Europarecht

Prüfung Kürzung landwirtschaftlicher Subventionen

Aktenzeichen  W 8 K 19.1540

Datum:
12.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30649
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
RL 2008/71/EG Art. 2c, Art. 4 Abs. 1
VO (EU) 1306/2013 Art. 93 Abs. 1
VwGO §§ 113 Abs. 1 S. 1
ViehVerkV § 25 Abs. 3, § 42

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet, da die Bescheide des Amtes für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) Karlstadt vom 23. Juli 2018, mit denen die Zuwendungen für Argrarumwelt- und Klimamaßnahmen (AUM), die Ausgleichszulage in benachteiligten Gebieten sowie die Direktzahlung für das Jahr 2017 jeweils um drei Prozent gekürzt und entsprechend zurückgefordert werden, jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides der staatlichen Führungsakademie für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (FüAk) vom 10. Oktober 2019, rechtmäßig sind und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Beklagte hat vorliegend infolge des Fehlens eines korrekt geführten Bestandsregisters zutreffend einen Verstoß gegen die „Cross-Compliance“ Vorschriften angenommen und diesen ermessensfehlerfrei als mittleren Verstoß gegen die Grundanforderungen der Betriebsführung Nr. 6 (GAB 6) – Kennzeichnung und Registrierung von Schweinen, im Einzelnen gegen das Prüfkriterium (PK) 2 – Bestandsregister, mit der Folge einer Kürzung der streitgegenständlichen Förderungen um drei Prozent bewertet. Ein atypischer Fall, der eine Abweichung von dieser Regelbewertung rechtfertigen würde, liegt nicht vor. Insoweit kann auf die streitgegenständlichen Bescheide Bezug genommen werden (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Rückforderung der gewährten Direktzahlungen ist Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 BayVwVfG i.V.m. Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 809/2014 (Durchführungsverordnung zur Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 – DurchführungsVO) für die Ausgleichszulage in benachteiligten Gebieten, Art. 48 BayVwVfG i.V.m. Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 809/2014 für die Zuwendungen für Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen und § 10 Marktorganisationsgesetz (MOG) i.V.m. Art. 7 Abs. 1 DurchführungsVO für die Direktzahlung gemäß Titel III der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013.
Art. 7 Abs. 1 DurchführungsVO regelt, dass bei zu Unrecht bezahlten Beträgen der Begünstigte zur Rückzahlung der betreffenden Beträge zuzüglich etwaiger Zinsen, verpflichtet ist. Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Kläger hat die jeweiligen Zuwendungen zu Unrecht in voller Höhe erhalten, da er gegen die Vorgaben der Cross-Compliance verstoßen hat, welche nach Art. 93 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1305/2013 zu sanktionieren waren.
Die Gewährung der Direktzahlung gemäß Titel III der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 vom 17. Dezember 2013 Haushaltsdisziplin des Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft gemäß Art. 26 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 i.V.m. Art. 169 der Verordnung (EU, EURATOM) Nr. 966/2012, die Ausgleichszulage in benachteiligten Gebieten gemäß Art. 31 und 32 der Verordnung (EU) Nr. 1305/2013 sowie die Zuwendungen für Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen sind an die Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen (sog. „Cross-Compliance“) geknüpft.
Dies ergibt sich aus Art. 91 und 92 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013, wonach bei Direktzahlungen gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1307/2013 und Zahlungen gemäß Art. 31 der Verordnung (EU) Nr. 1305/2013 die Cross-Compliance Vorschriften gemäß Art. 93 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 zu beachten sind, welche im Einzelnen in Anhang II der Verordnung aufgeführt sind und die Grundanforderungen an die Betriebsführung (GAB) und die auf nationaler Ebene aufgestellten Standards für die Erhaltung von Flächen in gutem landwirtschaftlichen und ökologischem Zustand (GLÖZ) umfassen.
