Europarecht

Rechtmäßige Anordnung der Abschiebung eines ivorischen Asylantragsstellers nach Spanien im Dublin-Verfahren

Aktenzeichen  W 2 S 19.50101

Datum:
8.2.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 4458
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1, § 34 Abs. 2, § 34a Abs. 1, Abs. 2, § 77 Abs. 1, Abs. 2, § 80, § 83b
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 13, Art. 17, Art. 21, Art. 29
VwGO § 80 Abs. 2, Abs. 5

 

Leitsatz

1 In Spanien bestehen keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Dies gilt auch für die Gruppe der Dublin-Rückkehrer. (Rn. 17) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Systemische Mängel in Bezug auf die Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer liegen in Spanien nicht vor. Sie besitzen, wie auch andere Asylbewerber, Zugang zu Versorgung und Unterbringung, auch wenn sie über keine finanziellen Mittel verfügen, sowie den vollen Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem einschließlich Zugang zu spezialisierter Behandlung für Folteropfer und Traumatisierte. (Rn. 20) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Anordnung seiner Abschiebung nach Spanien.
Der Antragsteller, ein am … … 1994 in Benjaville/Elfenbeinküste geborener ivorischer Staatsangehöriger islamischer Religionszugehörigkeit, reiste am 20. Dezember 2018 in die Bundesrepublik Deutschland ein und äußerte ein Asylgesuch, von dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 2. November 2018 schriftlich Kenntnis erlangte. Am 7. Januar 2019 stellte er einen förmlichen Asylantrag.
Eine EURODAC-Suche ergab Anhaltspunkte für die Zuständigkeit Spaniens für die Bearbeitung des Asylantrags. Am 23. Januar 2019 wurde ein Übernahmeersuchen nach der Dublin III-VO an Spanien gerichtete. Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 4. Februar 2019 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags.
Mit Bescheid vom 4. Februar 2019, lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes nicht vorlägen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Spanien an (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sechs Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4).
Die spanischen Behörden seien für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig. Der Asylantrag sei gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 des Asylgesetzes (AsylG) i.d.F. d. Bek. v. 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), zuletzt geändert durch Art. 2 d. Ges. v. 4. Dezember 2018 (BGBl I S. 2250), unzulässig, da Spanien aufgrund der illegalen Einreise der Antragstellerin über dessen Außengrenze gem. Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), für die Behandlung des Asylantrags zuständig. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen.
Mit Erklärung zur Niederschrift der Urkundsbeamtin am 6. Februar 2019 erhob der Antragsteller beim Verwaltungsgericht Würzburg Klage gegen den Bescheid vom 4. Februar 2019 und beantragte zugleich im Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes:
Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheides der Beklagten vom 4. Februar 2019 (Geschäftszeichen:7697467 – 231) wird angeordnet.
Der Antragsteller habe in Spanien keine staatlichen Leistungen erhalten. Er erhoffe sich in Deutschland ein besseres Leben. Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift vom 6. Februar 2019 Bezug genommen.
Die Antragsgegnerin stellte im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bislang noch keinen Antrag.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren der Hauptsache (W 2 K 19.50100) sowie auf den Inhalt der einschlägigen Verwaltungsakten des Bundesamtes, welche dem Gericht in elektronischer Form vorliegen, Bezug genommen.
II.
Gegenstand des Verfahrens im einstweiligen Rechtsschutz ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des in der Hauptsache angefochtenen Bescheides.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung ist zulässig (§ 34a Abs. 2 AsylG), insbesondere fristgerecht (§ 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 74 Abs. 1, § 34 Abs. 2 Satz 1 AsylG).
Er ist jedoch unbegründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 4. Februar 2019 erweist sich bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung zum maßgeblichen Zeitpunkt (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, so dass das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache noch im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, überwiegt.
Rechtsgrundlage der Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG. Soll ein Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.
Das Bundesamt hat den Asylantrag des Antragstellers zu Recht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG als unzulässig abgelehnt, weil ein anderer Staat – hier Spanien – aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Spanien ist aufgrund der durch Eurodac-Treffer nachgewiesenen illegalen Grenzüberschreitung gemäß Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO für die Behandlung des Asylantrags des Antragstellers zuständig. Spanien hat auf das innerhalb der Fristen des Art. 21 Abs. 2 Dublin III-VO gestellte Aufnahmegesuch reagiert und die eigene Zuständigkeit bestätigt. Damit ist Spanien gemäß Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO verpflichtet, den Antragsteller innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahmegesuchs wieder aufzunehmen. Diese Frist, nach deren Ablauf die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht (Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO), ist noch nicht abgelaufen.
Es liegt auch kein Übergang der Zuständigkeit auf die Antragsgegnerin nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 Dublin III-VO vor. Die Überstellung an Spanien ist nicht rechtlich unmöglich im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO. Diese Vorschrift entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (z.B. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C 411/10 u.a. – juris). Danach ist die Überstellung eines Asylsuchenden an einen anderen Mitgliedsstaat nur dann zu unterlassen, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende im zuständigen Mitgliedsstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der rücküberstellten Asylsuchenden im Sinne von Art. 4 GK-Charta zur Folge hätten.
