Europarecht

Unbefugter Datenabruf aus polizeilichem Recherchesystem

Aktenzeichen  2 Ss OWi 949/18

Datum:
28.8.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
NStZ-RR – 2018, 383
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BayDSG Art. 4 Abs. 1, Art. 8 Abs. 3 S. 1, Art. 16 Abs. 1, Art. 37 Abs. 1 Nr. 3
BayPAG Art. 43 Abs. 1 S. 1
BayPOG Art. 3
BayMeldeG Art. 34 Abs. 1, Abs. 5
BayBG Art. 124 Abs. 2
StVG § 39
StPO § 98c, § 161, § 163, § 261, § 264, § 267 Abs. 1 S. 1, S. 5
OWiG § 20, § 46 Abs. 1, § 53, § 71 Abs. 1, § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, Abs. 6, § 80 Abs. 2 Nr. 2, § 80a Abs. 1, Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

1. Bei den in den automatisierten polizeilichen Recherchesystemen ‚Integrationsverfahren Polizei‘ [IGVP] und ‚Informationssystem der Polizei‘ [INPOL] gespeicherten personenbezogenen Daten handelt es sich um nicht offenkundige personenbezogene Daten, deren unbefugter Abruf den Bußgeldtatbestand des Art. 37 I Nr. 3 BayDSG a.F. (vgl. nunmehr Art. 23 I Nr. 1c BayDSG n.F.) erfüllt (Festhaltung u.a. an BGH, Urt. v. 04.06.2013 – 1 StR 32/13 = BGHSt 58, 268 = NJW 2013, 2530 = StraFo 2013, 369 = DuD 2013, 666 = BGHR BDSG § 43 Abs 2 Nr 1 Daten, personenbezogene – nicht allgemein zugänglich 1 = StV 2014, 221 = NStZ-RR 2014, 187 = NZV 2014, 369 und OLG Bamberg, Beschl. v. 27.04.2010 – 2 Ss OWi 531/10 = DuD 2010, 661 = NStZ-RR 2011, 27 = DAR 2011, 214). (Rn. 11)
2. Der Abruf nicht offenkundiger personenbezogener Daten in polizeilichen Recherchesystemen durch einen Polizeibeamten ist nur dann zulässig, wenn die Datenkenntnis aus seiner Sicht zur polizeilichen Aufgabenerfüllung notwendig ist. Fehlt ein dienstlicher Anlass oder handelt der Betroffene im privaten Interesse, erfolgt der Datenabruf unbefugt im Sinne von Art. 8 III 1 BayDSG a.F. (Anschluss an OLG Bamberg a.a.O.). (Rn. 12)
3. Bei einem im Übrigen rechtmäßigen Datenabgleich durch einen Polizeibeamten vermag allein ein Handeln außerhalb seines örtlichen und sachlichen Dienstbereichs einen Verstoß gegen Art. 37 I Nr. 3 BayDSG a.F. nicht zu begründen, sofern sich eine Zuständigkeit jedenfalls aus Art. 3 I POG herleiten lässt. Kann sich der Polizeibeamte nicht auf eine Ausnahme nach Art. 3 II Nrn. 1- 4 POG berufen, kommt ausschließlich eine disziplinarische Ahndung als Dienstvergehen in Betracht. (Rn. 15)

Gründe

A.
Die Rechtsbeschwerde der StA ist zulässig.
I. Soweit das AG den Betr. in den Fällen 1-13, denen Datenabrufe im Zeitraum zwischen 12.06.2016 und 16.06.2016 zugrunde liegen, freigesprochen hat, ergibt sich die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde aus § 79 I 1 Nr. 3 OWiG.
