Europarecht

Rechtsbestand und Verletzung eines Gebrauchsmusters

Aktenzeichen  21 O 5363/19

Datum:
21.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
GRUR-RS – 2020, 53164
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GebrMG § 1, § 3, § 4, § 4a, § 5, § 11, § 12c, § 13, § 15, § 21, § 24, § 24a, § 24b
ZPO § 148, § 256

 

Leitsatz

1. Die hier angegriffenen Ausführungsformen verletzen das Klagegebrauchsmuster, welches einen Kindersitz zur Anbringung auf einem Kraftfahrzeugsitz betrifft; insbesondere ist der Seitenaufprallschutz der angegriffenen Ausführungsformen gebrauchsmustergemäß so positioniert, dass sich in dessen Verlängerung die Sitzschale als Konstruktionselement des Kindersitzes befindet. (Rn. 116 – 128) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das Klagegebrauchsmuster ist weder mangels Neuheit noch mangels erfinderischer Tätigkeit noch infolge unzulässiger Erweiterung löschungsreif. (Rn. 136 – 185) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine neuheitsschädliche Vorbenutzung ist nur dann anzunehmen, wenn die aus der Vorbenutzung ersichtliche Lehre mit der des späteren Schutzrechtes übereinstimmt; zentrale Voraussetzung einer jeden Vorbenutzung ist dabei, dass die Benutzung den Erfindungsgedanken erkennbar werden lässt; ein hinreichend sachkundiger Betrachter muss daher aus der Vorbenutzung die benutzte technische Lehre erkennen und verstehen können, was wiederum die Möglichkeit einer Kenntnisnahme voraussetzt, die dem Fachmann auch diese Informationen vermittelt. (Rn. 170) (redaktioneller Leitsatz)
4. Grundlage der Prüfung, ob der Gegenstand des Gebrauchsmusters über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinausgeht, in der sie ursprünglich eingereicht worden ist, ist die den Anmeldetag begründende Anmeldung, wobei im Falle einer Abzweigung die der Abzweigung zu Grunde liegenden europäischen Patentanmeldungen als Vergleichsmaßstab heranzuziehen sind. (Rn. 184) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagten werden verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden einzelnen Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR – ersatzweise Ordnungshaft – oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihren jeweiligen gesetzlichen Vertretern zu vollziehen ist, zu unterlassen,
Kindersitze zur Anordnung auf einem Kraftfahrzeugsitz und zur Befestigung mittels Isofix-Klinken
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen, zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, wenn diese umfassen:
– eine Sitzschale und einen an dieser angebrachten Seitenaufprallschutz, der von einer innerhalb einer vorgegebenen Breite des Kindersitzes gelegenen Ruhestellung in eine außerhalb derselben gelegene Funktionsstellung und umgekehrt bringbar ist,
– wobei der Seitenaufprallschutz ein Seitenelement umfasst, das an einer äußeren Seitenfläche der Sitzschale angebracht ist,
– wobei das Seitenelement in Ruhestellung an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale im Wesentlichen flach anliegt und zur Benutzung in Funktionsstellung ausklappbar ist,
– wobei das Seitenelement in Funktionsstellung oberhalb einer Sitzfläche des Kindersitzes und in einem Rückenabschnitt rückwärtig einer Rückenanlagefläche des Kindersitzes angeordnet ist,
– so dass in der Verlängerung des Seitenaufprallschutzes kein Kind, sondern ein Konstruktionselement des Kindersitzes, nämlich die Sitzschale, befindlich ist und aus diesem Grund eine unmittelbare Kraftübertragung auf das Kind konstruktiv vermieden ist,
– wobei der Seitenaufprallschutz beidseitig der Sitzschale so positioniert ist, dass er etwaige Seitenkräfte hinter dem Rücken eines im Kindersitz sitzenden Kindes vorbei überträgt und in die Sitzschale einleitet.
2. Die Beklagten werden verurteilt, der Klägerin darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die in Ziff. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 14.03.2019 begangen haben, und zwar unter Angabe
a) der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderen Vorbesitzer,
b) der Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer sowie der Verkaufsstellen, für die die Erzeugnisse bestimmt waren,
c) der Menge der hergestellten, ausgelieferten, erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Preise, die für die betreffenden Erzeugnisse bezahlt wurden;
wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungspflichtige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen.
3. Die Beklagten werden verurteilt, der Klägerin gegliedert nach Kalendervierteljahren schriftlich in geordneter Form Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die in Ziff. 1. bezeichneten Handlungen seit dem 14.04.2019 begangen haben, und zwar unter Angabe
a) der einzelnen Lieferungen (unter Vorlage der Rechnungen und Lieferscheine), aufgeschlüsselt nach
aa) Liefermengen, -zeiten und -preisen,
bb) allen Identifikationsmerkmalen der jeweiligen Erzeugnisse wie Typenbezeichnung, Artikelbezeichnung, laufender Produktnummer, sowie
cc) den Namen und Anschriften der gewerblichen Abnehmer,
b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach
aa) Angebotsmengen, -zeiten und -preisen,
bb) allen Identifikationsmerkmalen der jeweiligen Erzeugnisse wie Typenbezeichnung, Artikelbezeichnung, laufender Produktnummer, sowie
cc) den Namen und Anschriften der gewerblichen Angebotsempfänger,
c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet;
d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten sowie des erzielten Gewinns,
wobei zum Nachweis der Angaben die entsprechenden Kaufbelege (nämlich Rechnungen, hilfsweise Lieferscheine) in Kopie vorzulegen sind, wobei geheimhaltungsbedürftige Details außerhalb der auskunftspflichtigen Daten geschwärzt werden dürfen.
4. Die Beklagten werden verurteilt, die unter Ziff. 1. bezeichneten, im Besitz Dritter befindlichen Erzeugnisse aus den Vertriebswegen
a) zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen durch die Beklagten oder mit Zustimmung der Beklagten Besitz an den Erzeugnissen eingeräumt wurde, unter Hinweis auf den durch Urteil des Landgerichts München I festgestellten gebrauchsmusterverletzenden Zustand der Erzeugnisse ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die Beklagten zurückzugeben und den Dritten für den Fall der Rückgabe des Erzeugnisses eine Rückzahlung des ggf. bereits bezahlten Kaufpreises sowie die Übernahme der mit der Rücknahme verbundenen Kosten zugesagt wird, und
b) endgültig zu entfernen, indem die Beklagten diese Erzeugnisse an sich nehmen oder die Vernichtung derselben beim jeweiligen Besitzer veranlasst.
5. Die Beklagte zu 2) wird verurteilt, die sich in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz befindlichen Erzeugnisse gemäß Ziff. 1. an einen von der Klägerin zu benennenden Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten zu 2) herauszugeben.
6. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser seit dem 14.04.2019 durch die Handlungen gemäß Ziff. 1. entstanden ist und zukünftig noch entsteht.
7. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
8. Die Widerklage wird abgewiesen.
9. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
10. Das Urteil ist für die Klägerin vorläufig vollstreckbar jeweils gegen Zahlung einer Sicherheitsleistung von
– 150.000,00 EUR für Ziff. 1 (Unterlassung),
– 25.000,00 EUR für Ziff. 2 (Auskunft),
– 25.000,00 EUR für Ziff. 3 (Rechnungslegung),
– 25.000,00 EUR für Ziff. 4 (Rückruf),
– 50.000,00 EUR für Ziff. 5 (Vernichtung),
– hinsichtlich der Kosten in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Gründe

Die Klage ist zulässig und weitgehend begründet.
Soweit die Beklagten der Klageerweiterung auf die Sondermodelle der …-Kollektion betreffend die Ausführungsformen #1 und #2 sowie die Ausführungsformen #3 und 4# entgegentreten, hält die Kammer diese für sachdienlich, da der bisherige Prozessstoff auch für die weiteren Ausführungsformen verwertbar bleibt, die Zulassung die endgültige Beilegung des Streits fördert und einen neuen Prozess vermeidet (vgl. BGH NJW 2007, 2414).
A.
Der Klägerin stehen die gegen die Beklagten geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung, Rückruf und Vernichtung sowie Schadensersatz zu.
I.
Der Klägerin hat gegen die Beklagten gemäß § 24 Abs. 1 GebrMG einen Anspruch auf Unterlassung des Herstellens, Anbietens, Inverkehrbringens, Gebrauchens der angegriffenen Ausführungsformen oder des Einführens und Besitzens zu diesen Zwecken. Sämtliche angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen die Merkmale des geltend gemachten Anspruchs 1 des Klagegebrauchsmusters unmittelbar wortsinngemäß. Da bereits sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 erfüllt sind, war auf die darüber hinaus geltend gemachten Unteransprüche nicht weiter einzugehen:
1. Das Klagegebrauchsmuster betrifft einen Kindersitz oder eine Babyschale zur Anbringung auf einem Kraftfahrzeugsitz sowie einen Seitenaufprallschutz zur Anbringung an einem solchen Sitz oder einer solchen Babyschale.
a. Im Stand der Technik waren Kindersitze und Babyschalen, die auf einem Kraftfahrzeugsitz angebracht werden können, seit geraumer Zeit bekannt. Als problematisch haben sich diese Sitze jedoch bei einem Seitenaufprall erwiesen, da sowohl eine Gurtbefestigung als auch eine Befestigung mittels Isofix-Klinken den Kindersitz oder die Babyschale nur sehr unzureichend gegen eine Seitwärts-Bewegung des Sitzes schützen. Aus diesem Grund wurde bereits im Stand der Technik an bestehenden Kindersitzen und Babyschalen ein Seitenaufprallschutz angebracht. Das Klagegebrauchsmuster benennt beispielsweise den in der DE 20 2009 010 536 U1 oder in der US 2009/0152913 A1 beschriebenen Seitenaufprallschutz (vgl. Abs. [0003]). Bei den dort offenbarten Vorrichtungen handelt es sich um ein energieabsorbierendes Element in Form eines Faltbandes oder eines Luftkissens, das sich seitlich des Kindersitzes erstreckt.
Diese im Stand der Technik bekannten Vorrichtungen hatten jedoch den Nachteil, dass sie nicht in der Lage sind, ein in dem Kindersitz befindliches Kind optimal zu schützen, da eine Kraftübertragung bei einem Seitenaufprall bei den dort gezeigten Konstruktionen unmittelbar auf das in dem Kindersitz befindliche Kind erfolgt und die dort dargestellten Kindersitze nur unzureichend in der Lage sind, eine Aufprallenergie zu absorbieren und/oder abzuleiten (vgl. Abs. [0003]).
b. Ausgehend von diesem Stand der Technik stellt sich das Klagegebrauchsmuster die Aufgabe, einen Kindersitz zur Anbringung auf einem Kraftfahrzeugsitz zur Verfügung zu stellen, der vorgenannte Nachteile vermeidet und einen verbesserten Seitenaufprallschutz zur Verfügung stellt, der die auf ein in dem Kindersitz befindliches Kind wirkenden Kräfte reduziert (Abs. [0004]).
