Europarecht

Schadensersatz, Marke, Kaufpreis, Sittenwidrigkeit, Fahrzeug, Annahmeverzug, Feststellung, Pkw, Berufung, Beweisaufnahme, Beweislast, Herausgabe, Darlegung, Anspruch, Zug um Zug, Herausgabe des Fahrzeugs, Darlegungs und Beweislast

Aktenzeichen  24 U 6281/20

Datum:
30.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 45188
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

34 O 489/20 2020-09-29 Endurteil LGMEMMINGEN LG Memmingen

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Memmingen vom 29.09.2020, Az.: 34 O 489/20, wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Dieses Urteil und das unter Ziffer I. bezeichnete Urteil des Landgerichts Memmingen sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz wegen des Kaufs eines Pkws, der nach seiner Behauptung vom Diesel-Abgasskandal betroffen sein soll.
Der Kläger erwarb ausweislich des in Fotokopie vorgelegten Kaufvertrags vom 25.04.2019 (Klägeranlagen) von einem privaten Verkäufer einen gebrauchten Pkw Audi, Typ A4 quattro Avant 2.0 TDI, Erstzulassung: Mai 2015, Kilometerstand damals: 37.000 km, zu einem Kaufpreis von 24.250,00 €. In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter Motor der Baureihe EA288, Schadstoffklasse Euro 6, verbaut, der über einen SCR-Katalysator verfügt.
Für den streitgegenständlichen Pkw ist vom Kraftfahrt-Bundesamt kein Rückruf angeordnet. Der aktuelle Kilometerstand des Pkws betrug am 30.07.2021 unstreitig 66.434 km.
Erstinstanzlich hat der Kläger mit der Behauptung, sein Pkw sei vom „Diesel-Abgasskandal“ betroffen, in seinem Fahrzeug seien unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinn der Art. 3 Nr. 10, 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 verbaut, in der Hauptsache die Rückabwicklung des Fahrzeugkaufs begehrt.
Mit Endurteil vom 29.09.2020 hat das LG Memmingen die Klage vollumfänglich als unbegründet abgewiesen.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts und des Inhalts der angefochtenen Entscheidung im Einzelnen nimmt der Senat gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf das Ersturteil Bezug.
Der Kläger verfolgt mit der Berufung seine erstinstanzlich gestellten Anträge im Wesentlichen weiter.
Er rügt, das Erstgericht habe rechtsfehlerhaft verkannt, dass ihm Schadensersatzansprüche zustünden. Insbesondere habe das Erstgericht die Anforderungen an die Darlegung einer sittenwidrigen Schädigung im Sinn des § 826 BGB verkannt.
Der Kläger behauptet in zweiter Instanz weiterhin, dass in seinem Pkw unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinn des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 installiert seien. Insbesondere habe die Beklagte die Motorsteuerung in unzulässiger Weise mit einer Fahrkurvenerkennung bedatet, um so die Emissionswerte prüfstandsbezogen zu manipulieren. Darüber hinaus verfüge sein Pkw über eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Akustikfunktion. Der Kläger trägt vor, dass der Motor EA288 dieselbe Fahrkurve und Akustikfunktion wie die Motoren der Baureihe EA189 aufweise. Darüber hinaus behauptet der Kläger wie erstinstanzlich weiterhin, dass in seinem Fahrzeug ein „unzulässiges Thermofenster“ verbaut sei.
Zuletzt behauptet der Kläger mit Schriftsatz vom 19.07.2021, dass die durch eine Steuerungs-Software geregelte AdBlue-Dosierung in unzulässiger Weise so manipuliert sei, dass nur auf dem Prüfstand ausreichend Harnstoff (AdBlue) zugeführt werde, um die Emissionen gemäß den vorgegebenen Grenzwerten zu reduzieren; im Realbetrieb werde weniger Harnstoff zugeführt.