Die dem Kläger mit Bescheiden vom 18. August 2015 und 30. Juni 2017, 23. November 2017 und 13. Dezember 2017 jeweils für das Jahr 2017 bewilligten Zahlungen waren damit grundsätzlich von der Einhaltung der Cross-Compliance-Vorschriften nach Anhang II der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 abhängig. Der Kläger hat nach der europarechtlichen Fördersystematik keinen isolierten Anspruch auf Förderung als Ausgleich für seine Nachteile als Landwirt, ohne die Cross-Compliance-Vorschriften einhalten zu müssen. Die daneben bestehende Möglichkeit von Maßnahmen etwa nach dem Tierschutz- oder Tierseuchenrecht ist insoweit ohne Belang.
Der Kläger legte bei der Vorortkontrolle am 29. November 2017 lediglich ein nicht ausgefülltes Bestandsregister und auch keine sonstigen Nachweise über Ver- und Zukäufe vor. Diese fehlerhafte Führung des Bestandsregisters durch den Kläger stellt einen Verstoß gegen § 42 Abs. 2 ViehVerkV i.V.m. Art. 4 der RL 2008/71/EG und gegen die GAB 6 (Kennzeichnung und Registrierung von Tieren) dar und war deshalb gemäß Art. 91 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 mit einer Verwaltungssanktion zu sanktionieren.
1. Entgegen der Ansicht des Klägerbevollmächtigten sind die Vorschriften der ViehVerkV Cross-Compliance relevant. Die ViehVerkV dient zwar ausweislich deren amtlicher Anmerkung Nr. 4 zum einen der Umsetzung der RL 2000/15/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. April 2000 zur Änderung der RL 64/432/EWG des Rates zur Regelung viehseuchenrechtlicher Fragen beim innergemeinschaftlichen Handelsverkehr mit Rindern und Schweinen, daneben u.a. aber auch der RL 92/102/EWG des Rates vom 27. November 1992 (s. amtliche Anmerkung Nr. 3 der ViehVerkVO), welche durch die RL 2008/71/EG des Rates vom 15. Juli 2008 über die Kennzeichnung und Registrierung von Schweinen ersetzt wurde. Diese Richtlinie ist im Anhang II i.V.m. Art. 93 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 als Cross-Compliance-Vorschrift genannt. Richtlinien haben nach Art. 288 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) keine allgemeine Geltung wie eine Verordnung, sondern sind für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet sind, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlassen jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Richtlinien bedürfen folglich der Umsetzung durch den Mitgliedstaat.
Einer Aussetzung des Verfahrens und Vorlage im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens zum Europäischen Gerichtshof bezüglich der vom Klägerbevollmächtigten formulierten Frage, ob das Unionsrecht, insbesondere Art. 93 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 dahin auszulegen ist, dass es sich bei der deutschen Verordnung zum Schutz gegen die Verschleppung von Tierseuchen (ViehVerkV) insbesondere das Führen eines Bestandsverzeichnisses nach Anlage 12 der deutschen ViehVerkV um eine Cross-Compliance relevante Vorschrift i.S.d. Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 handelt, bedurfte es nicht. Denn ungeachtet dessen, dass für das Verwaltungsgericht in erster Instanz keine Pflicht zur Vorlage zum Europäischen Gerichtshof besteht (vgl. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 26. Auflage 2019, § 94 Rn. 21 m.w.N.), ergeben sich nach den obigen Ausführungen für das erkennende Gericht keine entscheidungserheblichen Zweifel hinsichtlich der Auslegung der Verträge der Europäischen Union oder der Gültigkeit bzw. Auslegung von Handlungen der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union (Art. 267 AEUV).