Hierfür schlägt das Klagegebrauchsmuster einen Kindersitz mit den Merkmalen des Klagegebrauchsmusteranspruchs 1 vor, die nachfolgend in Nummerierung der Merkmalsgliederung der Klägerin (vgl. Anlage K 11) in gegliederter Form wiedergegeben werden:
Klagegebrauchsmusteranspruch 1
1. Kindersitz (10) oder Babyschale zur Anbringung auf einem Kraftfahrzeugsitz, insbesondere Kraftfahrzeugseitensitz,
1.1 und zur Befestigung mit einem Kraftfahrzeug-Gurtsystem oder mittels Isofix-Klinken,
1.2 mit einer Sitzschale (20)
1.3 und einem an dieser angebrachten Seitenaufprallschutz, der von einer innerhalb einer vorgegebenen Breite des Kindersitzes gelegenen Ruhestellung in einer außerhalb derselben gelegenen Funktionsstellung und umgekehrt bringbar ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
2. der Seitenaufprallschutz ein Seitenelement umfasst, das an einer äußeren Seitenfläche (35) der Sitzschale (20) angeordnet ist,
2.1 wobei das Seitenelement (30) in Ruhestellung an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale (20) im Wesentlichen flach anliegt und zur Benutzung in Funktionsstellung ausklappbar oder ausschwenkbar ist,
2.2 wobei das Seitenelement (30) in Funktionsstellung oberhalb einer Sitzfläche (60) des Kindersitzes (10), und in einem Rückenabschnitt (70) rückwärtig einer Rückenanlagefläche des Kindersitzes (10) angeordnet ist,
2.3 so dass in der Verlängerung des Seitenaufprallschutzes kein Kind, sondern ein Konstruktionselement des Kindersitzes, nämlich die Sitzschale, befindlich ist und aus diesem Grund eine unmittelbare Kraftübertragung auf das Kind konstruktiv vermieden ist,
3. wobei der Seitenaufprallschutz beidseitig der Sitzschale (20) so positioniert ist, dass er etwaige Seitenkräfte hinter dem Rücken eines im Kindersitz sitzenden Kindes vorbei überträgt und in die Sitzschale (20) einleitet.
c. Zur Beurteilung, ob die angegriffenen Ausführungsformen die einzelnen Anspruchsmerkmale verwirklichen und damit die anspruchsgemäße technische Lehre verletzen, ist der Schutzbereich des Klagegebrauchsmusters zu bestimmen. Gemäß § 12 a GebrMG wird der Schutzbereich des Gebrauchsmusters durch den Inhalt der Schutzansprüche bestimmt, wobei die Beschreibung und die Zeichnungen zur Auslegung der Schutzansprüche heranzuziehen sind. Demgemäß sind die Schutzansprüche eines Gebrauchsmusters nach denselben Grundsätzen wie Patentansprüche auszulegen (BGH, GRUR 2005, 754 – werkstoffeinstückig; GRUR 2007, 1059, 1062 Rn. 24 – Zerfallszeitmessgerät).
Inhalt der Schutzansprüche bedeutet daher auch bei Gebrauchsmustern nicht Wortlaut, sondern Sinngehalt. Maßgebend ist der Offenbarungsgehalt der Schutzansprüche und ergänzend – im Sinne einer Auslegungshilfe – der Offenbarungsgehalt der Gebrauchsmusterschrift, soweit dieser Niederschlag in den Ansprüchen gefunden hat (vgl. BGH, NJW-RR 2000, 259, 261 – Spannschraube).
Die zur Ermittlung des Offenbarungsgehalts der Schutzansprüche notwendige Auslegung dient dabei dazu, die technische Lehre des Klagegebrauchsmusters zu erfassen, wie sie aus fachmännischer Sicht – d.h. unter Berücksichtigung des Vorverständnisses, das sich aus dem Fachwissen und Fachkönnen des von der Erfindung angesprochenen Fachmanns ergibt – mit dem Wortlaut des Anspruchs zum Ausdruck gebracht wird. Entscheidend ist damit eine funktionale Auslegung der Schutzansprüche und der darin verwendeten Begriffe, um deren technischen Sinn unter Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung, wie sie sich objektiv aus dem Klagegebrauchsmuster ergeben, zu bestimmen (vgl. BGH, BeckRS 2015, 19864 Rn. 16 – Luftkappensystem).
Maßgeblich sind insoweit der Sinngehalt eines Schutzanspruchs in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der geschützten Erfindung beitragen. Aus der Funktion der einzelnen Merkmale im Kontext des Schutzanspruchs ist abzuleiten, welches technische Problem diese Merkmale für sich und in ihrer Gesamtheit tatsächlich lösen (vgl. BGH, a.a.O.; GRUR 2012, 1124, 1126, Rn. 27 – Polymerschaum). Die Gebrauchsmusterschrift ist dazu in einem sinnvollen Zusammenhang zu lesen und ihr Gesamtinhalt im Zweifel so zu verstehen, dass sich Widersprüche nicht ergeben (vgl. BGH, BeckRS 2015, 13347, Rn. 22 – Kreuzgestänge; GRUR 2015, 159, 161, Rn. 31 – Zugriffsrechte; GRUR 2011, 701, 703, Rn. 24 – Okklusionsvorrichtung). Ergeben sich indes unauflösbare Widersprüche zwischen der technischen Lehre der Beschreibung und der technischen Lehre der Schutzansprüche, ist der Schutzanspruch maßgeblich (vgl. BGH, BeckRS 2015, 13347, Rn. 22 – Kreuzgestänge; GRUR 2011, 701, 703, Rn. 23 a.E. – Okklusionsvorrichtung). Bestandteile der Beschreibung, die in den Patentansprüchen keinen Niederschlag gefunden haben, sind dann grundsätzlich nicht in den Patentschutz einbezogen (vgl. BGH, a.a.O. – Okklusionsvorrichtung; GRUR 2012, 45, 47, Rn. 44 – Diglycidverbindung).
Als übergreifenden Gesichtspunkt hat die Auslegung schließlich neben dem Gesichtspunkt eines angemessenen Schutzes der erfinderischen Leistung das gleichgewichtig danebenstehende Gebot der Rechtssicherheit zu beachten (BGH, GRUR 2007, 1059, 1062 Rn. 25 – Zerfallszeitmessgerät).
Vor diesem Hintergrund sind die zwischen den Parteien streitig diskutierten, nachfolgenden Merkmale des Klagegebrauchsmusters wie folgt auszulegen:
(1) Sitzschale – Merkmal 1.2
Der angesprochene Fachmann, ein Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit mehrjähriger Berufserfahrung in der Entwicklung von Kindersitzen, versteht den vom Klagegebrauchsmuster verwendeten Begriff „Sitzschale“ funktional. Dabei erkennt der Fachmann aus den weiteren Merkmalen des Anspruchs 1 sowie der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters, dass diesem eine dreifache funktionale Zielsetzung zu Grunde liegt: Im Wesentlichen geht es darum, Seitenaufprallkräfte möglichst hinter dem Rücken eines im Kindersitz sitzenden Kindes vorbei in die Sitzschale einzuleiten. Zugleich soll die Handhabbarkeit des Kindersitzes verbessert (vgl. Abs. [0008]) und der Kindersitz in seiner Betriebsposition stabilisiert werden (vgl. Abs. [0017]).
Vor diesem Hintergrund versteht der Fachmann das Merkmal „Sitzschale“ dahingehend, dass diese derart ausgestaltet sein muss, um eine erfindungsgemäße Kraftumlenk- und Einleitungsfunktion des Seitenaufprallschutzes gewährleisten zu können. Dem angesprochenen Fachmann ist dabei bekannt, dass „Sitzschalen“ auch aus mehreren fest miteinander verbundenen, etwa verklebten oder verschraubten, Komponenten bestehen können. Dem Fachmann ist weiterhin bekannt, dass insbesondere Kindersitze oftmals etwa zum Transport zweigeteilt werden können – in ein Sitzteil und ein Rückenteil.
Das Verständnis des Fachmanns ist vor diesem Hintergrund nicht darauf beschränkt, dass eine klagegebrauchsmustergemäße Sitzschale aus „einem Guss“ angefertigt sein muss; es ist weiterhin nicht darauf beschränkt, dass vom Begriff „Sitzschale“ nur der Sitzteil umfasst ist – also der Teil des Sitzes, auf dem das Kind sitzt.
Der Wortlaut des Anspruchs des Klagegebrauchsmusters zeigt, dass der Seitenaufprallschutz in einem „Rückenabschnitt“ angebracht sein soll. Daraus folgert der Fachmann, dass auch dieser Teil zur „Sitzschale“ gehört.
Zur Überzeugung der Kammer verfängt insofern die Argumentation der Beklagten, wonach mehrteilige Kindersitzkonstruktionen wie die der angegriffenen Ausführungsformen nicht anspruchsgemäß seien, nicht. Die Beklagten können diese Auslegung aus folgenden Gründen auch nicht auf die Stellungnahme des EPA im Einspruchsverfahren vom 26.11.2018 stützen (Anlage QE 4, dort S. 11 unten):
Zunächst trifft das EPA insoweit zur Überzeugung der Kammer keine Feststellung, dass die Sitzschale „aus einem Guss“ gefertigt sein muss. Das EPA merkt an, „dass das Merkmal ‚Sitzschale‘ (…) so verstanden wird, dass es sich um eine geschlossene, fest mit der Rückenlehne verbundene Einheit handelt und nicht um eine mehrteilige Struktur, insbesondere nicht um eine lose verbundene Einheit aus Sitzfläche und Rückenlehne.“ Darüber hinaus ist dem EPA aber auch nicht insoweit zu folgen, dass bei einer derartigen mehrteiligen Struktur aus Sitzfläche und Rückenlehne nur der Sitzteil als „Sitzschale“ anzusehen ist. Diese enge Auslegung würde dazu führen, dass der Anspruchswortlaut insofern leerliefe, da dann eine Befestigung am „Rückenabschnitt“ nicht mehr möglich wäre. Dieser Widerspruch ist dadurch aufzulösen, dass der Begriff „Sitzschale“ stets auch den Rückenteil umfasst.
Dafür sprechen auch die Beschreibung, die etwa in Abs. [0021] von einer „Sitzschalenkonstruktion“ spricht, und die Zeichnungen, die unter der Bezugsziffer „20“ – Sitzschale – auch auf den Rückenabschnitt zeigen (vgl. etwa Fig. 1).
(2) Seitenaufprallschutz, der von einer innerhalb der vorgelegenen Breite des Kindersitzes gelegenen Ruhestellung in eine außerhalb derselben gelegene Funktionsstellung und umgekehrt bringbar ist – Merkmal 1.3
Der angesprochene Fachmann versteht den Begriff „Funktionsstellung“ dahingehend, dass der Seitenaufprallschutz in dieser Position außerhalb der Standardbreite, also außerhalb der Hüllkurve des Kindersitzes liegt. Denn in dieser Stellung kann der Seitenaufprallschutz seine Funktion erfüllen: bei einem Seitenaufprall den ersten Angriffspunkt für eine auf den Sitz wirkende Kraft zu bieten.
Insoweit verfängt die Argumentation der Beklagten nicht, in Funktionsstellung müsse der Seitenaufprallschutz die an ihn angrenzenden Anlageflächen entweder des Kraftfahrzeugs oder eines benachbarten Kindersitzes berühren.
Diese Auslegung findet bereits keine Stütze im Anspruchswortlaut. Sie findet in dieser Enge auch keine ausreichende Stütze in der Beschreibung und den Zeichnungen. Zwar zeigt Fig. 3 des Klagegebrauchsmusters eine Anlage des Seitenaufprallschutzes an einer weiteren Fläche. Fig. 3 ist jedoch im Zusammenhang mit der Beschreibung als (ein bloßes) Ausführungsbeispiel zu sehen. Das Klagegebrauchsmuster nennt die Anlage an einer Kraftfahrzeugfläche insbesondere im Zusammenhang mit einem teleskopartig ausfahrbaren Seitenaufprallschutz (vgl. etwa Abs. [0014]). Der Fachmann versteht den Anspruch daher in Zusammenschau mit der Beschreibung funktional – es ist für die Funktion der Erfindung vorteilhaft, eine möglichst weite Annäherung an die Kraftfahrzeugseitenfläche zu erreichen; eine unmittelbare Anlage verlangt der Anspruch demgegenüber jedoch nicht.