Wegen der Einzelheiten des klägerischen Vorbringens in zweiter Instanz wird auf die Ausführungen in der Berufungsbegründung (Schriftsatz vom 11.01.2021; Bl. 232/304 d.A.) sowie im Schriftsatz vom 19.07.2021 (Bl. 387/407 d.A.) Bezug genommen.
Die Beklagte verteidigt das Ersturteil.
Sie bestreitet weiterhin, dass im Pkw des Klägers eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 verbaut sei. Sie bestreitet insbesondere, dass die AdBlue-Dosierung unterschiedlich angesteuert werde, je nachdem, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im realen Fahrbetrieb befinde. Dass es zu keiner unzulässigen Einwirkung auf die AdBlue-Einspritzung auf dem Prüfstand komme, zeigten auch die Ergebnisse des als Anlage B 1 vorgelegten Untersuchungsberichts der Kommission „Volkswagen“ aus April 2016.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten in zweiter Instanz nimmt der Senat auf die Ausführungen in der Berufungserwiderung (Schriftsatz vom 16.01.2021; Bl. 307/373 d.A.) und im Schriftsatz vom 23.07.2021 (Bl. 408/438 d.A.) Bezug.
Der Beklagte beantragt mit der Berufung unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils wie folgt zu erkennen:
I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 22.653,83 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. Die Verurteilung erfolgt Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs der Marke Audi vom Typ A4 2.0 TDI quattro Avant allroad mit der Fahrzeug-Identifikationsnummer (FIN) …93 nebst zwei Fahrzeugschlüsseln, Kfz-Schein und Kfz-Brief.
Hilfsweise beantragt der Kläger:
I. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Schadensersatz zu zahlen für Schäden, die aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung i.S.v. Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007 durch die Beklagte in das Fahrzeug der Marke Audi vom Typ A4 2.0 TDI quattro Avant allroad mit der Fahrzeug-Identifikationsnummer (FIN) …93 resultieren.
Weiter beantragt der Kläger:
I. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme der in vorgenannten Klageanträgen genannten Zugum-Zug-Leistung im Annahmeverzug befindet.
I. Es wird festgestellt, dass der in Antrag zu 1. bezeichnete Anspruch aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten herrührt.
I. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 1.899,24 freizustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat mit den Parteien am 30.07.2021 mündlich verhandelt; Beweise wurden nicht erhoben.
Wegen der Einzelheiten nimmt der Senat im Übrigen auf den Akteninhalt, insbesondere die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht (§§ 517, 519 ZPO) eingelegte Berufung des Klägers ist in der Sache erfolglos.
Das angefochtene Urteil des LG Memmingen weist weder Rechtsfehler zum Nachteil des Klägers auf, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).
Ernsthaft in Betracht kommen im Streitfall lediglich deliktische Schadensersatzansprüche, insbesondere ein solcher aus § 826 BGB.
Das Erstgericht hat jedoch das Bestehen deliktischer Schadensersatzansprüche und das Erfordernis der Durchführung einer Beweisaufnahme entgegen der Auffassung des Klägers rechtsfehlerfrei verneint. Der Senat nimmt auf die Darlegungen des Erstgerichts in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils Bezug.
1. Das Erstgericht hat insbesondere einen Anspruch des Klägers aus § 826 BGB rechtsfehlerfrei verneint.
Auch das klägerische Vorbringen in der zweiten Instanz rechtfertigt weder die Feststellung des Bestehens eines Schadensersatzanspruchs gemäß § 826 BGB noch die Durchführung einer Beweisaufnahme.
1) Das Erstgericht hat nicht etwa grundsätzlich die Anforderungen an die Feststellung einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung im Sinn des § 826 BGB verkannt. Seine diesbezüglichen rechtlichen Beurteilungen stehen vielmehr in Einklang mit der Rechtsprechung des BGH zu den „Diesel-Fällen“. Hervorzuheben sind aus Sicht des Senats insbesondere die Entscheidungen des BGH vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19 (bei juris insbesondere Rn. 13-19) und vom 09.03.2021, Az.: VI ZR 898/20 (bei juris insbesondere Rn. 27 f.).
