Europarecht

Rechtsanwaltskosten, Berufung, Annahmeverzug, Fahrzeug, Software, Staatsanwaltschaft, Vertragsschluss, Zulassung, Feststellung, Erstattung, Zeitpunkt, Freistellung, Technik, betrug, Zug um Zug, kein Anspruch, keine Divergenz

Aktenzeichen  21 U 532/20

Datum:
27.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 19244
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

72 O 2383/18 2020-01-23 Urt LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 23.01.2020, Az. 72 O 2383/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei einen Betrag in Höhe von 22.623,85 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 25.130,45 € vom 08.03.2019 bis 18.12.2019 und aus 23.330,63 € vom 19.12.2019 bis 01.05.2022 sowie aus 22.623,85 € seit dem 02.05.2022 Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi Q5, FIN …513 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.358,86 € freizustellen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Klagepartei hat von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz 32%, die Beklagte 68% zu tragen.
2. Im Übrigen werden die Berufung der Beklagten und die Berufung der Klagepartei zurückgewiesen.
3. Die Klagepartei hat von den Kosten des Berufungsverfahrens 36%, die Beklagte 64% zu tragen.
4. Das Urteil und das Urteil des Landgerichts Ingolstadt – soweit es aufrechterhalten wird – sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch die Klagepartei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, soweit nicht die Klagepartei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche, die die Klagepartei gegen die Beklagte wegen des Erwerbs eines Diesel-Pkws geltend macht.
Die Klagepartei erwarb am 09.03.2015 zu einem Preis von 30.500 € brutto von einem Dritten ein Gebrauchtfahrzeug Audi Q5 2.0 TDI, quattro S tronic, 125 kw (170 PS), Erstzulassung 04.10.2011. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor EA189 ausgestattet. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Die Beklagte ist die Herstellerin des Pkws. Der Kilometerstand bei Erwerb betrug 40.850 km, zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 19.12.2019 74.572 km und zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 02.05.2022 81.948 km.
Zur Abgasreinigung wird im streitgegenständlichen Fahrzeug die Abgasrückführung eingesetzt. Das Fahrzeug ist betroffen von einem Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt mit der Begründung „unzulässige Abschalteinrichtung“. Die im Zusammenhang mit dem Motor (zunächst) verwendete Software erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionsklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.
Die Klagepartei ließ das vom Kraftfahrtbundesamt freigegebene und zur weiteren Nutzbarkeit des Fahrzeugs erforderliche Softwareupdate am 03.04.2017 aufspielen.
Vorgerichtlich forderte die Klagepartei mit anwaltlichem Schreiben vom 13.12.2018 die vollständige Kaufpreiserstattung abzüglich einer Nutzungsentschädigung ohne Benennung von Kilometerleistungen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs sowie die Zahlung der Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung unter Fristsetzung bis zum 20.12.2018.
Mit Klage vom 21.12.2018, bei Gericht eingegangen am 03.01.2019 und der Beklagten zugestellt am 07.03.2019, forderte die Klagepartei zuletzt die Erstattung des vollständigen Kaufpreises nebst Delikts- bzw. Verzugszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung von Annahmeverzug der Beklagten mit der Rücknahme des Fahrzeugs und die Verurteilung zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.
Ergänzend wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.
Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 23.01.2020 teilweise zugesprochen, nämlich verurteilt zur Zahlung in Höhe von 26.531,17 € nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs und Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.358,86 € bei einer Kostenverteilung von 24% zu Lasten der Klagepartei und 76% zu Lasten der Beklagten. Die Beklagte hafte nach § 826 BGB.
Hiergegen richten sich die von beiden Parteien eingelegten Berufungen.
Die Beklagte beantragt (Schriftsatz vom 31.03.2020, Bl. 317 ff. d.A.),
das am 23.01.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Ingolstadt, AZ: 72 O 2383/18 im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
Die Klagepartei beantragt zuletzt nach Rücknahme in Bezug auf deliktische Zinsen (Schriftsatz vom 21.04.2020, 10.02.2021, Bl. 369 ff., 494 d.A.), unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Ingolstadt, 72 O 2383/18 verkündet am 23.01.2020 und zugestellt am 24.01.2020,
die Beklagte zu verurteilen,
1. an den Kläger weitere 3.968,83 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 21.12.2018 zu zahlen;
hilfsweise, an den Kläger weitere 1.728,83 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 3.968,83 EUR seit 21.12.2018, zu zahlen.
2. Festzustellen, dass sich die Beklagte seit Rechtshängigkeit mit der Rücknahme des Fahrzeuges mit der Fahrgestellnummer …513 in Annahmeverzug befindet.
Hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Beide Parteien beantragen jeweils wechselseitig die Zurückweisung der Berufung.