Soweit die Beklagten zudem meinen, dass der Klagevortrag nicht schlüssig sei, weil das Seitenelement anspruchsgemäß auch in Ruhestellung eine Schutzfunktion erfüllen müsse, wozu die Klägerin nicht vorgetragen habe, findet auch diese Auslegung in den Schutzansprüchen keine Grundlage. Bereits seinem Wortlaut nach impliziert der Begriff „Funktionsstellung“, dass der Zweck des Seitenaufprallschutzes eben nur in dieser erreicht wird. Dafür spricht auch der von dem Klagegebrauchsmuster verfolgte technische Sinn und Zweck. Dem Klagegebrauchsmuster geht es darum, das Seitenelement so zu gestalten, dass dieses im Falle eines Seitencrashs auftretende seitliche Kollisionskräfte als erster Kontaktpunkt aufnimmt und möglichst an dem Kind vorbei in die Sitzschale umlenkt. Dies kann technisch nur dann erreicht werden, wenn das mit dem Kindersitz anspruchsgemäß verbundene Seitenelement über die Hüllkurve des Kindersitzes hinausragend in die Nähe der nächstgelegenen Fahrzeuginnenwand gebracht werden kann. Zugleich will das Klagegebrauchsmuster die Handhabbarkeit eines anspruchsgemäß gestalteten Kindersitzes verbessern (vgl. Abs. [0008]). Die Handhabbarkeit – etwa beim Einbau des Kindersitzes in ein Fahrzeug oder beim Umbau in ein anderes Fahrzeug – wird aber gerade dadurch verbessert, dass sich das Seitenelement in Ruhestellung nicht außerhalb der Hüllkurve des Kindersitzes befindet. Dieser Zweck setzt eine Seitenaufprallschutz in Ruhestellung gerade nicht voraus.
(3) Seitenaufprallschutz umfassend ein Seitenelement, das an einer äußeren Seitenfläche der Sitzschale angebracht ist – Merkmal 2
Merkmal 2 lehrt den Fachmann, wo sich das Seitenelement in räumlich-körperlicher Hinsicht im Bereich der Sitzschale vor dem Hintergrund der funktionalen Zielsetzung des Klagegebrauchsmusters befinden muss. Die äußere Seitenfläche versteht der Fachmann bei funktionaler Betrachtung als den im Wesentlichen in Richtung der Kraftfahrzeuginnenseiten exponierten, äußeren Teil eines Kindersitzes. „Angebracht“ ist dabei funktional dahingehend zu verstehen, dass das Seitenelement so im Bereich der Seitenfläche verbaut sein muss, dass eine anspruchsgemäße Bedienung möglich ist, unabhängig davon wie der Sitz konkret aufgebaut ist.
Eine feste Verbindung zwischen Seitenfläche und Seitenelement ist dabei nicht vorausgesetzt. Dies erkennt der Fachmann insbesondere aus Abs. [0031], wonach ein anspruchsgemäßes Seitenelement auch teleskopartig in den Kindersitz einschiebbar ausgestaltet sein kann. Ist es aber möglich, ein anspruchsgemäßes Seitenelement auch dementsprechend durch die äußere Seitenfläche hindurch beweglich auszugestalten, kann der Lehre des Klagegebrauchsmusters nach nicht zwingend vorausgesetzt sein, dass eine feste Verankerung an der äußeren Seitenfläche erfolgt. Vielmehr ergibt sich für den Fachmann daraus, dass die Verankerung des Seitenelements auch im Inneren der Seitenschalle erfolgen kann. Wie die Befestigung des Seitenelements zu erfolgen hat, lässt das Klagegebrauchsmuster dagegen offen. Der Fachmann wird hierbei auf der Grundlage seines allgemeinen Fachwissens eine Befestigung wählen, die geeignet ist, das Klagegebrauchsmuster seinem anspruchsgemäß vorausgesetzten Zweck entsprechend zu erreichen.
(4) Seitenelement, das in Ruhestellung im Wesentlichen flach anliegt und zur Benutzung in Funktionsstellung ausklappbar oder ausschwenkbar ist – Merkmal 2.1
Merkmale 2.1 konkretisiert die Positionierung des im Bereich eines anspruchsgemäß gestalteten Kindersitzes zu Seitenaufprallschutzzwecken vorgesehenen Seitenelements dahingehend, wie es in Ruhestellung betrachtet angebracht sein muss. Dabei ist das Merkmal nicht dahingehend zu verstehen, dass ein anspruchsgemäß ausgestaltetes Seitenelement außen auf der äußeren Seitenfläche der Sitzschale montiert sein muss. Der angesprochene Fachmann erkennt aus der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters vielmehr, dass ein im Wesentlichen flaches Anliegen auf verschiedene, technisch aber jeweils gleich wirkende Art und Weise erreicht werden kann. Abs. [0008] des Klagegebrauchsmusters schlägt insoweit eine Ausführungsform der zu Grunde liegenden Erfindung vor, bei der das Seitenelement in Ruhestellung an einer Seitenfläche der Sitzschale anliegt, in die Seitenfläche der Sitzschale eingeschoben oder an diese an- oder in diese eingeklappt werden kann. Der Fachmann legt das Merkmal daher so aus, dass es Ziel des Anspruchs ist, über die Seitenfläche hinausragende Überstände des Seitenelements in Ruhestellung möglichst zu vermeiden.
Die Argumentation der Beklagten, dass das Klagegebrauchsmuster in dessen Abs. [0008] verschiedene, jeweils selbständig nebeneinander stehende Ausführungsformen vorsehe, von denen der hier geltend gemachte Schutzanspruch gezielt nur eine ausgewählt und unter Schutz gestellt habe, verfängt nicht. Die Auffassung der Beklagten findet im Wortlaut des Schutzanspruchs sowie in den zur Auslegung heranzuziehenden Zeichnungen und der Beschreibung der Gebrauchsmusterschrift keine hinreichende Stütze. Den Beklagten ist insofern zwar zuzugeben, dass die Formulierung „anliegt“ begrifflich dahingehend verstanden werden kann, dass sich das fragliche Seitenelement von außen betrachtet auf der äußeren Seitenfläche befindet. Dieses Verständnis ist aber bereits auf der rein begrifflichen Ebene keineswegs zwingend. Vielmehr kann das Merkmal eines im Wesentlichen flach anliegenden Seitenelements auch als Oberbegriff verstanden werden, da ein in die äußere Seitenfläche eingebettetes oder eingeschobenes Seitenelement gerade in besonderem Maße flach anliegt.
Insbesondere aber findet eine der Auffassung der Beklagten entsprechend eng am Wortlaut verhaftete Betrachtung in der einschlägigen Stelle der Beschreibung des Klagegebrauchsmusters keinen Wiederhall. So differenziert die Beschreibung in Abs. [0008] zwischen den einzelnen Gestaltungsmöglichkeiten gerade nicht in einer diese Gestaltungsvarianten einander gegenseitig ausschließenden Weise. Vielmehr stehen die einzelnen Gestaltungsvarianten eines anliegenden, eingeschobenen, an- oder eingeklappten Seitenelements gleichbedeutend nebeneinander. Dieses gleichrangige Verständnis der hier aufgeführten Gestaltungsvarianten verdeutlicht Abs. [0008], indem dieser zunächst mit dem Hinweis einleitet, dass es sich um „eine Ausführungsform“ handelt und dann nach Benennung der verschiedenen Gestaltungsvarianten betont, dass „auf diese Weise“ der erfindungsgemäße Zweck erreicht werden kann, der eben darin liegt, das Seitenelement in Ruhestellung so positionieren zu können, dass es im Interesse der Handhabbarkeit des Kindersitzes nicht über dessen Hüllkurve hinausragt. Auch in technisch-funktionaler Hinsicht ist daher von einer Gleichrangigkeit der in Abs. [0008] aufgeführten Gestaltungsvarianten auszugehen.
Die vorliegende Merkmalsinterpretation fügt sich zudem widerspruchslos in eine Gesamtbetrachtung der übrigen Beschreibung. Abs. [0007] stellt auf den wesentlichen Zweck der streitgegenständlichen Erfindung ab, der darin liegt, einen Seitenaufprallschutz vorzusehen, der als Knautschzone und Kraftumlenkvorrichtung dient, um so die im Falle eines Seitencrashs auf ein Kind wirkenden Kräfte zu reduzieren und damit das Verletzungsrisiko eines Kindes zu verringern. Hierfür wird als „eine“ Ausführungsform die Ausgestaltung gemäß Abs. [0008] vorgeschlagen. Abs. [0009] führt dann entsprechend fort, dass „das erfindungsgemäße Seitenelement in Funktionsstellung ausklappbar, ausschwenkbar, teleskopartig ausfahr- oder ausschieb- oder ausziehbar oder alternativ (…) entnehmbar und (…) anbringbar und insbesondere auch befestigbar“ ist.
Anders als die Beklagten meinen, ergibt sich auch aus der Entscheidung des BGH in Sachen Okklusionsvorrichtung (GRUR 2011, 701) nichts anderes. Richtig ist, dass der BGH insoweit entschieden hat, dass in Fällen, bei denen die Auslegung einen Widerspruch zwischen Schutzanspruch und Beschreibung ergeben hat, solche überschießenden Teile, die in dem Schutzanspruch keinen Niederschlag gefunden haben, grundsätzlich nicht in den Patentanspruch einbezogen sind (BGH, GRUR 2011, 701, 703, Rn. 23 a.E. – Okklusionsvorrichtung; ebenso: BGH, BeckRS 2015, 13347, Rn. 22 – Kreuzgestänge). Allerdings hat die wie oben ausgeführte Auslegung gerade gezeigt, dass ein entsprechender Widerspruch hier nicht besteht.
Daher rechtfertigt auch der Hinweis der Beklagten auf die Entscheidung des BGH in Sachen Polsterproduktherstellung (GRUR-RS 2020, 17331) keine abweichende Beurteilung. Das Urteil betrifft eine bereits im Ausgangspunkt unterschiedliche Fallgestaltung. Dem BGH zu Folge kann eine Figur für die Auslegung eines an anderen Stellen der Beschreibung angesprochenen Merkmals nicht von Bedeutung sein, wenn diese Figur in Bezug auf ein bestimmtes Detail eine Ausgestaltung zeigt, die im Widerspruch zu einem Merkmal des Patentanspruchs steht und sich die in der Beschreibung enthaltenen Ausführungen zu dieser Figur nicht mit diesem Detail befassen. Darum geht es vorliegend nicht. Ein Widerspruch zwischen Beschreibung oder Figur einerseits und Schutzanspruch andererseits liegt gerade nicht vor. Die Zeichnungen (insb. Fig. 3, 18 und 19) sowie Abs. [0008] erläutern Merkmal 2.1 näher und in schlüssiger, widerspruchsfreier Weise vor dem Hintergrund der dem Klagegebrauchsmuster zu Grunde liegenden Aufgabe, einen verbesserten Seitenaufprallschutz für Kindersitze mit zugleich verbesserter Handhabbarkeit und Stabilisierung des Sitzes in der Betriebsposition bereitzustellen.
Auch die von den Beklagten angedachte schutzrechtsvergleichende Betrachtung rechtfertigt keine abweichende Auslegung. Aus dem Umstand, dass die Klägerin ihre Erfindung durch mehrere, parallele Schutzrechte zu schützen versucht, kann nicht geschlussfolgert werden, dass das Klagegebrauchsmuster sich durch die Anlehnung der Formulierung des Anspruchs 1 an die erste in Abs. [0008] aufgelistete Gestaltungsvariante selbst dahingehend spezialisiere und beschränke, nur die eine einzelne, entsprechend eng am Wortlaut verhaftete Gestaltungsvariante zu schützen. Eine dahingehende Auslegung steht in Widerspruch zu dem Grundsatz, dass es sich bei dem Klagegebrauchsmuster um ein selbständiges, eigenständiges Recht handelt, das den oben dargelegten Grundsätzen entsprechend ausgehend von dem Wortlaut seiner Schutzansprüche aus sich selbst heraus ausgelegt werden muss. Für das Klagegebrauchsmuster hat die Auslegung – wie ausgeführt – ergeben, dass das in Ruhestellung im Wesentlichen flach anliegende Seitenelement als Oberbegriff für die in Abs. [0008] genannten Gestaltungsvarianten gewählt wurde. Einen umfassenden Schutz einer Erfindung erreichen zu wollen und hierzu parallele Schutzrechte anzustreben, ist überdies ein dem Grunde nach legitimes Anliegen des Erfinders, das sein Korrektiv in den allgemeinen Vorschriften zum Schutz vor missbräuchlichen Anmelde- und Klagestrategien findet.
