Europarecht

Schadensersatz, Fahrzeug, Marke, Kaufpreis, Rechtsanwaltskosten, Vertragsschluss, PKW, Streitwert, Haftung, Zulassung, Herausgabe, Verletzung, Grenzwerte, Nachweis, Kosten des Rechtsstreits, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Rechtsprechung des BGH

Aktenzeichen  26 O 2035/20

Datum:
21.5.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 52027
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Memmingen
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 35.115,78 € festgesetzt.

Gründe

I. : Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Memmingen ist das örtlich gemäß § 32 ZPO bzw. § 39 ZPO und sachlich gem. § 1 ZPO i.V.m. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG zuständige Gericht.
II. : Die Klage ist allerdings vollumfänglich unbegründet. Dem Kläger stehen gegen die Beklagte keine Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB, § 826 BGB und § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zu. Der Kläger konnte insoweit das Vorliegen eines entsprechenden Schadensersatzanspruches gegenüber der Beklagten nicht schlüssig darlegen. Ein gerichtlicher Hinweis vor Klageabweisung war entbehrlich, da die Beklagte auf die Unschlüssigkeit wiederholt und ausdrücklich substantiiert unter Berücksichtigung der vom Kläger behaupteten, einzelnen Abschalteinrichtungen hingewiesen hatte.
1) Im Hinblick auf eine mögliche Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB lässt sich dem Klagevortrag bereits nicht entnehmen, worüber die Beklagte den Kläger konkret getäuscht haben soll. Zur Begründung einer den Betrugstatbestand erfüllenden Täuschung ist jedoch konkreter Tatsachenvortrag im Hinblick auf den konkreten Motor erforderlich, da diese in Funktionsweise und Abgasverhalten erheblich differieren können. Insbesondere fehlt jeglicher Vortrag, wie die Beklagte konkret den Kläger getäuscht haben soll und ihn dadurch zu einer Verfügung veranlasst haben soll. Die Beklagte war am Vertragsschluss nicht beteiligt.
a) Die Klagepartei trägt widersprüchlich dahingehend vor, dass die Fahrzeuge der Beklagten die Grenzwerte überschreiten würden, um anschließend zu behaupten, dass die gemessenen Werte belegen würden, dass die Beklagte einen Modus entwickelt habe, um die Grenzwerte einzuhalten.
b) Das Vorliegen einer unzulässigen Abschaltvorrichtung begründet die Klagepartei damit, dass die erlaubten Grenzwerte im Realbetrieb deutlich überschritten würden und verweist insoweit auf Testversuche mit Fahrzeugen der Beklagten. Insoweit erschließt sich zum einen nicht, inwieweit Testversuche bei anderen Modellen auf den streitgegenständlichen Pkw übertragbar sein sollen. Hinzu kommt, dass allein der Umstand, dass Grenzwerte im Realbetrieb die Grenzwerte im Prüfstand überschreiten, allgemein bekannt ist und allein für sich keinen Hinweis auf das Vorliegen einer unzulässigen Abschaltvorrichtung zu begründen vermag. Das Messprinzip nach NEFZ, welches zur Zeit der Zulassung des streitgegenständlichen Pkw maßgeblich war, gibt nämlich bestimmte Parameter für die Messung vor, die im realen Fahrbetrieb durch einen Durchschnittsfahrer nicht erreicht werden bzw. völlig anders lauten. Allein dass es leicht für das Fahrzeug ist, eine Prüfstandsituation zu erkennen, bedeutet nicht, dass das Erkennen auch für eine Manipulation genutzt wird.
c) Es fehlt vorliegend auch an jeglichem Vortrag, wer konkret wann bei der Beklagten eine Täuschung begangen haben soll. Auf eine sogenannte sekundäre Darlegungs- und Beweislast der Beklagten kann insoweit nicht abgestellt werden, da es bereits an einem schlüssigen Klagevortrag der Klagepartei fehlt.
2) Aus den bereits darlegten Gründen kann auch eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB nicht in Betracht kommen. Auch insoweit ist bereits ein Nachweis, dass in dem streitgegenständlichen PKW eine unzulässige Abschaltvorrichtung verbaut ist, nicht möglich.