1. Nach § 79 I 1 Nr. 3 OWiG ist gegen ein freisprechendes Urteil in Bußgeldsachen die Rechtsbeschwerde der StA u.a. zulässig, wenn wegen der Tat im Bußgeldbescheid eine Geldbuße von mehr als 600 Euro festgesetzt oder eine solche Geldbuße von der StA beantragt worden war. Gemeint ist damit die für eine Tat im verfahrensrechtlichen Sinne verhängte Geldbuße. Sind in dem Bußgeldbescheid für mehrere gemäß § 264 StPO prozessual selbständige Taten Geldbußen festgesetzt worden, die jeweils 600 Euro nicht übersteigen, so muss die Rechtsbeschwerde für jeden Einzelfall zugelassen werden. Liegen im Rahmen einer prozessualen Tat jedoch mehrere Handlungen des Betr. vor, die mit Einzelgeldbußen geahndet werden, so ist die Summe der Einzelgeldbußen bei einer unbeschränkt eingelegten Rechtsbeschwerde maßgebend (OLG Bamberg, Beschluss vom 02.03.2011 – 3 Ss OWi 178/11 = BeckRS 2016, 15123; vgl. auch BeckOK OWiG/Bär [Stand: 15.06.2018] § 79 Rn. 46 ff., 48; Göhler-Seitz/Bauer OWiG 17. Aufl. § 79 Rn. 10; Burhoff [Hrsg.]/Gieg, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl., Rn. 3473 ff., insbes. Rn. 3485 m. zahlr. weit. Nachw.). Ob verschiedene Handlungen einer prozessualen Tat zuzuordnen sind, hat das Rechtsbeschwerdegericht in eigener Zuständigkeit zu prüfen, ohne an die Beurteilung durch das Tatgericht gebunden zu sein (vgl. BayObLG, Beschluss vom 14.05.2004 – 1 ObOWi 185/04 = BayObLGSt 2004, 62 = ZfS 2004, 384 = VerkMitt 2004, Nr. 57 = VRS 107, 59 = NZV 2004, 480 = DAR 2004, 532 = VD 2005, 77; OLG Bamberg a.a.O.). Insoweit gilt im Ordnungswidrigkeitenrecht über § 46 I OWiG der prozessuale Tatbegriff des Strafrechts. Mithin ist die Tat ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang, der sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet und innerhalb dessen die getrennte Verfolgung der darin enthaltenen Vorgänge einen einheitlichen Lebensvorgang unnatürlich aufspalten würde. Bei der Frage, ob eine einheitliche prozessuale Tat vorliegt, steht also das Handeln des Betr. im Mittelpunkt, welches daraufhin zu untersuchen ist, ob ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang oder ein so enger sachlicher Zusammenhang besteht, dass eine Abspaltung einzelner Handlungsteile unnatürlich erschiene (BGH, Beschluss vom 12.09.2013 – 4 StR 503/12 = BGHSt 59, 4 = NJW 2013, 3668 = StraFo 2013, 519 = ZfS 2014, 50 = DAR 2014, 95 = TranspR 2014, 120 = BGHR OWiG § 46 Tatschrift 1 = NStZ 2014, 523 = NZV 2014, 49; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 61. Aufl. § 264 Rn. 2 m.w.N; Burhoff [Hrsg.]/Gieg a.a.O. Rn. 3475 ff. m.w.N.).
2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze bilden die den Fällen 1-13 zugrunde liegenden Verstöße eine prozessuale Tat, da die einzelnen Datenabrufe ersichtlich sämtlich darauf abzielten, die Meldeverhältnisse in dem Anwesen L.-Straße 55 in P. abzuklären und auf dieser Grundlage durch weitere Abfragen der dort gemeldeten Personen und der vor dem Anwesen abgestellten drei Kraftfahrzeuge mit ausländischen Kennzeichen weitere Erkenntnisse zu Tage zu fördern. Unbeschadet der Tatsache, dass die Abrufe teilweise im Abstand von nur wenigen Minuten vorgenommen wurden, sind die Verstöße materiell-rechtlich nicht auch als natürliche Handlungseinheit, sondern als selbständig zu beurteilende Taten im Sinne von § 20 OWiG zu bewerten, da sie sich jeweils auf unterschiedliche Personen und Objekte bezogen und auch in verschiedenen polizeilichen Auskunftssystemen getätigt wurden, sodass sich der gesamte Lebensvorgang auch bei natürlicher Betrachtungsweise für einen unbeteiligten Dritten (objektiv) nicht als einheitliches zusammengehöriges Tun darstellt, sondern das gesamte Tätigwerden auf selbständigen, jeweils auf einem gesonderten Tatentschluss beruhenden Willensbetätigungsakten beruht.