Die vorliegende Auslegung trägt auch dem Gebot hinreichender Rechtssicherheit Rechnung. Die Merkmalsformulierung eines im Wesentlichen flach anliegenden Seitenelements erschließt sich dem Fachmann nach der Überzeugung der Kammer zwanglos als Oberbegriff der in Abs. [0008] der Beschreibung aufgeführten Gestaltungsvarianten. Eine – wie es die Beklagten an der Verwendung des Wortes „oder“ festmachen möchten – gezielte Auswahlerfindung und damit einhergehende Beschränkung des Schutzbereichs lässt sich hier letztlich nicht überzeugend begründen. Bereits begrifflich hat das Wort „oder“ auch die Bedeutung einer Aufzählung gleichrangig, aber nicht zeitgleich realisierbarer Gestaltungsvarianten. Im Übrigen führen die gängigen Auslegungsprinzipien aber – wie ausgeführt – vorliegend gerade dazu, dass ein sich in die Seitenfläche ebenmäßig einfügendes Seitenelement als anspruchsgemäße Ausführungsform anzusehen ist.
(5) Seitenelement, das in Funktionsstellung oberhalb einer Sitzfläche des Kindersitzes und in einem Rückenabschnitt rückwärtig einer Rückenanlagefläche des Kindersitzes angeordnet ist – Merkmal 2.2
Der angesprochene Fachmann versteht das Merkmal 2.2 als Konkretisierung der räumlich-körperlichen Position, an welcher das Seitenelement in Funktionsstellung mit Blick auf die von dem Klagegebrauchsmuster beabsichtigte Seitenaufprallschutzwirkung an einem Kindersitz angebracht sein muss. Insbesondere die Zeichnungen gemäß Fig. 1 illustrieren dabei den entsprechenden räumlichen Bereich. Die Vorgabe, dass sich das Seitenelement „oberhalb einer Sitzfläche (…) und in einem Rückenabschnitt“ befindet, versteht der Fachmann vor diesem Hintergrund dahingehend, dass auch die Seitenflächen der Sitzschale einen Rückenabschnitt des Kindersitzes bilden können – der Begriff „Rückenabschnitt“ bedeutet für den Fachmann nicht, dass der Seitenaufprallschutz hinter dem Rücken des Kindes zu positionieren ist.
Der Begriff „Rückenanlagefläche“ bezeichnet aus Sicht des angesprochenen Fachmanns den Bereich eines Kindersitzes, an dem der Rücken des im Kindersitz sitzenden Kindes unmittelbar anliegt. Dabei ist dem Fachmann bewusst, dass die Sitzschalenkonstruktion mit einer Polsterung ausgestattet ist. Das Argument der Beklagten, dass bei der Betrachtung der Rückenanlagefläche das Polster nicht berücksichtigt werden dürfe, wird dem technisch-funktionalen Zweck der vorliegenden Erfindung nicht gerecht. Mit Blick auf die Aufgabe des Klagegebrauchsmusters, Seitenaufprallkräfte im Falle eines Seitencrashs möglichst hinter dem Kind vorbei in die Sitzschale einzuleiten, ist entscheidend auf einen Kindersitz in der Situation einer tatsächlichen, praktischen Verwendung abzustellen. In dieser Situation liegt aber, was dem Fachmann eben gerade bewusst ist, der Rücken eines Kindes an einem Polster an. Vor diesem Hintergrund legt der Fachmann das Merkmal funktional dahingehend aus, dass sich das Seitenelement aus seitlicher Perspektive rückwärtig des Rückens des im bepolsterten Kindersitz sitzenden Kindes befinden muss. Dafür spricht auch, dass Fig. 5, 6, 18, und 19 jeweils einen bepolsterten Kindersitz abbilden.
Dagegen überzeugt das Argument der Beklagten, dass nicht der Rücken des Kindes, sondern der Rücken des Kindersitzes maßgeblicher Bezugspunkt zur Bestimmung der Rückenanlagefläche sei, nicht. Bei diesem Verständnis wäre zum einen die in Abs. [0018] gelehrte Alternative, wonach das Seitenelement in Funktionsstellung auch entlang der hinteren Begrenzungsfläche des Rückenabschnitts angeordnet sein kann, überflüssig. Zum anderen stünde die von der Beklagten vertretene Auslegung in Widerspruch zu dem in Abs. [0031] beschriebenen Beispiel einer besonderen Ausführungsform eines anspruchsgemäßen Kindersitzes. Demzufolge kann ein teleskopartig ausschiebbares Seitenelement in den Rückenabschnitt hinter eine Rückenanlagefläche des Kindersitzes eingeschoben werden. Würde sich die anspruchsgemäße Rückenanlagefläche auf die Fläche beziehen, an welcher der Kindersitz an dem Fahrzeugsitz anliegt, würde das Seitenelement in diesem Ausführungsbeispiel außerhalb des Kindersitzes liegen und wäre nicht mehr dem durch das Klagegebrauchsmuster geschützten Kindersitz zuordenbar. Ein dahingehendes Merkmalsverständnis fügt sich aber gerade nicht in die Gesamtschau der Gebrauchsmusterschrift ein.
Die darüber hinaus verlangte „rückwärtige“ Anordnung des Seitenelements versteht der Fachmann dahingehend, dass sich das Seitenelement in Funktionsstellung aus seitlicher Perspektive betrachtet zwischen dem durch die Rückenanlagefläche einerseits und die hintere Begrenzungsfläche des Rückenabschnitts andererseits abgegrenzten Bereich des Kindersitzes befinden muss. Die Betrachtung aus seitlicher Perspektive erschließt sich dem Fachmann dabei vor dem Hintergrund als maßgeblich, als die Aufgabenstellung des Klagegebrauchsmusters dahin geht, die seitlichen Kollisionskräfte im Falle eines Seitenaufpralles zu reduzieren.
Soweit die Beklagten diesbezüglich vortragen, dass die Klägerin im Erteilungsverfahren der EP’455 klar zwischen Seitenbereich und Rückenabschnitt unterschieden habe, kann dies nicht überzeugen. Zunächst ist das Klagegebrauchsmuster aus sich heraus auszulegen. Ein Rückgriff auf das Erteilungsverfahren ist im Übrigen grundsätzlich nicht zulässig (BGH, GRUR 2016, 257 – Glasfasern II; GRUR 2002, 511, 513 – Kunststoffrohrteil). Den von den Beklagten vorgebrachten Widerspruch vermag die Kammer aber auch in der Sache nicht zu erkennen. Vielmehr folgt die vorliegende Auslegung gerade dem nach höchstrichterlicher Rechtsprechung maßgeblichen Grundsatz einer in sich schlüssigen, widerspruchsfreien Auslegung des Klageschutzrechts (statt vieler: BGH, BeckRS 2015, 13347, Rn. 22 – Kreuzgestänge). Merkmal M2.2 lehrt die anspruchsgemäße Positionsbestimmung des Seitenelements in Funktionsstellung. Merkmal M2 des Klagegebrauchsmusters verlangt jedoch zugleich, dass das Seitenelement an einer äußeren Seitenfläche der Sitzschale angebracht ist. Dabei ist zu berücksichtigen, worauf die Klägerin in der mündlichen Verhandlung unter Verweis auf das Beispiel einer Kugeloberfläche nach Ansicht der Kammer zutreffend hingewiesen hat, dass dem Fachmann bewusst ist, dass eine Fläche nicht nur zweidimensional gestaltet sein kann. Zudem verdeutlichen auch Fig. 5, 6, 18 und 19, dass der Lehre des Klagegebrauchsmusters folgend Seitenfläche und Rückenabschnitt nicht zwei sich ausschließende Bereiche eines anspruchsgemäßen Kindersitzes sind, sondern sich zumindest teilweise überschneiden können.
(6) so dass in der Verlängerung des Seitenaufprallschutzes kein Kind, sondern ein Konstruktionselement des Kindersitzes, nämlich die Sitzschale befindlich ist und aus diesem Grund eine unmittelbare Kraftübertragung auf das Kind konstruktiv vermieden ist, wobei der Seitenaufprallschutz beidseitig der Sitzschale so positioniert ist, dass er etwaige Seitenkräfte hinter dem Rücken eines im Kindersitz sitzenden Kindes vorbei überträgt und in die Sitzschale einleitet – Merkmale 2.3 und 3
Der angesprochene Fachmann versteht die anspruchsgemäße Vorgabe der Merkmale 2.3 und 3 als funktional einheitliche Zweck-/Wirkungsangabe. Zweck-/Wirkungsangaben beschränken als solche den Schutzgegenstand im Allgemeinen nicht (vgl. BGH, GRUR 2009, 837, 838, Rn. 15 – Bauschalungsstütze; GRUR 2006, 570, 573, Rn. 21 – extracoronales Geschiebe; GRUR 1991, 436, 441 – Befestigungsvorrichtung II). Allerdings muss der durch das Klagegebrauchsmuster geschützte Gegenstand so ausgebildet sein, dass er für den im Anspruch angegebenen Zweck verwendbar ist bzw. die im Anspruch angegebene Funktion erfüllen kann (vgl. etwa BGH, GRUR 2009, 837, 838, Rn. 15 – Bauschalungsstütze; BeckRS 2010, 00634, Rn. 12 – Hundefutterbeutel). Dabei ist vorliegend zu berücksichtigen, dass der Anspruchswortlaut des Klagegebrauchsmusters keine Vorgaben macht, in welchem Umfang eine Übertragung und Einleitung von Seitenkräften in die Sitzschale erfolgen muss. Insbesondere ist nicht erforderlich, dass die im Falle eines Seitencrashs auftretenden Kräfte ausschließlich hinter dem Rücken des Kindes vorbeigeleitet werden. Dem Fachmann ist, worauf die Parteien insoweit übereinstimmend in der mündlichen Verhandlung hingewiesen haben, auf Grund seines allgemeinen Fachwissens bekannt, dass im Falle eines Seitencrashs auftretende Kollisionskräfte nach der Kontaktbildung mit dem Seitenaufprallschutzelement nicht unidirektional in Richtung des Kindersitzes wirken können. Der Fachmann wird daher den Seitenaufprallschutz so positionieren, dass er geeignet ist, etwaige Seitenkräfte am Kind vorbei in die Sitzschale einzuleiten – wobei ihm bewusst ist, dass nicht alle Seitenkräfte am Kind vorbeigeleitet werden müssen.