a) Dem Beweisangebot der Klagepartei, zum Vorliegen einer Abschalteinrichtung ein Sachverständigengutachten einzuholen, war nicht nachzugehen. Der diesbezügliche Vortrag ist, wie bereits ausgeführt, widersprüchlich und ins Blaue hinein getätigt. Eine solche Behauptung ins Blaue liegt vor, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Gerate wohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt (vgl. BGH NJW-RR 2015, 829). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass das Fahrzeug mit einer Software ausgestattet ist, die die Annahme einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung zu begründen vermag, gibt es nicht. Es gibt hinsichtlich des streitgegenständlichen Fahrzeuges weder ein Einschreiten durch das Kraftfahrtbundesamt, noch wurde das Fahrzeug durch die Beklagte zurückgerufen. Im Gegenteil, das KBA bestätigte öffentlich (Anlage B1), dass der Motor vom Typ B47 keine unzulässigen Abschalteinrichtungen enthält und keiner Maßnahmen seitens des KBA veranlasst sind.
b) Es existiert für den streitgegenständlichen Motor auch kein Softwareupdate. Dazu hat die Klagepartei schon nicht konkret vorgetragen, wenn sie auch behauptet, dass ein „Software-Update“ zu Mängeln führen würde.
c) Soweit die Klägerseite das Vorliegen einer nach ihrer Auffassung unzulässigen Abschalteinrichtung mit der Installation eines „Thermofensters“ begründet, so verkennt sie dabei, dass die temperaturabhängige Reduzierung der Menge der zurückgeführten Abgase zur Vermeidung von Motorschäden durchaus als eine zulässige Abschaltvorrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 lit. A) der VO (EG) Nr. 715/2007 gewertet werden kann (vgl. LG Hanau, Urteil vom 31.01.2019, Az.: 4 O 748/19; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, Az.: 10 U 134/19). Dass vorliegend aber eine andere Konfiguration zum Motorschutz ohne die hier gegenständliche Funktion möglich war und durch die Beklagte hätte ausgeführt werden können, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
d) Insbesondere kann hier aber nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte mit Schädigungsvorsatz und sittenwidrig gehandelt hat. Dies könnte selbst dann nicht unterstellt werden, wenn die behaupteten Abschalteinrichtungen vorliegen würden.
aa) Die Klagepartei trägt auch für die Erfüllung des subjektiven Tatbestands die Darlegungs- und Beweislast. Sie hat also darzulegen, wer aus dem Konzern für die Entwicklung und den Einsatz der fraglichen Software verantwortlich war und wer hiervon vor Vertragsschluss der Klagepartei Kenntnis hatte. Nur in einem solchen Fall können aber auch die Voraussetzungen für eine etwaige Haftung der Beklagten gemäß § 31 BGB vertreten durch den Vorstand bzw. dessen Repräsentanten festgestellt werden. Der Vortrag der Klagepartei hierzu enthält (wie oben bei der Täuschungshandlung ausgeführt) Vermutungen ins Blaue hinein, die sich auf andere Vermutungen aus der Presse stützten und damit nicht geeignet sind, eine Beweisaufnahme anzustoßen.
bb) Insofern führt das Oberlandesgericht Stuttgart in seiner Entscheidung vom 30. Juli 2019 zum Az. 10 U 134/19 überzeugend aus, dass dies bei der Verwendung eines Thermofensters erfordere, dass Anhaltspunkte dafür erkennbar wären, dass der Einbau der Einrichtung mit der in Rede stehenden Funktionsweise in den streitgegenständlichen Motor in dem Bewusstsein geschehen sei, hiermit möglicherweise gegen die gesetzlichen Vorschriften zu verstoßen und dieser Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen worden sei. Bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiteten wie auf dem Prüfstand und bei denen Gesichtspunkte des Motors respektive des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden könnten, könne es bei Fehlen von konkreten Anhaltspunkten nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen in dem Bewusstsein gehandelt hätten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Denn der Einschätzung im Hinblick auf das Thermofenster könne auch eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung zugrunde liegen, dass es sich um eine zulässige Abschalteinrichtung handele (OLG Stuttgart, aaO, Rn. 81 ff.). Dieser Sichtweise schließt sich auch das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht in seinem Hinweisbeschluss vom 23.08.2019 zum Az. 3 U 13/19 an. Auch das Oberlandesgericht Köln vertritt in einem Beschluss vom 04.07.2019 zum Az. 3 U 148/18 die Auffassung, dass in einem solchen Fall der erforderliche Schädigungsvorsatz nicht festzustellen sei.