II. Soweit das AG den Betr. in den Fällen 14-16, denen Datenabrufe vom 03.08.2016, 09.08.2016 und 06.12.2016 zugrunde liegen, freigesprochen hat, handelt es sich schon mit Blick auf den zeitlichen Abstand zwischen den Datenabrufen und die Zäsurwirkung durch das Schreiben des Betr. an das LRA H. vom 20.06.2016 um verschiedene Taten im prozessualen Sinne, da sie jeweils auf einer neuen Willensbetätigung beruhten. Da auch diese Verstöße im Bußgeldbescheid vom 18.09.2017 jeweils mit Geldbußen von 100 Euro belegt worden sind, erweist sich die Rechtsbeschwerde der StA nach durch den Einzelrichter mit Beschl. vom 28.08.2018 zur Fortbildung des materiellen Rechts erfolgter Zulassung nach § 80 II Nr. 2 OWiG auch insoweit als statthaft.
B.
Die damit insgesamt zulässige und vom Einzelrichter zur Fortbildung des materiellen Rechts gemäß § 80a I i.V.m. III 1 OWiG dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit 3 Richtern zur Entscheidung übertragene Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das angefochtene Urteil kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil die Feststellungen im Rahmen der Beweiswürdigung lückenhaft sind und den Anforderungen der §§ 261, 267 V StPO i.V.m. § 71 I OWiG an ein freisprechendes Urteil nicht genügen.
I. Wenn auch in Bußgeldverfahren an die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind, kann für deren Inhalt grundsätzlich nichts anderes als im Strafverfahren gelten. Denn auch im Bußgeldverfahren sind die Urteilsgründe die alleinige Grundlage für die rechtliche Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin. Sie müssen daher so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird. Spricht das Tatgericht einen Betr. frei, weil es – wie hier – Zweifel an seiner Täterschaft oder am Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines bußgeldbewehrten Handelns nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Rechtsbeschwerdegericht in der Regel hinzunehmen. Die rechtsbeschwerderechtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind (BGH – Urt. v. 16.12.2015 – 1 StR 423/15 [bei juris]). Wird der Betr. aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, so müssen nach Mitteilung des dem Bußgeldbescheid zugrundeliegenden Tatvorwurfs im Urteil zunächst diejenigen Tatsachen festgestellt werden, die der Tatrichter für erwiesen hält. Erst auf dieser Grundlage ist in der Beweiswürdigung darzulegen, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen zusätzlichen Feststellungen nicht getroffen werden können. Nur hierdurch wird das Rechtsbeschwerdegericht in die Lage versetzt, nachprüfen zu können, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht (vgl. nur BGH, Urt. v. 05.02.2013 – 1 StR 405/12 = NJW 2013, 1106 = NStZ 2013, 334; BGH, Urt. v. 05.08.1997 – 5 StR 210/97 = StraFo 1997, 302 = NStZ-RR 1997, 374). Das ist nur dann nicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, oder gegen Denkgesetze bzw. gesicherte Erfahrungssätze verstößt (BGH, Urt. v. 06.11.1998 – 2 StR 636/97 = StV 1999, 5 = BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16= NStZ-RR 1999, 301 sowie Urt. v. 14.01.2009 – 2 StR 516/08 = BGH NStZ-RR 2009, 210). Insbesondere sind die Beweise auch erschöpfend zu würdigen (BGHSt 29, 18/19 ff.). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Betr. zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind beim freisprechenden Urteil nicht geringer als im Fall der Verurteilung (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 11, 27 und BGHR StPO § 267 V Freispruch 15; BGHSt 37, 21/22).
