Europarecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Fahrzeug, Kaufpreis, Sittenwidrigkeit, Verletzung, Feststellung, Verkehrssicherheit, Haftung, Anspruch, Erledigung, Umwelt, Auslegung, Feststellungsklage, merkantiler Minderwert, kein Anspruch, juristischen Person

Aktenzeichen  22 O 2860/19

Datum:
25.3.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 44913
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf … festgesetzt.

Gründe

Die Klage war abzuweisen, da sie sowohl unzulässig als auch unbegründet ist.
A.
Die Klage ist im Antrag zu 1) bereits unzulässig. Das Landgericht Landshut ist gem. § 1 ZPO, §§ 23 Nr. 1, 71 I GVG, § 32 ZPO zuständig. Die Voraussetzungen gem. § 256 I ZPO liegen aber nicht vor; die Leistungsklage ist vorrangig. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist anerkannt, wenn davon ausgegangen werden kann, dass eine Erledigung der Streitpunkte durch ein rechtskräftiges Feststellungsurteil zu erwarten wäre. Dies ist hier aber fernliegend, weil der Kläger selbst vorträgt, seinen Gesamtschaden noch nicht beziffern zu können. Eine Feststellungsklage wäre daneben dann zulässig gewesen, wenn die Schadensentwicklung noch im Fortgang gewesen wäre und der Kläger seinen Schaden deshalb noch nicht hätte beziffern können. Ist nur ein Teil des Schadens bezifferbar, steht es einer Partei grundsätzlich frei, entweder ihre Klage teilweise zu beziffern und im Übrigen einen Feststellungsantrag zu formulieren oder sogar allein auf Feststellung zu klagen. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Wollte der Kläger seinen Autokauf „rückabwickeln“, könnte er dies tun. Sowohl der Kaufpreis als auch die seit dem Kauf zurückgelegte Fahrtstrecke ist ihm bekannt. Tatsächlich ist der Hilfsantrag zu 1) des Klägers bereits auf Rückabwicklung gerichtet. Auch darüber hinaus ist die Schadensentwicklung abgeschlossen. Die Typgenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug ist nicht erloschen und derartiges auch nicht angedroht. Sofern der Kläger auf Steuemachforderungen abstellt, hat er nicht dargelegt, dass ihm dies von Behördenseite konkret drohen würde. Gleiches gilt für künftige Schäden durch ein etwa zu erwartendes Vorgehen der Zulassungsbehörden. Das Fahrzeug des Klägers ist nicht stillgelegt, derartiges wurde nicht angedroht und droht auch nicht. Auch ein merkantiler Minderwert ist weder konkret dargelegt noch beziffert. Der Klageantrag zu 1) erweist sich daher als unzulässig. Eines gerichtlichen Hinweises bedurfte es nicht, da auch bei unterstellter Zulässigkeit bzw. Umstellung auf eine Leistungsklage der Anspruch nicht gegeben wäre (s. unten).
B.
Die Klage ist unbegründet.
I.
Der Kläger hat gegen die Beklagte schon dem Grunde nach keinen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz. Dabei kann dahinstehen, ob im Fahrzeug tatsächlich eine unzulässige Abschalteinrichtung (vergleichbar derjenigen im Dieselmotor des Typs EA 189) verbaut ist. Diese Frage ist nicht entscheidungserheblich. Selbst wenn dem so wäre, stünden dem Kläger die behaupteten Ansprüche nicht zu.
1.
Zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehen keine vertraglichen Beziehungen. Ansprüche ergeben sich auch nicht aus quasivertraglichen Beziehungen.
a.
