Europarecht

Prüfung der Bestandsauflösung einer Tierhaltung

Aktenzeichen  RN 4 S 20.1049

Datum:
10.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 16392
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
TierSchG § 11 Abs. 1, Abs. 5, § 16a Abs. 1

 

Leitsatz

1. Die Anordnung, einen Tierbestand aufzulösen, weil dieser ohne die erforderliche Erlaubnis nach § 11 Abs. 1 TierSchG gehalten wird, ist rechtswidrig, solange die Behörde die Ausübung der erlaubnispflichtigen Tätigkeit nicht untersagt hat. (Rn. 18 und 23)
2. Die Bestandsauflösung kann in derartigen Fällen auch nicht auf § 16a Abs. 1 Satz 1 oder § 16a Abs. 1 Satz 2 TierSchG gestützt werden. (Rn. 25 und 28)

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 10.6.2020 gegen den Bescheid des Landratsamts Landshut vom 18.5.2020 wird hinsichtlich dessen Nr. 1 und 4 wiederhergestellt und hinsichtlich dessen Nr. 2 angeordnet.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
III. Der Streitwert wird auf 2.500,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Gegenstand des Rechtsstreits ist eine Bestandsauflösung nach dem Tierschutzgesetz.
Der Ehemann der Antragstellerin betrieb in der Vergangenheit eine gewerbliche Straußenhaltung und -zucht, in der die Antragstellerin als Tierbetreuerin mitwirkte. Das Gewerbe wurde in der Vergangenheit durch das Veterinäramt des Landratsamts Landshut mehrfach beanstandet. In diesem Zusammenhang kam es zu einem Strafverfahren wegen Vergehen nach dem Tierschutzgesetz (TierSchG), welches das Amtsgericht Landshut hinsichtlich der Antragstellerin gegen Zahlung einer Geldauflage gemäß § 153a Strafprozessordnung (StPO) einstellte. Zudem geht aus der Behördenakte hervor, dass das Veterinäramt die Straußenhaltung am 11.11.2019 kontrollierte. Der hierzu gefertigte Vermerk hält fest, dass es am notwendigen Sichtschutz fehlte, mehrere männliche Tiere unzulässigerweise zusammengehalten wurden und eines der Gehege im Hinblick auf Größe, Beschaffenheit und Haltungseinrichtungen den tierschutzrechtlichen Anforderungen nicht genügte.
Die Antragstellerin beantragte am 12.11.2019 eine Erlaubnis für das gewerbsmäßige Halten und Züchten von Straußen. Das Landratsamt Landshut lehnte den Antrag mit Bescheid vom 21.1.2020 ab und verwies zur Begründung darauf, dass der Antragstellerin die notwendige Zuverlässigkeit fehle. In den vergangenen Jahren, in denen sie als Betreuungsperson auf der Straußenfarm tätig gewesen sei, hätten sich bei verschiedenen Gelegenheiten Missstände, eine mangelnde Bereitschaft zur Zusammenarbeit sowie fehlende Sachkunde bei der Antragstellerin gezeigt. Zudem fehle der Antragstellerin die Möglichkeit, sich gegenüber ihrem Mann durchzusetzen. Daraus ergebe sich ein Gesamteindruck, wonach die Antragstellerin keine Gewähr dafür bieten könne, dass die einschlägigen Rechtsvorschriften eingehalten würden. Die Antragstellerin hat den Bescheid vom 21.1.2020 nicht angefochten.
Der Ehemann der Antragstellerin teilte dem Landratsamt Landshut unter dem 13.3.2020 mit, dass er seine Strauße an die Antragstellerin verkauft habe. Mit einem Schreiben vom 31.3.2020 wies die Behörde die Antragstellerin darauf hin, dass das gewerbsmäßige Halten und Züchten von Straußen einer Erlaubnis bedürfe, über die sie nicht verfüge. Es bestehe Gelegenheit, zur beabsichtigten Auflösung des Bestands Stellung zu nehmen.