II. Diesen Anforderungen wird das Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. So geben die Urteilsgründe mit der bloß tabellarischen Auflistung der einzelnen Fälle nach polizeilichem Auskunftssystem, Gegenstand sowie Datum und Uhrzeit der Abfrage schon nicht hinreichend verständlich die dem Bußgeldbescheid zugrundeliegenden Tatvorwürfe in den wesentlichen Einzelheiten der vorgeworfenen Tathandlungen wieder, sondern setzen diese als bekannt voraus. Dieser Darstellungsmangel setzt sich fort in der Mitteilung des festgestellten Sachverhalts. Auch aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe erschließt sich insoweit der jeweilige Gegenstand der Datenabfragen nicht, weil schon die Bedeutung der Ziffern- und Zahlenfolgen in der lediglich tabellarischen Auflistung für den im Rahmen der Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge allein auf die Urteilsurkunde beschränkten Senat schlicht unverständlich bleibt. Darüber hinaus fehlt es insbesondere an einer zusammenhängenden Mitteilung, welche Feststellungen im Einzelnen zum Anlass der einzelnen Abfragen getroffen werden konnten. Das angefochtene Urteil lässt schließlich auch die für ein freisprechendes Urteil erforderliche Gesamtschau des Beweisergebnisses vermissen. Die aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zu entnehmenden fragmentarischen Details sind nicht geeignet, dem Rechtsbeschwerdegericht eine umfassende Nachprüfung des Urteils dahingehend zu ermöglichen, ob das Verhalten des Betr. den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach Art. 37 I Nr. 3 BayDSG a.F. erfüllt, weil er unbefugt von diesem Gesetz geschützte Daten, die nicht offenkundig sind, abgerufen hat. Im Einzelnen:
1. Soweit das AG ersichtlich davon ausgeht, dass es sich bei den von dem Betr. abgerufenen Daten um personenbezogene Daten handelt, die auch nicht offenkundig sind (Art. 4 I BayDSG a.F.), deckt dies keinen Rechtsfehler auf. Bei den im polizeilichen Abfragesystem IGVP gespeicherten Daten mit Informationen über laufende Ermittlungen handelt es sich tatsächlich um personenbezogene Daten i.S.v. Art. 4 I BayDSG a.F., da sie Einzelangaben über persönliche und wirtschaftliche Verhältnisse bestimmter oder bestimmbarer natürlicher Personen enthalten (rechtsgrundsätzlich hierzu OLG Bamberg, Beschluss vom 27.04.2010 – 2 Ss OWi 531/10 = DuD 2010, 661 = NStZ-RR 2011, 27 = DAR 2011, 214; BayObLGSt 1998, 130/131; 1999, 85/87). Auch die in dem elektronischen Informationssystem der Polizei INPOL gespeicherten Daten, das eine Vielzahl landes- und bundesweiter Datensätze (u.a. EWO, AZR, ZEVIS) bündelt, enthalten über die Personalien der Betr. hinausgehende Feststellungen zur Kontrolle und Rechtfertigung polizeilichen Handelns, sodass auch insoweit nicht von einer Offenkundigkeit dieser Daten auszugehen ist. Nach der Rspr. des BGH handelt es sich bei allgemein zugänglichen bzw. offenkundigen Daten nur um solche Daten, die von jedermann zur Kenntnis genommen werden können, ohne dass der Zugang zu den Daten rechtlich beschränkt ist (grundlegend BGH, Urt. v. 04.06.2013 – 1 StR 32/13 = BGHSt 58, 268 = NJW 2013, 2530 = StraFo 2013, 369 = DuD 2013, 666 = BGHR BDSG § 43 Abs 2 Nr 1 Daten, personenbezogene – nicht allgemein zugänglich 1 = StV 2014, 221 = NStZ-RR 2014, 187 = NZV 2014, 369). Demnach sind etwa auch die EWO-Daten einer einfachen Melderegisterauskunft gemäß Art. 34 I BayMeldeG nicht offenkundig, weil eine Auskunftssperre gemäß Art. 34 V BayMeldeG gegeben sein kann, desgleichen Halterdaten gemäß § 39 StVG, die nur dann übermittelt werden dürfen, wenn bestimmte rechtliche Tatbestände vorliegen, die einen Bezug zum Straßenverkehr haben (BGH NJW 2003, 226; vgl. zum Ganzen Wilde/Ehmann/Niese/Knoblauch, Datenschutz in Bayern – BayDSG und DSGVO – Ablageordner – Art. 37 BayDSG Rn. 30 ff., 32 g; a.A. zu den Halterdaten noch BayObLG NJW 1999, 1727; OLG Hamburg NStZ 1998, 358).