Die Bestimmungen der §§ 280 I, 311 Abs. 3, 241 Abs. 2 BGB sind nicht einschlägig. Eine Dritthaftung nach § 311 Abs. 3 BGB kommt nur dann in Betracht, wenn der Dritte, hier die Beklagte, in besonderem Maß Vertrauen für sich in Anspruch genommen hat, die Vertragsverhandlungen wesentlich beeinflusst hat oder ein unmittelbares wirtschaftliches Eigeninteresse verfolgt (BeckOK/Sutschet, § 311 BGB Rn. 114). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Die Beklagte war in die Vertragsverhandlungen zwischen dem Kläger und der Verkäuferin nicht eingebunden, hat auf die Vertragsverhandlungen keinen Einfluss genommen und hat auch kein unmittelbares wirtschaftliches Eigeninteresse verfolgt. Aus der Bestimmung des § 311 Abs. 3 BGB lässt sich keine Haftung des Produzenten für Vermögensschäden aller Endabnehmer ableiten (Sutschet a.a.O.).
b.
Die Grundsätze zur Prospekthaftung im Bereich des grauen Kapitalmarkts sind auf das Verhältnis des Endabnehmers zum Fahrzeughersteller nicht übertragbar. Es handelt sich um eine von der Rechtsprechung entwickelte Besonderheit, die speziell auf den Kapitalmarkt zugeschnitten ist, wo der Emissionsprospekt die einzige Informationsquelle des Anlegers ist. Dies lässt sich nicht auf Verträge anderer Art und nicht auf den vorliegenden Fall übertragen, bei denen dem Käufer eine Vielzahl von Informationsmöglichkeiten offensteht. Eine Rechtsprechung, die die Grundsätze der Prospekthaftung auf das Verhältnis zum Fahrzeughersteller anwendet, gibt es, soweit ersichtlich, auch nicht.
c.
Der EG-Übereinstimmungsbescheinigung kommt auch nicht der Charakter einer Garantie nach § 443 BGB zu. Der Übereinstimmungserklärung kann nicht entnommen werden, dass die Beklagte sich dem Fahrzeugkäufer gegenüber garantiemäßig verpflichten wollte, Schadensersatz zu leisten, wenn Angaben aus der Übereinstimmungsbescheinigung nicht zutreffend sein sollten.
2.
Dem Kläger stehen auch keine außervertraglichen Ansprüche, insbesondere deliktischer Art, gegen die Beklagte zu.
a.
Dem Kläger stehen keine Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB zu. Eine relevante Täuschung liegt nicht vor. Eine Aufklärungspflicht der Beklagten bestand nicht.
Soweit seitens der Beklagten möglicherweise die für die Typzulassung zuständigen Behörden getäuscht wurden, stellt dies keine Täuschung im Sinne des Betrugstatbestandes dar, da eine solche eine Vermögensverfügung des getäuschten Irrenden voraussetzt, welche nicht dargelegt ist.
Eine Täuschung durch aktives Tun ist nicht gegeben. Der Kläger hat nicht substantiiert dargelegt, auf welche Stickoxidemissionen und welchen CO2-Ausstoß es ihm beim Kauf des Fahrzeugs konkret angekommen wäre.
Eine Täuschung läge darüber hinaus nur dann vor, wenn eine rechtliche Verpflichtung der Beklagten bestanden hätte, Endabnehmer darüber aufzuklären, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 in das Fahrzeug eingebaut wurde. Eine Handlungspflicht in Form einer Aufklärung über die Abschaltvorrichtung gegenüber sämtlichen Käufern liegt nicht vor, da es an der insofern erforderlichen Garantenstellung der Beklagten gegenüber dem Kläger fehlt. Als Fahrzeugherstellerin trifft sie weder eine Garantenpflicht aus besonderem Vertrauensverhältnis noch aus vorangegangenem pflichtwidrigen Verhalten. Eine Garantenstellung der Beklagten aus Ingerenz käme lediglich in Betracht, wenn die verletzte Norm gerade dem Schutz des betroffenen Rechtsguts dient. Die Vermögensinteressen des Klägers fallen jedoch nicht in den Schutzbereich der verletzten Norm des Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Ziff. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007. Diese dient nicht den Vermögensinteressen der Fahrzeugkäufer, sondern der Harmonisierung des Binnenmarktes und zielt auf hohe Verkehrssicherheit, hohen Schutz der Umwelt und der Gesundheit, rationale Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung (Erwägungsgründe zu Rn. 3, der der Verordnung zu Grunde liegenden Rahmenrichtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 05.09.2007).