Mit Bescheid vom 18.5.2020, zur Post gegeben am Folgetag, ordnete das Landratsamt Landshut gegenüber der Antragstellerin an, den Straußenbestand in … 5, … bis spätestens 12.6.2020 aufzulösen (Nr. 1). Zugleich sprach sie eine Zwangsgeldandrohung in Höhe von 1.000,– EUR je nicht fristgerecht abgegebenen Tier aus (Nr. 2) und ordnete die sofortige Vollziehung dieser beiden Maßnahmen an (Nr. 3). Daneben erlegte die Behörde der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens in Höhe von 53,20 EUR auf (Nr. 4).
Zur Begründung verweist der Bescheid auf § 16a Nr. 1, § 11 Abs. 1 Nr. 8 TierSchG. Das Landratsamt sei als zuständige Tierschutzbehörde befugt, die zur Beseitigung festgestellter und zur Verhinderung künftiger Verstöße gegen das Tierschutzgesetz notwendigen Anordnungen zu treffen. Die Amtsveterinäre hätten festgestellt, dass die Haltungseinrichtungen für die Strauße nicht den gültigen Anforderungen entsprächen. Zudem lägen Verstöße gegen Nachweispflichten im Bereich des Tierhalterarzneimittelrechts vor. Die Antragstellerin habe in der Vergangenheit eine mangelnde Sachkunde gezeigt und nicht erkennen lassen, dass sie bereit sei, aufgezeigte Missstände abzustellen. Eine Erlaubnis nach § 11 TierSchG habe ihr deshalb nicht erteilt werden können. Vor diesem Hintergrund sei die getroffene Anordnung im pflichtgemäßen Ermessen zur Sicherstellung tierschutzgerechter Zustände erforderlich. Die gewährten Fristen stellten sich als angemessen dar. Die sofortige Vollziehung werde auf Grundlage von § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO im öffentlichen Interesse angeordnet. Es sei notwendig, die tierschutzwidrigen Zustände in der Tierhaltung zu beseitigen und Tiere so zukünftig vor Schmerzen, vermeidbaren Schäden und Leiden zu bewahren. Dies überwiege das Interesse der Antragstellerin, bis zur Bestandskraft des Bescheids in der Haltung der Tiere fortzufahren.
Die Antragstellerin hat am 10.6.2020 Klage gegen den Bescheid vom 18.5.2020 erhoben (RN 4 K 20.1011) und am 19.6.2020 um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Sie führt aus, dass ihre Straußenhaltung den aktuell gültigen Richtlinien entspreche. Das Landratsamt habe seine Vorwürfe nicht weiter substantiiert und auf Nachfragen nicht geantwortet. Aus einer beigefügten gutachterlichen Stellungnahme des Sachverständigen …, …, ergebe sich, dass die Strauße tierschutzgerecht gehalten würden. Das Gutachten führt aus, dass die Haltungseinrichtungen der Straußenfarm in … die gültigen Anforderungen einhielten und die Antragstellerin nicht gegen das Tierhalterarzneimittelrecht verstoßen habe. Den Straußen stünden, wie im Gutachten über Mindestanforderungen an die Haltung von Straußen, Nandus, Emus und Kasuaren des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft vom März 2019 gefordert, 300 m² Gehegefläche pro Tier zur Verfügung. Allerdings erreichten beide Gehege nicht die geforderte Mindestfläche von 2.500 m².
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung ihrer Klage vom 10.6.2020 gegen den Bescheid des Landratsamts Landshut vom 18.5.2020 hinsichtlich der Nr. 1 und 4 wiederherzustellen und hinsichtlich der Nr. 2 anzuordnen.
Das Landratsamt Landshut beantragt für den Antragsgegner, den Antrag abzulehnen.
