Europarecht

Schadensersatz, Annahmeverzug, Fahrzeug, Rechtsanwaltskosten, Sittenwidrigkeit, Software, Berichterstattung, Streitwert, Vollstreckung, Schaden, Sicherheitsleistung, Zeitpunkt, Kaufpreis, Zug um Zug, Kosten des Rechtsstreits, juristische Person

Aktenzeichen  43 O 2269/18

Datum:
10.2.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 3484
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Ingolstadt
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 31.926,74 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.02.2019 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi Q3 mit der Fahrzeugidentifikationsnummer xxx.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs Audi Q3 mit der Fahrzeugidentifikationsnummer xxx seit dem 18.12.2018 in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.474,89 € freizustellen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klagepartei 15 Prozent und die Beklagte 85 Prozent zu tragen.
6. Das Urteil ist für die Klagepartei vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags. Die Klagepartei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i. H. v. 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor Vollstreckung Sicherheit i. H. v. 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet. 
Beschluss
Der Streitwert wird auf 37.490,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Ingolstadt ist für die Klage zuständig, da die Beklagte ihren Sitz im Bezirk des Landgerichts Ingolstadt hat.
II.
Die Klage ist teilweise begründet. Der Klagepartei steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 31.926,74 € Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs aus § 826 BGB zu. Weiter besteht ein Anspruch der Klagepartei gegen die Beklagte auf Zahlung von Zinsen auf die Hauptforderung seit Rechtshängigkeit (09.02.2019) sowie Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Im Übrigen war die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die von der Beklagten getroffene unternehmerische Entscheidung, dass der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattete Motor in unterschiedliche Fahrzeugtypen und damit auch in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eingebaut und dieser sodann in Verkehr gebracht wird, war sittenwidrig (vgl. ausführlich OLG Karlsruhe, Urteil vom 18. Juli 2019 – 17 U 160/18). Durch diese Entscheidung ist der Klagepartei kausal ein Schaden entstanden, nämlich der Abschluss des Kaufvertrags über das streitgegenständliche Fahrzeug. Die Beklagte hatte auch im Zeitpunkt ihrer Entscheidung Kenntnis von dem Eintritt eines Schadens, der Kausalität des eigenen Verhaltens für den Eintritt des Schadens und der die Sittenwidrigkeit des Verhaltens begründenden Umstände.
1. Die Entscheidung der Beklagten, dass der hier in Streit stehende Motor EA 189 in das streitgegenständliche Fahrzeug eingebaut und dieses mit der erschlichenen Typgenehmigung in Verkehr gebracht wird, stellt eine sittenwidrige Handlung dar.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Verhalten sittenwidrig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (BGH NJW 2014, 1098).
Das Verhalten der Beklagten ist deshalb als sittenwidrig anzusehen, da als Beweggrund für das Inverkehrbringen der mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Motorsteuerung nur eine angestrebte Kostensenkung und Gewinnmaximierung in Betracht kommt, außerdem die Beklagte die EG-Typengenehmigung für alle mit der Motorsteuerungssoftware ausgestatteten Kfz von den dafür zuständigen Erteilungsbehörden erschlichen hat, ohne dass die materiellen Voraussetzungen dafür vorlagen und zudem den Käufern eines mit einer derart erschlichenen EG-Typengenehmigung versehenen Fahrzeugs die Stilllegung des erworbenen Fahrzeugs droht und das Fahrzeug insoweit auch bemakelt ist. Bei Würdigung dieser Umstände ist das Verhalten der Beklagten als Verstoß gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden zu werten.
Als Beweggrund für das Inverkehrbringen des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Motors kommt vorliegend allein eine angestrebte Kostensenkung und Gewinnmaximierung durch hohe Absatzzahlen in Betracht. Ein anderer Grund ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht ersichtlich und die Beklagte trägt hierzu auch keinen anderen konkreten Grund vor.
Die Beklagte hat die Entscheidung getroffen, die EG-Typengenehmigung für alle mit der Motorsteuerungssoftware ausgestatteten Kfz den dafür zuständigen Erteilungsbehörden zu erschleichen, ohne dass die materiellen Voraussetzungen dafür vorlagen. Das streitgegenständliche Fahrzeug verfügte nicht über eine dauerhaft ungefährdete Betriebserlaubnis, weil die installierte Motorsteuerungssoftware eine Umschaltlogik enthielt, die als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn des Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) 715/2007 zu qualifizieren ist und damit die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung der EG-Typgenehmigung nicht gegeben waren.