Soweit vorgebracht wird, dass sich aufgrund der streitgegenständlichen Abschalteinrichtung bei dem Fahrzeug und der sich daran anschließenden Skandalisierung des Vorfalls ein merkantiler Minderwert ergebe, begründet dies keine Aufklärungspflicht. Die Rechtsprechung zum Rücktritt vom Kaufvertrag, wonach bei sogenannten Unfallwagen ein Rücktritt ohne vorherige Fristsetzung möglich ist, da der Charakter des Fahrzeugs als Unfallwagen und ein damit verbundener merkantiler Minderwert auch nach durchgeführter Reparatur verbleibt, kann auf die vorliegende Konstellation nicht übertragen werden. Eine vergleichbar am Markt gewonnene Erfahrung, dass sich die ursprüngliche Motorsteuerungssoftware auch nach dem Entfernen allein und zwangsläufig preismindernd auswirkt, fehlt (LG Braunschweig, Urteil v. 14.07.2017, Az. 11 O 3826/16, Rn. 21).
Eine Täterschaft der Beklagten lässt sich auch nicht aus dem Gesichtspunkt der mittelbaren Täterschaft gemäß §§ 25 Abs. 1 Alt. 2, 263 StGB ableiten. Die Voraussetzungen dieser Haftungsnormen sind nicht vorgetragen. Zwar kann grundsätzlich ein vorsatzloses Verhalten auf Seiten der Verkäuferin die Werkzeugqualität des Vordermannes im Sinne des § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB begründen. Hierin erschöpfen sich die Tatbestandsvoraussetzungen des § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB aber nicht. Unbestritten muss der Hintermann den Handlungsentschluss auf Seiten des (irrenden) Vordermanns bewusst hervorrufen oder veranlassen, was die Feststellung eines entsprechenden Einwirkungsverhältnisses als notwendige Voraussetzung der mittelbaren Täterschaft bedingt. Es ist hier naheliegenderweise nicht der Fall, dass die Beklagte überhaupt Kenntnis des konkreten Verkaufsaktes hatte. Allein der Umstand, dass das Fahrzeug bei einem Händler gekauft wurden, reicht für diese Annahme nicht aus.
Schließlich fehlt es an einer Stoffgleichheit zwischen dem Vermögensvorteil, nämlich der behaupteten Umsatzsteigerung bei der Beklagten, und dem bei dem Kläger nach eigener Darstellung eingetretenen Schaden.
b.
Entsprechendes gilt für § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV. Unabhängig von der Frage der tatsächlichen Verletzung der Vorschriften durch die Beklagte fehlt den Vorschriften der Schutzgesetzcharakter. Eine Norm ist dann als Schutzgesetz anzusehen, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen (Palandt/Sprau, § 823 BGB Rn. 58). Bei diesen Vorschriften handelt es sich nicht um Normen mit Drittschutzwirkung für den Autokäufer. Bei Vorschriften, die – wie hier – Richtlinien umsetzen, kommt es nach der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung insofern maßgeblich auf den Inhalt und den Zweck der Richtlinie – hier also der Richtlinie 2007/46/EG – an (LG Braunschweig, Urteil v. 6.12.2017, Az. 3 O 589/17, 90 mit Verweis auf BGH, EuGH – Vorlage vom 09.04.2015, Az. VII ZR 367/14). Wie dargelegt zielt die Richtlinie nicht auf den Schutz der Vermögensinteressen der Fahrzeugkäufer ab, sondern auf die Harmonisierung des Binnenmarktes und in diesem Zusammenhang auf hohe Verkehrssicherheit, hohen Schutz der Umwelt und der Gesundheit, rationale Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung.
c.
Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 16 UWG ist ebenfalls nicht gegeben, da die Beklagte nicht den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorrufen wollte. Der Hinweis auf die Einhaltung der gesetzlich vorgeschrieben Abgaswerte stellt nicht die Anpreisung eines besonderen Vorteils dar, da alle vergleichbaren Fahrzeuge am Markt den Grenzwert einhalten mussten (vgl. LG Braunschweig, Urteil v. 12.09.2017, Az. 11 O 4019/16 Rn. 174).