2. Da es sich bei den abgerufenen Daten aus IGVP bzw. INPOL nicht um offenkundige Daten handelt, hat das AG sodann vom Ansatz her zutreffend geprüft, ob der Betr. bei seinen Abfragen „unbefugt“ gehandelt hat. Der Abruf nicht offenkundiger personenbezogener Daten in Recherchesystemen der Polizei ist nur dann zulässig i.S.v. Art. 8 III 1 BayDSG a.F., wenn aus der Sicht des handelnden Polizeibeamten deren Kenntnis zur polizeilichen Aufgabenerfüllung notwendig ist (OLG Bamberg, Beschluss vom 27.04.2010 – 2 Ss OWi 531/10 = DuD 2010, 661 = NStZ-RR 2011, 27 = DAR 2011, 214; vgl. auch BayObLGSt 1998, 130; 1999, 15). Dabei ist die materielle und formelle Rechtmäßigkeit der Aufgabenerfüllung Erhebungsvoraussetzung und bestimmt sich nach fachspezifischen Vorschriften, die das Vorhandensein bestimmter Informationen für die Erfüllung bestimmter Aufgaben voraussetzen (Wilde/Ehmann/Niese/Knoblauch a.a.O. Art. 16 BayDSG Rn. 15 f.). Fehlt es an einem dienstlichen Anlass bzw. handelt der Betr. im privaten Interesse, so erfolgt der Datenabruf unbefugt i.S.v. Art. 8 III 1 BayDSG a.F.
a) Im Bereich der Gefahrenabwehr genügt nach Art. 43 I 1 BayPAG (hier und im Folgenden in der Fassung vom 14.09.1990 [GVBl. S. 6397]) für den Abruf personenbezogener Daten des Störers eine bloße anlasslose Vermutung nicht; andererseits ist aber auch das Vorliegen einer konkreten Gefahr nicht erforderlich; ausreichend ist eine abstrakte Gefahr (Berner/Köhler/Käß PAG 20. Aufl. Art. 43 Rn. 6; Schmidbauer/Steiner/Schmidbauer PAG 4. Aufl. Art. 43 Rn. 3; BeckOK PolR Bayern/Aulehner [Stand: 01.04.2018] PAG Art. 43 Rn. 5). Im Bereich der Strafverfolgung bestimmt sich die Zulässigkeit der Datenerhebung demgegenüber nach §§ 161, 163 StPO und speziell die Zulässigkeit eines (vorliegend nicht gegebenen) maschinellen Datenabgleichs für Zwecke der Strafverfolgung nach § 98c StPO (Schmidbauer/Steiner/Schmidbauer a.a.O. Art. 43 Rn. 8; BeckOK PolR Bayern/Petri a.a.O. Art. 31 Rn. 12). Für die Zulässigkeit des Datenabrufs ist danach ausreichend, aber auch erforderlich das Bestehen eines Anfangsverdachts, mithin ein über bloße Vermutungen hinausreichender, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützter konkreter Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 28.06.2018 – StB 10/18 [bei juris]). Nichts anderes gilt grundsätzlich gemäß § 53 OWiG für das – freilich im pflichtgemäßen Ermessen stehende – polizeiliche Handeln im Bereich der Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten, wobei sich hier im Einzelfall weitere Einschränkungen aus dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit ergeben können (zur umstrittenen Zulässigkeit eines maschinellen Datenabgleichs nach § 98c StPO im Bußgeldverfahren vgl. im Übrigen KK/Lampe OWiG 7. Aufl. § 46 Rn. 2).
