Europarecht

Schadensersatz wegen unzulässiger Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit dem Erwerb eines gebrauchten Diesel-Fahrzeugs mit 3,0-Liter-Dieselmotor (Audi A7)

Aktenzeichen  94 O 2084/20

Datum:
15.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 32313
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 31, § 826

 

Leitsatz

1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: OLG München BeckRS 2021, 31796; BeckRS 2021, 32277; BeckRS 2021, 32276; BeckRS 2021, 32267; OLG Brandenburg BeckRS 2021, 14845; BeckRS 2021, 14846; OLG Köln BeckRS 2020, 10284; OLG Hamm BeckRS 2020, 41423; OLG Stuttgart BeckRS 2020, 5656; OLG Koblenz BeckRS 2020, 34715; LG München I BeckRS 2021, 32309; LG München II BeckRS 2021, 9731; LG Nürnberg-Fürth BeckRS 2020, 17853; LG Landshut BeckRS 2021, 15304; LG Ingolstadt BeckRS 2021, 19616. (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Rückruf des Kraftfahrtbundesamts für Audi-Fahrzeuge mit 3.0 l Diesel-Motoren, der ausdrücklich feststellt, dass für diese Motoren eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer schadstoffmindernden, sogenannten schnellen Motoraufwärmung, die nahezu nur im Prüfzyklus NEFZ anspringt, nachgewiesen ist, rechtfertigt in deliktsrechtlicher Hinsicht eine Gleichbehandlung mit den EA 189-Motoren. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Zu typischen Detailfragen aus Dieselfällen hier: Gesamtlaufleistung 250.000 km; Verzugszinsen; Annahmeverzug; 1,3 Geschäftsgebühr als vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten. (Rn. 26, 27, 28 und 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 41.914,79 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.11.2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A7 (2967 ccm/240 kW/326 PS) mit der Fahrgestellnummer … zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 20.11.2020 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 1.663,90 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.11.2020 an die Klagepartei zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 41.914,79 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klage ist zulässig.
Insbesondere ist das Landgericht Würzburg sachlich gemäß § 1 ZPO i.V.m. § 23 Abs. 1 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG zuständig und örtlich gem. § 32 ZPO zuständig.
II.
Die Klage ist auch überwiegend begründet.
1. a)
Nach der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19) besteht ein Anspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung aus §§ 826, 31 BGB in Fällen, in denen das streitgegenständliche Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung enthält. Danach steht es wertungsmäßig einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugkäufer gleich, wenn ein Fahrzeughersteller im Rahmen einer von ihm bei der Motorenentwicklung getroffenen strategischen Entscheidung, die Typgenehmigungen der Fahrzeuge durch arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts zu erschleichen und die derart bemakelten Fahrzeuge alsdann in Verkehr zu bringen, die Arglosigkeit und das Vertrauen der Fahrzeugkäufer gezielt ausnutzt.
Diese Rechtsprechung erging zwar zum Motorentyp EA 189 (EU 5). Grundlage war allerdings, dass die betreffenden Motoren eine unzulässige Abschalteinrichtung enthielten, was vom Kraftfahrtbundesamt in einem Rückrufbescheid festgestellt war. Ebenso liegt der Fall hier. Es liegt ein Rückruf des Kraftfahrtbundesamts für Audi 3.0 l Diesel vom 23.01.2018 vor. Dort ist ausdrücklich festgestellt, dass für diese Motoren ebenso – auch für das hier streitgegenständliche Modell A 7 – eine unzulässige Abschalteinrichtung nachgewiesen ist. Die schadstoffmindernde, sogenannte schnelle Motoraufwärmung springt bei diesen Fahrzeugen nahezu nur im Prüfzyklus NEFZ an. Im realen Verkehr unterbleibt diese NOx-Schadstoffminderung. Dies ist letztlich ebenso als Prüfstandserkennung zu qualifizieren wie beim Motor EA 189 (vgl. LG Oldenburg, Urteil vom 02.03.2020, Az. 16 O 2113/19).
b) Zwar kann beim Gebrauchtwagenkauf nach Aufdeckung des Dieselskandals im September 2015 nicht mehr von einer Täuschung der Käufer und damit von einer sittenwidrigen Schädigung gem. § 826 BGB ausgegangen werden (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20). Dies betrifft jedoch nur die dort benannten Fahrzeugtypen. Die Mitteilung, dass von dem „Abgasskandal“ auch Modelle Audi A7 mit 3I-Hubraum betroffen sind, erfolgte durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) in Form einer Pressemitteilung erst im Januar 2018.
Der Kläger muss auch nicht vortragen und beweisen, dass er das Fahrzeug bei Kenntnis der Manipulationen nicht gekauft hätte. Nach allgemeiner Lebenserfahrung und den sich für die Art des konkreten Geschäfts ergebenden Erfahrungssätzen ist auszuschließen, dass ein Käufer ein Fahrzeug erwerben will, dem eine Betriebsbeschränkung oder Betriebsstillegung droht (BGH a.a.O.).
c) Die vorgenommenen Manipulationen stellen eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung dar, die der Beklagten auch zuzurechnen ist. Die Zurechnung ist ebenso zu bewerten wie im Fall, welcher der Entscheidung des BGH vom 25.05.2020 (a.a.O.) zugrunde liegt. Bestehen hinreichende Anhaltspunkte für die Kenntnis zumindest eines vormaligen Mitgliedes des Vorstands von der strategischen Entscheidung, trägt der beklagte Hersteller die sekundäre Dartegungslast für die Behauptung, eine solche Kenntnis habe nicht vorgelegen (BGH, a.a.O.). Diesbezüglich ist nicht ausreichend von Beklagtenseite vorgetragen.
d) Allerdings gelten die Grundsätze der Vorteilsausgleichung auch für einen Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gem. § 826 BGB (BGH, a.a.O.). Der Kläger muss sich deshalb Nutzungsersatz anrechnen lassen.
Dieser wird berechnet aufgrund der Formel
Kaufpreis (50.790,00) × gefahrene Kilometer (41.692): voraussichtliche Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt (238.590),
wobei bei Dieselfahrzeugen wie dem vorliegenden von einer Gesamtlaufleistung i.H.v. 250.000 km ausgegangen werden kann. Damit ergibt sich ein Betrag i.H.v. 8.875,21 €, den sich der Kläger als Nutzungsvorteil anrechnen lassen muss. Damit sind von der Beklagten 41.914,79 € nebst Verzugszinsen zurückzuerstatten. Soweit die vorgenannte Nutzungsentschädigung die klägerseits abgezogene Nutzungsentschädigung (7.337,53 €) überstieg, unterlag die Klage der Abweisung.
e) Der Kläger hat zudem Anspruch auf Verzugszinsen gem. §§ 280, 286, 288 BGB.
2. Da ein Schadensersatzanspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags besteht, ist auch festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
3. Der Kläger kann auch Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, allerdings nur unter Berücksichtigung einer 1,3 Geschäftsgebühr von der Beklagten verlangen. Dass es sich um eine Angelegenheit größeren Umfangs und hoher Schwierigkeit handelt, hat der Kläger dabei nicht ausreichend vorgetragen.
Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten berechnen sich danach wie folgt:
Gegenstandswert: 44.174,40 €
1,3 Geschäftsgebühr:
1.414,40 €
Auslagenpauschale
20,00 €
Umsatzsteuer 16 %
229,50 €
Summe:
1.663,90 €
In Höhe der Differenz zum klägerischen Antrag zum Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten unterlag die Klage daher der Abweisung
III.
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, da die Klägerseite nur geringfügig unterlegen war.“
IV.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.


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