Der Senat hat über den Rechtsstreit am 02.05.2022 mündlich verhandelt. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird weiter Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache teilweise Erfolg. Die Beklagte haftet gleichwohl nach §§ 826, 31 BGB wegen des Erwerbs des hier streitgegenständlichen Diesel-Pkws, allerdings in geringerem Umfang als erstinstanzlich tenoriert in Bezug auf die durch die Klagepartei gezogenen Nutzungen wie auch ausgesprochenen Zinsen. Die zulässige Berufung der Klagepartei ist unbegründet. Es besteht weder eine weitergehende Haftung der Beklagten in Bezug auf die Nutzungen noch bestand Annahmeverzug hinsichtlich des Fahrzeugs seitens der Beklagten. Im Einzelnen:
1. Die Beklagte haftet gem. §§ 826, 31 BGB aufgrund eigenen deliktischen Handelns. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass sie die – u.a. im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzten – Motoren EA189 samt Motorsteuerungssoftware nicht entwickelt bzw. nicht mitentwickelt hat. Sie handelte durch die ihr zuzurechnenden Repräsentanten i.S.v. § 31 BGB sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB, indem sie entschied, Motoren EA189 in Kenntnis der dazu programmierten Umschaltlogik als Software zur Erschleichung der Typgenehmigung in die von ihr hergestellten Fahrzeuge serienweise einzubauen, um diese anschließend in den Verkehr zu bringen. Mindestens ein Repräsentant der Beklagten im Sinne von § 31 BGB hat die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht.
Sittenwidrig ist nach der nunmehr auch speziell in Bezug auf Dieselfälle seitens des BGH gefestigten Rechtsprechung ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 14 f.).
Ein Automobilhersteller handelt gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 16 ff.).
Bereits die objektive Sittenwidrigkeit des Herstellens und des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Verhältnis zum Fahrzeugerwerber setzt voraus, dass es in Kenntnis der Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer – billigend in Kauf genommenen – Unrechtmäßigkeit geschieht (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 21, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 19, vom 09.03.2021, Az.: VI ZR 889/20, Rdnr. 28).
a) Ein derartiges Vorstellungsbild steht zur Überzeugung des Senats fest im Hinblick auf Personen, für deren Verhalten die Beklagte einzustehen hat. Der Senat ist überzeugt i.S.v. § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO, dass wenigstens ein Repräsentant der Beklagten i.S.v. § 31 BGB von der – evident unzulässigen – Umschaltlogik gewusst hat bei der Entscheidung über den Einsatz von Motoren EA189 in Fahrzeugen der Beklagten.
Soweit die Beklagte einwendet, eine Überzeugungsbildung i.S.v. § 286 ZPO verstoße gegen BGH, Urteil vom 26.04.1989, Az.: IVb ZR 52/88, ist festzuhalten, dass sich der BGH in seiner Urteilsserie vom 25.11.2021 u.a. explizit mit der Prüfung der Feststellungen auf der Grundlage einer Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO in den Ausgangsentscheidungen befasst und seine Beurteilung ausführlich begründet hat (Az.: VII ZR 238/20, Rdnr. 29 ff., VII ZR 243/20, Rdnr. 28 ff., VII ZR 257/20, Rdnr. 30 ff. und VII ZR 38/21, Rdnr. 28 ff.; deutlich dazu: BGH, Beschluss vom 12.01.2022, Az.: VII ZR 256/20, Rdnr. 18, und vom 09.02.2022, Az.: VII ZR 255/20, Rdnr. 18, sowie Az.: VII ZR 26/21, Rdnr. 23). Der BGH hat insbesondere auch klargestellt, dass die Tatsachenfeststellung in Dieselfällen nicht beschränkt ist auf Feststellungen nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungs- und Beweislast (BGH, Urteil vom 25.11.2021, Az.: VII ZR 243/20, Rdnr. 35).
Die Beklagte führt aus, im Rahmen der grundsätzlichen Entscheidung über die Verwendung des Motors EA189 in Fahrzeugen ihrer Herstellung durch das Produkt-Strategie-Komitee im Jahr 2005/2006, das sich aus einzelnen Mitgliedern des Vorstands sowie einzelnen Mitgliedern aus den Fachabteilungen zusammensetzte, und der fortlaufenden nochmaligen Entscheidung zum Einsatz des Motors EA189 jeweils in Bezug auf das konkret entwickelte Modell (Bl. 450 ff. d.A.), habe man lediglich den serienmäßigen Einsatz des Motors EA189 beschlossen, sich dabei aber nicht mit der konkreten technischen Ausstattung einschließlich der Umschaltlogik befasst, man habe insbesondere im Produkt-Strategie-Komitee nur über den Einsatz des Motorentyps entschieden und dabei nur finanzielle und zeitliche Planungsaspekte einbezogen, nicht jedoch technische Details der streitgegenständlichen Software (Bl. 580 f. d.A.). Der Senat ist aber davon überzeugt, dass wenigstens ein Repräsentant der Beklagten i.S.v. § 31 BGB bei der Entscheidung über den Einsatz von Motoren EA189 in Fahrzeugen der Beklagten von der – evident unzulässigen – Umschaltlogik gewusst hat, unabhängig von der Frage der ausdrücklichen Besprechung der Umschaltlogik innerhalb der Erörterungen des Produkt-Strategie-Komitees.
