderung den bereits mit Vertragsschluss verwirklichten Schaden nur perpetuiert (vgl. BayObLG, Beschluss vom 25. Juni 2020, 1 AR 57/20, juris Rn. 17; Beschluss vom 18. Juli 2019, 1 AR 23/19, juris Rn. 24 ff.; KG, Beschluss vom 2. Juli 2020, 2 AR 1013/20, NJW-RR 2020, 1193 Rn. 10, 12; OLG München, Beschluss vom 11. März 2020, 34 AR 235/19, MDR 2020, 753 [juris Rn. 12]; OLG Stuttgart, Vorlagebeschl. v. 22. Mai 2018, 9 AR 3/18, BeckRS 2018, 10638 Rn. 8 f.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30. Oktober 2017, 5 Sa 44/17, NJW-RR 2018, 573 Rn. 23 a. E.; alle in sog. Abgas-Fällen; OLG Frankfurt, Beschluss vom 19. Juli 2007, 1 W 41/07, juris Rn. 7 – in einem Amtshaftungs-Fall; Toussaint in BeckOK ZPO, § 32 Rn. 12.4; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 32 Rn. 15 f.).
Mithin begründet der Wohnsitz des Klägers als Ort, an dem der behauptete Vermögensschaden eingetreten ist, die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts München II, das den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen und zu entscheiden hat (vgl. BGH, Urt. v. 7. Mai 2015, VII ZR 104/14, MDR 2015, 667 Rn. 30; Beschluss vom 10. Dezember 2002, X ARZ 208/02, BGHZ 153, 173 [juris Rn. 8]).
(3) Zu Unrecht leitet das Landgericht München II aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25. Mai 2020, VI ZR 252/19, (BGHZ 225, 316) her, dass sich der Schadensort dort befinde, wo der Kaufvertrag geschlossen wurde. Dort hat der Bundesgerichtshof ausgesprochen, dass der Schaden in Fällen wie dem vorliegenden in der Belastung mit einer ungewollten – durch den Kaufvertrag begründeten – Verbindlichkeit liegt (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 47; seitdem st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 27. Juli 2021, VI ZR 151/20, juris Rn. 24 m. w. N.). Die diesen Erörterungen vorangehende Formulierung, der Schaden liege in dem Abschluss des Kaufvertrags über das bemakelte Fahrzeug (BGH, a. a. O., Rn. 44), ist als zusammenfassende Einleitung zu verstehen, der keine abweichende Aussage beigemessen werden kann. Allerdings tritt neben den Schadensort (am Belegenheitsort des Vermögens) ein Erfolgsort am Ort des Vertragsschlusses (vgl. BayObLG, Beschluss vom 10. Februar 2021, 101 AR 161/20, juris Leitsätze 4 und 5 sowie Rn. 28, 30; KG, Beschluss vom 2. Juli 2020, 2 AR 1013/20, NJW-RR 2020, 1193 Rn. 10), der jedoch nur einen zusätzlichen Gerichtsstand nach Wahl des Klägers begründet.
b) Die Zuständigkeit des Landgerichts München II für den Rechtsstreit ist nicht infolge des Verweisungsbeschlusses entfallen, weil dieser ausnahmsweise nicht bindet.
aa) Der Gesetzgeber hat in § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO die grundsätzliche Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen und deren Bindungswirkung angeordnet. Auch ein sachlich zu Unrecht oder verfahrensfehlerhaft ergangener Verweisungsbeschluss entzieht sich danach grundsätzlich der Nachprüfung. Dies hat der Senat im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten. Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist daher grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist. Demnach entziehen sich auch ein sachlich zu Unrecht ergangener Verweisungsbeschluss und die diesem Beschluss zugrunde liegende Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich jeder Nachprüfung. Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als objektiv willkürlich betrachtet werden muss (st. Rspr.; vgl. BGH NJW-RR 2017, 1213 Rn. 15; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 16 f.; jeweils m. w N.).
bb) Nach diesen Maßstäben ist der Verweisungsbeschluss des Landgerichts München II als willkürlich zu werten.
Das Landgericht München II hat die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Regensburg, an das es verwiesen hat, maßgeblich daraus hergeleitet, dass dort (am Ort des Vertragsschlusses) die Barzahlung erfolgt sei, die zum Schaden geführt habe. Erst diese Annahme hat es ihm erlaubt, die eigene Zuständigkeit unter dem – von ihm als maßgeblich erachteten – Gesichtspunkt einer Erfüllungshandlung im eigenen Bezirk zu verneinen. Die Annahme, der Kläger habe den Kaufpreis für das Fahrzeug bar im Bezirk des Landgerichts Regensburg erbracht, findet keine Stütze im Vorbringen der Parteien, das dem Landgericht München II unterbreitet worden ist. Vielmehr hat der Kläger – wie das Landgericht selbst ausführt – trotz gerichtlichen Hinweises zu der Art und Weise der Bezahlung des Kaufpreises nicht vorgetragen.
Damit fehlt dem Verweisungsbeschluss jegliche sachliche Rechtfertigung, was zur Folge hat, dass er als offensichtlich unhaltbar und damit objektiv willkürlich anzusehen ist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 15. September 2020, 1 AR 88/20, juris Rn. 17). Entgegen der Auffassung des Landgerichts München II in dessen Vorlageverfügung vom 8. Juli 2021 ist eine andere Würdigung nicht deshalb angezeigt, weil es sich bei der Aussage zur Barzahlung um eine offensichtliche Unrichtigkeit handele. Zwar ist der Widerspruch zu der weiteren Angabe im Beschluss, der Kläger habe insoweit nicht vorgetragen, in der Tat offensichtlich. Das ändert indes nichts daran, dass die Verweisung an das Landgericht Regensburg wesentlich mit dieser Aussage begründet worden und damit ohne Stütze im Parteivorbringen ergangen ist.


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