cc) Dies überzeugt, denn anders als in den VW-Fällen beim Motor EA189 verhält es sich hier so, dass nicht grundsätzlich auf dem Prüfstand und auf der Straße unterschiedliche Abgasrückführungsmodi aktiviert wurden, sondern die Abgasrückführung temperaturabhängig stärker oder weniger stark aktiviert wird. Bei einer Abschalteinrichtung, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeitet wie auf dem Prüfstand und bei der Gesichtspunkte des Motors bzw. Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden können, kann nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen bei der Beklagten in dem Bewusstsein gehandelt haben, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden (so auch OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, Az. 10 U 134/19). Denn anders als die „Schummelsoftware“ des Motors EA 189 unterscheidet das Thermofenster nicht zwischen Prüfstand und realem Betrieb, sondern richtet sich nach der Umgebungstemperatur und ist damit nicht offensichtlich auf eine „Überlistung“ der Prüfungssituation ausgelegt (vgl. auch OLG Schleswig, Urteil vom 18.09.2019 – 12 U 123/18).
dd) Dies gilt auch für die weiteren behaupteten „Abschalteinrichtungen“. Sämtliche behaupteten Einrichtungen unterscheiden nicht grundsätzlich zwischen einem Prüfstand und dem Normalbetrieb. Dies führt aber dazu, dass diese auf dem Prüfstand einfach nachweisbar wären, indem von der vorgegebenen Fahrkurve (absichtlich oder unabsichtlich) abgewichen wird, der Test unwesentlich verlängert wird oder ähnliches. Die behaupteten „Abschalteinrichtungen“ wären, ihr vorliegen einmal unterstellt, leicht auch auf einem Prüfstand nachweisbar, so dass dies ein sehr hohes Entdeckungsrisiko enthalten würde, was bereits eher gegen einen Vorsatz spricht. Damit kann hier auch nicht von einem sittenwidrigen Verhalten ausgegangen werden. Es handelt sich gerade nicht um eine „Schummel-Software“, die zwischen Prüfstand und Realbetrieb unterscheidet.
ee) Auch die Programmierung des OBD deutet nicht auf ein sittenwidriges Verhalten hin. Es ist Aufgabe des OBD-Systems auf Fehlfunktionen hinzuweisen. Von der Argumentation der Beklagten ausgehend, liegt aber gerade keine Fehlfunktion vor, wenn sie davon ausgegangen ist, dass das Abgassystem, so wie es programmiert war, ordnungsgemäß funktioniert. Insoweit liegt keine (zusätzliche) Täuschungshandlung vor, sondern es scheint sich dabei eher um die Konsequenz daraus zu handeln, dass die Beklagte nicht von einer Fehlfunktion des Abgassystems aufgrund der vorliegenden Steuerung ausgegangen ist. Es kann auch nicht als Indiz für eine absichtliche Täuschung gewertet werden, da es nur konsequent ist, wenn man von der Ordnungsmäßigkeit der Abgasreinigung ausgeht, dass man dann auch nicht auf eine Fehlfunktion hinweisen muss.
3) Eine Haftung der Beklagten kann sich unabhängig vom fehlenden Nachweis des Vorliegens einer unzulässigen Abschaltvorrichtung auch nicht aus §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV ergeben. Diese Vorschriften schützen bereits nicht die Vermögensinteressen von Fahrzeugkäufern, sondern die Verkehrssicherheit und die Gesundheit der Verbraucher, wie auch die Umwelt. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist eine Norm als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB anzusehen, wenn sie nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, der hier wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder mitgewollt hat (vgl. BGH VII ZR 36/14). Die RL 2007/46/EG bezweckt jedoch die Vollendung des Binnenmarkts und dessen ordnungsgemäßes Funktionieren, wie sich eindeutig aus den Erwägungsgründen 2,4 und 23 der Richtlinie ergibt. Darüber hinaus sollten die technischen Anforderungen harmonisiert und spezifiziert werden. Ziel ist ein hohes Sicherheits- und Umweltschutzniveau sowie der Schutz der Gesundheit und der Sicherheit der Verbraucher. Nicht geschützt sind dagegen die Vermögensinteressen des Klägers.
4) Mangels Anspruches in der Hauptsache war auch der Feststellungsantrag auf Feststellung des Annahmeverzuges unbegründet. Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.
III. : Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
IV. : Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1, S. 2 ZPO.


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