2. In dem bei der Kontrolle am 29. November 2017 bzw. im Nachgang vorgelegten Bestandsregister für Schweine waren keinerlei Zu- oder Abgänge verzeichnet.
a) Entgegen der Ansicht des Klägerbevollmächtigten werden die Voraussetzungen von Art. 4 Abs. 1 der RL 2008/71/EG, wonach jeder Halter, der in das in Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a genannte Verzeichnis aufgenommen ist, ein Register führen muss mit Angaben über die Anzahl der in seinem Betrieb vorhandenen Tiere, nicht schon durch die HI-Tier Datenbank erfüllt. Eine dem Art. 7 Abs. 5 der VO (EG) Nr. 1760/2000 (Kennzeichnung und Registrierung von Rindern) entsprechende Regelung, wonach die Führung eines Registers fakultativ für die Tierhalter ist, die Zugang zu der elektronischen Datenbank (HIT) haben, fehlt in der RL 2008/71/EG. Nach § 42 Abs. 2, § 25 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ViehVerkV kann das Bestandsregister zwar auch in elektronischer Form geführt werden. Aus § 42 Abs. 1, § 25 Abs. 1 ViehVerkV ergibt sich aber, dass das Bestandsregister nach dem Muster der Anlage 12 zur ViehVerkV zu führen ist. Die HI-Tier entspricht inhaltlich schon nicht diesem Muster (vgl. Anlage zur Klageerwiderung der FüAK vom 27. Mai 2020). Die erforderlichen Angaben können zudem zwar bei einem Abgang auch aus anderen Unterlagen als dem Bestandsregister hervorgehen, § 42 Abs. 1 Satz 4 Nr. 2 ViehVerkV, und damit wohl auch aus der HI-Tier, wobei dann in Spalte 7 auf diese Unterlagen verwiesen werden muss. Dies ist hier aber nicht erfolgt.
Zudem wäre bei einer elektronischen Form des Bestandsregisters bei einer Überprüfung ein aktueller Ausdruck auf Kosten des Tierhalters vorzulegen, vgl. Art. 4 Abs. 2 Buchst. c der RL 2008/71/EG. Dies ist hier – unabhängig davon, dass die HI-Tier Datenbank das Bestandregister nicht ersetzen kann – nicht erfolgt.
Eine Aussetzung des Verfahrens und Vorlage im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens zum Europäischen Gerichtshof bezüglich der vom Klägerbevollmächtigten formulierten Frage, ob das Unionsrecht, insbesondere Art. 4 der RL 2008/71/EG dahin auszulegen ist, dass die HI-Tier Datenbank die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 1 RL 2008/71/EG erfüllt, ist nicht erforderlich. Wie bereits ausgeführt, besteht für das Verwaltungsgericht in erster Instanz keine Pflicht zur Vorlage zum Europäischen Gerichtshof. Zudem ist nach dem eigenen Vortrag des Klägerbevollmächtigten diese Frage nicht entscheidungserheblich.
b) In dem Bestandsregister sind auch Geburten und Todesfälle zu verzeichnen. Nach Art. 4 Abs. 2 der RL 2008/71/EG umfasst das Register eine stets auf dem neuesten Stand zu haltende Übersicht über die bei diesen Tieren zu verzeichnenden Bewegungen (Anzahl der Tiere bei jedem Zu- und Abgang) auf der Mindestgrundlage der Gesamtveränderungen des Bestands und unter Angabe des Ursprungs bzw. der Bestimmung der Tiere und des Zeitpunkts dieser Bestandsveränderungen. „Bewegungen“ sind damit allgemein als Zu- und Abgänge, und damit auch Geburt und Tod umfassend, definiert und nicht nur als An- und Verkäufe. Dies ergibt sich denknotwendig auch aus der Formulierung in Art. 4 Abs. 2 der RL 2008/71/EG „Gesamtveränderungen des Bestands“. Der vom Klägerbevollmächtigten vorgenommene Vergleich mit der englischen, französischen und italienischen Version ist nicht geeignet, zu einer anderen Beurteilung zu kommen. Vielmehr spricht auch Art. 4 Abs. 2 Buchst. a RL 2008/71/EG, wonach die Mitgliedstaaten ebenfalls dafür Sorge tragen, dass die Halter der zuständigen Behörde auf Verlangen alle Informationen über den Ursprung, die Kennzeichnung und gegebenenfalls die Bestimmung der Tiere liefern, die in ihrem Eigentum standen bzw. die sie gehalten, befördert, vermarktet oder geschlachtet haben dafür, dass das Bestandsregister umfassend über Zu- und Verkäufe hinaus alle Zu- und Abgänge enthalten soll.