b) Soweit in formeller Hinsicht die Rechtmäßigkeit der Aufgabenerfüllung stets von der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit der erhebenden Stelle abhängt, ist hierbei entgegen der Rechtsauffassung der StA auch die in Art. 3 I BayPOG verankerte örtliche, sachliche und funktionelle Allgemeinzuständigkeit jedes bayerischen Polizeibeamten im Vollzugsdienst i.S.v. Art. 124 II BayBG zu beachten. Art. 3 I POG ist keine rein innerdienstliche Vorschrift, sondern entfaltet Außenwirkung für und gegen jede dritte Person und ist damit auch Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für polizeiliches Handeln, gleichviel ob es sich um die Erfüllung von Gefahren abwehrenden, strafverfolgenden, private Rechte schützenden oder sonst gesetzlich zugewiesenen Aufgaben handelt (Schmidbauer/Steiner 4. Aufl. 2014 POG Art. 3 Rn. 3-7; BeckOK PolR Bayern/Gliwitzky/Schmid [Stand: 01.04.2018] POG Art. 3 Rn. 1 u. 3; vgl. auch BayObLG NStZ-RR 2003, 109).
c) Soweit die StA meint, aus Art. 16 I BayDSG a.F. ein anderes Ergebnis herleiten zu können, weil nach dieser Vorschrift die Erhebung personenbezogener Daten nur zulässig ist, wenn ihre Kenntnis zur „Erfüllung der in der Zuständigkeit der erhebenden Stelle liegenden Aufgaben erforderlich ist“, und deshalb einen Datenabgleich nur dann für befugt hält, wenn der Polizeibeamte innerhalb des eigenen örtlichen und sachlichen Dienstbereichs tätig wird, kann der Senat dem nicht folgen. Zum einen bestimmt sich die örtliche und sachliche Zuständigkeit auch im Rahmen von Art. 16 I BayDSG a.F. nach den entsprechenden bereichsspezifischen Vorschriften (vgl. Wilde/Ehmann/Niese/Knoblauch a.a.O. Art. 16 BayDSG Rn. 17), zu denen im Bereich polizeilichen Handelns auch Art. 3 I BayPOG gehört, zum anderen ist aber die Anwendung von Art. 16 BayDSG a.F. im Bereich der polizeilichen Datenerhebung und -verarbeitung nach den bereichsspezifischen Regelungen der Art. 30-48 BayPAG a.F. ohnehin durch Art. 49 BayPAG a.F. ausgeschlossen. Im Übrigen hätte die Rechtsauffassung der StA zur Folge, dass auch in den Fällen des Art. 3 II 2 BayPOG eine Datenerhebung unbefugt wäre, denn die Regelung des Art. 3 II BayPOG begründet nach ganz einhelliger Meinung keine Zuständigkeitsregelung, sondern beinhaltet eine rein innerdienstliche Organisationsvorschrift, deren Beachtung oder Nichtbeachtung sich auf die Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Amtshandlung nicht auswirkt (vgl. nur Schmidbauer/Steiner a.a.O. POG Art. 3 Rn. 8, 13). Bei einem im Übrigen rechtmäßigen Datenabgleich durch einen Polizeivollzugsbeamten vermag daher ein Handeln außerhalb seines örtlichen und sachlichen Dienstbereichs einen Verstoß gegen Art. 37 I Nr. 3 BayDSG a.F. nicht zu begründen, sofern sich eine Zuständigkeit jedenfalls aus Art. 3 I POG herleiten lässt. Soweit kein Fall des Art. 3 II 2 BayPOG vorliegt, kommt in einem solchen Fall nur eine disziplinarische Ahndung als Dienstvergehen in Betracht.