2. Die von den Beklagten angebotenen angegriffenen Ausführungsformen verletzen Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters unmittelbar wortsinngemäß im Sinne des § 11 Abs. 1 GebrMG. Soweit die Beklagten darüber hinaus einer Verletzung durch das von ihr angebotene Kindersitzmodell SpinSafe entgegentreten, ist der Vortrag im vorliegenden Verfahren ohne Relevanz, da die entsprechende Ausführungsform mit der hiesigen Klage nicht angegriffen wurde.
a. Bei den angegriffenen Ausführungsformen handelt es sich um Kindersitze, die mittels Isofix-Klinken auf Kraftfahrzeugsitzen, insbesondere Kraftfahrzeugseitensitzen befestigt werden können (Merkmale 1 und 1.1).
b. Die angegriffenen Ausführungsformen verfügen zudem über eine anspruchsgemäße Sitzschale (Merkmal 1.2). Unschädlich ist dabei, dass dem Vortrag der Beklagten zu Folge die Sitzschale der angegriffenen Ausführungsformen #1 und #2 aus drei sowie die Ausführungsformen #3 und #4 aus vier Teilen besteht. Eine mehrteilige Ausgestaltung eines Kindersitzes steht einer Verwirklichung des Merkmals 1.2 nicht entgegen. Wie erörtert erfordert das Merkmal nicht, dass die Sitzschale aus einem Stück, also „aus einem Guss“ angefertigt ist. Es genügt, wenn insbesondere das Rückenteil derart solide gebaut ist, dass eine Kraftübertragung vom Seitenaufprallschutz auf die Sitzschale am Kind vorbei erfolgen kann.
c. Weiter verwirklichen sämtliche angegriffenen Ausführungsformen auch Merkmal 1.3. Insbesondere verfügen die angegriffenen Ausführungsformen über eine anspruchsgemäße Ruhe- und Funktionsstellung innerhalb bzw. außerhalb vorgegebenen Breite des jeweiligen Kindersitzes. Die in Ruhestellung eingeklappten Seitenelemente der angegriffenen Ausführungsformen liegen den anspruchsgemäßen Vorgaben entsprechend innerhalb der Hüllkurve des jeweiligen Sitzes, während sie in Funktionsstellung, d.h. im ausgeklappten Zustand, jeweils außerhalb der Hüllkurve und damit näher an einer Kraftfahrzeuganlagefläche liegen. Auf den von den Beklagten aufgezeigten Umstand, dass die angegriffenen Ausführungsformen jeweils nicht unmittelbar an der nächstgelegenen Kraftfahrzeuginnenwand anliegen, kommt es folglich nicht an.
d. Das in den angegriffenen Ausführungsformen verbaute Seitenaufprallschutzsystem verfügt zudem über ein Seitenelement, das an einer äußeren Seitenfläche der Sitzschale angebracht ist (Merkmal 2). Bei sämtlichen Ausführungsformen ist das Seitenelement von außen an der jeweils äußeren Seitenfläche ausgebildet und bedienbar. In der seitlichen Draufsicht stellt sich das Seitenelement bei den streitgegenständlichen Ausführungsformen als ausklappbarer Teil der äußeren Seitenfläche dar. Dass das Seitenelement der angegriffenen Ausführungen dabei über eine jeweils unterschiedlich gestaltete Konstruktion an einem im Inneren der jeweiligen Sitzschale gelegenen Bauteil verbaut ist (bei Ausführungsform #1 etwa über ein an einem rückwärtigen Stützelement verbautes Schanier, bei Ausführungsform #2 über einen an einem rückwärtigen Stützelement verbauten Steg und bei Ausführungsform #3 über eine Verankerung an zwei hinter dem Rücken des im Kindersitz sitzenden Kindes vertikal verlaufenden Stützstreben) steht der Merkmalsverwirklichung nicht entgegen. Merkmal 2 lässt die bauliche Konstruktion, wie das Seitenelement an der äußeren Seitenfläche angebracht ist, offen. Entscheidend ist, wie oben ausgeführt, allein, dass das Seitenelement so an der Seitenfläche angebracht ist, dass es dort erfindungsgemäß bedient werden kann. Genauere Vorgaben ergeben sich insoweit aus den weiteren Merkmalen.
e. Weiterhin ist auch Merkmal 2.1 verwirklicht. Das Seitenelement liegt bei den angegriffenen Ausführungsformen in Ruhestellung an der Seitenfläche der Sitzschale im Wesentlichen flach an. Die äußere Oberfläche der Seitenelemente stellt sich vorliegend als nahezu ebenmäßige Fortsetzung der äußeren Seitenfläche der Sitzschale dar.
Maßgeblich ist, dass das Seitenelement in Ruhestellung möglichst vollständig in der Hüllkurve verschwindet (vgl. oben). Das ist bei den angegriffenen Ausführungsformen der Fall. Die Auslegung hat insoweit ergeben, dass dem Klagegebrauchsmuster zu Folge ein im Wesentlichen flaches Anliegen eines Seitenelements auch dadurch erreicht werden kann, dass dieses – wie hier der Fall – in die äußere Seitenfläche eingebettet ist. Abs. [0008] des Klagegebrauchsmusters zählt insoweit dem technischen Zweck nach gleichrangig nebeneinanderstehende Gestaltungsmöglichkeiten auf, die auf einer einheitlichen erfinderischen Idee beruhen und sich dem angesprochenen Fachmann als einheitliches Ausführungsbeispiel darstellen.
f. Die angegriffenen Ausführungsformen verwirklichen auch Merkmal 2.2. Bei sämtlichen vorliegend angegriffenen Kindersitzen ist das Seitenelement in Funktionsstellung oberhalb der Sitzfläche im Rückenabschnitt rückwärtig der Rückenanlagefläche des jeweiligen Sitzes angeordnet. Dabei muss sich das in Funktionsstellung ausgeklappte Seitenelement, wie die Auslegung ergeben hat, nicht unmittelbar hinter dem Rücken des im Kindersitz sitzenden Kindes befinden. Ausreichend aber auch notwendig ist vielmehr, dass sich das ausgeklappte Seitenelement aus seitlicher Perspektive betrachtet zwischen dem durch die Rückenanlagefläche einerseits und die hintere Begrenzungsfläche des Rückenabschnitts andererseits abgegrenzten Bereich des Kindersitzes oberhalb der Sitzfläche befindet, wobei dem Fachmann bewusst ist, dass der Sitz hierzu in bepolsterter Form betrachtet werden muss. Aus den von der Klägerin vorgelegten Produktfotografien der angegriffenen Ausführungsformen sowie den dazu gehörigen Bedienungsanleitungen (Ausführungsform #1: Anlagen K 12a, K 16a und K 23a; Ausführungsform #2: Anlagen K 12b, K16b und K 23b; Ausführungsform #3: Anlagen K 21 und K 23c; Ausführungsform #4: Anlagen K 22 und K 23d) ist ersichtlich, dass sich die Seitenelemente in ausgeklapptem Zustand jeweils in dem anspruchsgemäß vorausgesetzten Bereich befinden.
Auf den Einwand der Beklagten, dass die Seitenelemente bei den angegriffenen Ausführungsformen nicht oder zumindest nicht vollständig hinter der jeweiligen Rückenanlagefläche angeordnet seien, da sich eine oder mehrere Schrauben, mit denen das Seitenelement im Inneren der Ausführungsformen befestigt sind, vor dem Konstruktionselement des Kindersitzes befänden, auf welchem die Sitzpolsterung angebracht ist, kommt es angesichts der gebotenen funktionalen Betrachtung, in deren Folge die zwischen dem inneren Konstruktionselement des Kindersitzes und dem Rücken des Kindes befindliche Bepolsterung mit zu berücksichtigen ist, nicht an.
g. Schließlich verwirklichen die angegriffenen Ausführungsformen auch Merkmelasgruppe 2.3/3. Der Seitenaufprallschutz der angegriffenen Ausführungsformen ist beidseitig der Sitzschale so positioniert, dass sich in dessen Verlängerung kein Kind, sondern die Sitzschale als Konstruktionselement des Kindersitzes befindet. Bei der wie vorliegend erfolgten Anordnung der Seitenelemente können bei sämtlichen angegriffenen Ausführungsformen die im Falle eines Seitencrashs auftretenden Seitenkräfte zumindest teilweise hinter dem Rücken eines im Kindersitz sitzenden Kindes vorbei in die Sitzschale eingeleitet werden. Auf das konkrete Maß der Krafteinleitung kommt es dabei nicht an – maßgeblich ist allein, dass der diesbezügliche Zweck erfüllt werden kann (vgl. oben).
Nicht überzeugend ist aus Sicht der Kammer insoweit, wenn die Beklagten zum Nachweis der angeblich entsprechend fehlenden Zweckerfüllung auf einen Crashtest verweisen, den sie vergleichsweise mit einem Kindersitzmodell der Klägerin („…“) und einem Modell der angegriffenen Ausführungsform #1 durchgeführt haben. Die hier durchgeführten Versuchsreihen sind bereits nicht miteinander vergleichbar, da die Beklagten für den Test ein Kindersitzmodell der Klägerin gewählt haben, welches der besonderen Ausgestaltung gemäß Unteranspruch 6 entspricht und dementsprechend ein teleskopartig ausziehbares Seitenelement vorsieht. Abgesehen davon, dass Unteranspruch 6 mit der vorliegenden Klage gar nicht geltend gemacht ist, steht der Vergleichbarkeit der beiden Testreihen auch die Tatsache entgegen, dass hier nicht demselben Ausführungsbeispiel des Klagegebrauchsmusters entsprechende Ausführungsformen getestet wurden. Dazu kommt, dass sich aus den Bildern keineswegs ergibt, dass bei den angegriffenen Ausführungsformen keine Seitenkräfte hinter dem Kind vorbei in die Sitzschale eingeleitet würden.
Vielmehr steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die in den angegriffenen Ausführungsformen jeweils zum Zwecke des Seitenaufprallschutzes verbauten Seitenelemente geeignet sind, Seitenkräfte im Kollisionsfalle hinter dem Rücken eines Kindes vorbei in die Sitzschale einzuleiten. Eine Beweisaufnahme zur Frage, inwieweit Seitenkräfte im Kollisionsfall hinter dem Rücken des Kindes in die jeweilige Sitzschale eingeleitet werden, war dazu im vorliegenden Fall nicht durchzuführen. So ist insbesondere aus den von der Klägerin vorgelegten Produktbildern – wie ausgeführt – ersichtlich, dass sich die Seitenelemente in Funktionsstellung hinter dem Rückenpolster der Kindersitze und damit hinter dem Rücken des im Kindersitz sitzenden Kindes befinden. Bereits aus allgemeinen physikalischen Grundsätzen folgt im Hinblick auf die bei den vorliegend angegriffenen Ausführungsformen erfolgte Anordnung der Seitenelemente, dass jedenfalls ein Teil der im Falle eines Seitencrashs auftretenden Kollisionskräfte gezielt hinter dem Rücken des Kindes vorbei und in die Teile der Sitzschale eingeleitet wird, an denen die Seitenelemente jeweils verbaut sind.
Überdies erscheint es der Kammer schwer vorstellbar, dass die Beklagten eine Funktion in ihre Kindersitze einbauen und mit den Begriffen „Seitenaufprallschutz“ (so bei Ausführungsformen #1 und #2) bzw. „Guard Surround Safety“ (so bei Ausführungsform #3) bzw. „Side Impact Protection“ (so bei Ausführungsform #4) bewerben, vorliegend den Kindersitzen eine entsprechende Funktion aber absprechen und behaupten wollen, dass Seitenkräfte im Kollisionsfall gezielt auf das Kind zugeleitet würden.
3. Die Beklagten sind auch passivlegitimiert. Sie sind beide „Verletzer“ im Sinne des § 24 GebrMG, da sie das Klagegebrauchsmuster benutzen. Die Kammer sieht dabei beide Beklagte als Mittäter an.
Die Benutzung liegt dabei bereits in der Verfügbarmachung der angegriffenen Ausführungen über die Webseite. Alle angegriffenen Ausführungsformen sind auf der Webseite der Beklagten zu 1) als in Deutschland verfügbar genannt. Die Beklagte zu 2) wird dort als zuständige Firma für den Vertrieb in Deutschland genannt. Dies erachtet die Kammer als ausreichend.
II.
Die mit Klageanträgen Ziffern 2. (Auskunft), 3. (Rechnungslegung), 4. (Rückruf), 5. (Vernichtung) und 6. (Schadensersatz) geltend gemachten Folgeansprüche stehen der Klägerin ebenfalls, jedenfalls weit überwiegend, zu.
1. Die Beklagten sind der Klägerin aufgrund des zumindest fahrlässigen Handelns, von dem in Anbetracht der hohen Sorgfaltsanforderungen auszugehen ist, aus § 24 Abs. 2 GebrMG zum Schadensersatz verpflichtet.
2. Der Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruch ergibt sich aus § 24b GebrMG sowie aus Gewohnheitsrecht in Verbindung mit §§ 242, 259, 260 BGB, da die Klägerin nicht über die notwendigen Informationen verfügt, die Beklagten dagegen ohne Weiteres Auskunft erteilen können.
In zeitlicher Hinsicht war der Auskunftsanspruch ab dem Zeitpunkt der Bekanntmachung der Erteilung des Gebrauchsmusters, mithin ab dem 14.03.2019, zuzusprechen. Der Rechnungslegungsanspruch war für den Zeitraum ab dem 14.04.2019 zuzusprechen (vgl. OLG Düsseldorf, BeckRS 2016, 21120). Soweit die Klägerin Auskunft bereits ab dem 01.02.2019 und Rechnungslegung ab dem 26.02.2019 beantragte, war die Klage daher abzuweisen.
