Europarecht

Sittenwidrigkeit, Kaufpreis, Berufung, Beweislast, Haftung, Fahrzeug, Rechtssatz, Partei, form, Beweisaufnahme, Kenntnis, Anforderungen, Darlegungslast, Voraussetzungen, Darlegungs und Beweislast, Aussicht auf Erfolg, ins Blaue hinein

Aktenzeichen  27 U 1964/21

Datum:
30.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 52562
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

033 O 1896/20 2021-03-03 Urt LGAUGSBURG LG Augsburg

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 03.03.2021, Az. 033 O 1896/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
1. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
2. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 16.000 € festgesetzt.

Gründe

1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
2. Die Berufung ist aber offensichtlich unbegründet. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Entscheidungserhebliche Rechtsfehler im Sinne des § 520 Abs. 3 ZPO sind nicht ersichtlich und werden von der Berufung auch nicht aufgezeigt.
Das Landgericht hat die mangels Vertragsbeziehung zwischen Klagepartei und auch nur einer der beiden Beklagten allein in Betracht kommenden deliktische Ansprüche im Zusammenhang mit dem von der Klagepartei am 14.01.2015 bei der Autohaus Tr. OHG vorgenommenen Erwerb des Pkws Opel Zafira Tourer zu einem Kaufpreis von 23.900 €, ausgestattet mit einem 1,6 l Dieselmotor mit 100 kw (Euro-6-Norm), zu Recht abgewiesen.
Die mit der Berufung erhobenen Rügen verfangen nicht. Zu den Berufungsangriffen ist Folgendes anzumerken:
Der Senat teilt in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung des Landgerichts, dass für eine deliktische Haftung der Beklagten der Kläger grundsätzlich die volle Darlegungs- und Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen trägt (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19 Rz. 35 m.w.N.).
a) Vorliegend fehlt es indes bereits an einer schlüssigen Darlegung für eine objektive Sittenwidrigkeit i.S. § 826 BGB in Bezug auf sämtliche mit der Berufung thematisierten Abschalteinrichtungen.
Hierbei ist sich der Senat dessen bewusst, dass der Grundsatz des rechtlichen Gehörs das Gericht verpflichtet, den entscheidungserheblichen Sachvortrag der Partei in der nach Art. 103 GG gebotenen Weise zur Kenntnis zu nehmen und die angebotenen Beweise zu erheben. Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind. Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen. Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten.
Demgegenüber ist ein Vortrag wegen nicht hinreichender Substantiierung unschlüssig, wenn er „ins Blaue hinein“ oder „aufs Geratewohl“ auf der Basis von Vermutungen erfolgt (vgl. BGH, Beschluss vom 26.03.2019, Az.: VI ZR 163/17, zitiert nach juris m.w.N.).
Auf die vom Bundesgerichtshof im Beschluss vom 28.01.2020 (VIII ZR 57/19, juris) aufgestellten Anforderungen an die Substantiierung kann sich die Klagepartei vorliegend nicht stützen, als es dort um das Vorliegen eines Sachmangels im Sinne § 434 BGB nach Kaufrecht geht, vorliegend indes für eine Haftung nach § 826 BGB etwa auch zur objektiven Sittenwidrigkeit auszuführen ist, für welche die Ausstattung eines Fahrzeugs mit einer (unzulässigen) Abschalteinrichtung nicht genügt. Gerade auch für diese Voraussetzung trägt die Klagepartei als Anspruchstellerin die Darlegungs- und Beweislast (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 -, Rn. 19, juris).
Unabhängig davon fordert der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 28.01.2020, Az. VIII ZR 57/19 für eine Substantiierung dennoch greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung.
aa) In Bezug auf die Abschalteinrichtung des Thermofensters fehlt es an konkreten Anhaltspunkten für eine objektive Sittenwidrigkeit.
So ist inzwischen höchstrichterlich geklärt, dass die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB i.V.m. § 31 BGB (analog) bzw. § 831 BGB) nicht bereits deshalb gegeben sind, weil die Beklagte den streitgegenständlichen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht hat. Dieses Verhalten ist für sich genommen nicht als sittenwidrig zu qualifizieren, selbst wenn man zugrunde legen wollte, dass das Thermofenster gegen die Verordnung 715/2007/EG verstößt (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 -, Rn. 13 ff. mit eingehender Begründung). Dies deswegen, weil die temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung nicht danach unterscheidet, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet.
