Europarecht

Rechtmäßige Abschiebungsanordnung in die Schweiz im Rahmen des Dublin-Verfahrens

Aktenzeichen  1 S 17.50489

Datum:
25.4.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
Dublin III-VO Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 17 Abs. 1
AsylG AsylG § 34a Abs. 1
AufenthG AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7

 

Leitsatz

1 Das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in der Schweiz weisen keine systemischen Schwachstellen auf, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung iSv Art. 4 GRCh in sich bergen, sodass eine Überstellung eines Asylbewerbers in die Schweiz unmöglich wäre (wie VG München BeckRS 2016, 54369). (Rn. 11 – 14) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Trägt ein Asylbewerber gegen seine Abschiebung sprechende gesundheitliche Beeinträchtigungen vor, ohne sich zuvor in ärztliche Behandlung begeben und ohne ein ärztliches Attest vorgelegt zu haben, spricht dies gegen das Vorliegen der für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 AufenthG geforderten Schwere der Erkrankung. (Rn. 16) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Hinsichtlich der Behandelbarkeit von Erkrankungen bestehen für die Schweiz, die über eine umfassende Gesundheitsfürsorge verfügt, keine Bedenken. (Rn. 16) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist nach seinen Angaben nigerianischer Staatsangehöriger und am 14.01.2017 nach Deutschland eingereist. Er stellte am *.2.2017 Asylantrag.
Nachdem eine EURODAC – Abfrage ergab, dass sich der Antragsteller zuvor in der Schweiz aufgehalten hatte, richtete das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gemäß der Dublin III-VO am 10.02.2017 ein Übernahmeersuchen an die Schweiz, welchem mit Schreiben vom 14.2.2017 entsprochen wurde.
Mit Bescheid vom 15. Februar 2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids), stellte fest, dass Abschiebungsverbote gem. § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2 des Bescheides) und ordnete die Abschiebung des Antragstellers in die Schweiz an (Nr. 3 des Bescheides). In Nr. 4 des Bescheides wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes auf 9 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet.
Auf die Begründung des Bescheides wird Bezug genommen.
Der Antragsteller erhob über seine Bevollmächtigte am …2.2017 Klage gegen den vorgenannten Bescheid (Az. M 1 K 17.50488) und beantragte über seine Bevollmächtigte zugleich im vorliegenden Verfahren,
die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO.
Zur Begründung führte die Bevollmächtigte aus, der Kläger werde nach Vorsprache bei seinem Arzt am 16.3.2017 ein Attest vorlegen.
Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug verwiesen.
II.
Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässige Antrag ist unbegründet.
Die Klage entfaltet von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG. Das Gericht der Hauptsache kann nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Grundlage der Entscheidung ist eine eigene Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Ein gewichtiges Indiz sind dabei die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens. Vorliegend überwiegt das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, da die Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 AsylG rechtmäßig ist. Nach § 34a Abs. 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind gegeben.
Das Bundesamt hat zu Recht seine Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens abgelehnt (1.) und das Vorliegen von Abschiebungsverboten oder Abschiebungshindernissen verneint (2.).
1. Die Schweiz hat dem fristgerecht gestellten Übernahmeersuchen der Antragsgegnerin entsprochen. Danach ist die Schweiz der nach der Dublin III-VO zur Prüfung des Asylgesuchs des Antragstellers allein zuständige Staat und verpflichtet, den Antragsteller (wieder) aufzunehmen.
Besondere Umstände, die die ausnahmsweise Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 der Dublin III-VO begründen oder nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin III-VO rechtfertigen bzw. bedingen würden, sind nicht ersichtlich. Insbesondere kann der Antragsteller seiner Überstellung in die Schweiz nicht mit dem Einwand entgegentreten, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in der Schweiz systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i. S. d. Art. 4 der Grundrechtecharta (GRCh) mit sich bringen, sodass eine Überstellung in die Schweiz unmöglich wäre (Art. 3 Abs. 2 Unterabsatz 2 und 3 der Dublin III-VO).
Nach dem Konzept der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 ua – juris) und dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union als auch in der Schweiz in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) steht. Diese Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Den nationalen Gerichten obliegt im Einzelfall die Prüfung, ob ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Staat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Staat überstellten Asylbewerber implizieren (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 a.a.O Rn. 86). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Staaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen. Von systemischen Mängeln ist nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber aufgrund größerer Funktionsstörungen in dem zuständigen Staat regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 5 f. m. w. N.). Bei einer zusammenfassenden, qualifizierten – nicht rein quantitativen – Würdigung aller Umstände, die für das Vorliegen solcher Mängel sprechen, muss diesen ein größeres Gewicht als den dagegen sprechenden Tatsachen zukommen, d. h. es müssen hinreichend gesicherte Erkenntnisse dazu vorliegen, dass es immer wieder zu den genannten Grundrechtsverletzungen kommt (vgl. VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris).
Das Gericht hat keinerlei Zweifel daran, dass in der Schweiz keine systemischen Mängel des Asylverfahrens vorhanden sind. Für die Annahme, die Schweiz erfülle nicht die EU-Kernanforderungen im Flüchtlingsrecht nach der Dublin III-VO, gibt es keine Anhaltspunkte. Das Gericht schließt sich der einhelligen Bewertung in der Rechtsprechung an (siehe aktuell etwa VG Potsdam, U.v.30.12.2016, 6 K 3385/16.A, juris; VG Hannover, B.v.2.12.2016, 13 A 5309/16, juris; VG München, B.v.27.9.2016, M 8 S. 16.50324, juris).
2. Die Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bescheids bleibt voraussichtlich auch insoweit ohne Erfolg, als im Rahmen der Anordnung zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote und inlandsbezogene Abschiebungshindernisse und Duldungsgründe zu prüfen sind (zu dieser Prüfungspflicht siehe BayVGH, B.v. 12.3.2014, Az. 10 CE 14.427 – juris).
Die nach dem Inhalt der Akten vom Antragsteller vorgetragenen gesundheitlichen Beschwerden (Schmerzen in den Beinen nach Schussverletzung in der Heimat) können der Abschiebungsanordnung nicht entgegengehalten werden. Das Gesetz stellt hohe Anforderungen an die Berücksichtigungsfähigkeit gesundheitlicher Einwendungen, sowohl was die Schwere des Leidens, den Einwand nicht ausreichender Behandelbarkeit im Zielland als auch den qualifizierten ärztlichen Nachweis betrifft (siehe § 60 Abs. 7 Satz 2 bis 4, § 60a Abs. 2c und 2d AufenthG). Diesen Anforderungen ist hier bei Weitem nicht Genüge getan. Die angeblichen Leiden des Antragstellers bleiben unspezifisch. Der Umstand, dass er sich nach seinen Angaben vor dem Bundesamt bisher nicht in ärztliche Behandlung begeben hat, spricht nicht für die vom Gesetz geforderte Schwere des Leidens. Es fehlt weiter jeder ärztliche Nachweis. Der Antragsteller wurde bereits am 8.2.2017 vom Bundesamt aufgefordert, ärztliche Bescheinigungen beizubringen, was er bislang nicht getan hat. Im Übrigen ist bei der dargestellten Lage nicht ersichtlich, warum etwaige Leiden des Antragstellers nicht in der Schweiz, die über eine umfassende Gesundheitsfürsorge verfügt, behandelbar sein sollten.
Der Antrag war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


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