3. Der Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 2) auf Rückruf und Vernichtung der angegriffenen Ausführungsformen ergibt sich § 24a GebrMG.
B.
Das Klagegebrauchsmuster ist weder mangels Neuheit (Ziff. I.) noch mangels erfinderischer Tätigkeit (Ziff. IV.) noch in Folge unzulässiger Erweiterung (V.) löschungsreif im Sinne von §§ 13 Abs. 1, 15 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 3, 1 Abs. 1, 3 GebrMG. Das Klagegebrauchsmuster nimmt die Priorität aus dem Gebrauchsmuster DE 20 2012 102 471 vom 04.07.2012 wirksam in Anspruch (Ziff. II.). Eine offenkundige Vorbenutzung liegt nicht vor (Ziff. III.). Die Klage war daher weder abzuweisen noch war das Verfahren nach § 148 ZPO auszusetzen.
I.
Die vorgelegten Entgegenhaltungen lassen nicht auf fehlende Neuheit schließen.
1. Soweit die Beklagten Druckschriften als neuheitsschädlich anführen, die verstellbare Seitenwangen bzw. Kopfstützen haben (insbesondere EP’926 und EP’120), erachtet die Kammer diese nicht als neuheitsschädlich.
Zwar sprechen die diesbezüglichen Druckschriften diesen „side supports“ (EP’926) bzw. „side guards“ (EP’120) einen Seitenaufprallschutz zu. Allerdings zeigen insbesondere diese beiden Druckschriften keine „Funktionsstellung“ im Sinne des Klagegebrauchsmusters. Wie im Rahmen der Auslegung ausgeführt, zeichnen sich Ruhe- und Funktionsstellung im Sinne des Klagegebrauchsmusters dadurch aus, dass in der Ruhestellung der Seitenaufprallschutz nicht über die Hüllkurve des Sitzes hinausragt und in Funktionsstellung über die Hüllkurve hinausragt. Demgegenüber befinden sich die Seitenwangen der Entgegenhaltungen quasi immer in Funktionsstellung – denn wenn diese „ausgeklappt“ werden, verbreitern sie geradezu die Hüllkurve des Sitzes. Sie bilden aber kein zusätzliches Bauteil aus, das an der Sitzschale befestigt wird, sondern sind quasi Teil der Sitzschale selbst.
Entsprechend haben die Seitenwangen selbst Kontakt zu dem im Kindersitz sitzenden Kind. Sie sind daher auch nicht geeignet, etwaige „Seitenkräfte am Körper des Kindes vorbei in die Sitzschale einzuleiten“. Eine entsprechende Zielrichtung ist auch nicht Gegenstand der Aufgabenstellung der Entgegenhaltungen. Zum Schutz des im Kindersitz sitzenden Kindes sehen es die Entgegenhaltungen gemäß Abs. [0017] und [0019] der EP’926 bzw. Abs. [0035] der EP’120 als besonderen Vorteil an, dass die Seitenelemente in Kontakt mit den Schultern des Kindes gebracht werden können.
Die Verstellbarkeit der Seitenelemente dient zudem gemäß Abs. [0007] der EP’926 und Abs. [0029] der EP’120 jeweils dazu, den Sitz der Größe des Kindes entsprechend anpassen zu können. Die EP’926 unterscheidet sich dabei insofern von der EP’120, als die Seitenelemente nicht mit der Kopfstütze verbunden sind, was, wie sich insbesondere auch aus Abs. [0005] der EP’926 ergibt, von der Entgegenhaltung als unter Designgesichtspunkten vorteilhaft angesehen wird, da so der designtechnische Spielraum im Vergleich zum Stand der Technik vergrößert werde.
Im Ergebnis offenbaren die EP’926 und EP’120 demnach insbesondere nicht die Merkmale „Ruhe- und Funktionsstellung“ und den gebrauchsmustergemäßen Seitenaufprallschutz, der so positioniert ist, dass er „etwaige Seitenkräfte hinter dem Rücken eines im Kindersitz sitzenden Kindes vorbei überträgt und in die Sitzschale einleitet“.
2. Gleiches gilt im Ergebnis für die von den Beklagten im Rahmen des Löschungsverfahrens vor dem Deutschen Patent- und Markenamt benannte Entgegenhaltung US’5.645.317 (US’317). Gemäß deren Spalte 2, Zeilen 6-16, dienen die hier als „head guards“ bezeichneten Seitenelemente dazu, das Kind situationsgerecht fixieren zu können. Als Vorteil wird es insoweit angesehen, dass eine festere Fixierung insbesondere dann erfolgen könne, wenn das Kind schlafe, während die Beweglichkeit der Seitenelemente es erlaube, dem Kind im Wachzustand mehr Bewegungsspielraum zu geben.
3. Auch die EP’303 nimmt den Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters nicht neuheitsschädlich vorweg.
Zwar offenbart Figur 6 ein Seitenaufprallschutzelement in Form eines energieabsorbierenden Elements, das, um in eine Funktionsstellung gebracht zu werden, ausgeklappt werden muss. Allerdings ist das dortige Seitenelement am Tragegriff des Kindersitzes angebracht und nicht wie nach der Lehre des Klagegebrauchsmusters vorgesehen, im Rückenabschnitt der äußeren Seitenfläche. Ebenso fehlt eine Offenbarung der Anordnung des Seitenelements rückwärtig der Rückenanlagefläche.
Die Argumentation der Beklagten, wonach der Fachmann eine dem Klagegebrauchsmuster entsprechende Anordnung des Seitenelements der Beschreibung gemäß Abs. [0038] entnehme, verfängt nicht. Abs. [0038] verweist unter Bezugnahme auf die Figur 3 darauf, dass das energieabsorbierende Element auch in der Verlängerung des Seitenarmes des Tragegriffs oder im unteren Bereich der Sitzschale angebracht werden kann:
Ziffer 13 der vorstehend eingeblendeten Figur 3 bezeichnet aber den Bereich unterhalb der Sitzfläche eines in dem Kindersitz befindlichen Kindes. Eine Anbringung im Rückenabschnitt rückwärtig der Rückenanlagefläche des Kindes ist dagegen nicht offenbart.
4. Die von den Beklagten benannte Entgegenhaltung US’913 steht dem Klagegebrauchsmuster ebenfalls nicht neuheitsschädlich entgegen.
Zwar mögen die Figuren 3a – 3e eine Ruhe- und Funktionsstellung offenbaren; denn im eingeklappten Zustand befinden sich die in der Druckschrift offenbarten „energy absorbing members“ innerhalb der Hüllkurve des Sitzes und im ausgeklappten bzw. aufgeblasenen Zustand außerhalb der Hüllkurve:
Allerdings offenbaren diese „energy absorbing members“ ebenfalls nicht den gebrauchsmustergemäßen Seitenaufprallschutz – denn sie sind nicht so konstruiert, dass sie „etwaige Seitenkräfte hinter dem Rücken eines im Kindersitz sitzenden Kindes vorbei übertragen und in die Sitzschale einleiten“. Im Gegensatz zu der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters erfolgt das Ausklappen der „energy absorbing members“ auch gerade in Richtung der Vorderseite des Kindersitzes (Abs. [0037]). Ihrem technischen Sinn und Zweck nach dienen die von der EP’913 offenbarten „energy absorbing members“ folglich als Knautschzone, die den Schritten wie dargestellt in Figuren 3a bis 3d entsprechend mit Luft befüllt werden, um auf diesem Weg mögliche Kollisionskräfte im Falle eines Seitencrashs zu absorbieren.
5. Auch die Entgegenhaltung US’436 nimmt die technische Lehre des Klagegebrauchsmusters nicht in neuheitsschädlicher Weise vorweg.
Die hierzu in der mündlichen Verhandlung vom 16.09.2020 von der Klägerin eingereichte Widerspruchsbegründung vom 08.07.2019 war dabei nach Meinung der Kammer nicht als verspätet zurückzuweisen. Soweit der Vortrag aus der Widerspruchsbegründung für das vorliegende Verfahren relevant ist (Rn. 52 bis Rn. 64), enthalten die Ausführungen ausschließlich Rechtsausführungen. Neuer Sachvortrag ist insoweit nicht erfolgt. Die Beklagte zu 2) war zudem selbst Beteiligte des entsprechenden Löschungsverfahrens vor dem DPMA betreffend das parallele Gebrauchsmuster DE20 2013 012 588, so dass der Vortrag ohnehin bereits inhaltlich bekannt war. Auch vor diesem Hintergrund erschien der Kammer eine Zurückweisung wegen Verspätung nicht angezeigt.
In der Sache offenbart die Entgegenhaltung US’436 ähnlich wie die Entgegenhaltungen EP’926 und EP’120 zwar Seitenelemente, die aber letztlich gerade die äußere Hüllkurve des Sitzes bestimmen. Auch bei der US’436 geht es zudem darum, den Aufnahmeraum für das im Kindersitz sitzende Kind enger oder breiter zu gestalten. Dies wird in der US’436 dadurch erreicht, dass die als „armrests“ („Armlehnen“) bezeichneten Seitenelemente an- und ausgeklappt werden können. Der Lehre des Klagegebrauchsmusters entsprechende Seitenaufprallschutzelemente sind aus der US’436 für den angesprochenen Fachmann dagegen nicht ersichtlich.
6. Die übrigen von den Beklagten darüber hinaus insbesondere auch im Rahmen des vor dem Deutschen Patent- und Markenamtes weiteren angeführten Entgegenhaltungen befinden sich noch weiter vom Gegenstand des Klagegebrauchsmusters entfernt. Auch sie nehmen Anspruch 1 nicht neuheitsschädlich vorweg. Dies gilt insbesondere für die Entgegenhaltungen DE 10 2008 043 617, DE 198 14 920 A1, DE 199 52 777 C1 und EP 0 470 413, die allesamt in die Kraftfahrzeugsitze selbst implementierte Seitenaufprallschutzmechanismen vorsehen.
7. Soweit die Beklagten anführen, es sei von fehlender Neuheit auszugehen, weil das EPA im Einspruchsverfahren des Stammpatents EP’455 davon ausgeht, dass die Entgegenhaltungen EP’926 und US’317 den Gegenstand des Anspruchs 1 des EP’455 neuheitsschädlich vorwegnehmen, war dem nicht zu folgen.
Zunächst ist das Klagegebrauchsmuster, das ein deutsches Schutzrecht ist, vom Bestand des europäischen Stammpatents EP’455 unabhängig. Darum fällt insbesondere auch ins Gewicht, dass das DPMA in seinem Zwischenbescheid vom 02.04.2020 im Rahmen des Löschungsverfahrens von einer Neuheit und erfinderischen Tätigkeit ausgeht – obwohl ihm die Entgegenhaltungen des Einspruchsverfahrens beim EPA, die EP’926 und EP’317, ebenfalls vorlagen (Anlage B 61).
Es liegen also zwei widersprüchliche Stellungnahmen fachkundiger Stellen vor – die Mitteilung der Löschungsabteilung des DPMA, die von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit ausgeht, und die Vorabmitteilungen der Einspruchsabteilung des EPA, die von fehlender Neuheit und erfinderischer Tätigkeit ausgeht.
Zur Überzeugung der Kammer setzt sich das EPA in seiner Preliminary Opinion nicht ausreichend mit den Merkmalen des Stammpatents auseinander. Es stellt fest, dass den Bezeichnungen „Ruhestellung“ und „Funktionsstellung“ keine technische Bedeutung beigemessen werden kann, außer dass die Seitenelemente von einer engeren Stellung in eine außerhalb derselben gelegenen Stellung (und umgekehrt) bringbar sein müssen. Das EPA übergeht hier vollständig, dass das Stammpatent in diesem Zusammenhang in der Beschreibung auf die „Hüllkurve“ des Sitzes eingeht. Das Stammpatent – und auch das Klagegebrauchsmuster – definieren gerade einen Seitenaufprallschutz, der im ausgeklappten Zustand außerhalb dieser Hüllkurve liegt. Sie definieren keinen Seitenaufprallschutz, der in ausgeklappten Zustand die Hüllkurve erweitert. Patent- bzw. gebrauchsmustergemäß ändert sich die Sitzschale bzw. der Sitzbereich des Kindes durch den Wechsel von der Ruhe- in die Funktionsstellung gerade nicht. Dies ist jedoch bei der EP’926 und der US’317 gerade der Fall (s.o.). Sie dienen im Wesentlichen nämlich dazu, den Sitz der Größe des Kindes anzupassen und so gleichsam mitwachsen zu lassen.