Unabhängig davon ist zu beachten, dass die RL 2008/71/EG nach ihrem Art. 1 Abs. 1 Halbsatz 1 nur Mindestanforderungen für die Kennzeichnung und Registrierung von Schweinen festlegt. Dies hat zur Folge, dass die einzelnen Mitgliedstaaten auch weitere Anforderungen hinsichtlich der Kennzeichnung und Registrierung von Schweinen festsetzen dürfen. Es ist damit aus europarechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, wenn in der ViehVerkV über die RL 2008/71/EG hinaus weitere Vorgaben hinsichtlich des Bestandsregisters gemacht würden. Gem. § 42 Abs. 1 ViehVerkV ist das Bestandsregister nach dem Muster der Anlage 12 zu führen, aus der sich eindeutig ergibt, dass auch Geburt und Tod von Schweinen im eigenen Betrieb im Bestandsregister aufzunehmen sind.
c) Der streitgegenständliche Verstoß ist dem Kläger auch nach Art. 91 Abs. 2 Halbsatz 1 VO (EU) Nr. 1306/2013 anzulasten.
Der Kläger stellte am 4. Mai 2017 einen Mehrfachantrag, dem als Anlage ein Viehverzeichnis beigefügt war. Aus diesem ergibt sich, dass auf dem Betrieb im Jahr 2017 Schweine gehalten werden. Damit kam der Kläger seiner Anzeigepflicht als Betriebsinhaber gem. § 26 Abs. 1 Satz 1 ViehVerkV nach. Er zeigte sich somit als für die Tiere verantwortlich und ist als Halter zu sehen, Art. 2 Buchst. b der RL 2008/71/EG. Auch das Vorbringen des Klägers mit Fax vom 11. Juli 2018 an das AELF (vgl. Behördenakte Bl. 51), dass die Schweinehaltung ab 15. Januar 2018 wieder von seinem Schwiegervater übernommen worden sei, zeigt, dass die Haltung vorher dem Kläger zuzuordnen war.
d) Eine Haltung der Schweine nur zum Eigenbedarf wurde vom Kläger nicht substantiiert dargelegt und ist auch nicht ersichtlich. Vielmehr lassen die sich aus dem Bestandsregister vom 2. Februar 2018 ergebenden Zahlen (Gesamttierzahl von 16 bzw. 20) darauf schließen, dass die Schweinehaltung über den Eigenbedarf hinausgeht. Eine Ausnahme von der Pflicht zu Eintragung in ein Verzeichnis (vgl. 8. Erwägungsgrund der RL 2008/71/EG) kommt daher vorliegend nicht in Betracht.
Die angegriffene Sanktion ist folglich dem Grunde nach zu Recht erfolgt.
3. a) Des Weiteren ist die Einstufung des Verstoßes als „mittel“ nicht zu beanstanden.
