Europarecht

Überstellung eines Asylbewerbers nach Österreich im Rahmen des Dublin-Verfahrens

Aktenzeichen  W 8 S 19.50805

Datum:
5.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 31634
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1, § 34a
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 17 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1
VwGO § 80 Abs. 5
GRCh Art. 4

 

Leitsatz

1. Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist nicht davon auszugehen, dass das Asylsystem Österreichs an systemischen Mängeln leidet, aufgrund derer dorthin rücküberstellte Asylbewerber eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCh ausgesetzt wären. (Rn. 13) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Dass bestandskräftig abgelehnte Asylbewerber mit ihrer Abschiebung in ihr Herkunftsland zu rechnen haben, stellt keinen Mangel des Asylverfahrens dar und ist auch nicht menschenrechtswidrig. Vielmehr ist davon auszugehen, dass in Österreich ein rechtsstaatliches Erst- und ggf. auch Folgeverfahren durchgeführt wird. (Rn. 16) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Die Erkrankung eines Asylbewerbers an Tuberkulose kann in Österreich als einem Mitgliedstaat der Europäischen Union mit hohem medizinischem Standard behandelt bzw. weiterbehandelt werden. Entsprechende Behandlungsmöglichkeiten stehen dem Asylbewerber auch offen (vgl. VG Aachen BeckRS 2019, 1369).  (Rn. 17) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Der Antragsteller ist algerischer Staatsangehöriger. Er reiste am 20. Oktober 2019 in die Bundesrepublik Deutschland ein, äußerte ein Asylgesuch und stellte am 30. Oktober 2019 einen förmlichen Asylantrag.
Nach den Erkenntnissen der Antragsgegnerin lagen Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 (Dublin III-VO) vor. Auf ein Übernahmeersuchen vom 21. November 2019 erklärten die österreichischen Behörden mit Schreiben vom 27. November 2019 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO.
Mit Bescheid vom 27. November 2019 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag als unzulässig ab (Nr. 1) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 2). Die Abschiebung nach Österreich wurde angeordnet (Nr. 3). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf zwölf Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 4).
Am 4. Dezember 2019 erhob der Antragsteller zu Protokoll des Urkundsbeamten im Verfahren W 8 K 19.50804 Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid und beantragte im vorliegenden Verfahren:
Die aufschiebende Wirkung der Klage wird angeordnet.
Zur Antragsbegründung verwies der Antragsteller auf seine Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und brachte darüber hinaus weiter vor: Österreich würde ihn nach Algerien zurückschicken. Er habe zudem Tuberkulose und müsse nun weiterhin Kontrollen machen lassen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte (einschließlich der Akte des Klageverfahrens W 8 K 19.50804) und die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
II.
Bei verständiger Würdigung des Vorbringens des Antragstellers ist der Antrag dahingehend auszulegen, dass er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung in Nr. 3 des Bundesamtsbescheides vom 27. November 2019 begehrt.
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO – betreffend die Abschiebungsanordnung unter Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheids – ist zulässig, aber unbegründet.
Der angefochtene Bescheid des Bundesamts vom 27. November 2019 ist bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung in Nr. 3 rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten, so dass das öffentliche Vollzugsinteresse das private Interesse des Antragstellers, vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache noch im Bundesgebiet verbleiben zu dürfen, überwiegt.
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die zutreffenden Gründe des streitgegenständlichen Bescheides verwiesen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Das Vorbringen in der Antragsbegründung führt zu keiner anderen Beurteilung.
Österreich ist gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig (vgl. § 34a, § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG). Die österreichischen Behörden haben ausdrücklich ihre dahingehende Zuständigkeit bejaht.
Die Überstellung nach Österreich ist auch nicht rechtlich unmöglich (vgl. § 34a AsylG). Außergewöhnliche Umstände die möglicherweise für einen Selbsteintritt gemäß § 3 Abs. 2 Dublin III-VO bzw. für eine entsprechende Pflicht der Antragsgegnerin nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO sprechen könnten, sind vorliegend weder substanziiert vorgebracht noch sonst ersichtlich. Insbesondere ist nach derzeitigem Erkenntnisstand und unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. OGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 u.a. – NVWZ 2012, 417) nicht davon auszugehen, dass das Asylsystem Österreichs an systemischen Mängeln leidet, aufgrund derer die dorthin rücküberstellten Asylbewerber einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Grundrechtscharta ausgesetzt wären.
Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen bestehen keine Anhaltspunkte für das Vorliegen solcher Mängel im Asylsystem Österreichs, zumal der Antragsteller dahingehend nicht Substanziiertes vorgebracht hat. Umstände, welche die Vermutung für eine ordnungsgemäße Behandlung von Asylantragstellern in der Republik Österreich auch nur ansatzweise substanziell erschüttern könnten, sind nicht bekannt (BVerwG, U.v. 8.1.2019 – 1 C 16/18 – NVwZ 2019, 304). Das Gericht geht nach den vorliegenden Erkenntnissen vielmehr davon aus, dass in Österreich keine generellen systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen mit der Folge gegeben sind, dass Asylbewerber mit überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt werden. In Österreich existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit. Dublin-Rückkehrer haben Zugang zum Asylverfahren. Österreich gewährleistet des Weiteren eine kostenlose medizinische Versorgung, zu der Asylbewerber und Dublin-Rückkehrer in gleicher Weise Zugang haben wie österreichische Staatsbürger. Die Gesundheitsfürsorge in Österreich ist umfassend und auf hohem Niveau. Asylbewerber haben in Österreich darüber hinaus einen Anspruch auf Grundversorgung und erhalten eine Unterkunft (vgl. VG Köln, B.v. 11.7.2019 – 19 L 1217/19.A – juris; VG Berlin, B.v. 3.5.2019 – 3 L 47.19 A – juris; VG Aachen, B.v. 28.1.2019 – 6 L 1826/18.A – juris; VG Würzburg, G.v. 13.12.2018 – W 10 K 18.50490 – juris; jeweils m.w.N.).
Ferner ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin ermessensfehlerhaft keinen Gebrauch von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 Dublin III-VO gemacht hat.
Auch die Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers in Österreich, verbunden mit einer ihm möglicherweise drohenden Abschiebung in sein Heimatland, führt nicht zu einer Zuständigkeit der Antragsgegnerin verbunden mit einer nochmaligen Prüfung seines Schutzbegehrens in Deutschland. Dem Antragsteller steht es frei, in Österreich um Rechtschutz nachzusuchen bzw. dort einen Folgeantrag zu stellen. Dass bestandskräftig abgelehnte Asylbewerber mit ihrer Abschiebung in ihr Herkunftsland zu rechnen haben, ist kein hier relevanter Mangel des Asylverfahrens und auch im Übrigen nicht menschenrechtswidrig. Vielmehr ist – wie ausgeführt – davon auszugehen, dass in Österreich ein rechtstaatliches Erst- und gegebenenfalls auch Folgeverfahren durchgeführt wird. Der Asylbewerber hat nach der Systematik sowie dem Sinn und Zweck der Dublin-Regelungen insbesondere kein Wahlrecht, sich den Mitgliedsstaat auszusuchen, in dem er sich bessere Chancen oder angenehmere Aufenthaltsbedingungen erhofft oder nach Ablehnung eines Asylantrags in einen Mitgliedsstaat in einen anderen Mitgliedsstaat weiterzureisen, um eine weitere Prüfung seines Asylantrags mit einen für ihn günstigen Ergebnis zu erreichen. Relevant sind allein die Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates nach der Dublin III-VO (ebenso VG Aachen, B.v. 28.1.2019 – 6 L 1826/18.A – juris).
Auch aufgrund der Tuberkulose-Erkrankung des Antragstellers ergibt sich weder ein inlandsbezogenes Abschiebungshindernis in Form einer krankheitsbedingten Reiseunfähigkeit noch ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis hinsichtlich Österreichs wegen fehlender Behandlungsmöglichkeiten und damit einhergehender wesentlicher Verschlechterung einer schwerwiegenden Erkrankung. Da Österreich – wie bereits ausgeführt – über eine umfassende Gesundheitsfürsorge verfügt, die auch dem Antragsteller zugänglich ist, besteht für das Gericht kein Anlass zu zweifeln, dass die vom Antragsteller geltend gemachte Erkrankung bzw. Kontrollen der Tuberkulose im Bedarfsfall auch in Österreich als einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union mit hohem medizinischen Standard behandelt bzw. weiterbehandelt werden kann und dass ihm entsprechende Behandlungsmöglichkeiten auch offenstehen, zumal der Antragsteller auch schon in der Vergangenheit die österreichische Gesundheitsfürsorge genossen hat (vgl. VG Aachen, B.v. 28.1.2019 – 6 L 1826/18.A – juris; VG Würzburg, G.v. 13.12.2018 – W 10 K 18.50490 – juris; jeweils m.w.N.).
Zudem geht das Gericht weiter davon aus, dass die mit der Rückführung befassten deutschen Behörden im vorliegenden Einzelfall – soweit erforderlich – geeignete Vorkehrungen zum Schutz des Antragstellers treffen werden. Auf die Verpflichtung aus Art. 29 Abs. 1 UA 2 Dublin III-VO sowie Art. 32 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO wird hingewiesen, wonach die Antragsgegnerin – bei Bedarf – gehalten ist, den österreichischen Behörden Informationen über die besonderen Bedürfnisse bezüglich der Gesundheit der zu überstellenden Person zu übermitteln bzw. bei der Gestaltung der Überstellung die notwendigen Vorkehrungen zu treffen.
Schließlich sind auch inlandsbezogene Abschiebungshindernisse, die die Antragsgegnerin selbst zu berücksichtigen hätte, nicht ersichtlich.
Im Ergebnis hat der Antragsteller keinen Anspruch, dass die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung vorläufig ausgesetzt wird.
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.


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