Das Gericht geht nach den vorliegenden Erkenntnissen davon aus, dass in Spanien keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. Dies gilt auch im Hinblick auf die hier relevante Gruppe der Dublin-Rückkehrer (vgl. zuletzt etwa VG Würzburg, B.v. 28.1.2019 – W 2 S 19.50053; B.v. 28.11.2018 – W 8 S 18.50542; B.v. 14.9.2018 – W 2 S 18.50435; B.v. 4.10.2017 – W 3 S 17.50558 sowie VG Aachen, B.v. 13.8.2018 – 4 L 1065/18.A – juris; VG München, B.v. 22.2.2018 – M 2 S 18.50431 – juris; VG Köln, B.v. 19.12.2017 – 14 L 3557/17.A – juris; VG Cottbus, B.v. 27.9.2017 – 5 L 570/17.A – juris; jeweils m.w.N.), zumal die Antragstellerseite nichts Gegenteiliges substantiiert vorgebracht hat.
Das Gericht folgt der zutreffenden Begründung des angefochtenen Bescheides (§ 77 Abs. 2 AsylG) und führt ergänzend aus: Zwar stellt nach Angabe der Europäischen Kommission unter Berufungen auf die nationalen Behörden in Spanien die Mehrheit der überstellten Dublin-Rückkehrer in Spanien keinen (weiteren) Asylantrag, sondern verlässt das Land (vgl. Evaluation of the Implementation of the Dublin III Regulation, März 2016, S. 61). Jedoch bestätigte das spanische Innenministerium auf Anfrage der österreichischen Botschaft in Madrid, dass Dublin-Rückkehrer ein eventuelles Asylverfahren in Spanien fortsetzen bzw. einen neuen Asylantrag stellen können (vgl. Bundesrepublik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt Spanien, Stand: 6.7.2018, S. 6). Das Asylverfahren wie es übereinstimmend im Human Rights Report 2017 und 2016 des US State Department oder dem Country Report von AIDA geschildert wird, deutet in Bezug auf Dublin-Rückkehrer nicht auf Mängel im Asylverfahren hin. Auch seitens der EU Kommission wurde der Umgang Spaniens mit Dublin-Rückkehrern nicht beanstandet (vgl. a.a.O.). Es wird lediglich festgestellt, dass Spanien zum Zeitpunkt der Berichterstattung noch keine Daten für das Jahr 2014 zur Erstellung der Dublin-Statistik geliefert habe (vgl. a.a.O., S. 39). Soweit Kollektivabschiebungen an den Grenzübergängen von Ceuta und Melilla nach Marokko beispielsweise von Amnesty International beanstandet werden (Länderbericht 2017, S. 5 und 6) oder AIDA auf die Schwierigkeit der Antragstellung bei einem illegalen Grenzübertritt hinweist (Country Report Spain 2016, Update Feb. 2017, S. 16) betrifft dies den Antragsteller als Dublin-Rückkehrer nicht. Im Einklang mit der Auskunft des spanischen Innenministeriums an die österreichische Botschaft in Madrid (s.o.) führt die Europäische Kommission Spanien bei den Ländern auf, bei denen es im Überstellungsfall keine Ausnahme von der Durchführung einer persönlichen Anhörung gibt (European Commission, a.a.O., S. 13).
Auch im Hinblick auf die Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer kann das Gericht anhand der vorliegenden Erkenntnismittel keine systemischen Mängel feststellen. Zwar sieht Amnesty International das Aufnahmesystem für Asylsuchende nach wie vor als unzureichend an (Länderreport 2017, S. 5): Es gäbe zu wenig Plätze in den offiziellen Aufnahmezentren und nur unzureichend Unterstützung für jene, die außerhalb offizieller Zentren untergebracht seien. Asylbewerber hätten nicht überall im Land den gleichen Zugang zu den ihnen zustehenden Unterstützungsleistungen. AIDA hingegen stellt die Ausweitung der Aufnahmekapazitäten, die finanzielle Aufstockung und die Erweiterung der Einbeziehung von Nicht-Regierungs-Organisationen seit 2015 in den Vordergrund (a.a.O., S. 40). Für Dublin-Rückkehrer ist der Zugang zu Versorgung, wie sie auch anderen Asylbewerbern offen steht, garantiert (Österreich. Bundesamt, a.a.O.). Die Erkenntnismittel berichten übereinstimmend, dass Asylbewerber, die über keine finanziellen Mittel verfügen, das Recht auf Unterbringung und Versorgung zur Deckung ihrer grundlegenden Bedürfnisse haben und diese Versorgung in den Unterbringungseinrichtungen auch tatsächlich gewährleistet ist (statt vieler: AIDA, a.a.O., S. 39). Das spanische Recht sieht für alle Asylbewerber den vollen Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem wie für spanische Bürger vor, einschließlich Zugang zu spezialisierter Behandlung für Personen, die Folter, schwere körperliche oder seelische Misshandlungen oder Traumatisierung erlitten haben (vgl. Österreich. Bundesamt für a.a.O.).
Dass der Antragsteller sich mit seiner bewussten Entscheidung, in Spanien keinen Asylantrag zu stellen, dem dortigen Asylverfahren und den daran anknüpfenden Aufnahmebedingungen entzogen hat, stellt ebenfalls keinen systemischen Mangel des spanischen Asylsystems dar.
Nach alledem liegen im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt auch unter Berücksichtigung des Antragsvorbringens keine wesentlichen Gründe für die Annahme vor, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Spanien systemische Schwachstellen aufweist.
Individuelle außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung eines Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 der Dublin III-VO notwendig machen, liegen nicht vor.
Es sind auch keine Anhaltspunkte für innerstaatliche oder zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf Spanien ersichtlich.
Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die die Antragsgegnerin selbst zu berücksichtigen hätte, sind ebenfalls nicht erkennbar. Eine Reise- oder Transportunfähigkeit wurde von dem Antragsteller nicht substantiiert geltend gemacht und ist auch sonst nicht ersichtlich. Gesundheitlichen Beschwerden wurden nicht vorgetragen.
Bei der im einstweiligen Rechtschutz alleine möglichen summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass die Abschiebung tatsächlich durchgeführt werden kann. Damit liegen die Voraussetzungen für den Erlass der Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG vor.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung war daher abzulehnen. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.


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