Europarecht

Sonntagsöffnung von Verkaufsstelle

Aktenzeichen  22 BV 19.530

Datum:
6.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 20657
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 9 Abs. 1, Abs. 3
WRV Art. 139
VwGO § 42 Abs. 2, § 43
LadSchlG § 14 Abs. 1
GewO § 69
NRWLÖG § 6 Abs. 1 S. 3

 

Leitsatz

1. Eine Sonntagsöffnung nach § 14 LadSchlG in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 und 3 GG ein, wenn dadurch die betreffende Vereinigung mehr als nur geringfügig in ihrer Betätigung beeinträchtigt wird, wobei aufgrund der Gesamtwirkung mit anderen gemeindlichen Verordnungen nach § 14 LadSchlG ein solcher Eingriff bereits angenommen werden kann, wenn eine Gemeinde nur an einem einzelnen Sonntag die Öffnung von Verkaufsstellen zulässt. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. § 43 Abs. 2 VwGO ist seinem Zweck entsprechend einschränkend dahingehend auszulegen, dass die angeordnete Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber einer Leistungsklage bei Klagen gegen den Staat nur gilt, wenn – anders als vorliegend – die Sonderregelungen über Fristen und Vorverfahren für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen unterlaufen würden. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Tatbestandsvoraussetzung „aus Anlass von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen“ in § 14 Abs. 1 S. 1 LadSchlG  ist mit Blick auf das Erfordernis einer allenfalls geringen prägenden Wirkung der Ladenöffnung so zu verstehen, dass die öffentliche Wirkung der traditionell auch an Sonn- und Feiertagen stattfindenden Märkte, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen gegenüber der typisch werktäglichen Geschäftigkeit der Ladenöffnung im Vordergrund stehen muss (wie BVerwG BeckRS 2016, 42071 Rn. 24). (Rn. 36 – 37) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

B 8 K 18.382 2018-10-30 Urt VGBAYREUTH VG Bayreuth

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 30. Oktober 2018 (Az. B 8 K 18.382) wird abgeändert.
II. Es wird festgestellt, dass die Kläger durch die Verordnung über die Freigabe von Sonntagen zum Verkauf anlässlich von Messen, Märkten und ähnlichen Veranstaltungen vom 24. April 1996 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 18. September 1996 in eigenen Rechten verletzt werden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen tragen die Kläger zu je 1/10, die Beklagte zu 8/10.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Mit dem schriftsätzlich erklärten Einverständnis der Beteiligten kann über die Klage ohne mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Klage ist zulässig, insbesondere liegen die Prozessvoraussetzungen einer Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO vor (1.). Sie erweist sich im Hauptantrag als unbegründet, sodass die Berufung insoweit Erfolg hat und die Klage abzuweisen ist; die Beklagte ist nicht verpflichtet, die von ihr erlassene Verordnung vom 24. April 1996 in der Fassung vom 18. September 1996 insgesamt aufzuheben (2). Die Klage ist allerdings im Hilfsantrag begründet, da die Kläger durch die Verordnung in der derzeit geltenden Fassung in eigenen Rechten verletzt werden (3.).
1. Die Klage ist als Feststellungsklage gemäß § 43 VwGO zulässig.
a) Die von den Klägern gerügte Verletzung in eigenen Rechten durch die von der Verordnung der Beklagten zugelassene Sonntagsöffnung von Verkaufsstellen ist ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO.
Als Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 VwGO werden die rechtlichen Beziehungen angesehen, die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer diesen Sachverhalt betreffenden öffentlich-rechtlichen Norm für das Verhältnis mehrerer Personen untereinander oder einer Person zu einer Sache ergeben. Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis setzt ferner voraus, dass zwischen den Beteiligten dieses Rechtsverhältnisses ein Meinungsstreit besteht, aus dem heraus sich eine Seite berühmt, ein bestimmtes Tun oder Unterlassen der anderen Seite verlangen zu können (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 43 Rn. 12 m.w.N.).