Beim Motor eines Fahrzeugs handelt es sich um dessen „Kernstück“, nicht bloß um ein untergeordnetes Zuliefererteil. Dies bestätigen auch die Ausführungen der Beklagten, wonach die Entscheidung über den in einen neuen Fahrzeugtyp einzusetzenden Motor im Rahmen des 60-monatigen Zeitraums zur Entwicklung eines neuen Fahrzeugmodells einen „Meilenstein“ darstellt (Bl. 450 ff. d.A.). Bei den Emissionswerten eines Fahrzeugs handelt es sich wiederum nicht um bloße technische Details und damit Fragen von vollkommen untergeordneter Bedeutung, im Gegenteil. Gleichzeitig handelt es sich um eine Entscheidung von großer Tragweite mit erheblichen, auch persönlichen, Haftungsrisiken für die Entscheider. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte einräumt, im Sinne der europarechtlichen Vorgaben „Letztverantwortlicher“ zu sein, und zwar auch für zugekaufte Teile (Bl. 613 d.A.).
Hinzu kommt, dass das Spannungsverhältnis zwischen kostengünstiger Produktion und den durch die nach den gesetzgeberischen Vorgaben zu den Euro-Schadstoffklassen stets strengeren Anforderungen an die Begrenzung der Stickoxidemissionen seinerzeit bei Automobilherstellern allgemein bekannt war. Die Einhaltung der relevanten Stickoxidgrenzwerte für den Motor EA189 stellte unter Berücksichtigung des grundsätzlichen Verbots von Abschalteinrichtungen eine Herausforderung dar, die jedem Kraftfahrzeughersteller, der sich wie die Beklagte selbst mit der Entwicklung von Dieselmotoren befasste, bekannt war. Die Beklagte selbst räumt auch ein, dass bei der Entscheidung über den Einsatz des Motors EA189 finanzielle Aspekte einbezogen wurden.
In diesem Zusammenhang nicht zu überzeugen vermag der Einwand der Beklagten, bei den vor ihr entwickelten und hergestellten Dieselmotoren handele es sich um ganz andere Motoren. Zwar mögen diese Motoren leistungsstärker und die Zylinder anders angeordnet sein. Das grundlegende Problem der Entstehung von Stickoxiden aufgrund höherer Verbrennungstemperaturen – auf die Ausführungen der Beklagten Bl. 81 ff. d.A., dort S. 7, wird Bezug genommen – stellt sich aber bei jedem Dieselverbrennungsmotor. Auch gelten für alle diese Motoren die gleichen gesetzlichen Stickoxidgrenzwerte. Nach dem Beklagtenvortrag arbeitet die Automobilindustrie bereits seit den 1970er Jahren an Strategien zur Optimierung des Ausstoßes von Stickoxiden, und zwar zunächst im Wesentlichen durch eine Herabsenkung der Verbrennungstemperaturen durch Abgasrückrückführung; dem sind jedoch nach dem Vortrag der Beklagten Grenzen gesetzt, denen durch die Verwendung von sog. Thermofenstern – nach dem Beklagtenvortrag auch noch in sämtlichen in den letzten Jahren produzierten Dieselfahrzeugen entsprechend dem modernsten Stand der Technik – begegnet wird (Bl. 81 ff. d.A., dort S. 7, 12 ff., Bl. 242 ff. d.A., dort S. 14 f.).
Ferner sind der Beklagten ausweislich ihres Vortrags durchaus Aspekte der Abgasreinigung im Zusammenhang mit dem Motor EA189 bekannt: sie weiß, dass bei den für den deutschen Markt bestimmten Fahrzeugen mit Motor EA189 der Euroschadstoffnorm 4 bis 6 die Abgasreinigung durch Hochdruck-Abgasrückführung, durch einen Dieseloxidationskatalysator und Dieselpartikelfilter („Hardwarekomponenten“) stattfindet, aber eine Abgasnachbehandlung durch Stickstoffspeicherkatalysator wie bei den für den USamerikanischen Markt bestimmten Fahrzeugen nicht zum Einsatz kommt; mit den unterschiedlichen Hardwarekomponenten gingen Unterschiede bei der Motorsteuerungssoftware einher (Bl. 81 ff. d.A., dort S. 33). Die Beklagte führt außerdem aus, vor der Verwendung der Motoren EA189 habe sie von der V. AG Motoren EA188 erworben – die beiden Motoren unterschieden sich, da die V. AG den Motortyp EA188 weiterentwickelt und die Technik von der Pumpe-Düse-Einspritzung auf die innovative Common-Rail-Einspritzung mit dem Ergebnis des Motortyps EA189 umgestellt habe (Bl. 452 d.A.). Die Einspritzcharakteristik ist aber wesentlich für die Optimierung des Verbrennungsprozesses und steht damit im Zusammenhang mit der Abgasreinigung durch Abgasrückführung, auf die Ausführungen der Beklagten zur Funktionsweise des Softwareupdates wird Bezug genommen (Bl. 81 ff. d.A., dort S. 10 f.).