Aus Art. 91 Abs. 1, Art. 97 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr.1306/2013 sowie § 10 Abs. 2 MOG ergibt sich, dass festgestellte Verstöße zu sanktionieren sind und die Kürzung an sich eine gebundene behördliche Entscheidung darstellt (so auch Booth in Dombert/Witt, Münchener Anwaltshandbuch Agrarrecht, 2. Auflage 2016, § 27 Europäisches Marktordnungs- und Beihilfenrecht, Rn. 22). Nach Art. 99 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1306/2013 wird zur Anwendung der Verwaltungssanktion gemäß Artikel 91 der Gesamtbetrag der in Artikel 92 genannten Zahlungen, der dem betroffenen Begünstigten gewährt wurde bzw. zu gewähren ist, für die Beihilfeanträge, die er in dem Kalenderjahr, in dem der Verstoß festgestellt wurde, eingereicht hat oder einreichen wird, gekürzt oder gestrichen. Bei der Berechnung dieser Kürzungen und Ausschlüsse werden Schwere, Ausmaß, Dauer und wiederholtes Auftreten der Verstöße sowie die Kriterien nach den Absätzen 2, 3 und 4 berücksichtigt. Nach Abs. 2 der Vorschrift beträgt bei einem Verstoß – wie hier – aufgrund von Fahrlässigkeit die Kürzung höchstens 5%, im Wiederholungsfall höchstens 15%.
Hinsichtlich der Beurteilung des Verstoßes als „schwer“, „mittel“ oder „leicht“ und der damit verbundenen Höhe des Kürzungssatzes kommt der Behörde ein Ermessensspielraum zu (VG Augsburg, U.v. 3.6.2020 – Au 8 K 19.1968 – juris Rn. 38; VG Würzburg, U.v. 5.2.2018 – W 8 K 16.1197 – juris). Es ist nicht zu beanstanden, dass der Beklagte sich hinsichtlich der Höhe des Kürzungsprozentsatzes auf die in einer Bund-Länder-Abstimmung beschlossenen Bewertungsmatrix „Arbeitsanweisung „Prüferhinweise CC im Bereich Schweinekennzeichnung“ für das jeweilige Kontrolljahr (hier 2017) bedient hat (vgl. auch VG Regensburg, U.v. 21.3.2019 – RN 5 K 17.1365 – juris Rn. 35). Eine gleichförmige Ermessensausübung in vergleichbaren Fällen ist im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG geboten. In den streitgegenständlichen Bescheiden wird hinreichend deutlich, dass es sich hinsichtlich der Höhe der jeweiligen Verwaltungssanktion um eine Ermessensentscheidung handelt und dass hier gerade kein Fall vorliegt, der eine Abweichung der Regelbewertung rechtfertigen würde. Zudem hat der Beklagte seine Ermessenserwägungen im Schriftsatz vom 27. Mai 2020 und in der mündlichen Verhandlung nach § 114 Satz 2 VwGO zulässigerweise noch ergänzt, soweit diese unvollständig gewesen sein könnten. Ein Ermessensausfall liegt nicht vor, sonstige Ermessensfehler sind nicht ersichtlich.
Gemäß der einschlägigen Bewertungsmatrix für das Kontrolljahr 2017 Nr. 2.2 Bestandsregister (GAB 6 PK 02) stellen das nicht vollständige Führen des Registers und das nicht chronologische Führen des Registers jeweils einen leichten Verstoß und das nicht aktuelle Führen des Registers einen mittleren Verstoß dar.
Im Ergebnis der Bewertung jeden Teils des Prüfkriteriums „Bestandsregister“ gilt nach der Bewertungsmatrix der als höchst bewertete Verstoß eines Teils als die ermittelte Bewertung für das Kriterium insgesamt, d.h. es erfolgt weder eine Addition aller Werte noch wird ein Mittelwert aller Werte gebildet.
Die Einordnung der Verstöße als mittlerer Verstoß unter Berücksichtigung der vorgelegten Bewertungsmatrix anhand von Nr. 2.2 der vorgelegten Bewertungsmatrix im Bereich Schweinekennzeichnung ist rechtmäßig und insbesondere ermessensfehlerfrei erfolgt. Gründe für die Abweichung von der Regelbewertung als mittlerer Verstoß liegen im konkreten Einzelfall nicht vor.
