Europarecht

Schadensersatz bei Softwaremanipulation – Gebrauchtwagenkauf

Aktenzeichen  32 U 1304/19

Datum:
3.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15641
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 284, § 522 Abs. 2
StGB § 263
BGB § 823 Abs. 2, § 826, § 831

 

Leitsatz

1. Allein der Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung begründet keinen Verstoß gegen die guten Sitten, solange es nicht Zweck der Abschalteinrichtung ist, die NOx-Werte nur im Prüfstandbetrieb zu minimieren. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für das Wollenselement des Schädigungsvorsatzes reicht der Vortrag nicht aus, den Entwicklungsingenieuren habe klar sein müssen, dass der entwickelte Motor nicht den gesetzlichen Vorschriften entspreche und bei Aufdeckung der unzulässigen Abschalteinrichtung mit behördlichen Maßnahmen zu rechnen sei.  (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Der Fahrzeughersteller hätte allenfalls bei einem Direktverkauf oder beim Verkauf von Neuwagen durch Händler die Erstkäufer bewusst getäuscht, wenn er die Konstruktion, die NOx-Werte nur im Prüfstandbetrieb zu minimieren, nicht publiziert. Dies trifft aber nicht auf einen Käufer zu, der ein knapp ein Jahr altes Fahrzeug gebraucht gekauft hat, sofern nicht der Hersteller durch den Kauf des Klägers vom Voreigentümer besondere Vorteile hatte.  (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