Die von den Klägern behauptete Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 9 Abs. 1 und 3 GG und Art. 4 GG durch die von der Beklagten zugelassenen Sonntagsöffnungen gemäß § 14 LadSchlG sowie der Anspruch, diese Grundrechtsverletzung zu unterbinden, stellen jeweils ein solches Rechtsverhältnis dar. Die Kläger machen mit Verweis auf entsprechende Rechtsprechung (vgl. z.B. BVerfG, U.v. 1.12.2009 – 1 BvR 2857/07, 1 BvR 2858/07 – juris Rn. 124; BVerwG, U.v. 11.11.2015 – 8 CN 2/14 – juris Rn. 16 f.; BayVGH, U.v. 24.5.2017 – 22 N 17.527 – juris Rn. 41 bis 43) sinngemäß geltend, dass im Einzelhandel tätige Mitglieder, die an den jeweiligen verkaufsoffenen Sonntagen arbeiten, daran gehindert werden, an Veranstaltungen der Kläger an diesen Sonntagen teilzunehmen; weiter werde die Mitgliederwerbung der Kläger erschwert. Diese behauptete Beeinträchtigung der Betätigung der Kläger infolge der Sonntagsarbeit stellt einen konkreten Sachverhalt im vorgenannten Sinne dar. Weiter meinen die Kläger, durch die von der Beklagten gewährte Sonntagsöffnung in Verbindung mit der Gesamtbelastung durch weitere gemeindliche Verordnungen nach § 14 LadSchlG würden Art. 9 Abs. 1 und 3 GG und Art. 4 GG, konkretisiert durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV, verletzt. Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO ist sowohl die behauptete Grundrechtsverletzung durch die Zulassung der Sonntagsöffnung als mittelbarer Eingriff wie auch der unter Umständen hieraus folgende Anspruch des jeweiligen Klägers gegen die Beklagte, diese Grundrechtsverletzung durch eine Änderung der Verordnung nach § 14 LadSchlG zu beenden (vgl. BVerfG, B.v. 17.1.2006 – 1 BvR 541/02, 1 BvR 542/02 – Rn. 50 f. m.w.N.).
Die Kläger können ihr Feststellungsbegehren auch gegen den Beklagten als Normgeber richten. Die Sonntagsöffnung, welche nach dem Vortrag der Kläger insbesondere ihre Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 und 3 GG beeinträchtigt, beruht unmittelbar auf der Verordnung der Beklagten; sie bedarf keiner weiteren Konkretisierung oder Individualisierung im Wege des Verwaltungsvollzuges (vgl. BVerwG, U.v. 12.12.2019 – 8 C 8/19 – juris Rn. 12).
Zwischen den Beteiligten ist schließlich auch streitig, ob eine solche Grundrechtsverletzung vorliegt und ob ein Änderungsanspruch besteht; dies hängt wiederum von der Vorfrage ab, ob die Voraussetzungen für eine Sonntagsöffnung gemäß § 14 LadSchlG vorliegen.
b) Das berechtigte Feststellungsinteresse der Kläger im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO liegt in dem mit der Klage verfolgten Ziel, dass die von ihnen angenommene Grundrechtsverletzung durch eine Änderung oder Aufhebung der Verordnung der Beklagten beendet wird.
c) Die Kläger sind auch klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO analog). Sie können geltend machen, durch die von der Beklagten erlaubten Sonntagsöffnungen mittelbar in ihren Grundrechten aus Art. 9 Abs. 1 und 3 GG verletzt zu sein. Beide Kläger können sich auf die Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 1 und 3 GG berufen; ob die Betätigung des Klägers zu 2 zudem dem Schutzbereich des Art. 4 GG unterfällt, kann dahinstehen (vgl. hierzu im Einzelnen BayVGH, U.v. 24.5.2017 – 22 N 17.527 – juris Rn. 40 bis 49). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 11.11.2015 – 8 CN 2/14 – juris Rn. 18) und des Verwaltungsgerichtshofs (U.v. 24.5.2017 – 22 N 17.527 – juris Rn. 50) greift eine Sonntagsöffnung nach § 14 LadSchlG in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 1 und 3 GG ein, wenn dadurch die betreffende Vereinigung mehr als nur geringfügig in ihrer Betätigung beeinträchtigt wird. Aufgrund der Gesamtwirkung mit anderen gemeindlichen Verordnungen nach § 14 LadSchlG kann ein solcher Eingriff bereits angenommen werden, wenn wie vorliegend eine Gemeinde nur an einem einzelnen Sonntag die Öffnung von Verkaufsstellen zulässt. Über das ganze Jahr gesehen kann ein „Flickenteppich“ sonntäglicher Ladenöffnungen entstehen, der die Organisation gemeinschaftlicher gewerkschaftlicher Tätigkeiten an Sonntagen spürbar erschweren kann (vgl. BVerwG, U.v. 11.11.2015 – 8 CN 2/14 – juris Rn. 18). Beide Kläger sind zudem im Bereich der Beklagten mit Untergliederungen vertreten, denen jeweils eine erhebliche Zahl von Mitgliedern angehört.