Auch angesichts des von der Beklagten beschriebenen ausgeklügelten Systems von Kontroll- und Berichtspflichten (Bl. 475 ff. d.A.) erscheint es nicht plausibel, dass diese sämtlich gerade bei der hier inmitten stehenden Kenntnis von der Umschaltlogik – einer Software, die die Zulassungsfähigkeit hinsichtlich einer maßgeblichen Eigenschaft des Motors, nämlich seiner Abgasemissionen zumal bei Kenntnis der Schwierigkeit zur Lösung des Problems, überhaupt erst ermöglichte – versagt haben sollen.
Zwar hat die Beklagte ihren Vortrag zur von ihr behaupteten Unkenntnis in Bezug auf die Umschaltlogik von Personen, deren Handeln sie sich nach § 31 BGB zurechnen lassen muss, mittlerweile vertieft. Sie trägt vor, mittlerweile seien die internen Untersuchungen abgeschlossen. Danach hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass Vorstände im aktienrechtlichen Sinn bzw. andere Repräsentanten die für eine Haftung nach § 826 BGB maßgeblichen Kenntnisse gehabt hätten, und führt dies auch konkret aus in Bezug auf von der Klagepartei benannte Personen.
Dies überzeugt den Senat jedoch nicht. Denn die Beklagte räumt ein, dass zu der Ebene der Bereichsleiter im Zeitraum von 2006 bis 2015 jeweils ca. 70 Personen gehört hätten. Befragungen sämtlicher dieser Einzelpersonen seien aber weder erforderlich noch praktisch umsetzbar (Bl. 470 d.A.). Das teilt der Senat nicht, der nicht erkennen kann, dass die Anhörung dieser gleichwohl noch überschaubaren Anzahl von Personen zur Aufklärung dieses für die Beklagte aus dem Tagesgeschäft herausragend bedeutsamen Sachverhalts nicht praktisch umsetzbar sein soll, zumal es nach dem Vortrag der Beklagten auch der zur Untersuchung im V.-Konzern eingesetzten Kanzlei J. D. möglich war, mehr als 700 Befragungen durchzuführen einschließlich einer Sicherung von über 21.000 elektronischen Datenträgern bei weltweit über 3.500 Mitarbeitern (Bl. 463 d.A.). Dies gilt umso mehr, als die Beklagte nach ihren eigenen Ausführungen im Zeitraum von 2006 bis 2015 streng hierarchisch organisiert war mit Berichts- und Kontrollpflichten. Danach sei die Beklagte von sieben Vorständen geleitet worden und sei in sieben Vorstandsbereiche gegliedert gewesen, welche die erste Berichtsebene darstellten. Der Vorstandsebene nachgelagert gewesen seien Untergliederungen, die als Bereiche bezeichnet worden seien und welche die zweite Berichtsebene darstellten. An ihrer Spitze standen bereits die Bereichsleiter (Bl. 475 ff., 478 d.A.). Die Notwendigkeit ihrer Befragung drängt sich auf, zumal der BGH bereits in der Entscheidung vom 25.05.2020 (Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 33) dem restriktiven Begriffsverständnis des Repräsentanten i.S.v. § 31 BGB der dortigen Beklagten (und der hiesigen Beklagten explizit in Bezug auf Bereichsleiter, Bl. 465 ff. d.A., denen aber selbst die Beklagte gleichwohl „eine dem Tätigkeitsprofil der Vorstandsmitglieder angenäherte Funktion innerhalb der Organisationsstruktur der Beklagten“ zubilligt) nicht gefolgt ist. Ob überhaupt wenigstens einzelne und ggfls. welche Bereichsleiter befragt wurden, bleibt aber unklar.