Die Antragstellerin verfüge nicht über die erforderliche Erlaubnis nach § 11 TierSchG. Das vorgelegte Sachverständigengutachten gehe deshalb an der Sache vorbei. Grundlage für den angegriffenen Bescheid seien nicht die festgestellten tierschutzrechtlichen Verstöße, sondern die Tatsache, dass die Antragstellerin keine Erlaubnis für die Straußenhaltung und -zucht habe und eine solche auch nicht würde erlangen können.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen. Die Akte des Verfahrens RN 4 K 20.1011 wurde beigezogen.
II.
Der zulässige Antrag ist begründet.
Gemäß § 80 Abs. 1 VwGO haben Widerspruch und Klage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt allerdings nach § 80 Abs. 2 VwGO dann, wenn dies gesetzlich vorgeschrieben ist oder die Behörde die sofortige Vollziehbarkeit eines Verwaltungsakts im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten besonders anordnet. In diesen Fällen kann das Gericht nach § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung von Klage und Widerspruch anordnen (wenn diese aufgrund Gesetzes ausgeschlossen ist) oder wiederherstellen (wenn eine Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO vorliegt). Das Gericht trifft insoweit eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat dabei zwischen dem von der Behörde geltend gemachten Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit ihres Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Bei dieser Abwägung sind vorrangig die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die gebotene summarische Prüfung, dass Rechtsbehelfe gegen den angefochtenen Bescheid keinen Erfolg versprechen, tritt das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung regelmäßig hinter das Vollziehungsinteresse zurück und der Antrag ist unbegründet. Erweist sich die erhobene Klage hingegen bei summarischer Prüfung als zulässig und begründet, dann besteht kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheids und dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist stattzugeben. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht ausreichend absehbar, muss das Gericht die widerstreitenden Interessen im Einzelnen abwägen. Die Begründetheit eines Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann sich daneben auch daraus ergeben, dass die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung rechtswidrig ist, weil sie den formellen Anforderungen nicht genügt.
Das Gericht kann vorliegend dahinstehen lassen, ob die knappe Begründung der sofortigen Vollziehbarkeit im Bescheid vom 18.5.2020 den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO noch gerecht wird. Denn jedenfalls ergibt die summarische Prüfung der erhobenen Klage, dass diese voraussichtlich erfolgreich sein wird, weil der Bescheid in seiner gegenwärtigen Form rechtswidrig ist und die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Anordnung der Bestandsauflösung ist materiell rechtswidrig, weil der Antragstellerin die gewerbsmäßige Haltung und Zucht von Straußen bislang nicht untersagt wurde (dazu 1.). In der Folge ist auch hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung und der Kostenforderung von einem Erfolg in der Hauptsache auszugehen (dazu 2.).
1. Die in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids ausgesprochene Verpflichtung zur Auflösung des Straußenbestands stellt sich nach summarischer Prüfung als materiell rechtswidrig dar. Die Maßnahme ist bei der gebotenen Auslegung als isolierte Anordnung zur Bestandsauflösung zu qualifizieren und weicht damit vom gesetzlich vorgesehenen Vorgehen in Fällen einer Haltung ohne Erlaubnis nach § 11 Abs. 1 TierSchG ab (dazu a)). Vor diesem Hintergrund kann sie unter keiner der in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlagen als rechtmäßig angesehen werden (dazu b)).
a) Nr. 1 des angegriffenen Bescheids stellt sich als Verpflichtung zur Bestandsauflösung dar, der – anders als von § 11 Abs. 5 Satz 6 TierSchG vorgesehen (dazu aa)) – keine Untersagung der erlaubnispflichtigen Tätigkeit vorausgegangen ist. Eine Auslegung als Untersagung und Bestandsauflösung kommt ungeachtet der wenig eindeutigen Begründung des Bescheids vom 18.5.2020 nicht in Betracht (dazu bb)).
aa) Die Antragstellerin betreibt eine gewerbsmäßige Straußenhaltung und -zucht. Diese bedarf gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 Buchst. a TierSchG der Erlaubnis, die ihr das Landratsamt Landshut mit bestandskräftigem Bescheid vom 21.1.2020 verweigerte. Entsprechend stellt sich die Haltung und Zucht der Strauße durch die Antragstellerin gegenwärtig als formell rechtswidrig dar. Bei einer solchen Sachlage sieht der Gesetzgeber in § 11 Abs. 5 Satz 6 TierSchG vor, dass die zuständige Tierschutzbehörde dem Betreffenden die Ausübung der Tätigkeit untersagen soll.