d) Der Grundsatz der Subsidiarität (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO) steht der Zulässigkeit der Feststellungsklage vorliegend nicht entgegen.
Die Kläger können ihr Klageziel einer Änderung bzw. Aufhebung der Verordnung der Beklagten schon deshalb nicht durch eine Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) erreichen, weil die angestrebte Maßnahme kein Verwaltungsakt ist. Das Klagebegehren ist auch nicht vorrangig im Wege einer allgemeinen Leistungsklage zu verfolgen. Ob eine solche Klage vorliegend statthaft wäre, kann offenbleiben. Wie das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 4. Juli 2002 – 2 C 13/01 – (juris Rn. 15 f.) ausgeführt hat, ist § 43 Abs. 2 VwGO seinem Zweck entsprechend einschränkend dahingehend auszulegen, dass die angeordnete Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber einer Leistungsklage bei Klagen gegen den Staat nur gilt, wenn – anders als vorliegend – die Sonderregelungen über Fristen und Vorverfahren für Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen unterlaufen würden. Im Übrigen trage die Verfolgung des Klagebegehrens durch eine Feststellungsklage eher als eine Leistungsklage dem Gewaltenteilungsprinzip Rechnung, weil auf die Entscheidungsfreiheit des rechtsetzenden Organs gerichtlich nur in dem für den Rechtsschutz des Bürgers unumgänglichen Umfang eingewirkt werde; die Entscheidung, in welcher Weise eine festzustellende Rechtsverletzung zu beheben sei, bleibe dem Normgeber überlassen.
e) Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht auch nicht entgegen, dass die Kläger gegen die Verordnung der Beklagten einen Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO hätten stellen können.
Die Normenkontrolle schließt es nicht aus, dass die Vereinbarkeit der betreffenden Rechtsnorm in einem anderen Rechtsbehelfsverfahren inzident überprüft wird. Die spezielle Regelung zur fristgebundenen Normenkontrolle (vgl. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO) schließt eine Feststellungsklage nur dann aus, wenn damit die Gültigkeit einer Rechtsnorm oder eine abstrakte Rechtsfrage geklärt werden soll. Anders liegt es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U.v. 12.9.2019 – 3 C 3/18 – juris Rn. 22 bis 24), wenn die Anwendung einer Rechtsnorm auf einen bestimmten und konkreten Sachverhalt streitig ist, sodass die Rechtmäßigkeit der Norm nur als – wenn auch streitentscheidende – Vorfrage aufgeworfen wird. Für die Frage, inwieweit eine die Feststellungsklage ausschließende Wirkung des § 47 VwGO anzunehmen ist, kommt es folglich nicht auf die im angefochtenen Urteil erörterte Frage an, ob die Verordnung der Beklagten erst nach Erlass rechtswidrig geworden ist.