Eine Indizwirkung im Sinne der Beklagten vermag der Senat schließlich nicht in dem Umstand zu sehen, dass die internen Ermittlungen nicht zu Schadensersatzansprüchen der Beklagten gegen ihre Verantwortlichen bzw. zu weiteren staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren geführt hätten. Nach den Ausführungen der Beklagten bezogen sich die nach Darstellung der Beklagten umfangreichen internen Ermittlungen der Kanzlei J. D. in Zusammenarbeit mit D. zur Beklagten im Schwerpunkt ohnehin nicht auf den hier inmitten stehenden Sachverhalt der Verwendung der Motoren EA189, sondern auf Manipulationen bei den von der Beklagten selbst entwickelten 3-l-V6-Motoren (Bl. 462 ff. d.A., Anlagen BB5 u. BB6) und die Befragung der Bereichsleiter bleibt unklar. Die Staatsanwaltschaft München II hat gegenüber der Beklagten wegen Aufsichtspflichtverletzungen im Bereich „Abgas Service / Zulassung Aggregate“ bei der Prüfung von Fahrzeugen auf ihre regulatorische Konformität u.a. wegen des Einsatzes des Motors EA189 in Fahrzeugen weltweit ein Ordnungswidrigkeitenverfahren geführt und ein Bußgeld verhängt (Anlage Klagepartei, nicht nummeriert). Dies allein und der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig kein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat, lässt keinen Rückschluss zu auf die dort jeweils bestehenden Kenntnisse und Entscheidungsmotive – erst recht nicht allein im Sinne des Beklagtenvortrags. Die Beklagte selbst legt überdies als Anlage BB7 das „Statement of Facts“ vor, aus dem sich ergibt, dass es im Hinblick auf die Vorgänge in den USA u.a. durch Angestellte der Beklagten zur Vernichtung von Unterlagen gekommen ist mit dem Ziel der Vermeidung rechtlicher Konsequenzen (ebenda, Nr. 73).
Die umfänglichen Ausführungen – teilweise einschließlich von Beweisangeboten – der Beklagten zur fehlenden Kenntnis ihrer Vorstände im aktienrechtlichen Sinne und sonstiger Repräsentanten mit der Begründung, sie habe den Motor nicht entwickelt bzw. nicht mitentwickelt, sei am Homologationsprozess nicht beteiligt gewesen und habe aufgrund des bestehenden Baukastenprinzips mit automatisierten Produktionsprozessen ohne Einwirkungs- oder Überprüfungsmöglichkeit beim Aufspielen der Motorsteuerungssoftware bzw. später bei der Überwachung der Produktion keine Kenntnisse erlangen können, verfangen nicht, da der Senat – bei Wahrunterstellung des Vortrags der Beklagten insoweit – in der Entscheidung über die Verwendung des Motors EA189 in Kenntnis der Umschaltlogik das deliktische Handeln sieht.
Diese Wertung liegt bereits den Entscheidungen des Senats zugrunde, zu denen durch den BGH unter dem 25.11.2021 bestätigende Entscheidungen (Az.: VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21) ergangen sind. Der Senat hat hierauf ferner mit Verfügung vom 22.12.2021 (Bl. 536 d.A.) und unter Berücksichtigung des weiteren Vorbringens der Beklagten erneut, nochmals ausführlicher, mit Beschluss vom 11.04.2022 (Bl. 594 ff. d.A.), hingewiesen. Eine inhaltliche, schriftsätzliche Ergänzung vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung insoweit erfolgte nicht. Auch die ergänzenden Ausführungen der Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat bleiben pauschal und damit prozessual unzureichend. Denn die Beklagte beschränkt sich darauf, eine Kenntnis der „Mitglieder des Produkt-Strategie-Komitees“ (zumal allein in Bezug auf den Februar 2006) von der Umschaltlogik in Abrede zu stellen, ohne die – in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug – konkret Beteiligten zu benennen und konkret zu ihrem Kenntnisstand – ggfls. nach Befragung im Rahmen der internen Ermittlungen – vorzutragen. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf den Hinweisbeschluss vom 11.04.2022, dort Ziffer 1. b) Letztlich ist damit das Bestreiten der Beklagten auch unzureichend im Sinne von § 138 Abs. 3 ZPO.
Wer einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, trägt im Grundsatz die volle Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. In bestimmten Fällen ist es Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungslast zu den Behauptungen der beweisbelasteten Partei substantiiert zu äußern. Dabei hängen die Anforderungen an die Substantiierung des Bestreitens zunächst davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner – hier die Klagepartei – vorgetragen hat. In der Regel genügt ein einfaches Bestreiten. Eine sekundäre Darlegungslast kann den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei treffen, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Gegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Genügt der Anspruchsgegner seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (z.B. BGH, Urteil 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 25 ff.). Nach diesen Grundsätzen setzt eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu Vorgängen innerhalb ihres Unternehmens, die auf eine Kenntnis ihrer Repräsentanten von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung schließen lassen sollen, jedenfalls voraus, dass das Parteivorbringen hinreichende Anhaltspunkte enthält, die einen solchen Schluss nahelegen (BGH, Urteil vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 28).
Anders als die Beklagte einwendet, sind die möglichen Anhaltspunkte nicht beschränkt auf die im Urteil des BGH vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 30, genannten Umstände. Maßgeblich bleibt der Vortrag im Einzelfall, was bestätigt wird durch BGH, Beschluss vom 15.09.2021, Az.: VII ZR 52/21, Rdnr. 24 ff., Urteil vom 26.04.2022, Az.: VI ZR 965/20, Rdnr. 14 f.