Nach Art. 38 Abs. 3 Delegierte VO (EU) Nr. 640/2014 hängt die „Schwere“ eines Verstoßes insbesondere davon ab, welche Bedeutung den Auswirkungen des Verstoßes unter Berücksichtigung der Ziele der betreffenden Anforderung oder des betreffenden Standards beizumessen ist. Aus den Erwägungsgründen der RL 2008/71/EG ergibt sich als Zweck der Richtlinie über die Kennzeichnung und Registrierung von Schweinen u.a. die schnelle und zuverlässige Ermittlung von Tierverbringungen. Diese auch tierseuchenrechtlich relevante Rückverfolgbarkeit ist aber nicht gewährleistet, wenn im Bestandsregister die Zu- und Abgänge, sei es durch An- und Verkauf oder durch Geburt und Schlachtung/Verendung, nicht verzeichnet werden. Wie oben bereits aufgezeigt, genügt insoweit die HI-Tier Datenbank nicht.
Auch hinsichtlich des „Ausmaßes“ des Verstoßes, welches nach Art. 38 Abs. 2 Delegierte VO (EU) Nr. 640/2014 insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache bestimmt wird, ob der Verstoß weitreichende Auswirkungen hat oder auf den Betrieb selbst begrenzt ist, ergibt sich keine andere Beurteilung. Die Wirkungen des Verstoßes sind insbesondere in tierseuchenrechtlicher Hinsicht nicht auf den klägerischen Betrieb beschränkt, wenn einzelne Tierbewegungen bzw. deren Ursache nicht nachvollziehbar sind. Das Bestandsregister wurde vorliegend an sich nicht ordnungsgemäß geführt.
Ob ein Verstoß von „Dauer“ ist, richtet sich nach Art. 38 Abs. 4 Delegierte VO (EU) Nr. 640/2014 insbesondere danach, wie lange die Auswirkungen des Verstoßes andauern oder welche Möglichkeiten bestehen, diese Auswirkungen mit angemessenen Mitteln abzustellen. Der Kläger legte zwar ein überarbeitetes Bestandsregister vom 2. Februar 2018 vor, jedoch enthielt auch dieses keine Zugänge, so dass der Verstoß hierdurch nicht abgestellt war.
Bei der Bewertung bereits berücksichtigt wurde, dass es sich um einen Erstverstoß handelt und nicht um „wiederholtes Auftreten“ i.S.d. Art. 38 Abs. 1 Delegierte VO (EU) Nr. 640/2014, bei dem der angewandte Kürzungssatz nach Art. 39 Abs. 4 Unterabs. 1 Delegierte VO (EU) Nr. 640/2014 zu verdreifachen gewesen wäre. Der Umstand, dass infolge der Aufgabe der Schweinehaltung durch den Kläger zum 31. Januar 2018 keine Wiederholungsgefahr bestand, ist insofern nicht relevant.
b) Auch die weiteren vom Klägerbevollmächtigten angeführten Aspekte führen nicht zu einer anderen Bewertung des Verstoßes.
Im Rahmen der Cross-Compliance Vorschriften ist der konkrete Verstoß an sich zu bewerten, so dass es insoweit nicht relevant ist, dass es im Bereich der Rindermast, die in deutlich größerem Umfang betrieben wird, keine Beanstandungen gab. Selbiges gilt für das Vorbringen, bei der Tierhaltung sei das Risiko einer Sanktion deutlich größer als beim Ackerbau.
Ebenso wenig ist eine mögliche Existenzbedrohung infolge der Cross-Compliance bedingten Sanktionen bei der Bewertung zu berücksichtigen. Denn nach Art. 91 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 führt ein Verstoß gegen die Cross-Compliance Vorschriften zur Verhängung einer Verwaltungssanktion, worauf im Mehrfachantragsformular auch ausdrücklich hingewiesen wird. Die Bewertung des Verstoßes erfolgt gem. Art. 99 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 nach den oben dargelegten Kriterien. Eine mögliche Existenzbedrohung befreit nicht von der Pflicht zur Einhaltung der erforderlichen Vorschriften.