Vorliegend geht es den Klägern lediglich darum, durch ein Urteil mit Feststellungsausspruch, dessen Rechtskraft – anders als im Normenkontrollverfahren (vgl. § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO) – gemäß § 121 VwGO auf die Beteiligten beschränkt ist, eine konkrete Verletzung eigener Rechte abzuwehren (vgl. BVerwG, U.v. 12.9.2019 – 3 C 3/18 – juris Rn. 24). Dem steht nicht entgegen, dass die Frage der Vereinbarkeit der Norm mit der Ermächtigungsgrundlage streitentscheidende Vorfrage ist. Dem vorliegenden Rechtsschutzziel widerspräche es im Übrigen, wenn im Verhältnis zwischen den Klägern und der Beklagten festgestellt würde, dass die Verordnung der Beklagten nichtig ist. Aufgrund der Beschränkung der Rechtskraft einer solchen gerichtlichen Feststellung auf die Beteiligten des Rechtsstreits (§ 121 VwGO) könnten sich die Gewerbetreibenden weiterhin auf die Zulassung der Sonntagsöffnung durch diese Verordnung berufen; die sonntägliche Öffnung der Verkaufsstellen und die damit verbundene Sonntagsarbeit würden nicht unterbunden. Im Übrigen kommt der von den Klägern begehrten Feststellung – entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten – nicht deshalb eine Wirkung inter omnes zu, weil die Inhaber der Verkaufsstellen und potentielle Kunden von einer Aufhebung der Verordnung gemäß § 14 LadSchlG betroffen wären. Es würde sich dabei nicht um eine rechtliche Wirkung eines feststellenden Urteilsausspruchs, sondern um eine bloß tatsächliche mittelbare Folge handeln.
2. Die Klage ist unbegründet, soweit die Feststellung begehrt wird, dass die Beklagte zur Aufhebung der Verordnung vom 24. April 1996 in der Fassung vom 18. September 1996 verpflichtet ist.
Die Kläger machen geltend, dass die Verordnung in der derzeit geltenden Fassung nicht den Voraussetzungen des § 14 LadSchlG genüge. Sie rügen den räumlichen Geltungsbereich der Verordnung, der das gesamte Stadtgebiet der Beklagten erfasst. Die beiden anlassgebenden Veranstaltungen, der Frühjahrs- und der Herbstmarkt, mit jeweils ca. 40 Ständen fänden ausschließlich auf dem M.platz in der Kernstadt statt; insofern könne davon ausgegangen werden, dass die beiden Märkte in keinem Fall über den Altstadtbereich hinaus ausstrahlen würden. Unter Umständen könne es zudem angezeigt sein, bei Jahreszeitenmärkten wie vorliegend die Öffnung der Verkaufsstellen auf solche Warengruppen zu beschränken, die einen Bezug zu den jahreszeitlichen Themen aufweisen würden.
Aus diesem Vortrag ergibt sich nicht, dass die Voraussetzungen des § 14 LadSchlG („aus Anlass von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen“) nicht zumindest bezogen auf den Altstadtbereich vorliegen. Auch hat das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil (Urteilsabdruck S. 18) ausgeführt, im Hinblick auf den M.platz ergebe sich unstreitig ein räumlicher Bezug der Ladenöffnung zum stattfindenden Markt. Es spricht daher alles dafür, dass die Beklagte den Geltungsbereich der Verordnung grundsätzlich in rechtmäßiger Weise auf diesen engeren Bereich festlegen könnte. Dies setzt selbstverständlich insbesondere eine den Anforderungen der Rechtsprechung genügende Begründung einschließlich einer Prognose zu Besucherzahlen voraus. Es bedürfte dann gegebenenfalls keiner Aufhebung, sondern lediglich einer Änderung der Verordnung. Deshalb kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte zu einer Aufhebung der Verordnung verpflichtet ist.
Eine solche Feststellung kann auch nicht mit der Einschränkung, dass ein engerer Bereich um den M.platz ausgenommen wird, getroffen werden. Dem steht bereits entgegen, dass die exakte Grenzziehung des Geltungsbereichs einer ggf. rechtskonformen Sonntagsöffnung im Hinblick auf dessen Ermessen grundsätzlich nur durch den Verordnungsgeber vorgenommen werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 9.8.2018 – 22 N 18.243 – juris Rn. 55). Vorliegend ist auch nicht ersichtlich, dass nach dem Willen der Beklagten als Normgeber die Verordnung jedenfalls für einen definierten räumlichen Teilbereich fortgelten sollte (vgl. entsprechend zu den Voraussetzungen einer Teilnichtigkeit BVerwG, U.v. 12.12.2018 – 8 CN 1/17 – juris Rn. 15).