Die Kammer geht bei summarischer Prüfung davon aus, dass der Antragsgegner eine solche Untersagungsverfügung in rechtmäßiger Weise hätte aussprechen können. Denn es steht außer Zweifel, dass die Antragstellerin Strauße zu gewerblichen Zwecken züchtet und hält, ohne die erforderliche Erlaubnis zu besitzen. Zwar eröffnet die Formulierung „soll“ in § 11 Abs. 5 Satz 6 TierSchG der handelnden Behörde einen (beschränkten) Ermessensspielraum. Allerdings muss die Behörde im Regelfall eine Untersagung aussprechen, eine Abweichung kommt allenfalls in atypischen Fallgestaltungen in Betracht (BVerwG, U.v. 9.12.2004 – 3 C 7/04 – NVwZ-RR 2005, 399/401). Ein solcher Ausnahmefall ist gegeben, wenn alle Erlaubnisvoraussetzungen offensichtlich erfüllt sind und der Betreffende einen Antrag und alle notwendigen Unterlagen bei der Behörde eingereicht hat (VG Mainz, B.v. 23.6.2010 – 1 L 712/10 – NVwZ-RR 2010, 840; VG Düsseldorf, B.v. 26.1.2012 – 23 L 1939/11 – juris Rn. 14). Es muss sich also aufdrängen, dass der Betroffene Anspruch auf die Erteilung der Erlaubnis hat und sein Handeln daher nur formal rechtswidrig ist (OVG NW, B.v. 23.3.2007 – 20 B 376/07 – juris Rn. 9 f.).
Eine solche Situation ist vorliegend nicht gegeben. Zum einen fehlt es bereits an einem entsprechenden Antrag der Antragstellerin. Diese hat vielmehr die Ablehnung ihres Antrags bestandskräftig werden lassen. Zum anderen liegen die Erlaubnisvoraussetzungen bei summarischer Prüfung nicht vor. Das Gericht kann an dieser Stelle die Frage offen lassen, ob die Zuverlässigkeit der Antragstellerin – wie vom Antragsgegner angenommen – verneint werden muss. Denn Voraussetzung einer Erlaubnis ist nach § 21 Abs. 5 TierSchG und § 11 Abs. 2 Nr. 3 TierSchG in der bis 13.7.2013 geltenden Fassung, dass die der Tätigkeit dienenden Räume und Einrichtungen einer den Anforderungen des § 2 TierSchG entsprechende Ernährung, Pflege und Unterbringung der Tiere ermöglichen. Die Anforderungen des § 2 TierSchG werden vorliegend durch das von der Antragstellerin zitierte Gutachten des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft konkretisiert. Dieses stellt eine sachverständige Zusammenfassung jedenfalls dessen dar, was in der Straußenhaltung als absoluter Mindeststandard verlangt werden muss. Sie sind daher vom Gericht als antizipiertes Sachverständigengutachten zugrunde zu legen (vgl. Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, § 2 Rn. 54). Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass die von der Antragstellerin genutzten Gehege die vom Gutachten vorausgesetzten Mindestgrößen nicht erreichen. Dies erklärt der von der Antragstellerin beauftragte Gutachter ausdrücklich auf Seite 3 seiner Stellungnahme. Hiernach stünde einer Untersagung des gewerbsmäßigen Haltens und Züchtens von Straußen gemäß § 11 Abs. 5 Satz 6 TierSchG nichts entgegen.