Danach wäre Voraussetzung für die Feststellung eines sittenwidrigen Handelns und damit für einen Anspruch des Klägers aus § 826 BGB, dass die Beklagte in Fahrzeugen des vom Kläger erworbenen Typs eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut und diesen Umstand dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) als für die Typengenehmigung zuständige Behörde verschwiegen hat, um sich die begehrte Typengenehmigung zu erschleichen. Selbst wenn die Beklagte also in Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs eine nach Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut haben sollte, genügte dies allein nicht dafür, die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 826 BGB zu bejahen. Das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (“Thermofenster“) ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Dies gilt auch dann, wenn mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt war. Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit wäre nur gerechtfertigt, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Die Feststellung objektiver Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Für diese Voraussetzungen trägt nach den allgemeinen Grundsätzen der Kläger als Anspruchsteller die Darlegungs- und Beweislast.
Umstände, die den Schluss auf eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des Klägers im dargelegten Sinn rechtfertigen könnten, werden in der Berufungsinstanz vom Kläger weiterhin nicht dargelegt.
1) Der Kläger behauptet in der Berufungsinstanz weiter eine Manipulation des streitgegenständlichen Fahrzeugs, die Installation unzulässiger Abschalteinrichtungen im Sinn der Art. 3 Nr. 10, 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 in mehrfacher Hinsicht.
Aus Sicht des Senats fehlt es insoweit aber weiterhin bereits am Vortrag greifbarer konkreter Anhaltspunkte dafür, dass im Pkw des Klägers eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist.
1) Der Kläger behauptet in der Berufungsinstanz insbesondere, die Motoren der Baureihe EA288 wiesen dieselbe Fahrkurvenerkennung und Akustikfunktion auf wie die Motoren der Baureihe EA189; diese Funktionen seien als unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinn des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 zu werten (vgl. S. 8/14 der Berufungsbegründung; Bl. 239/245 d.A.).
Der Kläger beruft sich insoweit insbesondere auf die „Applikationsrichtlinie und Freigabevorgabe EA189“ (vgl. Anlage K 2 b). Diese ist aber für den im Fahrzeug des Klägers verbauten Motor der Baureihe EA288 gar nicht maßgeblich.
Aus den von der Beklagten als Anlage B 7 vorgelegten „Applikationsrichtlinien und Freigabevorgaben EA288“ vom 18.11.2015 geht hervor, dass die „angehängten Unterlagen zu Applikationsrichtlinien für Serien- und Neuprodukte EA288 sowie Freigabevorgaben für EA288 Projekte inhaltlich mit den Zulassungsbehörden (KBA) und dem Rechtswesen vereinbart“ sind (s. die S. 2 der von der Beklagten als Anlage B 7 vorgelegten, den Motor EA288 betreffenden Applikationsrichtlinien).
Die nicht datierte „Vorgabe für Freigaben EA189 EU 3/4/5/6“ (vgl. S. 10 der Berufungsbegründung; Bl. 241 d.A.) betrifft schon nach ihrem Wortlaut den hier nicht streitgegenständlichen Motortyp EA189, der Gegenstand der BGH-Entscheidungen vom 25.05.2020 und 30.07.2020 war. Der Motortyp EA288 wird nur am Rande erwähnt mit der auch ihn betreffenden „Zusage, dass bei Modellpflegen oder Programmpunkten, bei denen künftig das MSG angefasst wird, die Funktion auch ausgebaut wird“. Das reine „Ausbedaten“ der Funktion sei vom KBA bestätigt worden. Welche Funktion damit gemeint ist, ergibt sich daraus nicht. Für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung oder gar für das Bewusstsein der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung beim Motor EA288 ergibt sich weder aus den „Applikationsrichtlinien und Freigabevorgaben EA288“ noch aus der „Vorgabe für Freigaben EA189 EU 3/4/5/6“ ein konkreter Anhaltspunkt.