Insbesondere genügen die genannten Punkte nicht für die Bejahung eines Falls „höherer Gewalt“ oder „außergewöhnlicher Umstände“. Ein solcher ist nach der Rechtsprechung des EuGH ein ungewöhnlicher, vom Willen des Betroffenen unabhängiger und unvorhersehbarer Umstand, der trotz äußerster, nach den Umständen erforderlicher und zumutbarer Sorgfalt von den Beteiligten nicht zu vermeiden war (EuGH, U.v. 17.12.2015 – C-330/14 – juris Rn. 58). Hierfür bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte. Insbesondere fällt darunter auch nicht der Umstand, dass der klägerische Betrieb vorher von dessen Schwiegervater geführt wurde. Vielmehr ist der neue Halter selbst verantwortlich für die Einhaltung der Vorschriften.
Nach Art. 99 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 kann ein „Frühwarnsystem“ eingerichtet werden, das auf Verstöße Anwendung findet, die angesichts ihrer geringen Schwere, ihres begrenzten Ausmaßes und ihrer geringen Dauer in hinreichend begründeten Fällen nicht mit einer Kürzung oder einem Ausschluss geahndet werden. Das „Frühwarnsystem“, das 2015 mit der Reform der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik eingeführt wurde und von dem Deutschland nach § 5 Absatz 3 des Agrarzahlungen-Verpflichtungsgesetzes Gebrauch gemacht hat, ersetzt die bis dahin geltende Bagatellregelung (vgl. VG Stade, U.v. 15.5.2019 – 6 A 356/17 – juris Rn. 41). Nach der einschlägigen Bewertungsmatrix kommt eine Bewertung als geringfügig und damit als Frühwarnverstoß insbesondere in Betracht, wenn die Anzahl der betroffenen Tiere im Verhältnis zur Gesamtzahl der Tiere sehr klein ist oder wenn bei Verstößen gegen die Aufbewahrungspflicht kein Bestand mehr vorhanden ist und der Bestand der Tiere anderweitig belegt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben, da es sich nicht um einen Verstoß gegen die Aufbewahrungspflicht handelt und der Verstoß in rechtmäßiger Weise als mittel bewertet wurde.
Auch insoweit ist eine Aussetzung des Verfahrens und Vorlage im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens zum Europäischen Gerichtshof bezüglich der vom Klägerbevollmächtigten formulierten Frage, ob das Unionsrecht, insbesondere Art. 99 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 dahin auszulegen ist, dass ein fehlendes Verzeichnis bei einem Bestand von fünf Tieren einen Verstoß darstellt, der aufgrund seiner geringen Schwere, seines begrenzten Ausmaßes und seiner geringen Dauer als geringfügig bewertet werden, von einer Sanktion in Form einer Beihilfekürzung ausgenommen werden kann und stattdessen eine schriftliche Verwarnung zu erteilen gewesen wäre – verbunden mit der Aufforderung, Abhilfemaßnahmen zu treffen, um die Wirkung des Verstoßes zu beseitigen, nicht erforderlich. Wie bereits ausgeführt, besteht für das Verwaltungsgericht in erster Instanz keine Pflicht zur Vorlage zum Europäischen Gerichtshof. Zudem ergibt sich die Vorlagefrage schon aus dem einschlägigen Richtlinientext selbst.
Der Kläger wurde auch ausreichend hinsichtlich der Cross-Compliance relevanten Vorschriften belehrt i.S.d. Erwägungsgrundes Nr. 59 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013. So versicherte er auf der letzten Seite des Mehrfachantrags für das Jahr 2017, von den Verpflichtungen und Hinweisen Kenntnis genommen zu haben, die in der Broschüre „Cross Compliance 2017“ genannt sind, und diese Verpflichtungen einzuhalten bzw. die Fördervoraussetzungen zu erfüllen.