Zugleich ist in der Rechtsprechung die Möglichkeit anerkannt, die Auflösung eines vorhandenen Tierbestandes anzuordnen. Dies gilt namentlich bei Ausspruch eines Tierhaltungs- und Betreuungsverbots nach § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TierSchG. Rechtsgrundlage einer solchen Maßnahme ist entweder die genannte Norm oder aber § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG (Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, § 16a Rn. 52). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof begründet die Notwendigkeit einer Bestandsauflösung damit, dass durch das Tierhaltungsverbot ein mit dem Wohl der Tiere unvereinbarer betreuungsloser Zustand entstünde (B.v. 7.11.2006 – 25 CS 06.2619 – juris Rn. 6). Die Bestandsauflösung soll also vermeiden, dass die Tiere trotz eines ausgesprochenen (Haltungs-)Verbots beim bisherigen Halter verbleiben, aber von diesem nicht mehr gepflegt werden dürfen und sich die tierschutzwidrige Behandlung dadurch fortsetzt oder verschlimmert.
bb) Die hier angefochtene Maßnahme des Antragsgegners enthält auch bei der gebotenen Auslegung lediglich eine Anordnung zur Bestandsauflösung und keine Untersagung gemäß § 11 Abs. 5 Satz 6 TierSchG. Insoweit hat das Gericht den eindeutigen Wortlaut der Nr. 1 des Bescheids vom 18.5.2020 zu berücksichtigen, wo alleine von der Auflösung des Straußenbestandes die Rede ist. Zwar nimmt die insoweit wenig eindeutige Begründung des angefochtenen Bescheids auch Bezug auf die formelle Illegalität der Straußenhaltung und -zucht. Zugleich spricht sie aber von verschiedenen tierschutzrechtlichen Missständen und stützt die Auflösungsverfügung auf diese Tatsache. An keiner Stelle der Begründung findet sich ein Hinweis, dass der Antragsgegner – wie von § 11 Abs. 5 Satz 6 TierSchG vorausgesetzt – der Antragstellerin das gewerbsmäßige Halten und Züchten von Straußen insgesamt hätte untersagen wollen. Vielmehr bezieht sich der Bescheid ausschließlich auf den „Bestand“, also die gegenwärtig vorhandenen Tiere. Eine Absicht des Antragsgegners, zugleich eine Untersagung auszusprechen, kann daher nicht genommen werden.
b) Eine solch isolierte Verpflichtung zur Bestandsauflösung ist rechtswidrig. Sie kann weder auf § 11 Abs. 5 Satz 6 TierSchG gestützt werden (dazu aa)), noch auf die tierschutzrechtliche Generalklausel (dazu bb)).
aa) Zwar lässt § 11 Abs. 5 Satz 6 TierSchG die Anordnung zu, einen vorhandenen erlaubniswidrigen Tierbestand aufzulösen. Ohne eine vorhergehende oder gleichzeitige Untersagung der erlaubnispflichtigen Tätigkeit ist eine solche Anordnung aber rechtswidrig. Die Forderung nach einer Untersagung stellt hierbei keinen unnötigen Formalismus, sondern eine vom Gesetzgeber zwingend vorgesehene Maßnahme dar, auf die die Behörde nicht nach eigenem Gutdünken verzichten kann.