Insbesondere ergibt sich auch aus dem Schreiben der Beklagtenseite an das KBA vom 29.12.2015 (vgl. Anlage B 5) aus Sicht des Senats gerade kein Anhaltspunkt dafür, dass in Motoren der Baureihe EA288 dieselbe Prüfstandserkennungs-Software installiert sei wie in den Motoren der Baureihe EA189. Gegenüber dem KBA wurde mit Schreiben vom 29.12.2015 vielmehr klargestellt, dass im Motorsteuergerät des Ea288-Motors zwar eine Fahrkurve hinterlegt sei, daran aber gerade nicht die aus dem EA189-Motor bekannten Folgen der Umschaltlogik angeknüpft seien. Dementsprechend wurde vom KBA bei Fahrzeugen mit Motoren der Baureihe EA288 auch keine entsprechende „Umschaltlogik“ festgestellt und beanstandet. Vielmehr hat das KBA in Parallelverfahren in einer Vielzahl von amtlichen Auskünften das Vorliegen von unzulässigen Abschalteinrichtungen bei Fahrzeugen mit einem Motor der Baureihe EA288 verneint (vgl. die beklagtenseits als Anlagen vorgelegten KBA-Auskünfte in Parallelverfahren).
Auch die beklagtenseits angeführten Feststellungen im Untersuchungsbericht vom April 2016 (Anlage B 1, S. 12 ff.) stützen die Einschätzung, dass die Untersuchung der aktuellen Baureihe des Motors EA288 keine Hinweise auf das Vorliegen unzulässiger Abschalteinrichtungen ergeben hat.
Für die Beurteilung der Frage, ob eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt, kommt es zwar nicht allein auf die Feststellungen des KBA an. Bereits im Rahmen der Prüfung des objektiven Tatbestands des § 826 BGB ist aber von Bedeutung, dass umfangreiche Überprüfungen des KBA von Motoren der Baureihe EA288 gerade nicht zur Feststellung unzulässiger Abschalteinrichtungen führten. Soweit der Kläger im Schriftsatz vom 19.07.2021 die Kompetenz und Unvoreingenommenheit des KBA anzweifelt (“verlängerter Arm der Autoindustrie“), handelt es sich aus Sicht des Senats letztlich um nicht faktenbasierte Ausführungen, gestützt auf zitierte anderweitige Einschätzungen, die den Senat jedoch nicht überzeugen.
Jedenfalls sind die diesbezüglichen Ausführungen nicht geeignet, den Schluss zu rechtfertigen, verantwortliche Mitarbeiter der Beklagten hätten das KBA in sittenwidriger Weise über die Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen getäuscht.
Aus Sicht des Senats handelt es sich bei dem pauschalen Vorwurf des Klägers, in Motoren der Baureihe EA288 sei dieselbe „Schummelsoftware“ (Prüfstandserkennung) verbaut wie in Motoren der Baureihe EA189, auch in Ansehung des Vorbringens in der Berufungsinstanz letztlich um eine unsubstantiierte Behauptung ins Blaue hinein.
1) Mit der im Schriftsatz vom 19.07.2021 neu erhobenen, beklagtenseits mit Schriftsatz vom 23.07.2021 bestrittenen Behauptung, die AdBlue-Dosierung werde unterschiedlich gesteuert, je nachdem, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im realen Straßenverkehr befinde, ist der Kläger in zweiter Instanz gemäß § 531 Abs. 2 ZPO präkludiert. Darüber hinaus erfolgte dieser Vortrag in der Berufungsinstanz auch verspätet und ist zurückzuweisen (vgl. §§ 530, 520 Abs. 3, 296 Abs. 1 ZPO).
Im Übrigen handelt es sich bei dem neuen Vortrag zur angeblichen Manipulation des SCR-Katalysators bzw. der AdBlue-Zufuhr aus Sicht des Senats ebenfalls um unsubstantiierten Vortrag ohne greifbare konkrete Anhaltspunkte.
1) In der Berufungsinstanz behauptet der Kläger auch weiterhin, in seinem Fahrzeug sei ein sogenanntes Thermofenster installiert, das als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 zu werten sei.
