Europarecht

Rechtswidrige Asylverfahrenseinstellung wegen fehlerhafter Zustellung

Aktenzeichen  M 19 K 17.30257

Datum:
29.8.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 47059
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 33 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 4
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
ZPO § 181 Abs. 1 S. 1, S. 3

 

Leitsatz

1. Die Übergabe der Mitteilung an die Poststelle einer Einrichtung, die die Bewohner dann (mutmaßlich) über einen Anschlag vom Posteingang informiert, genügt nicht den Anforderungen an ein „Abgeben“ im Sinne von § 181 Abs. 1 S. 3 ZPO, da die Mitteilung nicht in den Einflussbereich des Asylbewerbers verbracht wird, sondern im Gegenteil von diesem abzuholen ist. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Belehrung nach § 33 Abs. 4 AsylG hat, auch wenn dies ausdrücklich nicht normiert ist, in einer Sprache zu erfolgen, die dem Betroffenen verständlich ist. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 30. Dezember 2016 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit kann im Wege des Gerichtsbescheids entschieden werden, da die Sache keine rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten aufweist und die Beteiligten hierzu angehört worden sind (§ 84 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Die Klage ist zulässig und begründet. Der angegriffene Verwaltungsakt ist rechtswidrig und verletzt damit den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Klage ist zulässig, insbesondere besteht ein Rechtsschutzbedürfnis. Der Kläger hat keine einfachere und effektivere Möglichkeit zur Realisierung seines Rechtsschutzes. Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens beim Bundesamt gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 AsylG stellt keine solche Möglichkeit dar (so auch VG Augsburg, B.v. 27.6.2016 – Au 6 S 16.30700 – juris; VG Chemnitz, U.v. 22.9.2016 – 4 K 780/16.A – juris; VG Berlin, B.v. 19.8.2016 – 6 L 417.16 A – juris).
Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte hat das Asylverfahren zu Unrecht eingestellt und damit den Kläger in seinen Rechten verletzt.
Nach § 33 Abs. 1 AsylG gilt der Asylantrag als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG wird vermutet, dass der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wenn er einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist und er nicht unverzüglich nachweist, dass das jeweilige Versäumnis auf Umstände zurückzuführen ist, auf die er keinen Einfluss hatte.
Die gesetzliche Vermutung des Nichtbetreibens des Verfahrens aufgrund Nichterscheinens zur Anhörung als Grundlage der Rücknahmefiktion setzt voraus, dass der Kläger zur Anhörung aufgefordert worden ist. Daran fehlt es hier bereits, da dem Kläger eine Ladung zur persönlichen Anhörung nicht wirksam zugestellt wurde.
Da sich das Bundesamt entschieden hat, den Bescheid förmlich zuzustellen, sind gemäß § 41 Abs. 5 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) für die „Bekanntgabe“ des Bescheids die Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) maßgebend. Für die Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde gelten nach § 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG die §§ 177 bis 182 Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend.
Hier wurde die Ladung vom 23. November 2016 ausweislich der Postzustellungsurkunde am 25. November 2017 bei einer von der Post hierfür bestimmten Stelle niedergelegt, nachdem – wie in der Zustellungsurkunde vermerkt ist – das Schriftstück dem Adressaten nicht habe übergeben werden können und auch die Einlegung in einen Briefkasten (die für Gemeinschaftsunterkünfte ohnehin nicht vorgesehen ist, vgl. VG Bayreuth, U.v. 5.6.2018 – 7 K 17.32410 – BeckRS 2018, 24071 Rn. 25; VG München, B.v. 10.7.2017 – 10 S 17.40312 – BeckRS 2017, 121314 Rn. 16) bzw. die Ersatzzustellung in der Gemeinschaftseinrichtung nicht möglich gewesen sei (§ 10 Abs. 5 AsylG, § 3 Abs. 2 Satz 2 VwZG, § 181 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Die Niederlegung erfolgte vorliegend im Postbank Finanzcenter, P.-Straße 6, in München. Ferner wurde auf der Urkunde angekreuzt: „Die schriftliche Mitteilung wurde in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben, nämlich“. Das Freitextfeld, in dem die Art der Abgabe bezeichnet werden soll, enthielt die handschriftliche Eintragung des Postbediensteten „mitarbeiter der Post Stelle“ (gemeint ist damit offenkundig die Poststelle der Gemeinschaftseinrichtung).
Hierin liegt keine ordnungsgemäße (Ersatz-)Zustellung, weil die Niederlegung dem Kläger nicht in einer den Anforderungen des § 181 Abs. 1 Satz 3 ZPO entsprechenden Weise mitgeteilt wurde.