Nach der klaren Systematik von § 11 Abs. 1 und 5 TierSchG ist eine Ausübung der erlaubnispflichtigen Tätigkeiten ohne die erforderliche Erlaubnis ohne Weiteres rechtswidrig. Ungeachtet dieser gesetzlichen Wertung hat der Gesetzgeber aber vorgeschrieben, dass die zuständige Behörde eine solche Tätigkeit gemäß § 11 Abs. 5 Satz 6 TierSchG untersagen soll. Er verlangt damit eine fallbezogene Prüfung und folgt insoweit einer im Sicherheitsrecht häufig anzutreffenden Konzeption. So löst etwa die Baurechtswidrigkeit eines Vorhabens noch keine gesetzliche Beseitigungspflicht aus, sondern ermächtigt die Bauaufsichtsbehörde nur zu entsprechenden Maßnahmen (vgl. Art. 75 f. Bayerische Bauordnung). Entsprechendes ist in § 11 Abs. 5 Satz 6 TierSchG vorgesehen. Auf diesen Schritt kann schon deshalb nicht verzichtet werden, weil hinsichtlich der zu treffenden Maßnahmen eine – wenngleich intendierte – Ermessensbetätigung seitens der Tierschutzbehörde erforderlich ist. Ein Verzicht auf eine gleichzeitige oder vorhergehende Untersagung der erlaubnispflichtigen Tätigkeit würde also die Ermessensbetätigung der Behörde beschränken und schon unter diesem Aspekt eine Rechtsverkürzung für den Adressaten mit sich bringen. Denn dieser hat gemäß Art. 40 BayVwVfG einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 40 Rn. 135).
Parallele Gestaltungen finden sich im Tierschutzgesetz auch an anderen Stellen. Insbesondere bedarf es bei Anordnungen zur Bestandsauflösung auf Grundlage des § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TierSchG eines zumindest gleichzeitig verhängten Tierhaltungs- und Betreuungsverbots. Dies folgt bereits daraus, dass sich die Bestandsauflösung gleichsam als Umsetzung der Haltungsuntersagung darstellt und ohne letztere keine Grundlage hätte. Es ist daher davon auszugehen, dass der Gesetzgeber in § 11 Abs. 5 Satz 6 TierSchG einen vergleichbaren zweischrittigen Mechanismus voraussetzen wollte und eine Bestandsauflösung ohne vorherige Untersagung der Tätigkeit deshalb nicht in Betracht kommt.
In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass Untersagungs- und Auflösungsverfügung keinesfalls deckungsgleich sind. Denn untersagt wird gemäß § 11 Abs. 5 Satz 6 TierSchG die erlaubnispflichtige Tätigkeit insgesamt. Der Antragstellerin wäre es also verboten, überhaupt Strauße gewerbsmäßig zu halten oder zu züchten. Sie dürfte unabhängig von einem bereits vorhandenen Bestand namentlich keine Tiere mehr zu Zwecken der gewerbsmäßigen Haltung in Besitz nehmen. Die Anordnung zur Auflösung eines vorhandenen Bestands bezieht sich dem gegenüber stets auf konkrete, im entscheidenden Zeitpunkt vorhandene Tiere und wirkt nicht auf andere, die in der Zukunft beschafft werden würden. Auch aus diesem Grund bleibt die Tierschutzbehörde hinter dem gesetzlich Vorgeschriebenen zurück, wenn sie allein die Auflösung eines vorhandenen Bestands anordnet, ohne die betreffende erlaubnispflichtige Tätigkeit zu untersagen.
Zuletzt muss eine isolierte Verpflichtung zur Bestandsauflösung ohne zumindest gleichzeitige Untersagung auch deshalb ausscheiden, weil es ihrer in entsprechenden Konstellationen nicht bedarf. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hält in ständiger Rechtsprechung Anordnungen zur Auflösung eines Tierbestands gerade deshalb für notwendig, weil andernfalls ein tierschutzwidriger betreuungsloser Zustand geschaffen würde (B.v. 7.11.2006 – 25 CS 06.2619 – juris Rn. 6; B.v. 10.4.2019 – 23 CS 19.624 – juris Rn. 12). Eine solche Befürchtung besteht aber gerade nicht, wenn keine Untersagung ausgesprochen wurde. Denn in diesen Fällen ist dem bisherigen Halter das Halten und Betreuen der Tiere nicht allgemein verboten. Die vom Verwaltungsgerichtshof befürchtete Situation fehlender menschlicher Betreuung tritt durch die ausgesprochene Verpflichtung zur Auflösung des Bestands also nicht ein. Auch aus diesem Grund kann Nr. 1 des Bescheids vom 18.5.2020 nicht auf § 11 Abs. 5 Satz 6 TierSchG gestützt werden.