Ebenso steht dem Kläger kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Nr. 11 UWG a.F. zu. Die Beklagte hat nicht gegen Vorschriften verstoßen, deren Einhaltung § 4 Nr. 11 UWG a.F. schützt. Die §§ 1, 4, 5 PKW-EnVKV gebieten lediglich, dass die im Typengenehmigungsverfahren erzielten Kraftstoffverbrauchs- und Emissionswerte zu nennen sind. Die in dem Verfahren gewonnenen Werte wurden von der Beklagten auch veröffentlicht.
d.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch gegen die Beklagte wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung nach §§ 826, 31 BGB.
aa.
Ein vorsätzliches Handeln des Vorstandes bzw. eine Kenntnis des damaligen Vorstandes von den Manipulationen ist nicht festgestellt. Sowohl für einen Schadensersatzanspruch aus § 823 II BGB i.V.m. § 263 StGB als auch für einen Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB wegen sittenwidriger Schädigung muss der Kläger ausreichend substantiiert darstellen, inwieweit die jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen insbesondere auch zum Vorsatz auf Beklagtenseite vorlagen. Die objektiv feststellbaren Umstände lassen keinen ausreichenden Rückschluss auf die notwendigen Kenntnisse der juristischen Person zu. Im Bereich der unerlaubten Handlung findet insbesondere keine Wissenszurechnung und -zusammenrechnung bezüglich der subjektiven Komponenten statt. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung setzt das Wollenselement des Schädigungsvorsatzes gemäß § 826 BGB grundsätzlich korrespondierende Kenntnisse derselben natürlichen Person voraus. Dies steht der Anwendung der Grundsätze der Wissenszurechnung und -zusammenrechnung im Rahmen des § 826 BGB entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 28.06.2016, Az. VI ZR 536/15). Für den Vorsatz im Zusammenhang mit § 823 II BGB i.V.m. § 263 StGB kann nichts anderes gelten. Damit würde es nicht ausreichen, dass die bei der Beklagten gegebenenfalls verteilten Kenntnisse der Mitarbeiter und Organe zusammen einen ausreichenden Vorsatz bezüglich einer sittenwidrigen Schädigung oder eines Betrugs begründen würden. Vielmehr müssten diese Kenntnisse sich in einem Organ der Beklagten vereinigen. Hierzu ist nicht ausreichend vorgetragen. Allein die Zusammenschau der objektiven Gesichtspunkte lässt keine zuverlässigen Rückschlüsse auf die Kenntnis verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten (gegebenenfalls welcher genau?) zu.
Betreffend die Frage der Täuschung gelten die Ausführungen zum Betrugstatbestand entsprechend. Auch insofern besteht keine Verpflichtung des Fahrzeugherstellers auf das Vorhandensein einer unzulässigen Abschaltvorrichtung hinzuweisen. Eine außervertragliche Aufklärungspflicht liegt mangels einer Offenbarungspflicht nicht vor (vgl. Oechsler, NJW 2017, 2865 ff.).
bb.
Das der Beklagten vorgeworfene Verhalten ist auch nicht sittenwidrig. Sittenwidrig ist ein Verhalten, wenn es nach Inhalt und Gesamtcharakter, welcher durch eine zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, mithin mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Nicht jeder Rechtsverstoß begründet jedoch eine Sittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB. Bereits die Existenz des § 823 II BGB belegt dies. So werden nicht alle Verstöße gegen formelle Ordnungsvorschriften, sondern auch Verstöße gegen Vorschriften, welche Vermögensinteressen Dritter zumindest mittelbar schützen, aus dem Anwendungsbereich des § 826 BGB teilweise ausgenommen. Bei der Beurteilung der Sittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB kann deswegen nicht allein auf die Verletzung von Gesetzen oder sonstigen Rechtsnormen abgestellt werden. Erforderlich ist vielmehr eine umfassende Würdigung aller Umstände des Einzelfalles. Diese streitet hier, insbesondere unter Berücksichtigung der bereits im Rahmen der Prüfung des § 823 II BGB ermittelten Wertungsgesichtspunkte, gegen die Annahme einer Sittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB (LG Frankfurt/Main, Urteil vom 12.05.2015, Az. 2-28 O 104/16, LG Köln, Urteil vom 07.10.2016, Az. 7 O 138/16).