3. Zwar hat das AG, das ein Handeln des Betr. außerhalb seines örtlichen und sachlichen Dienstbereichs festgestellt hat, diese Zuständigkeitsproblematik im Grundsatz zutreffend erkannt; allerdings ist es dem Senat nicht möglich, zu überprüfen, ob die Überzeugung des Tatrichters, dass jeder einzelne Datenabruf dienstlich veranlasst und daher befugt i.S.v. Art. 37 I Nr. 3 BayDSG a.F. war, in den getroffenen Feststellungen und der diesen zugrunde liegenden Beweiswürdigung eine ausreichende objektive Grundlage findet, welche den Freispruch des Betr. rechtsfehlerfrei zu begründen vermag.
a) Die Ausführungen des AG zum festgestellten Sachverhalt erschöpfen sich neben der Mitteilung der dienstlichen Funktion des Betr. in der Feststellung, dass die Datenabrufe auch der Ermittlung möglicher Straftaten (Steuerdelikte, Verstöße gegen das Pflichtversicherungsgesetz, Freizügigkeitsgesetz/EU) oder gefahrenabwehrrechtlich relevanter Verstöße wegen Überbelegung/unberechtigter Beherbergung/möglicher Untervermietung dienten; welchen sonstigen Zweck das Handeln des Betr. verfolgt haben soll, lässt das Urteil offen. Tatsachen, auf Grund derer der Senat im Einzelnen überprüfen könnte, ob das Handeln des Betr. dienstlich veranlasst war, mithin – über bloße Vermutungen hinausgehend, die ggf. zu besonderer Achtsamkeit und Beobachtung, nicht aber zur Ermittlung von Tatsachen Anlass gaben, die zur Begründung eines Anfangsverdachts erst erforderlich waren – die gesetzlichen Voraussetzungen der §§ 161, 163 StPO bzw. § 53 OWiG i.S.d. Anfangsverdachts einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit gegeben waren, werden in dem angefochtenen Urteil nur bruchstückhaft mitgeteilt. Dies gilt gleichermaßen für Tatsachen, die dem Senat die Prüfung erlauben könnten, ob die gesetzlichen Voraussetzungen des Art. 43 I 1 BayPAG a.F. i.S. einer mindestens abstrakten Gefährdungslage und nicht nur in Form einer möglichen Gefahr oder eines Gefahrenverdachts ohne gesicherte Tatsachenbasis vorlagen. Das AG führt insoweit lediglich im Rahmen der Wiedergabe der Einlassung des Betr. aus, dieser habe „entsprechende Beobachtungen hinsichtlich ausländischer Fahrzeuge, die in seiner Nachbarschaft in P. geparkt haben“, an die zuständigen Stellen weitergeleitet, welche jedoch nicht reagiert hätten, weshalb er selbst tätig geworden sei. Weder wird deutlich, welche Beobachtungen der Betr. zu welchem Zeitpunkt an welchem Ort gemacht haben will noch ist ersichtlich, an welche Dienststellen er welche Informationen zu welchem Zeitpunkt weitergeleitet hat.
b) Soweit das AG im Rahmen der Beweiswürdigung darauf hinweist, dass entsprechende Anzeigen auf Bl. 14, 15 d.A. dokumentiert und in der Hauptverhandlung verlesen worden seien, lässt das Urteil jedwede Angaben zu Zeitpunkten, Adressaten und Inhalten der Schreiben vermissen. Indes verlangt § 267 I 1 StPO i.V.m. § 46 I OWiG eine in sich geschlossene Darstellung der vom erkennenden Gericht zur Urteilsgrundlage gemachten Feststellungen, weshalb jegliche Verweisungen oder Bezugnahmen auf Schriftstücke unzulässig sind, soweit dadurch die gebotene eigene Sachdarstellung ersetzt werden soll (KK/Kuckein StPO 7. Aufl. § 267 Rn. 3 m.w.N). Auch der in einem einzigen Satz wiedergegebenen Aussage des Zeugen U., der die dem Bußgeldverfahren zugrunde liegenden Ermittlungen gegen den Betr. geführt hat, vermag der Senat weder die vermissten Feststellungen zum zeitlichen Ablauf des Geschehens zu entnehmen noch zum Vorgehen des Betr. hinsichtlich einer etwaigen Weitergabe der erhobenen Daten an die zuständigen Stellen.