11 O 13008/18 2019-02-14 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 14.02.2019, Aktenzeichen 11 O 13008/18, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beschluss ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 61.600,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger hat am 29.02.2016 bei dem Autohaus … in … einen gebrauchten Pkw der Marke Mercedes-Benz Typ ML 250 erworben. Er macht gegenüber der Beklagten als Herstellerin des Fahrzeugs Schadensersatzansprüche wegen des behaupteten Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung und der damit einhergehenden Manipulation von Abgaswerten geltend, wobei er die Rückzahlung des Kaufpreises von 61.600,- € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs sowie die Bezahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen fordert.
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 14.02.2019 Bezug genommen.
Das Landgericht München I hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass Schadensersatzansprüche nicht bestehen bzw. nicht dargelegt wurden. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Berufung, mit der er seine Ansprüche in vollem Umfang weiter verfolgt.
Im Berufungsverfahren beantragt der Kläger:
Unter Abänderung des am 14.02.2019 verkündeten Urteils des Landgerichts München I, AZ: 11 O 13008/18, wird die Beklagte verurteilt,
1.an den Kläger 61.600,00 € nebst jährliche Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.07.2018 Zug-um-Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs der Marke Mercedes-Benz und des Typs ML 250 BlueTEC 4MATIC mit der FIN: WDC1660041A573716, zu zahlen,
2.festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des vorbenannten Fahrzeuges in Annahmeverzug befindet,
3.die Beklagte kostenpflichtig und vorläufig vollstreckbar zu verurteilen, an den Kläger weitere 1.954,46 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt:
Die Berufung wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 14.02.2019, Aktenzeichen 11 O 13008/18, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 09.05.2019 und das angefochtene Urteil vom 14.02.2019 Bezug genommen.
Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung vom 27.05.2019 geben zu einer Änderung keinen Anlass. Die Berufung setzt sich nach wie vor nicht konkret mit den tragenden Gründen des Ersturteils und den Ausführungen im Hinweisbeschluss auseinander:
1. Es kann dahingestellt bleiben, ob das gegenständliche Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist und ob dieser Zustand einen Sachmangel darstellt. Denn zwischen den Parteien bestehen keine vertraglichen Beziehungen. Der Kläger macht deliktische Schadensersatzansprüche und keine kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche geltend. Damit sind die Ausführungen in den zitierten Entscheidungen des BGH und der benannten Landgerichte nicht entscheidungserheblich.
2. Die Anwendung der Grundsätze über die sekundäre Darlegungslast kommt vorliegend nicht in Betracht. Um eine Ausforschung zu vermeiden, muss der unstreitige oder zu beweisende Vortrag des Beweispflichtigen greifbare Anhaltspunkte für seine Behauptung liefern (Zöller/Greger, Zivilprozessordnung, 32. Auflage 2018, Vorbemerkungen zu § 284 ZPO Rn. 34). Derartige Anhaltspunkte sind im Vortrag des Klägers nicht angelegt.
3. Eine deliktische Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.v.m. § 263 StGB bzw. nach § 826 BGB ist aus den im Urteil und Hinweisbeschluss genannten Gründen nicht dargetan.
Allein der Einbau der entsprechenden Software verstößt noch nicht gegen die guten Sitten und stellt auch nicht einen Betrug des Käufers dar. Auch das Unterlassen einer für die Kaufentscheidung erheblichen Information z.B. in einem Prospekt oder Werbeankündigungen ist für sich genommen nicht verwerflich; gegen die guten Sitten verstößt ein Verantwortlicher aber dann, wenn er Kaufinteressenten durch eine bewusste Täuschung zum konkreten Kauf bewegt (vgl. BGH Urteil vom 28.07.2016 – VI ZR 536/15 = NJW 2017, 250 ff.). Der Fahrzeughersteller hätte allenfalls bei einem Direktverkauf oder beim Verkauf von Neuwagen durch Händler die Erstkäufer bewusst getäuscht, wenn er die Konstruktion, die NOx-Werte nur im Prüfstandbetrieb zu minimieren, nicht publizierte, unterstellt man, dass es Zweck der Konstruktion war, die Fahrzeuge für umweltbewusste Käufer interessant zu machen und dadurch eine größere Anzahl von Fahrzeugen zu verkaufen. Diese Überlegung gilt jedoch nicht für den Kläger, der das knapp ein Jahr alte Fahrzeug gebraucht gekauft hat, sofern nicht der Hersteller durch den Kauf des Klägers vom Voreigentümer besondere Vorteile hatte (vgl. Senatshinweise vom 29.01.2019, 32 U 2720/18, und vom 20.05.2019, 32 U 1775/19). Hierfür ist nichts ersichtlich.
4. Auch die Voraussetzungen der Haftung eines Verrichtungsgehilfen nach § 831 BGB sind nicht dargestellt. Der Verrichtungsgehilfe muss dabei rechtswidrig den objektiven Tatbestand einer unerlaubten Handlung erfüllt haben. Auf sein Verschulden kommt es grundsätzlich nicht an. Soweit aber – wie hier – über das allgemeine Verschulden hinaus subjektive Elemente Voraussetzung der unerlaubten Handlung sind (wie der Vorsatz gemäß § 826 BGB oder bei einer vorsätzlichen Straftat im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB), müssen diese auch beim Verrichtungsgehilfen vorliegen (Palandt/Sprau, BGB, 78. Auflage 2019, § 831 BGB Rn. 8; BGH WM 2010, 928 Tz. 38; BGH NJW 2014, 1380 Tz. 11). Die Vorsatzmomente und die sonstigen subjektiven Voraussetzungen des behaupteten Straftatbestands sind im Vortrag des Klägers ebenfalls nicht angelegt. Die allgemeinen Ausführungen, den Entwicklungsingenieuren habe klar sein müssen, dass der entwickelte Motor nicht den gesetzlichen Vorschriften entspricht und bei Aufdeckung der Manipulation mit behördlichen Maßnahmen zu rechnen ist, reichen für das Wollenselement des Schädigungsvorsatzes nicht aus. Die genannte Kommentarstelle aus Reinking/Eggert, Der Autokauf, befasst sich nicht mit der Haftung des Verrichtungsgehilfen und trägt auch das aufgeführte Zitat nicht.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG, § 3 ZPO bestimmt.


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