Relativierend hat der Kläger allerdings mit Schriftsatz vom 19.07.2021 zuletzt selbst vorgetragen, dass „der Vortrag bezüglich des Thermofensters nur von unterschwelliger Bedeutung“ sei.
Die Beklagte bestreitet eine unzulässige Abschalteinrichtung und trägt insoweit vor, die Abgasrückführung sei bei einer Außentemperatur zwischen – 24⁰ Celsisus bis zu 70⁰ Celsisus zu 100% aktiv; nur oberhalb und unterhalb dieses Temperaturbereichs erfolge aus Motorschutzgründen und zur Gewährleistung eines sicheren Betriebs des Fahrzeugs keine Abgasrückführung.
Auf welche konkreten Fakten der Kläger seine erstinstanzlich vorgetragene Behauptung, die Abgasreinigung funktioniere lediglich bei Temperaturen zwischen 20⁰ und 30⁰ Celsius optimal, stützt, ist auch dem Vorbringen in der Berufungsinstanz nicht zu entnehmen. Letztlich ist bereits der Vortrag zum Vorliegen eines angeblichen unzulässigen Thermofensters nicht hinreichend durch Fakten belegt und als Vortrag ins Blaue hinein zu werten. Dies gilt insbesondere auch für den Vortrag einer angeblichen Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts hinsichtlich der Funktionsweise des Thermofensters im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens.
1) Das klägerische Vorbringen zum OBD-Systems greift nicht durch. Der Kläger hat nicht vorgetragen, dass und gegebenenfalls in welcher Weise das OBD-System auf Abgas beeinflussende Systeme des streitgegenständlichen Fahrzeugs einwirken und somit die Abgaswerte manipulieren soll. Das OBD-System ist nicht als Abschalteinrichtung im Sinn des Art. 3 Ziffer 10 VOB (EG) 715/2007 zu qualifizieren.
1) Das Fehlen eines Rückrufbescheids ist nach Auffassung des Senats insbesondere auch hinsichtlich einer etwaigen Schadensfeststellung und der Feststellung eines etwaigen Schädigungsvorsatzes im Sinne des § 826 BGB auf seiten der Beklagten von Bedeutung. Der 15. Zivilsenat des OLG München hat dazu in seinem Urteil vom 14.04.2021 (vgl. Urteil des OLG München, 15. Zivilsenat, Az.: 15 U 3584/20, abzurufen bei juris) eine vergleichbare Fallkonstellation betreffend, aus Sicht des Senats im Kern zutreffend ausgeführt wie folgt:
„Im Übrigen liegt auch kein Schaden vor. Diesen hat der BGH in den EA189-Verfahren maßgeblich auf die drohende Betriebsbeschränkung oder -untersagung aufgrund des KBA-Rückrufbescheids gestützt. Abgestellt wurde darauf, dass das Fahrzeug im Zeitpunkt des Erwerbs für die Zwecke des Käufers nicht voll brauchbar gewesen sei, weil es einen verdeckten Sachmangel aufgewiesen habe, der zu einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung hätte führen können. Für einen solchen Sachmangel gibt es vorliegend jedoch gerade keine Anhaltspunkte. Wenn der Kläger behauptet, im Motor EA288 sei eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, welche die erteilte Genehmigung in Frage stelle (und welche offensichtlich nach der Vorstellung des Klägers vom KBA im Rahmen der Untersuchungen stets übersehen wurde), und hierzu Sachverständigenbeweis anbietet, übersieht er, dass das KBA die für einen eventuellen Rückruf des Fahrzeugs oder Widerruf der Typengenehmigung maßgebliche Behörde ist. Das (abstrakte) Risiko eines Widerrufs kann mit Null bezeichnet werden, wenn die zuständige Behörde nach (mehrfacher) tatsächlich durchgeführter, sorgfältiger Prüfung keine unzulässige Abschaltvorrichtung festzustellen vermag“.