Die Kammer hält die seitens des Europäischen Patentamts vertretene Einschätzung vor diesem Hintergrund für unzutreffend. Vielmehr ist aus Sicht der Kammer der vorläufigen Einschätzung des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 02.04.2020 zuzustimmen (vgl. Anlage B 61).
II.
Das Klagegebrauchsmuster nimmt die Priorität des Gebrauchsmusters DE 20 2012 102 471 wirksam in Anspruch.
1. Eine unzureichende Offenbarung auf Grundlage der Anmeldung EP’630, aus der das Klagegebrauchsmuster abgezweigt wurde, liegt nicht vor. Die technische Lehre des Klagegebrauchsmusters basiert auf derselben Erfindung wie das Patent EP’630.
Gemäß § 5 Abs. 1 GebrMG kann ein für die Patentanmeldung beanspruchtes Prioritätsrecht für die Gebrauchsmusteranmeldung beanspruchen, wenn der Anmelder mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für dieselbe Erfindung bereits früher ein Patent nachgesucht hat. Dabei ist nicht im Sinne einer engen, wortlautverhafteten Auslegung davon auszugehen, dass es sich bei einer abgezweigten Gebrauchsmusteranmeldung nur dann um dieselbe Erfindung handelt, wenn diese wortgleich mit der zu Grunde liegenden Patentanmeldung ist. Ein solch enges Verständnis würde gerade mit Blick auf fremdsprachliche Patentanmeldungen schon an der tatsächlichen Praktikabilität scheitern, da Gebrauchsmusteranmeldungen gemäß § 21 Abs. 1 GebrMG i.V.m. § 126 PatG in deutscher Sprache einzureichen sind. Ungeachtet dessen würde ein rein wortlautbasiertes Verständnis aber dem dem Gebrauchsmuster- und Patentrecht zu Grunde liegenden, einheitlichen Offenbarungsbegriff nicht gerecht. Richtigerweise ist daher auf eine inhaltliche und nicht auf die wörtliche Übereinstimmung abzustellen. Entscheidend ist folglich, welche technische Lehre der durchschnittliche Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens den Schutzansprüchen unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnung ohne besondere Überlegung entnimmt (BPatG, GRUR 1995, 486, 487 – Scheibenzusammenbau).
Vor diesem Hintergrund kann der Argumentation der Beklagten, wonach die geltend gemachte Anspruchskombination wegen der in Merkmal 14 der Klage vom 18.04.2019 bzw. Merkmal 4 der Klageerweiterung vom 20.12.2019 vorausgesetzten Drehbarkeit die Anmeldung EP’630 erweitere, da diese nur in einem Satz erwähnt werde, nicht beigetreten werden. Über den von der Beklagten insoweit in Bezug genommenen Abs. [0029] hinaus offenbart schon die auf Seite 1 der EP’630 abgebildete Figur 1, dass ein anspruchsgemäß ausgestalteter Kindersitz sowohl in als auch entgegen der Fahrtrichtung in einem Kraftfahrzeug montiert werden kann. Dem Fachmann erschließt sich daher auf Basis der EP’630 geradezu auf den ersten Blick, dass eine im vorgenannten Sinne drehbare Ausgestaltung anspruchsgemäßer Kindersitze Teil der technischen Lehre der der EP’630 zu Grunde liegenden Erfindung ist.
2. Eine unzureichende Offenbarung ist überdies auch nicht mit Blick auf die Prioritätsanmeldung DE 20 2012 102 471 gegeben. Mit der Klageerweiterung vom 20.12.2019 hat die Klägerin das Klagegebrauchsmuster dahingehend in einer eingeschränkten Anspruchsfassung geltend gemacht, dass entsprechend dem zusätzlich aufgenommenen Merkmal M2.1.1 das Seitenelement in Funktionsstellung mittels eines Arretiermechanismus arretierbar sein müsse. Der darauf basierte Einwand der unzureichenden Offenbarung ist aber bereits aus dem Grund nicht gerechtfertigt, weil die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 16.09.2020 das Klagegebrauchsmuster ausschließlich in der ursprünglichen, unbeschränkten Anspruchsfassung geltend gemacht hat.
III.
Auch die von den Beklagten geltend gemachte neuheitsschädliche offenkundigen Vorbenutzung im Inland durch die HTS BeSafe iZi Kindersitze und Britax Baby Safe Plus II liegt nicht vor.
1. Bei dem Kindersitz Britax Baby Safe Plus II handelt es sich um die Umsetzung der EP’303. Wie bereits ausgeführt ist hierdurch die technische Lehre des Klagegebrauchsmusters nicht vorweggenommen (vgl. oben Ziff. B.I.3.).
2. Gleiches gilt letztlich für die in dem Löschungsantrag vom 08.09.2020 weiter benannte, vermeintlich neuheitsschädlich vorbenutzte Babyschale Aton 2 (Anlage B 70, S. 15, 67 ff.), bei der es sich ebenfalls im Wesentlichen um eine Umsetzung der aus der Druckschrift EP’303 bekannten erfinderischen Idee handelt. Auch hier ist insbesondere das dem Klagegebrauchsmuster entsprechende Seitenteil nicht offenbart.
Die Babyschale Aton 2 sieht ein an dem Tragegriff angebrachtes, ausklappbares Seitenelement vor. Aus dem auf S. 15 der Anlage B 70 von der Beklagten zitierten Video ist indes ersichtlich, dass sich das Seitenelement weder an der äußeren Seitenfläche der Sitzschale, noch in einer Position befindet, die es geeignet erscheinen lässt, Seitenkräfte gezielt hinter dem Rücken des Kindes vorbei in die Sitzschale einzuleiten.
3. Darüber hinaus nehmen auch die HTS BeSafe iZi Kindersitze die technische Lehre des Klagegebrauchsmusters nicht vorweg.
In rechtlicher Hinsicht ist eine neuheitsschädliche Vorbenutzung nur dann anzunehmen, wenn die aus der Vorbenutzung ersichtliche Lehre mit der des späteren Schutzrechtes übereinstimmt. Zentrale Voraussetzung einer jeden Vorbenutzung ist dabei, dass die Benutzung den Erfindungsgedanken erkennbar werden lässt (vgl. Schulte, Patentgesetz, 10. Aufl. 2017, § 3 PatG, Rn. 20 m.w.N.; Benkard, Patentgesetz, 11. Aufl. 2015, § 3 PatG, Rn. 125). Ein hinreichend sachkundiger Betrachter muss daher aus der Vorbenutzung die benutzte technische Lehre erkennen und verstehen können. Das wiederum setzt die Möglichkeit einer Kenntnisnahme voraus, die dem Fachmann auch diese Informationen vermittelt. An einer Offenkundigkeit fehlt es daher, wenn bei der jeweils möglichen Betrachtung die erfindungswesentlichen Merkmale nicht augenfällig und der mit ihnen erfolgte Zweck nicht ersichtlich werden (BGH, GRUR 1997, 892, 896 – Leiterplattennutzen; Benkard, Patentgesetz, 11. Aufl. 2015, § 3 GebrMG, Rn. 11 m.w.N.).
Vor diesem Hintergrund kann eine Vorbenutzung im vorliegenden Fall nicht angenommen werden. Eine offenkundige Vorbenutzung scheitert bereits daran, dass die von den Beklagten vorgebrachten „Gurtstrafferklappen“ ihre Funktion nur in eingeklapptem Zustand erfüllen – sie werden nur zum Einlegen des Gurtes aufgeklappt. Die von den Beklagten behauptete objektive Eignung als Seitenaufprallschutz mit einer Funktionsstellung ist aber nur gegeben, wenn die „Gurtstrafferklappen“ entgegen der Intention nicht eingeklappt werden. Daher lässt diese funktionswidrige Benutzung bereits den Erfindungsgedanken des Klagegebrauchsmusters nicht erkennbar werden.
Entgegen der Beklagten kann auch der Entscheidung des BGH in Sachen Rangierkatze (BGH GRUR 2006, 399) nicht entnommen werden, dass funktionswidrige Nutzungen eine neuheitsschädliche Vorbenutzung begründen können. Der BGH hat hier entschieden, dass eine Patentverletzung auch dann bejaht werden kann, wenn eine Vorrichtung normalerweise anders bedient wird und die Abnehmer deshalb von der patentverletzenden Lehre regelmäßig keinen Gebrauch machen. Zu der Frage einer funktionswidrigen und dennoch vermeintlich neuheitsschädlichen Vorbenutzung verhält sich die Entscheidung nicht.
Im Übrigen läge allenfalls eine zufällige Offenbarung vor, da die Lösung durch den entgegengehaltenen Kindersitz die Aufgabe des Klagegebrauchsmusters nur zufällig löst. Diese Lösung – dass die „Gurtstrafferklappen“ möglicherweise auch als Seitenaufprallschutz geeignet sind – ergibt sich für den Fachmann aber erst ex post. Ohne Kenntnis der klagegebrauchsmustermäßigen Lösung hätte der Fachmann der Vorbenutzung keine entsprechende Gebrauchsmöglichkeit entnommen (vgl. Schulte, Patentgesetz, 10. Aufl. 2017, § 3 PatG, Rn. 110). Auch aus diesem Grund ist die Vorbenutzung nicht neuheitsschädlich.
Eine hiervon abweichende Beurteilung ist auch nicht auf Basis des von der Beklagten vorgelegten Gutachtens des Sachverständigen Dr. J. gerechtfertigt (Anlagen QE 34 und QE 35). Ungeachtet der Frage, ob der von dem Sachverständigen im Rahmen eines nach einem ADAC-Testverfahren durchgeführten Crashtest bestätigt, dass die Gurtstrafferklappen der HTS BeSafe iZi Kindersitze geeignet sind, Seitenaufprallkräfte an einem Kind vorbei durch den Rückenabschnitt der Sitzschale zu leiten (so Seite 12 des Gutachtens vom 07.10.2019, Anlage QE 35), kann eine offenkundige Vorbenutzung daraus jedenfalls nicht hergeleitet werden. Der Test wurde mit geöffneten und damit funktionswidrig eingesetzten Gurtstrafferklappen durchgeführt. Aus der funktionsgerechten, d.h. mit geschlossenen Gurtstrafferklappen erfolgenden Benutzung ist aber – wie bereits ausgeführt – die technische Lehre des Klagegebrauchsmusters gerade nicht erkennbar.
Dazu kommt, dass in dem Test gezielt eine Situation simuliert wurde, wie sie sich in der tatsächlichen Nutzung allenfalls in Ausnahmekonstellationen ergibt. So findet sich in dem von den Beklagten vorgelegten Gutachten unter dessen Ziffer 3 der Hinweis, dass zu berücksichtigen sei, „dass die Höhe der Gurtklappen in der Regel über der unteren Fensterkante liegt, und das Glas beim Seitenaufprall entweder vor Kontakt des Kindersitzes bereits zerspringt oder das Glas weiter nach außen versetzt ist“. Daher musste das ADAC-Testverfahren von den Beklagten gezielt abgeändert werden, indem die starre Türe in der Höhe verlängert wurde, damit es im Rahmen des Carshtests überhaupt zu einem Kontakt zwischen Gurtstrafferklappen und Fahrzeugtüre kam (S. 2 der Anlage QE 34).