Bei dieser Sachlage wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur gerechtfertigt, wenn zu einem angenommenen Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. So setzt die Annahme von Sittenwidrigkeit jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt.
Solche Umstände hat die gerade auch insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klagepartei (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 -, Rn. 19) nicht substantiiert dargetan.
bb) Im Übrigen fehlt es an greifbaren Anhaltspunkten dafür, dass der behauptete Rückruf wegen einer Abschalteinrichtung erfolgt wäre, die – vergleichbar der „Schummelsoftware“, wie sie in den VW-Motoren EA 189 verwendet wurde und dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020, VI ZR 252/19 zugrunde liegt – danach unterscheidet, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 -, Rn. 18, juris).
Wie ausgeführt, ist seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19. Januar 2021- VI ZR 433/19 (vgl. dort Rn. 18), welcher sich der Senat anschließt, auch höchstrichterlich geklärt, dass ein in der Ausstattung eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG liegender Gesetzesverstoß auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten nicht per se geeignet ist, den Einsatz dieser Abschalteinrichtung durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich im Sinne § 826 BGB erscheinen zu lassen. Steht eine unzulässige Abschalteinrichtung inmitten, die im Prüfzyklus und im Realbetrieb grundsätzlich in gleicher Weise arbeitet und auch keine spezifisch auf die Rahmenbedingungen des NEFZ abgestimmte Bedatung aufweist, ist der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nur gerechtfertigt, wenn zu einem – unterstellten – Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere bzw. andere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für den Hersteller handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt dann jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Gerade auch hierfür trifft die Klagepartei die Darlegungs- und Beweislast (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 -, Rn. 19, juris).
Soweit die Klagepartei eine an eine Prüfstanderkennung geknüpfte Abschalteinrichtung aus dem Umstand schlussfolgern will, dass nach dem Software-Update ein erhöhter adblue-Verbrauch zu verzeichnen sei ebenso wie aus der Größe des verbauten adblue Tanks, handelt es sich um reine Spekulation, stellt sich die Behauptung mithin als eine solche „ins Blaue hinein dar“.
Gerade auch das Betroffensein des streitgegenständliche Fahrzeugs von einem offiziellen Rückruf durch das Kraftfahrbundesamt (KBA) vermag eine Schlüssigkeit nicht herbeizuführen. Dass ein Rückruf des KBA wegen einer an eine Prüfstanderkennung geknüpften Abschalteinrichtung erfolgt wäre, ist ebenfalls reine Spekulation.
Mithin ist für eine sekundäre Darlegungslast der Beklagtenseite kein Raum, kommt eine solche nur ausnahmsweise und unter ganz besonderen tatsächlichen Umständen zum Tragen, setzt aber voraus, dass der Anspruchsteller zumindest hinreichende, greifbare Anhaltspunkte hierfür dargelegt hat (OLG München, NJW-RR 2019, 1497, 1500 Rn. 44; vgl. auch BGH, Urteil vom 17. Dezember 2014 – IV ZR 90/13 -, Rn. 20, juris). Es bleibt auch im Rahmen der sekundären Darlegungslast bei dem Grundsatz, dass keine Partei verpflichtet ist, dem Gegner die für den Prozesssieg benötigten Informationen zu verschaffen (Zöller/Greger, ZPO, 33. Auflage 2020, vor § 284 Rn. 34).
b) Auch die Voraussetzungen der §§ 823 Abs. 2, 31 BGB/ 831 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB sind nicht erfüllt, da es hier nach alledem an der substantiierten Darlegung eines entsprechenden Vorsatzes der Beklagten fehlt. II.
Aus den dargelegten Gründen hat die Berufung unter keinem Gesichtspunkt Aussicht auf Erfolg. Der Senat beabsichtigt daher, die Berufung der Klagepartei gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.
Nach Sachlage empfiehlt es sich, zur Vermeidung unnötiger weiterer Kosten die Rücknahme der Berufung binnen o. g. Frist zu prüfen. Im Falle einer Rücknahme ermäßigt sich gemäß Nr. 1222 S. 2 KV zum GKG die Gebühr für das Verfahren im Allgemeinen von 4,0 auf 2,0.


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