3. Die Klage ist im Hilfsantrag begründet, den die Kläger bereits im erstinstanzlichen Verfahren als Hilfsantrag Nr. 1 gestellt und in der Berufungserwiderung vom 12. Juni 2019 aufrechterhalten haben. Demnach ist festzustellen, dass die Kläger durch die Verordnung vom 24. April 1996 in der Fassung vom 18. September 1996 in eigenen Rechten verletzt werden. Insoweit ist der Klage stattzugeben und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
a) In ihrer geltenden Fassung ist die Verordnung der Beklagten nicht von § 14 LadSchlG gedeckt. Die Tatbestandsvoraussetzung „aus Anlass von Märkten, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen“ in Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift ist nicht erfüllt.
Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil vom 11. November 2015 – 8 CN 2/14 – (juris Rn. 24 f.) ausgeführt, diese Tatbestandsvoraussetzung sei mit Blick auf das Erfordernis einer allenfalls geringen prägenden Wirkung der Ladenöffnung so zu verstehen, dass die öffentliche Wirkung der traditionell auch an Sonn- und Feiertagen stattfindenden Märkte, Messen oder ähnlichen Veranstaltungen gegenüber der typisch werktäglichen Geschäftigkeit der Ladenöffnung im Vordergrund stehen müsse. Die Ladenöffnung entfalte dann eine geringe prägende Wirkung, wenn sie nach den gesamten Umständen als bloßer Annex zur anlassgebenden Veranstaltung erscheine. Das könne in der Regel nur dann angenommen werden, wenn die Ladenöffnung auf das Umfeld des Marktes begrenzt werde, weil nur insoweit ihr Bezug zum Marktgeschehen erkennbar bleibe. Je größer die Ausstrahlungswirkung des Marktes wegen seines Umfangs oder seiner besonderen Attraktivität sei, desto weiter reiche der räumliche Bereich, in dem die Verkaufsstellenöffnung noch in Verbindung zum Marktgeschehen gebracht werde. Darüber hinaus bleibe die werktägliche Prägung der Ladenöffnung nur dann im Hintergrund, wenn nach der anzustellenden Prognose der Besucherstrom, den der Markt für sich genommen auslöse, die Zahl der Besucher übersteige, die allein wegen einer Öffnung der Verkaufsstellen kämen.
Im angefochtenen Urteil (Urteilsabdruck S. 17 bis 19 unter 2.b.bb. und cc.) wird insbesondere nachvollziehbar dargelegt, dass der räumliche Bezug eines Marktes in der Innenstadt zu den von der Verordnung erfassten Verkaufsstellen in mehreren Stadtteilen nicht gegeben ist. Dies betrifft den Stadtteil Dörfleins (räumliche Trennung vom restlichen Stadtgebiet durch Ackerflächen und den Main; 20 Gehminuten von der Innenstadt), den Stadtteil „Hallstatt Ost“ (abgetrennt durch Bahnlinie; Wegstrecke vom Marktgebiet zu Fuß mindestens 13 Minuten) und das Gebiet „Am Laubanger“ (von der Innenstadt getrennt durch die Autobahn), mit Ausnahme allenfalls bis zum Parkplatz am dortigen Einkaufsmarkt, wo allerdings mittlerweile kein Markt mehr stattfinde; Modenschauen würden von ortsansässigen Einzelhändlern unabhängig vom Markt als Werbemaßnahme abgehalten. Weiter hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt, dass nach unwidersprochenen Angaben der Kläger die geöffneten Verkaufsflächen mit 58.000 m² die Marktfläche von 2.000 m² deutlich überschreiten. Ausweislich des vorlegten Budenplans neueren Datums sei in den letzten Jahren tatsächlich nur der Marktplatz als Marktfläche mit bis zu 30 Verkaufsbuden genutzt worden, sodass ein deutliches Ungleichgewicht zwischen geöffneten Ladenflächen und den anlassgebenden Marktflächen festzustellen sei. Hinzu kommt, dass eine Prognose zu Besucherströmen, die einerseits von dem Marktgeschehen und andererseits von der Sonntagsöffnung der Verkaufsstellen hervorgerufen wird, unstreitig nicht angestellt wurde (vgl. Urteilsabdruck S. 17 unter 2.b.aa.). Die Beklagte ist den vorstehenden schlüssigen Erwägungen des Verwaltungsgerichts mit der Berufungsbegründung nicht konkret entgegengetreten.