Zwar ist weitgehend unbestritten, dass § 826 BGB als Auffangnorm neben anderen Normen des BGB anwendbar ist. Dies ist auch für thematisch eng verwandte Normenkreise angenommen worden. § 826 BGB ist also grundsätzlich in der Lage, dogmatische Ergebnisse anderer Regelkreise zu korrigieren. Die prinzipielle dogmatische Autonomie des Tatbestands bedeutet allerdings nicht, dass mit § 826 BGB ein uferloser Auffangtatbestand konstituiert wäre. Im Gegenteil ist gerade auf Grund des potentiell sehr weitreichenden und unbestimmt gefassten Anwendungsbereichs anerkannt, dass die Bestimmung der Sittenwidrigkeit im Sinne von § 826 BGB vom übrigen positiven Recht gewissermaßen kontrolliert wird und auf diesem Wege beschränkt werden kann. Diese Notwendigkeit eines engen Verständnisses der Sittenwidrigkeit wird verstärkt, wenn das Verhältnis in seinen Rechtsfolgen vergleichbarer Normenkreise zu § 826 BGB im Streit steht. Der Gesetzgeber wollte eine Ausuferung des Delikts im Wege des § 826 BGB vermeiden. Insbesondere sollen vertragliche Risikoallokationen und Wertungen anderer Rechtsbereiche nicht konterkariert werden.
Die Anwendung dieser Prinzipien spricht im vorliegenden Falle gegen eine Bejahung einer Sittenwidrigkeit im Sinne des § 826 BGB. Denn die Ansprüche gegen die Beklagte werden nur auf Deliktsrecht gestützt. Das zu beurteilende Gesamtverhältnis zwischen dem Kläger und der Beklagten ist also nicht von Ansprüchen aus Regelkreisen mit unterschiedlichen Rechtswirkungen geprägt. Vielmehr weisen die geltend gemachten Ansprüche im Sinne des § 823 II BGB und des § 826 BGB in ihren Rechtsfolgen jeweils auf Schadensersatz, wenn auch gegebenenfalls unterschiedlichen Umfangs. Hinzu kommt, dass die den bereits untersuchten Regelkreisen des § 823 II BGB zugrunde liegenden Vorwürfe von denen im Rahmen des § 826 BGB geführten Einwänden nicht unterscheidbar sind. Da wie dort werden der Beklagten täuschendes Verhalten und die dargestellten Gesetzesverstöße zur Last gelegt. Ist aber in derartigen Situationen eine Haftung gemäß § 823 II BGB nicht begründbar, so streitet ein weitgehender inhaltlicher Gleichlauf der im Rahmen des § 826 BGB geführten Vorwürfe grundsätzlich gegen die Einordnung des Geschehens als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB. Eine Korrektur der im Rahmen des § 823 II BGB nicht begründbaren Haftung über § 826 BGB muss in derartigen Konstellationen auf Fallgestaltung unabweisbarer dogmatischer Evidenz beschränkt sein. Letzteres ist vorliegend aber nicht gegeben.
cc.
Schließlich fehlt es für einen Anspruch aus § 826 BGB an der haftungsbegründenden Kausalität. Die behaupteten Täuschungen durch die Beklagte müssten kausal gewesen sein für die Abgabe der Willenserklärung des Klägers im Rahmen des Kaufvertragsschlusses. Eine solche Kausalität wird regelmäßig dann vorliegen, wenn es für den Vertragsschluss nur einen einzigen Beweggrund gab und die Täuschung sich auf diesen bezog. Dies ist im Fall des Klägers aber nicht festgestellt.