Einer Aussetzung des Verfahrens und Vorlage im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens zum Europäischen Gerichtshof bezüglich der vom Klägerbevollmächtigten formulierten Frage, ob das Unionsrecht, insbesondere der Erwägungsgrund Nr. 50 der Verordnung (EU) Nr. 1306/2013 dahin, dass die fraglichen Vorschriften im Hinblick auf Anforderungen und Standards von der Bundesrepublik Deutschland in der konkreten Form nicht ausreichend umfassende und verständliche Weise mit erläuternden Angaben, soweit möglich auf elektronischem Wege, im Antragsformular in ausreichender Form mitgeteilt worden ist, bedarf es folglich nicht. Zudem besteht für das Verwaltungsgericht in erster Instanz keine Pflicht zur Vorlage zum Europäischen Gerichtshof.
Ferner ist es nicht ermessensfehlerhaft, dass in den streitgegenständlichen Bescheiden Überlegungen im Hinblick auf einen etwaigen Prozentsatz bei Tieren mit den festgestellten Verstößen zu den übrigen Tieren, bei denen kein Verstoß festgestellt wurde, fehlen (vgl. Erwägungsgrund Nr. 28 der Verordnung (EU) Nr. 640/2014).
Der Erwägungsgrund Nr. 28 der Verordnung (EU) Nr. 640/2014 bezieht sich jedoch auf tierbezogene Stützungsmaßnahmen, bei denen es sich nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 14 VO (EU) Nr. 640/2014 um Maßnahmen oder Vorhabenarten zur Entwicklung des ländlichen Raums handelt, bei denen die Stützung auf der Zahl der gemeldeten Tiere oder der Zahl der gemeldeten Vieheinheiten beruht. Bei den streitgegenständlichen Förderungen handelt es sich jedoch um flächenbezogene Maßnahmen, auf die der genannte Erwägungsgrund damit nicht anwendbar ist.
Einer Aussetzung des Verfahrens und Vorlage im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens zum Europäischen Gerichtshof bezüglich der vom Klägerbevollmächtigten formulierten Frage, ob das Unionsrecht, insbesondere der Erwägungsgrund Nr. 28 und Art. 38 Delegierte Verordnung (EU) Nr. 640/2014 dahin auszulegen ist, dass der Rechtsgedanke bei der Bewertung von GAB-Verstößen, namentlich die Schwere der Verwaltungssanktion vom Prozentsatz der Tiere mit festgestellten Verstößen abhängig zu machen ist, und zwar auch dann, wenn keine Beihilferegelungen für Tiere oder tierbezogene Stützungsmaßnahmen bezogen werden und deshalb nur eine Verwaltungssanktion über flächenbezogene Stützungsmaßnahmen nach dem CC-Prinzip erfolgt, ist folglich nicht erforderlich.
Weiter haben die Cross-Compliance Maßnahmen entgegen der Ansicht des Klägerbevollmächtigten keinen Strafcharakter. Ein Strafverfahren hat hierbei völlig andere Zielrichtungen (vgl. VG Ansbach, U. v. 11.8.2020 – AN 14 K 16.01508 – juris Rn. 51). Der im Strafrecht geltende Grundsatz „in dubio pro reo“ ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht anzuwenden (VG Regensburg, U.v. 17.3.2016 – 5 K 14.1782 – juris Rn. 58).
3. Die Bescheide vom 23. Juli 2018 in Form des Widerspruchsbescheids vom 10. Oktober 2019 sind auch im Übrigen rechtlich nicht beanstanden. Insbesondere ist die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid nicht zu beanstanden. Insoweit sind Einwände weder von Klägerseite vorgebracht, noch besteht sonst Anlass zu rechtlichen Bedenken. Infolgedessen kann insoweit auf die Ausführungen im streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid Bezug genommen werden (§ 117 Abs. 5 VwGO).
4. Gemäß vorstehender Erwägungen war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.


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