Eine Vermutungsregelung betreffend die Prägung durch ein Marktgeschehen wie in § 6 Abs. 1 Satz 3 LÖG NRW („Das Vorliegen eines Zusammenhangs im Sinne des Satzes 2 Nummer 1 wird vermutet, wenn die Ladenöffnung in räumlicher Nähe zur örtlichen Veranstaltung sowie am selben Tag erfolgt“), auf die die Beklagte der Sache nach hinweist, kennt der in Bayern fortgeltende § 14 LadSchlG nicht. Unabhängig davon hat das BVerwG in seinem Urteil vom 20. Juni 2020 – 8 CN 3.19 – (vgl. Pressemitteilung des BVerwG Nr. 36/2020 v. 22.06.2020 – juris) hervorgehoben, dass bei verfassungskonformer Auslegung dieser Vorschrift die Vermutung z.B. wegen des erheblichen Umfangs der Zahl der geöffneten Verkaufsstellen sowie deren Fläche widerlegt sein kann; gegebenenfalls dürfe nicht auf einen Vergleich der zu erwartenden Besucherströme verzichtet werden.
In dem weiteren Urteil vom 20. Juni 2020 – 8 CN 1.19 – (vgl. Pressemitteilung des BVerwG Nr. 36/2020 v. 22.06.2020 – juris) hat das Bundesverwaltungsgerichts erneut betont, dass die prägende Wirkung einer anlassgebenden Veranstaltung, u.a. hinsichtlich der räumlichen Ausstrahlungswirkung gewährleistet sein muss. Weiter wurde in dieser Entscheidung klargestellt, dass eine strenge Beschränkung der Höchstzahl verkaufsoffener Sonntage es nicht rechtfertigt, die Anforderungen an den Bezug der sonntäglichen Ladenöffnung zu der anlassgebenden Veranstaltung auf den Ausschluss bloßer Alibiveranstaltungen zu senken. Dem liegt zugrunde, dass (selbstverständlich) jede einzelne Sonntagsöffnung voraussetzt, dass jeweils die Tatbestandsvoraussetzungen des § 14 LadSchlG vorliegen. Entsprechend gilt vorliegend entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten für die Anforderungen an die Zulassung der Sonntagsöffnung von Verkaufsstellen nicht deshalb ein anderer rechtlicher Maßstab, weil durch die vorliegende Verordnung die gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 LadSchlG maximale Zahl von vier verkaufsoffenen Sonn- und Feiertagen nicht ausgeschöpft wurde und in der Praxis derzeit von einem der nach der Verordnung jährlich zwei verkaufsoffenen Sonntage kein Gebrauch gemacht wird.
b) Da die streitgegenständliche Verordnung in der geltenden Fassung nicht von der Ermächtigung im § 14 Abs. 1 Satz 1 LadSchlG gedeckt ist und die Kläger mehr als nur geringfügig in ihren Rechten beeinträchtigt werden (vgl. oben unter 1. c), werden durch die zugelassenen Sonntagsöffnungen deren Rechte aus Art. 9 Abs. 1 und 3 GG verletzt (vgl. insoweit zur Anfechtungsklage einer Gewerkschaft BayVGH, B.v. 8.12.2016 – 22 ZB 16.1180 – juris Rn. 14).
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte obsiegt im vorliegenden Rechtsstreit nur zu einem geringen Teil, der mit einem Kostenanteil von 1/5 bemessen wird. Auch dann, wenn entsprechend dem Hauptantrag der Kläger eine Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung ihrer Verordnung festgestellt worden wäre, hätte die Beklagte für einen räumlichen Teilbereich eine neue Verordnung gemäß § 14 LadSchlG erlassen dürfen. Der Unterschied zum vorliegenden Urteilsausspruch erschöpft sich im Ergebnis darin, dass die Beklagte diesem entweder mit einer Aufhebung (ggf. verbunden mit dem Neuerlass einer Verordnung) oder einer bloßen Änderung der Verordnung Rechnung tragen kann.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).


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