Den Käufern eines betroffenen Fahrzeugs droht zunächst ein Schaden in Form der Stilllegung des erworbenen Fahrzeugs und nach Aufspielen des Softwareupdates bleibt zumindest eine Bemakelung des Fahrzeugs: Auch wenn die Beklagte Nachteile des Softwareupdates wie beispielsweise einen höheren Spritverbrauch bestreitet, ist es naheliegend, dass reine Software-Lösungen (ohne Veränderung der Hardware) keine vollkommene Abhilfe bezüglich der erhöhten Abgaswerte bei gleichbleibender Funktionalität des Fahrzeugs schaffen können, da ansonsten für die Beklagte von Anfang an überhaupt kein Grund bestanden hätte, die ursprüngliche Software zu verwenden.
Zwar ist allein ein Handeln mit Gewinnstreben nicht als verwerflich zu beurteilen. Allerdings führen die Tragweite der Entscheidung über den Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung in einem Motortyp, der in einer hohen Zahl von Fahrzeugen verbaut wird, die Ausnutzung des Vertrauens der Käufer in den ordnungsgemäßen Ablauf des öffentlichrechtlichen Genehmigungsverfahrens sowie die in Kauf genommenen drohenden erheblichen Folgen für die Käufer in Form der Stilllegung der erworbenen Fahrzeuge zur Sittenwidrigkeit der Entscheidung der Beklagten im Sinne des § 826 BGB.
2. Der Klagepartei ist durch den Abschluss des Kaufvertrags des streitgegenständlichen Fahrzeugs auch ein Schaden entstanden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist auch bei objektiver Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung eine Verpflichtung zum Schadensersatz in Form der Naturalrestitution gemäß § 249 Abs. 1 BGB gegeben, wenn ein getäuschter Vertragspartner den Vertrag ohne das haftungsauslösende Verhalten, also hier die Ausstattung des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit der oben beschriebenen Software, nicht eingegangen wäre (BGH NJW 1998, 302; BGH NJW-RR 2005, 611; BGH NJW 2005, 1579; BGH NJW 2010, 2506; VersR 2012, 1237). Voraussetzung ist lediglich, dass der Geschädigte die erfolgte Vertragsbindung nicht willkürlich als Schaden ansieht, sondern dass sie sich auch nach der Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls als unvernünftig erweist (BGH NJW 1998, 302; BGH NJW 2005, 1579). Hierfür genügt nach Ansicht des Bundesgerichtshofs, dass die Leistung des anderen Vertragspartners, obwohl objektiv werthaltig, für die Zwecke des geschädigten Kontrahenten nicht vollumfänglich brauchbar ist (BGH NJW-RR 2005, 611; BGH NJW 2005, 1579; VersR 2012, 1237; NJW-RR 2014, 277). Der Schaden besteht dann allein in dem durch das haftungsauslösende Verhalten bewirkten Eingriff in das Recht, über die Verwendung des eigenen Vermögens selbst zu bestimmen (BGH NJW 2010, 2506) und in der Entstehung einer ungewollten Verpflichtung aus diesem Vertragsverhältnis (BGH NJW-RR 2005, 611).
Wendet man diese Grundsätze auf den hier vorliegenden Fall an, kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass ein Fahrzeugerwerber, wie die Klagepartei hier, infolge des der Beklagten zur Last fallenden Fehlverhaltens eine zweckwidrige Vertragsbindung eingegangen ist, die zur Rückabwicklung des Kaufvertrags führt. Hätte die Beklagte offengelegt, dass das in Verkehr gebrachte Fahrzeug mit der oben beschriebenen Software ausgestattet ist, hätte die Klagepartei davon abgesehen, dieses Fahrzeug zu erwerben. Dabei spielt es keine Rolle, welches konkrete Motiv für den einzelnen Erwerber bestimmend ist. Ein Teil der Käufer mag besonderen Wert darauf gelegt haben, im Interesse des Umweltschutzes ein Fahrzeug zu nutzen, das die geltenden Grenzwerte für Abgasemissionen einhält, ein anderer Teil nicht. Aber nach Ansicht des Gerichts waren zumindest alle Erwerber interessiert daran, ein Fahrzeug zu erwerben, dessen Produktion und Inverkehrgabe keinen rechtlichen Bedenken unterlag.
Zudem werden von der Vorschrift des § 826 BGB, die Auffangcharakter hat, ohnehin alle vermögens- und nichtvermögensrechtlichen Beeinträchtigungen umfasst (BeckOGK/Spindler, 1.8.2019, BGB § 826 Rn. 19).