Die persönliche Anhörung des Klägers hat ergeben, dass er sich wegen der hohen Umweltstandards der Beklagten für das Fahrzeug entschieden habe. Diese Behauptung konnte das Gericht aber nicht davon überzeugen, dass dies der einzige oder entscheidende Grund für den Kauf war. Davon abgesehen, dass ohnehin kein einziges Auto mit Verbrennungsmotor als umweltfreundlich einzustufen ist (es gibt lediglich „das geringere Übel“), ist bereits die Wahl eines Dieselfahrzeugs (noch dazu eines SUV) an sich geeignet, diese angebliche Kaufmotivation zu hinterfragen. Auch ohne größere Kenntnisse von Abgastechnik ist vor dem Hintergrund der Umweltplakettendiskussion jedem verständigen Autokäufer bewusst, dass Dieselfahrzeuge aus Umweltschutzgesichtspunkten problematischer sind als Benziner. Dass es ihm auf konkrete Werte des Stickoxidausstoßes angekommen wäre, konnte der Kläger nicht überzeugend darstellen.
Es entspricht der Rechtsprechung des BGH (BGH NZG 2013, 992), dass auf den Nachweis der konkreten Kausalität für den Willensentschluss des jeweiligen Käufers (beim BGH: des Anlegers) auch bei einer extrem unseriösen Information nicht verzichtet werden kann. Der BGH hatte sich im vorliegenden Fall damit auseinander zu setzen, ob man davon ausgehen könne, dass eine generelle und unabhängig von der Kenntnis des potenziellen Anlegers postulierte Kausalität einer falschen Aussage (dort: einer Kapitalmarktinformation) angenommen werden könne. Dem hat sich der BGH nicht angeschlossen. Er führt viel mehr aus, dass im Rahmen des Anspruchstatbestandes des § 826 BGB auf den Nachweis der konkreten Kausalität für den Willensentschluss des jeweiligen Anlegers selbst bei extrem unseriösen Kapitalmarktinformationen nicht verzichtet werden kann und dementsprechend das enttäuschte allgemeine Anlegervertrauen auf die Erfüllung der in die Anlage gesetzten Erwartung nicht ausreichend sein kann. Diese Entscheidung, ergangen zum Kapitalanlagerecht, muss für beschreibende Aussagen zu Kaufsachen in gleicher Weise gelten. Nachdem das Thema der Stickoxidemissionen nur am Rande in den ausgegebenen Prospekten eine Rolle spielt und laut Aussage des Klägers beim Kauf über die entsprechenden Werte auch gar nicht gesprochen worden sei, hat er den Nachweis einer konkreten Kausalität für den Willensentschluss für den Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs nicht erbringen können.
Unter Schutznormaspekten ist es nicht richtig, allgemeinen Aussagen über die Eigenschaften eines Produktes, selbst wenn sie mit Wissen des Vorstandes falsch in die Welt gesetzt worden sein sollten, generell die Eigenschaft zuzusprechen, dem Käufer auch bekannt und für seinen Kaufentschluss in irgendeiner Form bestimmend gewesen zu sein und die Kausalität einfach zu vermuten. Das würde ansonsten dazu führen, dass man im Falle eines Vorwurfs an die Vorstände, falsche Aussagen über ihre Produkte oder deren möglicherweise erschlichene Genehmigungen gekannt und diese nicht unterbunden zu haben, die Regelungen des Kaufrechtes dadurch ergänzte, dass immer auch der kapitalgesellschaftlich organisierter Hersteller für einen Mangel der Kaufsache haftet. Dies würde die Abgrenzung zwischen vertraglicher Gewährleistung und deliktischer Haftung verwischen und ad absurdum führen.
e.
Mangels erfüllter deliktischer Haftungstatbestände vermag schließlich auch § 831 BGB den Klageantrag nicht zu begründen. Der Kläger legt nicht dar, welche Person konkret welche Täuschungshandlung vorgenommen haben soll (vgl. OLG München, Beschluss vom 25.07.2017, Az. 13 U 566/17). Eine sekundäre Darlegungslast besteht für die Beklagte hier nicht.
II.
Der Kläger kann mangels Anspruchs in der Hauptsache keine Freistellung von den Rechtsanwaltskosten verlangen.
III.
Aus den gleichen Gründen war auch den Hilfsanträgen nicht stattzugeben.
C.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 I 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 S. 1, 2 ZPO. Der Streitwert war gem. § 45 I 2, 3 GKG festzusetzen.


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