1) Soweit der Kläger mit seinen Ausführungen Bezug nimmt auf Darlegungen anderer Gerichte in anderen Verfahren betreffend andere Fahrzeuge, vermag er damit einen etwaigen Anspruch aus § 826 BGB nicht zu begründen. Diese Bezugnahmen stellen grundsätzlich keinen substantiierten Sachvortrag in Bezug auf den streitgegenständlichen Pkw mit dem darin verbauten speziellen Motor dar. Insbesondere vermag auch der Verweis auf ein zusprechendes Urteil des OLG Naumburg vom 09.04.2021 (Az.: 8 U 68/20; BeckRS 2021, 8880) der Berufung nicht zum Erfolg zu verhelfen. Abgesehen davon, dass es sich bei dem zitierten Urteil des OLG Naumburg um eine nicht rechtskräftige Einzelfallentscheidung handelt, ging es dort um eine behauptete Manipulation eines NOx-Speicherkatalysators in einem VW Golf, während das streitgegenständliche Fahrzeug (Audi A4) mit einem SCR-Katalysator ausgestattet ist.
2. Aus den oben dargelegten Gründen sind auch die Voraussetzungen eines etwaigen Anspruchs aus § 831 BGB und aus § 823Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB zu verneinen.
Ein Anspruch des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB scheidet zudem aus Rechtsgründen deswegen aus, weil es an der erforderlichen Stoffgleichheit zwischen dem auf Seiten des Klägers behaupteten erlittenen Vermögensschaden und dem von der Beklagten vermeintlich erstrebten Vermögensvorteil fehlt. Dies ergibt sich für den vorliegenden Fall des Kaufs eines Gebrauchtwagens von einem privaten Verkäufer aus dem Urteil des BGH vom 30.07.2020 – VI ZR 5/20.
3. Ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV wurde vom Landgericht ebenfalls zu Recht verneint.
Wie der Bundesgerichtshof in seinen Urteilen vom 25.05.2020 (Az.: VI ZR 252/19 – juris Rn. 76) und vom 30.07.2020 (Az.: VI ZR 5/20 – juris, Rn. 19) ausgeführt hat, liegt das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, weder im Aufgabenbereich der §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV noch des Art. 5 VO (EG) 715/2007. Diese Vorschriften stellen daher keine Schutzgesetze im Sinn des § 823 Abs. 2 BGB dar, die den Schutz des hier maßgeblichen wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts eines Fahrzeugerwerbers – also des Interesses, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden – bezwecken (vgl. auch Hinweisbeschluss des BGH vom 15.06.2021, Az.: VI ZR 566/20).
4. Auch vertragliche oder quasivertragliche Ansprüche scheiden im Streitfall ebenso aus wie ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 16 UWG. Ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 16 UWG käme nur bei vorsätzlichem Verhalten der Beklagten hinsichtlich eines Verstoßes gegen das Verbot strafbarer Werbung in Betracht (Köhler/Bornkamm/Feddersen/Bornkamm, 39. Aufl. 2021 Rn. 17 zu § 16 UWG; OLG Köln Urt. v. 27.09.2019 – 6 U 57/19, BeckRS 2019, 42420 Rn. 55). Ein derartiger Verstoß ist mit Blick auf das Verhalten der Beklagten nicht festzustellen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
6. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19, Rn. 16, 17; Pressemitteilung Nr. 126/2021 zu dem noch nicht veröffentlichten Urteil vom 13.07.2021, Az. VI ZR 128/20) kommt es bei Diesel-Fällen außerhalb des Motortyps EA 189 darauf an, ob die Klagepartei substantiiert behauptet hatte, dass die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren unzutreffende Angaben über die Arbeitsweise des Abgasrückführungssystems gemacht hatte. Eine einheitliche Entscheidung zu einem bestimmten Motortyp ist demnach nicht geboten und auch gar nicht möglich, da die Entscheidung vom Vorliegen eines substantiierten Vortrags im Einzelfall abhängt.


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