3. Die oben genannte Entscheidung der Beklagten ist auch kausal für den der Klagepartei entstandenen Schaden.
Es ist anerkannt, dass es bei täuschendem bzw. manipulativem Verhalten für die Darlegung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Täuschung und Abgabe der Willenserklärung ausreichend ist, dass der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten und nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung gehabt haben können (vgl. BGH vom 12.05.1995, Az. V ZR 34/94, NJW 1995, 2361). Diese Grundsätze sind nach Ansicht des Gerichts auch auf die hier vorliegende Situation zu übertragen.
Es ist nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass der Käufer ein Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn er von der oben beschriebenen Software gewusst hätte. Denn bei Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung drohen Maßnahmen der zuständigen Behörden bis hin zur Stilllegung. Hauptzweck des Autokaufs ist, wie auch im vorliegenden Fall, grundsätzlich das Führen des Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr.
Daran ändert auch der Grundsatz nichts, dass bei Ansprüchen aus unerlaubten Handlungen die Ersatzpflicht auf solche Schäden beschränkt ist, die in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fallen (Voraussetzung des Schutzzweckzusammenhangs zur Vermeidung einer ausufernden Haftung bei sittenwidrigem Verhalten, vgl. MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, BGB § 826 Rn. 46 ff.). Allerdings war vorliegend bereits die Entscheidung der Beklagten, die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüsteten Motoren des Typs EA 189 in den betroffenen Fahrzeugen zu verbauen sittenwidrig und die entsprechenden Erwerber der Fahrzeuge auch unmittelbar von diesem Verhalten betroffen. Selbst wenn man der Vorschrift des § 27 EG-FGV lediglich einen öffentlichrechtlichen Schutzcharakter zusprechen will, ist dies unschädlich (siehe OLG Karlsruhe,OLG Karlsruhe, Urteil vom 18. Juli 2019 – 17 U 160/18).
4. Auch die subjektiven Voraussetzungen einer Haftung nach § 826 BGB, nämlich Schädigungsvorsatz und Kenntnis der Tatumstände, die das Verhalten sittenwidrig erscheinen lassen, liegen vor. Es ist zwar nicht klar, wer konkret die entsprechenden Entscheidungen bei der Beklagten getroffen hat. Derjenige, der diese getroffen hat, wusste aber sowohl von den oben dargelegten, den Sittenverstoß begründenden Umständen, als auch von den Folgen dieser Entscheidung einschließlich des Schadens für die Erwerber der betroffenen Fahrzeuge.
Dieser Vorsatz ist der Beklagten als Herstellerin des Fahrzeugs über eine entsprechende Anwendung von § 31 BGB zuzurechnen.
Dabei bedarf es nicht explizit einer Zurechnung an die Organe im aktienrechtlichen Sinne. Vielmehr muss im Rahmen der Rechtsprechung zur Repräsentantenhaftung auch denjenigen Personen das deliktische Handeln der Mitarbeiter nach § 31 BGB zugerechnet werden, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame Funktionen zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren. Es kommt nicht entscheidend darauf an, ob diese Personen satzungsgemäß oder (nur) im Rechtsverkehr die juristische Person vertreten, da letztere nicht selbst darüber entscheiden soll (durch die eigene Satzung), für welche Personen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften will (vgl. BGH III ZR 296/11).
Es bedarf keiner konkreten Feststellung, welcher Repräsentant der Beklagten vorsätzlich handelte. Dies festzustellen ist der Klagepartei, die keine Einblicke in die betriebsinterne Aufgabenverteilung der Beklagten hat, nicht dezidiert möglich. Sie hat jedoch – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – substantiiert vorgetragen, so dass es der Beklagten im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast oblegen hätte, den Vortrag zu entkräften oder die Repräsentanten zu benennen. Beides ist nicht erfolgt.
Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob die jeweiligen Repräsentanten Kenntnis zur Zeit der Software-Entwicklung hatten. Abzustellen ist vielmehr auf den Zeitpunkt des Inverkehrbringens der betroffenen Fahrzeuge. Eine Kenntnis der entsprechenden Repräsentanten zu diesem Zeitpunkt ist für das Gericht jedoch nicht anzuzweifeln, da insoweit ein eigenmächtiges Handeln von Mitarbeitern, die nicht als Repräsentanten im obigen Sinne zu sehen sind, zur Überzeugung des Gerichts nicht vorstellbar ist.