Nach dieser Bestimmung ist über die Niederlegung eine schriftliche Mitteilung auf dem vorgesehenen Formular unter der Anschrift der Person, der zugestellt werden soll, in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abzugeben oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Tür der Wohnung, des Geschäftsraums oder der Gemeinschaftseinrichtung anzuheften.
Vorliegend hat der Postbedienstete die Mitteilung weder an die Tür der Räumlichkeiten des Klägers angeheftet noch „unter der Anschrift der Person, der zugestellt werden soll, in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgegeben“. Er hat die Mitteilung vielmehr ausweislich der Postzustellungsurkunde bei der Poststelle (der Gemeinschaftseinrichtung) abgegeben. Dieses Vorgehen genügt nicht den Anforderungen des § 181 Abs. 1 Satz 3 ZPO. Es fehlt vorliegend am Umstand des „Abgebens“ im Sinne von § 181 Abs. 1 Satz 3 ZPO. Aus der Formulierung „abzugeben“, die an den Normalfall der Übermittlung durch Überbringen der Sendung in das Haus des Empfängers anknüpft und im Gegensatz zur Selbstabholung steht, ist zu folgern, dass der Gesetzgeber die zulässigen Arten der Übermittlung auf solche im Wohnhaus des Adressaten einschränkt. Dies wird bestätigt durch die in § 181 Abs. 1 Satz 3 ZPO erwähnte besondere Übermittlungsart des Anheftens an der Wohnungstür, die gleichfalls einen engen räumlichen Bezug zur Wohnung des Adressaten aufweist. Daraus folgt, dass die Hinterlegung der Mitteilung über eine Niederlegung, die einen solchen Zusammenhang mit der Wohnung nicht aufweist, nicht mehr durch § 181 Abs. 1 Satz 3 ZPO gedeckt ist (VG Minden, B.v. 20.3.2015 – 10 L 117/15.A – juris Rn. 19 ff.).
Damit genügt die Übergabe der Mitteilung an die Poststelle der Einrichtung, die die Bewohner dann (mutmaßlich) über einen Anschlag vom Posteingang informiert, nicht den Anforderungen an ein „Abgeben“ im Sinne von § 181 Abs. 1 Satz 3 ZPO, da die Mitteilung nicht in den Einflussbereich des Asylbewerbers verbracht wird, sondern im Gegenteil von diesem abzuholen ist (vgl. VG München, U.v. 22.2.2017 – M 19 K 16.33118).
Wegen dieses Verstoßes gilt die Ladung nicht mit der Abgabe der schriftlichen Mitteilung am 25. November 2016 als zugestellt (§ 181 Abs. 1 Satz 4 ZPO).
Folglich ist die Verfahrenseinstellung nicht rechtmäßig.
Überdies ist die Belehrung nach § 33 Abs. 4 AsylG nicht ordnungsgemäß erfolgt. Die Belehrung hat, auch wenn dies ausdrücklich nicht normiert ist, in einer Sprache zu erfolgen, die dem Betroffenen verständlich ist (vgl. VG München, B.v. 21. Juli 2017 – M 21 S 17.35568 – juris Rn. 20), jedenfalls dann, wenn er in diesem Verfahrensstadium nicht anwaltlich vertreten ist (vgl. BayVGH, B.v. 24.4.2018 – 6 ZB 17.31593 – juris Rn. 5; OVG MV, B.v. 27.3.2017 – 1 LZ 92/17 – juris Rn. 14; VG Hannover Beschluss vom 21.11.2018 – 1 B 6754/18 – Rn. 11 für den Fall der Belehrung im Ladungsschreiben). Der allgemeine Hinweis auf die Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung in der Belehrung für Erstantragsteller über Mitwirkungspflichten und Allgemeine Verfahrenshinweise genügt den beschriebenen Anforderungen nicht. Das Bundesamt verweist auf die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung bzw. der Entscheidung ohne persönliche Anhörung in dem Fall, dass der Antragsteller „ohne vorher“ die „Hinderungsgründe (…) mitgeteilt zu haben“, der Anhörung fern bleibt. Dass § 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG aber eine Widerlegung der Vermutung auch dann vorsieht, wenn der Ausländer unverzüglich, also nach dem versäumten Anhörungstermin, nachweist, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte, erwähnt die Belehrung nicht. Auch aus dem beigefügten Gesetzestext lässt sich dies nicht entnehmen, da die Vorschrift des § 33 Abs. 2 AsylG gerade nicht abgedruckt worden ist.
Dieser Belehrungsfehler ist auch nicht dadurch geheilt worden, dass die Belehrung zu § 33 AsylG in der Ladung zur Anhörung – insoweit – zutreffend ist. Denn diese Ladung ist ausschließlich in deutscher Sprache erfolgt und nicht in einer Sprache, die der Kläger versteht (vgl. zu dieser Anforderung auch für die Ladung VG Arnsberg, Beschluss vom 16. Februar 2017 – 2 L 134/17.A – juris Rn. 17 ff.). Da die Ladung nicht über einen Verfahrensbevollmächtigten erfolgte, kann vom Erfordernis, die Ladung in einer für den Betroffenen geeigneten Sprache zu verfassen, keine Ausnahme zugelassen werden (vgl. insoweit VG Bayreuth, U.v. 1.2.2018 – B 7 K 17.33398 – juris Rn. 25).
Im Ergebnis ist die Verfahrenseinstellung ist rechtwidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 113 ff. Zivilprozessordnung.


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