Nach diesen Grundsätzen traf die Beklagte die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den serienmäßigen Einsatz der Motoren EA189 in Kenntnis der Umschaltlogik getroffen hat. Die Umstände, nach denen vorliegend eine Kenntnis der für die Beklagte handelnden und dieser zuzurechnenden Personen naheliegt, ergeben sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen. Das Spannungsverhältnis zwischen der Herstellung kostengünstiger Motoren bei gleichzeitiger Einhaltung der gesetzlich weiter verschärften Stickoxidgrenzwerte sowie grundsätzlichem Verbot des Einsatzes von Abschalteinrichtungen war bei Automobilherstellern bekannt. Die Beklagte selbst entwickelt Dieselmotoren. Gleichzeitig waren der Beklagten die Hardwarekomponenten wie auch Aspekte der Funktion der Abgasreinigung im Zusammenhang mit dem Einsatz der Motoren EA189 (im Vergleich zu dem bis dahin verwendeten Volkswagenmotor EA188) bekannt. Die Entscheidung über den serienweisen Einsatz der Motoren EA189 in Fahrzeugen der Beklagten betraf eben nicht bloß ein untergeordnetes Zuliefererteil, sondern den Motor als „Kernstück“ des Fahrzeugs; die Emissionseigenschaften des Fahrzeugs sind für dieses wesentlich und nicht bloß ein technisches Detail. Die Entscheidung über den serienweisen Einsatz der Motoren EA189 in Fahrzeugen der Beklagten war mit erheblichen, auch persönlichen, Haftungsrisiken der entscheidenden Personen verbunden. Eine Unkenntnis des Einsatzes der Umschaltlogik auf Ebene von Personen, die der Beklagten zuzurechnen sind nach § 31 BGB, erscheint ausgeschlossenen, zumal in Anbetracht des ausgeklügelten und streng hierarchischen Kontroll- und Berichtswesen innerhalb der Beklagten. Dem ist die Beklagte, wie sich ebenfalls aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, nicht hinreichend entgegengetreten; insbesondere blieben ihre Angaben zu ihren internen Ermittlungen, auf deren negatives Ergebnis die Beklagte sich beruft, unzureichend, jedenfalls im Hinblick auf die Befragung der Bereichsleiter. Der Vortrag zum Kenntnisstand der Beteiligten im Rahmen des Produkt-Strategie-Komitees blieb pauschal.
2. Vor diesem Hintergrund ist auch der Schädigungsvorsatz zu bejahen. Dieser enthält ein Wissens- und Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchsstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben und mindestens mit bedingtem Vorsatz gehandelt haben; Vorstandsmitglieder oder Repräsentanten, die in Kenntnis der Umschaltlogik den serienmäßigen Einsatz der Motoren in ihren Fahrzeugen anordnen oder nicht unterbinden, billigen ihn auch und sind sich der Schädigung der späteren Fahrzeugerwerber bewusst.
3. Die Einwände der Beklagten gegen das Bestehen der haftungsbegründenden Kausalität greifen nicht durch.
Schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass die Klagepartei den streitgegenständlichen Pkw nicht gekauft hätte, wenn sie um die unzulässige Software und die davon ausgehende Gefahr der Betriebsuntersagung gewusst hätte; der Schaden liegt in der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 47 ff.). Kein vernünftiger Käufer hätte in Kenntnis dieses Sachverhalts, insbesondere der Gefahr der Betriebsuntersagung, den Pkw erworben, zumal zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht die Möglichkeit bestanden hätte, mittels des erst später entwickelten Softwareupdates die Manipulation am Motor zu beseitigen. Der Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt erfolgte erst später. Auf die Frage der Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugs als Kaufmotiv kommt es damit – anders als die Beklagte einwendet – nicht an.
Auch aufgrund der Angaben der Klagepartei persönlich im Rahmen ihrer Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat und des hierbei von ihr gewonnenen Eindrucks ist der Senat vom Bestehen der Kausalität überzeugt. Die Beklagte hat auf die förmliche Parteieinvernahme verzichtet.
4. Im Wege der Vorteilsanrechnung ist das streitgegenständliche Fahrzeug herauszugeben und das Eigentum zu übertragen sowie ein Ersatz der gezogenen Nutzungen vorzunehmen (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 65 ff.). Die Berufung der Klagepartei bleibt insoweit erfolglos.
Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Der Senat schätzt in Anbetracht des festgestellten Fahrzeugtyps, des Datums seiner Erstzulassung sowie der konkreten Nutzung die mögliche Gesamtlaufleistung auf 200.000 km. Mit dieser Schätzung bewegt sich der Senat innerhalb der Bandbreite der von anderen Gerichten jeweils vorgenommenen Schätzung der gesamten Laufleistung (u.a. BGH, Urteil vom 27.07.2021, Az.: VI ZR 480/19, Rdnr. 26). Die Schätzung liegt innerhalb der Bandbreite am unteren Rand, da das Fahrzeug in derart geringem Umfang genutzt wird, dass es deutlich älter als 20 Jahre werden müsste, um eine Lebenslaufleistung über 200.000 km zu erreichen; der Senat ist aber überzeugt, dass Fahrzeuge nach 20 Jahren in der Regel verbraucht sind. Weitere aussagekräftige Umstände, welche die zu erwartende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs beeinflussen, hat die Klagepartei nicht dargetan. Solchen Vortrag zeigt auch die Berufung nicht auf. Insbesondere genügt nicht der Hinweis auf einen Auszug aus einem Lastenheft der V. AG bzw. auf das Beispiel des Volkswagen Passat (vgl. BGH, Urteil vom 29.09.2021, Az.: VIII ZR 111/20, Rdnr. 52 ff., 58).
Der Senat stellt in ständiger Rechtsprechung auf die nach der Rechtsprechung des BGH gebilligte lineare Berechnung des Nutzungsersatzes ab. Aus der grundsätzlichen Billigung einer linearen Berechnungsmethode folgt zwar nicht zwingend, dass andere Berechnungsmethoden unzulässig wären, da dem Tatrichter nach § 287 ZPO ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt wird. Da der Schaden aber in dem ungewollten Vertragsschluss liegt, ist der vom Bundesgerichtshof erfolgte Rückgriff auf die Wertung des Nutzungsersatzes nach § 346 Abs. 2 Nr. 2 BGB aber folgerichtig. Der Senat folgt ausdrücklich nicht dem Ansatz, den Wert der Nutzung eines Neuwagens höher anzusetzen als den eines älteren Fahrzeugs. Die lineare Berechnung ist dem Geschädigten zumutbar und entlastet die Schädigerin nicht unangemessen. Sie entspricht schon vom Wortlaut den „gezogenen Nutzungen“. Entgegen dem Einwand der Beklagten ist eine Ausweitung der Vorteilsanrechnung – etwa wegen des Wertverlusts des Fahrzeugs – nicht angezeigt (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, Rdnr. 36, vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 15, vom 20.07.2021, Az.: VI ZR 533/20, Rdnr. 33, vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Rdnr. 46).
Danach errechnet sich bei Berücksichtigung der Nutzung des Fahrzeugs bis zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat mit einer Kilometerleistung von insgesamt 81.948 km ein Erstattungsanspruch i.H.v. 22.623,85 €.
5. Die Klagepartei hat die Beklagte nicht in Annahmeverzug versetzt; die Berufung der Klagepartei insoweit ist unbegründet. Das anwaltliche Mahnschreiben vom 13.12.2018 (Anlage K12) war hierzu nicht geeignet, da es bereits keine Angaben enthielt zu den Kilometerlaufleistungen des Fahrzeugs. Aber auch im Laufe des Prozesses ist durch die Antragstellung kein Annahmeverzug eingetreten, da die Klagepartei durchgängig die erforderliche Nutzungsentschädigung nicht hinreichend berücksichtigt hat. Damit hat die Klagepartei durchgängig wesentlich zu viel gefordert, was die Entstehung von Annahmeverzug ausschließt (BGH, Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Rdnr. 50, vom 29.06.2021, Az.: VI ZR 130/20, Rdnr. 16, vom 18.05.2021, Az.: VI ZR 167/20, Rdnr. 15, vom 02.02.2021, Az. VI ZR 449/20, Rdnr. 9, vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 8/20, Rdnr. 18, vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 85).
6. Der Anspruch ist nicht bereits ab 21.12.2018 wegen Verzugs zu verzinsen, sondern erst ab Rechtshängigkeit, mithin ab 08.03.2019, §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2, 187 Abs. 1 BGB.
Der Klagepartei steht kein Anspruch auf Verzugszinsen zu gem. §§ 288, 286 Abs. 1, 2 BGB. Das anwaltliche Aufforderungsschreiben wirkte nicht verzugsbegründend, auf die vorstehenden Ausführungen wird Bezug genommen. Andere verzugsbegründende Umstände sind nicht ersichtlich, insbesondere weder unter dem Gesichtspunkt „fur semper in mora“ noch unter dem Aspekt einer ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung, § 286 Abs. 2 Nr. 4 BGB, auch nicht unter Berücksichtigung des E-Mail-Schreibens der Beklagten vom 21.12.2018 (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 22, vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, Rdnr. 26 f., vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 8/20, Rdnr. 17 ff., BGH, Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Rdnr. 51).
Die vom Senat vorgenommene Zinsstaffel trägt dem Umstand Rechnung, dass die Klagepartei die auf den Kaufpreiserstattungsanspruch anzurechnenden Nutzungsvorteile zum Teil erst zwischen dem Eintritt der Rechtshängigkeit und dem Schluss der mündlichen Verhandlung erlangt hat (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, Rdnr. 38). Maßgeblich ist danach, in welcher Höhe unter Berücksichtigung der anzurechnenden Nutzungsvorteile bei Eintritt der Rechtshängigkeit eine verzinsliche Hauptforderung bestand und wie sich diese im Laufe des Verfahrens angesichts der fortlaufenden Nutzung des Fahrzeugs entwickelte (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 23).