Die Programmierung der hier in Rede stehenden Software setzt eine aktive und ergebnisorientierte präzise Programmierung der Motorsteuersoftware voraus. Die Annahme einer fahrlässigen Herbeiführung dieses Zustandes ist daher zur Überzeugung des Gerichts ausgeschlossen, sodass es keiner weiteren Beweisaufnahme hierzu bedurfte, § 291 ZPO. Ist eine solche Einstellung, wie hier bei den Motoren der Serie EA 189, ausnahmslos bei jedem Motor dieser Serie auffindbar, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass eine Entscheidung dafür, die Motoren mit dieser Einstellung planvoll und absichtlich zu produzieren und in den Verkehr zu bringen angesichts der Tragweite und Risiken für die Gesamtgeschicke des Konzerns durch die Geschäftsleitung selbst getroffen wurde und damit gemäß § 31 BGB zurechenbar ist (vgl. auch LG Krefeld, Urteil vom 12.07.2017, Az. 7 O 159/16).
Der Vorstand hat das Unternehmen den gesetzlichen Bestimmungen gemäß zu organisieren und zu führen. Es ist im Hinblick auf die gesetzlichen Bestimmungen davon auszugehen, dass bei den Beklagten organisatorische Maßnahmen etwa durch Einrichtung einer Innenrevision oder Controlling in der Weise getroffen wurden, dass Berichtspflichten gegenüber dem Vorstand für alle wesentlichen Entscheidungen eingerichtet sind und deren Einhaltung durch Kontrollmaßnahmen auch gewährleistet ist.
Hierbei sind auch folgende Punkte zu beachten: Zum einen war zum Zeitpunkt der Entwicklung und des Einbaus des Motors EA 189 das Spannungsverhältnis zwischen dem Ziel möglichst geringer Kohlendioxidemission und der Begrenzung der Stickoxidemissonen allgemein bekannt und hätte Anlass zu einer sehr genauen Prüfung geben müssen, als aus Sicht der für die Motorenentwicklung zuständigen Mitarbeiter die Auflösung dieses Zielkonflikts angeblich gelungen war; zum anderen nahm zum damaligen Zeitpunkt der europäische Gesetzgeber den Erlass eines Verbots von verbotenen Abschalteinrichtungen in Artikel 5 Abs. 2 der Verordnung 715/2007/EG vor und wies daher auf dieses Problem in besonderer Weise hin. Die Repräsentanten mussten wegen dieser Warnwirkung also ohne Weiteres mit der Möglichkeit rechnen, dass eine solche Einrichtung verwendet würde. Dadurch, dass sie trotz der durch die Verordnung offenkundig gemachten Möglichkeit, dass eine solche Einrichtung verwendet werden könnte, nicht eingriffen und dennoch die Übereinstimmungsbescheinigung ausstellten bzw. deren Ausstellung nicht verhinderten, ist auch ihnen zumindest ein bedingter Vorsatz durch Unterlassen zur Last zu legen.
Gemäß § 31 BGB ist die juristische Person für Schäden verantwortlich, die ein Organ oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt.
Zu den unter § 31 BGB fallenden Repräsentanten der Fahrzeughersteller gehören unabhängig davon, ob sie deren verfassungsmäßige Vertreter sind oder nicht, auch über den Wortlaut der Norm hinaus, diejenigen Personen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sein, sodass auch sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren (vgl. BGHZ 49, 19; BGH NJW 1998, 1854; BGH WM 2005, 701).
Zu den unter § 31 BGB fallenden Repräsentanten gehören damit also auch diejenigen Angestellten, denen die Motor- und Softwareentwicklung bzw. die Entscheidung über die verwendeten Motoren oblag. Daneben kommen als Personen, für die eine Haftung nach § 31 BGB bejaht werden muss, auch alle weiteren Repräsentanten der Hersteller in Betracht, die in irgendeiner Form auf diese Entscheidungen hätten Einfluss nehmen können.
5. Der deliktische Schadensersatz ist auf das negative Interesse gerichtet, sodass im vorliegenden Fall nur eine Rückabwicklung, also Zahlung des Kaufpreises durch die Beklagte an die Klagepartei Zug um Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs durch die Klagepartei in Betracht kommt.
Im Rahmen dieser Rückabwicklung muss sich die Klagepartei den Abzug einer Nutzungsentschädigung gefallen lassen. 43 O 2269/18 – Seite 10 – Die Nutzungsentschädigung, die die Klagepartei an die Beklagte im Wege der Zug-um-Zug-Rückabwicklung zu entrichten hat, ist nach Überzeugung des Gerichts im vorliegenden Fall auf 5.563,27 € festzusetzen.