bb) Zugleich ist dem Antragsgegner der Weg versperrt, die Maßnahme auf § 16a Abs. 1 Satz 1 oder § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG zu stützen. Ein Rückgriff auf die Möglichkeit, im Wege der Anordnung festgestellte Verstöße gegen das Tierschutzgesetz zu beseitigen oder zukünftige zu verhindern (§ 16a Abs. 1 Satz 1 TierSchG) kommt aus systematischen Gründen nicht in Betracht. Denn es entspricht allgemeinen Prinzipien der Gesetzessystematik, dass die speziellere Norm vor der allgemeineren angewendet werden muss. Die Kammer hat bereits dargestellt, dass in der vorliegenden Konstellation § 11 Abs. 5 Satz 6 TierSchG die Rechtsgrundlage für eine (unterbliebene) Untersagung der Straußenhaltung und -zucht bietet und eine Bestandsauflösung wegen formeller Illegalität eine solche Untersagung zwingend erfordert. Die besonderen Voraussetzungen eines solchen Handelns dürfen nicht durch den Rückgriff auf die tierschutzrechtliche Generalklausel umgangen werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass es im Rahmen des § 11 Abs. 5 Satz 6 TierSchG einer besonderen Evidenzkontrolle der Erlaubnisvoraussetzungen bedarf, die in § 16a Abs. 1 Satz 1 TierSchG nicht vorgesehen ist.
Daneben würde sich auch eine auf § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG gestützte Bestandsauflösung gegenwärtig als rechtswidrig, weil unverhältnismäßig darstellen. Denn es mag zwar sein, dass der Antragsgegner in der Vergangenheit mehrere tierschutzrechtliche Mängel auf der Straußenfarm festgestellt hat. Die zugrundeliegenden Kontrollen erfolgten aber zu einem Zeitpunkt, als die Antragstellerin die Tierhaltung und -zucht noch nicht übernommen hatte. Im Übrigen hat die Behörde nicht versucht, die – bei summarischer Prüfung durchaus behebbaren – Missstände im Wege einer Anordnung an die Antragstellerin abzustellen. Angesichts dessen kann die Kammer nicht zu dem Ergebnis gelangen, dass die verfügte Bestandsauflösung das mildeste aller geeignete Mittel darstellt. Denn im Rahmen des § 16a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG kommt es nicht auf die formelle Illegalität der Haltung und Zucht, sondern allein auf die Erfüllung der Anforderungen des § 2 TierSchG an. Dass diese nicht mittels einer Anordnung abzustellen wären, ist aber nicht hinreichend klar ersichtlich.
2. Stellt sich danach Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids als voraussichtlich rechtswidrig dar, so ist einstweiliger Rechtsschutz auch gegen die hierauf bezogene Zwangsgeldandrohung und die Kostenentscheidung zu gewähren. Die Zwangsgeldandrohung kann bei einem zu erwartenden Wegfall der Grundverfügung keinen Bestand haben. Zugleich entfällt damit die Grundlage für eine Kostenerhebung (vgl. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Kostengesetz).
Hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung ist die aufschiebende Wirkung anzuordnen, weil der Ausschluss des Suspensiveffekts auf Art. 21a Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) beruht. Die vom Antragsgegner ausgesprochene Sofortvollzugsanordnung hinsichtlich der Nr. 2 des Bescheids ging daher ins Leere.
3. Die gerichtliche Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
4. Rechtsgrundlage der Streitwertfestsetzung sind § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz. Die Kammer hat Nr. 1.7 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit bei ihrer Entscheidung berücksichtigt und den zugrunde zu legenden Regelstreitwert von 5.000,– EUR halbiert. Ein höherer Streitwert, wie er insbesondere bei Gewerbeuntersagungen festgesetzt wird, kommt vorliegend nicht in Betracht, weil es an einer Untersagungsverfügung gerade fehlt.


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