Bei Eintritt der Rechtshängigkeit (07.03.2019) bestand eine Hauptforderung von rund 26.223,48 € – dabei wurde die Laufleistung des Fahrzeugs zu diesem Zeitpunkt unter Annahme einer gleichmäßigen Nutzung bestimmt -, zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz (19.12.2019) von 24.037,41 € und zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zweiter Instanz (02.05.2022) von 22.623,85 €.
Weil die Fahrleistung des Autos während des Zinszeitraums nicht taggenau nachvollzogen werden kann, ist der Senat im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO von einer gleichmäßigen Nutzung ausgegangen, also von einer linearen Entwicklung des Kilometerstandes. Diese lineare Entwicklung berücksichtigt der Senat in der Weise, dass für die dazwischen liegenden Zinszeiträume ein Mittelwert zugrunde gelegt wird.
7. Es besteht Anspruch auf Ersatz der Rechtsanwaltskosten nach §§ 826, 31, 249 BGB, wie erstinstanzlich ausgeurteilt.
Bei der Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch auch die Erstattung von Rechtsanwaltskosten umfasst, ist zwischen dem Innenverhältnis des Geschädigten zu dem für ihn tätigen Rechtsanwalt und dem Außenverhältnis des Geschädigten zum Schädiger zu unterscheiden. Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch ist grundsätzlich, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist und die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 25, vom 22.06.2021, Az.: VI ZR 353/20, Rdnr. 5 ff., vom 24.01.2022, Az.: VIa ZR 100/21, Rdnr. 12 f.).
Die Rüge der Beklagten zur mangelnden Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit greift nicht durch (Bl. 366 f. d.A.). Zwar war die im anwaltlichen Mahnschreiben gesetzte Frist von einer Woche kurz bemessen. Allerdings wurde dieses Schreiben per Mail versendet und bereits mit Mail vom 21.12.2018 beantwortet. Dem Senat ist außerdem aus einer Vielzahl von Fällen bekannt, dass die Beklagte sich in der Vergangenheit trotz ihrer bekannten Rechtsansicht wiederholt auf Vergleiche eingelassen und vorliegend auch in zweiter Instanz noch zu einem Vergleichsschluss verhandelt hat.
III.
Die Kostenentscheidung erster Instanz beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Kostenentscheidung zweiter Instanz auf §§ 97, 92 Abs. 1 S. 1, 516 Abs. 3 ZPO, die (zunächst) erhobene Forderung von Deliktszinsen ist jeweils zu Lasten der Klagepartei zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 24.03.2022, Az.: VII ZR 266/20, Rdnr. 32). Es besteht kein Anspruch auf Deliktszinsen; auf die ständige Rechtsprechung des BGH wird Bezug genommen (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 17 ff., vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, Rdnr. 21 ff.).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die maßgeblichen Rechtsfragen zur Haftung in Dieselfällen, insbesondere im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit i.S.v. § 826 BGB wie auch die Anforderungen an den Vortrag der Parteien sind mittlerweile höchstrichterlich geklärt (deutlich u.a.: BGH, Beschluss vom 29.09.2021, Az.: VII ZR 223/20, Rdnr. 8, vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, Rdnr. 4, 24). Dies gilt auch in Bezug auf eine Haftung der Beklagten bei Fahrzeugen ihrer Herstellung mit Motoren EA189 (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Beschluss vom 15.09.2021, Az.: VII ZR 52/21, Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Urteilsserie vom 25.11.2021: Az.: VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21, Urteil vom 21.12.2021, Az.: VI ZR 875/20, Beschluss vom 12.01.2022, Az.: VII ZR 256/20, vom 27.01.2022, Az.: III ZR 195/20, vom 09.02.2022, Az.: VII ZR 255/20 und Az.: VII ZR 26/21, Urteil vom 24.03.2022, Az.: VII ZR 266/20, vom 26.04.2022, Az.: VI ZR 965/20). Es ist Aufgabe der Instanzgerichte, diese Rechtsgrundsätze auf den jeweils vorliegenden Sachverhalt anzuwenden. Divergierende Ergebnisse aufgrund der Würdigung des jeweils vorgetragenen Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht begründen indes keine Divergenz i.S. des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO. Von einer Divergenz in diesem Sinne ist vielmehr nur dann auszugehen, wenn den Entscheidungen sich widersprechende abstrakte Rechtssätze zugrunde liegen (BGH, Beschluss vom 09.07.2007, Az.: II ZR 95/06, Rdnr. 2, deutlich: Beschluss vom 13.10.2021, Az.: VII ZR 99/21, Rdnr. 28).


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