Der Klägervertreter zeigte in der mündlichen Verhandlung vom 21.10.2019 ein Lichtbild, das eine Tachoeinheit zeigte, die einen Kilometerstand von 44.518 km aufwies. Von der Beklagten wurde dieser Kilometerstand nicht bestritten. Bei Erwerb des Fahrzeugs durch die Klagepartei war dieses ein Neufahrzeug. Das Gericht geht weiter im Rahmen einer Schätzung gemäß § 287 ZPO von einer Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs in Höhe von 300.000 km aus (so auch LG München I, Az. 23 O 23033/15), sodass sich die Nutzungsentschädigung wie folgt berechnet:
Das Verhältnis zwischen der durch die Klagepartei mit dem Fahrzeug zurückgelegten Strecke und der Strecke, die erwartungsgemäß mit dem Fahrzeug zukünftig noch zurückgelegt werden kann, entspricht dem Verhältnis zwischen dem Nutzungsersatz, also dem Wert, den das Fahrzeug durch die von der Klagepartei zurückgelegte Strecke eingebüßt hat, und dem von der Klagepartei gezahlten Kaufpreis.
Nutzungsersatz in € =
Mithin verbleibt ein klägerischer Anspruch auf Zahlung in Höhe von 31.926,74 €.
Sollte zum Zeitpunkt der Übergabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs an die Beklagte eine Veränderung der Laufleistung des Fahrzeugs gegenüber der Laufleistung zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung eingetreten sein, so wird diese entsprechend zu berücksichtigen sein. Da für die vorliegende Entscheidung jedoch die Lage zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung maßgeblich ist, sind derartige Veränderungen im Tenor dieses Urteils nicht zu berücksichtigen.
6. Der Anspruch auf Rückforderung des Kaufpreises ist, wie aus dem Tenor ersichtlich, zu verzinsen. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 291 BGB. Eine Verzinsung für den vorherigen Zeitraum ab Kaufvertragsschluss nach § 849 BGB erfolgt nicht. Das Gericht schließt sich insoweit der Rechtsauffassung, § 849 BGB erfasse bereits seinem Wortlaut nach nur die „Entziehung einer Sache“ oder die „Beschädigung einer Sache“ und könne nicht erweiternd ausgelegt werden, an.
7. Dem klägerischen Antrag auf Feststellung, die Beklagte habe sich mit der Annahme des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Annahmeverzug befunden, war stattzugeben. Auf die erste klägerische Anlage im Sonderband wird insoweit Bezug genommen.
III.
Bezüglich der Rechtsanwaltskosten hat die Beklagte eingewandt, dass die Klagepartei die Kosten noch nicht bezahlt hätte. Die Klagepartei hat zur Zahlung kein Beweisangebot gemacht. Die Beklagte war deshalb lediglich zur Freistellung zu verurteilen (zu dieser Möglichkeit siehe Feskorn in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 308 ZPO, Rn. 4). Als Gegenstandswert war der Hauptanspruch zugrunde zu legen. Eine höhere Geschäftsgebühr von 2,0, wie sie von der Klagepartei begehrt wird, ist nicht anzusetzen. Zwar trifft es zu, wie dies der Kläger vorträgt, dass Gegenstand des Rechtsstreits ein komplexer Sachverhalt mit überdurchschnittlicher Schwierigkeit der rechtsanwaltlichen Arbeit ist. Dem steht gegenüber, dass diese Komplexität sich in zahlreichen ähnlich gelagerten Fällen wiederholt. Mit der Vielzahl der Fälle reduziert sich der Aufwand, der für eine singuläre Fallgestaltung eine 2,0-Geschäftsgebühr rechtfertigen würde, jedenfalls für die Anwaltskanzleien, zu denen auch, wie gerichtsbekannt ist, die Klägervertreter gehören, die zahlreiche vergleichbare Fälle bearbeiten. Ein Abweichen von einer 1,3-Gebühr ist damit nicht veranlasst.
IV.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 1 ZPO und errechnet sich aus dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Parteien.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 11, 711, 709 S. 2 ZPO.
V.
Bezüglich des Streitwerts war zu berücksichtigen, dass die Klagepartei im Klageantrag zwar einen Nutzungsersatz ins Ermessen des Gerichts stellt, diesen aber in der mündlichen Verhandlung auf 0 beziffert hat.


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