Die Situation, dass sich die Gurtklappen im Falle eines Seitencrashs an der Fahrzeuginnenwand abstützen, entspricht daher nicht nur einer funktionswidrigen Benutzung, sondern ist zudem überhaupt nur in Sonderkonstellationen möglich (etwa in bestimmten Positionen bei längsverstellbaren Fahrzeugsitzen oder in der 2. Sitzreihe bei Großraumkombis). Die Tatsache, dass eine Situation, in der eine Kontaktbildung zwischen geöffneter Gurtstrafferklappe und Fahrzeuginnenwand im Falle eines Seitencrashs erfolgt, nicht nur einer funktionswidrigen Verwendung entspricht, sondern auch auf Sonderkonstellationen beschränkt ist, bestätigt weiter, dass sich aus den HTS BeSafe iZi Kindersitzen eine neuheitsschädliche Vorbenutzung gerade nicht ergibt, sondern sich eine der Lehre des Klagegebrauchsmusters entsprechende Verwendbarkeit erst ex post in Kenntnis des Klagegebrauchsmusters ergibt. Dies wird dadurch belegt, dass die Testkonditionen gezielt mit Blick auf die dem Klagegebrauchsmuster zu Grunde liegende Funktionalität angepasst werden mussten. Damit stellt sich die Argumentation der Beklagten aber nach Überzeugung der Kammer unzweifelhaft als Ausdruck einer rein rückschauenden Betrachtung dar.
IV.
Das Klagegebrauchsmuster beruht auf einem erfinderischen Schritt im Sinne von § 1 Abs. 1 GebrMG. In rechtlicher Hinsicht ist das Vorliegen des nach § 1 Abs. 1 GebrMG erfinderischen Schritts dabei im Grundsatz nach den zum Patentrecht entwickelten Grundsätzen zu beurteilen. Insbesondere ist nicht an eine qualitativ geringere erfinderische Leistung als im Patentrecht anzuknüpfen (BGH, GRUR 2006, 3208, 3210 – Demonstrationsschrank). Entscheidend ist folglich, ob sich die technische Lehre des Klagegebrauchsmusters nicht in für den relevanten Fachmann naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Aus den vorliegend von den Beklagten vorgelegten Entgegenhaltungen ergibt sich die technische Lehre des Klagegebrauchsmusters gerade nicht in einer für den relevanten Fachmann naheliegenden Weise.
1. Entgegen der vorläufigen Meinung des Europäischen Patentamts im Einspruchsverfahren betreffend das Patent EP’455 ist als nächstliegendem Stand der Technik von der Entgegenhaltung EP’303 auszugehen. Dem haben sich auch die Beklagten zuletzt angeschlossen.
2. Allerdings kann der Argumentation der Beklagten nicht beigetreten werden, nach der sich dem Fachmann die Lehre des Klagegebrauchsmusters in naheliegender Weise aus einer Kombination der Entgegenhaltungen EP’303 und EP’752 erschließen soll. Eine entsprechende Kombination ergibt sich letztlich nur auf Basis einer rückschauenden Betrachtung.
Aus der EP’303 weiß der Fachmann zwar, dass ein ausklappbares Seitenelement zu Seitenaufprallschutzelementen im Bereich des Tragegriffs einer Babyschale oder unterhalb der Sitzfläche angebracht werden kann. Allerdings hat der Fachmann ausgehend von der EP’303 keinerlei Anlass, das Seitenelement in rückwärtig der Rückenanlagefläche im Bereich des äußeren Rückenabschnitts anzubringen. Eine Einbeziehung der EP’752 lag aus der maßgeblichen ex ante Sicht des angesprochenen Fachmanns im Prioritätszeitpunkt fern. Dafür spricht zunächst schon, dass die Seitenaufprallschutzwirkung der EP’752 auf einer völlig anderen technischen Wirkweise basiert. Bei der EP’752 geht es darum, dass aus entsprechend geeignetem, absorbierendem Material gefertigte Dämmelemente an dem seitlichen Rahmen einer Babyschale angebracht werden. Insbesondere aber lehrt die Offenbarung der EP’303 in eine gegenteilige Richtung, so dass der Fachmann keinen Anlass erkennt, die EP’752 überhaupt in Kombination mit der EP’303 heranzuziehen. Gemäß deren Abs. [0030] liegt der wesentliche erfinderische Gedanke insoweit gerade darin, das Seitenaufprallschutzelement möglichst nah an der Stelle anzubringen, über die Aufprallkräfte in eine tragende Struktur wie die Isofix-Verankerung und die Karosserie übertragen werden. Dagegen will das Klagegebrauchsmuster Aufprallkräfte im Falle eines Seitencrashs hinter dem Rücken eines Kindes in die Sitzschale ableiten. Zugleich verfolgt das Klagegebrauchsmuster damit den Zweck, ein Verkippen des Kindersitzes möglichst zu verhindern, um so den Kindersitz in seiner normalen Betriebsposition zu stabilisieren (vgl. Abs. [0017] des Klagegebrauchsmusters). Vor diesem Hintergrund liegt es für den Fachmann letztlich fern, solche technischen Lösungen in Kombination mit der EP’303 zu lesen, die eine Positionierung von Seitenaufprallschutzelementen im oberen, rückwärtigen Bereich von Kindersitzen vorsehen.
3. Nichts anderes gilt im Ergebnis hinsichtlich einer Kombination der EP’303 und US’913. Auch insoweit hat der Fachmann ausgehend von der EP’303 keinen Anlass, die Druckschrift US’913 für eine Fortentwicklung der aus der EP’303 bekannten Lehre heranzuziehen. Ausgehend von der EP’303 hat der Fachmann keinen Anlass, alternative Lösungen zur Anordnung von Seitenaufprallschutzelementen im rückwärtigen, oberen Bereich eines Kindersitzes zu suchen, um Aufprallkräfte hinter dem Rücken des im Kindersitz sitzenden Kindes in die Sitzschale abzuleiten. Die EP’303 weist den Fachmann vielmehr – wie ausgeführt – dahingehend an, Seitenaufprallschutzelemente möglichst in der Nähe der tragenden Struktur eines Kraftfahrzeugs wie einer Isofix-Verankerung oder der Karosserie anzuordnen.
4. Im Ergebnis ist es daher gerade Ausdruck erfinderischen Könnens, dass mit dem Klagegebrauchsmuster ein Seitenaufprallschutz entwickelt wurde, der über den eigentlichen Seitenaufprallschutz hinaus zugleich eine verbesserte Handhabbarkeit (Abs. [0008]) und Stabilisierung des Sitzes in dessen Betriebsposition (Abs. [0017]) ermöglicht. Hierzu bestand für den Fachmann im Prioritätszeitpunkt kein naheliegender Anlass.
V.
Schließlich ist auch der Löschungsgrund der unzulässigen Erweiterung, § 15 Abs. 1 Nr. 3 GebrMG nicht gegeben. Das Argument der Klägerin, dass das Klagegebrauchsmuster in der hier von der Kammer vertretenen Auslegung des Merkmals 2.1 unzulässig erweitert würde, da das entsprechende Merkmal in der Stammanmeldung EP’630 und der diesem wiederum zu Grunde liegenden Anmeldung EP’455 von Seiten des beim Europäischen Patentamtes zuständigen Prüfers beanstandet worden sei, greift nach dem Dafürhalten der Kammer nicht durch.
In rechtlicher Hinsicht gilt insoweit folgender Maßstab: Grundlage der Prüfung, ob der Gegenstand des Gebrauchsmusters über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinausgeht, in der sie ursprünglich eingereicht worden ist, ist die den Anmeldetag begründende Anmeldung, §§ 4, 4a GebrMG, wobei – worauf die Beklagten zu Recht hinweisen – im Falle einer Abzweigung die der Abzweigung zu Grunde liegenden europäischen Patentanmeldungen als Vergleichsmaßstab heranzuziehen sind (Loth/Stock, Gebrauchsmustergesetz, 2. Auflage 2017, § 15 Rn. 60).
Vor diesem Hintergrund ist eine unzulässige Erweiterung aber gerade nicht zu erkennen. Vielmehr enthalten sowohl die Stammanmeldung EP’630 als auch die Anmeldung EP’455 das Merkmal 2.1 in der auch von dem Klagegebrauchsmuster beanspruchten Fassung. Dass die Erteilung der Stammanmeldung EP’630 letztlich mit einem eingeschränkten Wortlaut erfolgt ist, ist aber mit Blick auf die Frage der im Rahmen der Prüfung einer unzulässigen Erweiterung allein maßgeblichen Frage danach, ob das Klagegebrauchsmuster den Schutzbereich über den Gegenstand der ursprünglichen Anmeldung hinaus erweitert, ohne Belang.
C.
Die von den Beklagten erhobene Zwischenfeststellungswiderklage ist zulässig, aber unbegründet.
1. Insbesondere ist der Zwischenfeststellungswiderklage nicht bereits deswegen stattzugeben, weil die Klägerin ihren schriftsätzlich (Bl. 459 d. Akte) vorgetragenen Abweisungsantrag in der mündlichen Verhandlung nicht ausdrücklich wiederholt hat.
Indem die Klägerin ausdrücklich die Verurteilung der Beklagten wegen Verletzung des Klagegebrauchsmusters beantragt hat, hat sie unmissverständlich und zumindest konkludent die Abweisung der Zwischenfeststellungswiderklage beantragt. Der Rechtsbestand des Klagegebrauchsmusters ist conditio sine qua non der von der Klägerin ausdrücklich gestellten Anträge. In dem Antrag auf Verurteilung wegen Gebrauchsmusterverletzung ist der Antrag auf Abweisung einer eventuellen auf Feststellung der fehlenden Rechtsbeständigkeit eben dieses Klagegebrauchsmusters gerichteten Zwischenfeststellungswiderklage daher zugleich mit enthalten.
2. Soweit die Klägerin darüber hinaus meint, dass die Klage bereits unzulässig sei, kann dem gleichfalls nicht gefolgt werden. Bei dem Rechtsbestand eines Gebrauchsmusters handelt es sich entgegen der Klägerin um ein Rechtsverhältnis. Rechtsverhältnis ist die aus einem vorgetragenen Sachverhalt abgeleitete rechtliche Beziehung einer Person zu einer anderen oder zu einem Gegenstand (Thomas/Putzo, 41. Aufl., § 256 ZPO, Rn. 5). Dies ist für absolute Rechte wie das Sacheigentum und Rechte des gewerblichen Rechtsschutzes anerkannt (Saenger, Zivilprozessordnung, 8. Aufl., § 256 Rn. 4 und 4.1).
Ungeachtet dessen, ob die Klägerin eine eingetragene oder nicht eingetragene Anspruchsfassung des Klagegebrauchsmusters geltend macht, handelt es sich bei dessen Bestandskraft um eine für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits vorgreifliche Rechtsfrage i.S.d. § 256 Abs. 2 ZPO.
Darüber hinaus hat die Kammer entgegen dem Vorbringen der Klägerin auch unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses keine Zweifel an der Zulässigkeit einer auf Feststellung der Rechtsbeständigkeit des Klagegebrauchsmusters gerichteten Zwischenfeststellungswiderklage. Dies folgt nach Ansicht der Kammer bereits aus der den Verletzungsgerichten in Gebrauchsmusterstreitverfahren obliegenden, selbständigen Prüfungspflicht (Zöllner in Cepl/Voß, 2. Aufl. 2018, § 33 ZPO Rn. 44).
3. In der Sache ist die von den Beklagten erhobene Zwischenfeststellungswiderklage aber nicht begründet. Das Klagegebrauchsmuster ist rechtsbeständig. Löschungsgründe sind nicht gegeben (vgl. oben Ziff. B.).
D.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, da der wie beantragte Auskunfts- und Rechnungslegungszeitraum lediglich geringfügig zu lang bemessen war.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO. Die Sicherheitsleistung für Ziffer 1. des Tenors (Unterlassung) war nach § 709 S. 1 ZPO mit 150.000,00 EUR festzusetzen, für die Ziffern 2., 3., 4 mit jeweils 25.000,00 EUR und 5. des Tenors mit 50.000,00 EUR.


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