c) Insgesamt lassen die Ausführungen des AG zur Beweiswürdigung besorgen, dass sich das AG im Wesentlichen mit der Übernahme der Einlassung des Betr. begnügt hat. Diese kritisch zu hinterfragen und mit lückenlosen und widerspruchsfreien Feststellungen zu Gegenstand und Grund der jeweiligen Datenabfrage und zum Vorgehen des Betr., das den Datenabfragen vorausgegangen war bzw. sich daran angeschlossen hat, zu unterlegen, hätte sich dem AG aber schon deshalb aufdrängen müssen, weil es – allerdings wiederum ohne nähere Feststellungen zu treffen – einen Bezug der getätigten Datenabfragen zum sozialen Umfeld des Betr. feststellt, dieser also offensichtlich persönlich tangiert war von bestimmten Vorgängen bzw. Zuständen in einem zu seinem privaten Wohnanwesen benachbarten Anwesen.
d) Mit Blick auf die nach Sachlage nicht fernliegende Möglichkeit rein privat motivierter Datenabrufe hätte das AG prüfen müssen, ob es nicht in der Zusammenschau mit weiteren Beweisanzeichen zur Überzeugung der Täterschaft des Betr. gelangt. Schon die Tatsache, dass der Betr. mangels jeglicher Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Ausnahmefalles nach Art. 3 II 2 BayPOG jedenfalls dienstpflichtwidrig gehandelt hat, kann mindestens ein Beweisanzeichen für eine rein privat motivierte Datenabfrage sein (instruktiv BayObLG, Beschluss vom 29.07.1999 – 5St RR 75/99 [bei juris]). Weitere Beweisanzeichen könnten sich aus dem konkreten Vorgehen des Betr. im Nachgang zu den einzelnen Datenabrufen ergeben. Handelt ein Polizeivollzugsbeamter außerhalb seines örtlichen und sachlichen Zuständigkeitsbereichs, so dürfte es den dienstlichen Gepflogenheiten entsprechen, entweder selbst einen entsprechenden Vorgang anzulegen und ihn zu gegebener Zeit an die zuständige Stelle abzugeben oder jedenfalls über Anlass, Gegenstand und Ergebnis der Ermittlungen einen Aktenvermerk zu fertigen und diesen zu gegebener Zeit an die örtlich und sachlich zuständige Polizeidienststelle zur Einleitung eines Vorgangs weiterzuleiten. Ob und in welcher Weise der Betr. hiervon abgewichen ist, kann der Senat dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen; insbesondere lassen die Feststellungen eine zeitliche Einordnung der Vorgänge nicht zu.
Sollte der Betr. seine Beobachtungen zunächst als Privatperson im Wege einer Anzeige oder in seiner dienstlichen Funktion als Polizeibeamter im Wege eines Aktenvermerks den zuständigen Stellen zur Kenntnis gebracht und die Datenabrufe erst danach vorgenommen haben, so sind diese jedenfalls nicht schon deshalb dienstlich veranlasst und daher befugt i.S.v. Art. 37 I Nr. 3 BayDSG a.F., weil der Betr. etwa überprüfen wollte, ob und ggf. was die zuständigen Stellen veranlasst haben, oder der Betr. nicht damit einverstanden war, dass diese (noch) nichts veranlasst hatten, und der Betr. sich daher entschloss, die nach seiner Ansicht erforderlichen Ermittlungen selbst durchzuführen. Insoweit ist ein dienstlicher Anlass zu entsprechenden polizeilichen Maßnahmen schon deshalb nicht anzuerkennen, weil die Entscheidung, ob und ggf. in welcher Weise polizeilich einzuschreiten ist, unbeschadet der Fallgestaltungen des Art. 3 II 2 BayPOG in der fachlichen Verantwortung der nach ihrem örtlichen und sachlichen Dienstbereich zuständigen Dienststelle liegt. Eine vermeintliche Untätigkeit der zuständigen Stelle vermag daher kein dienstliches Erfordernis für ein Einschreiten des Betr. zu begründen. Insoweit wäre der Betr. gehalten gewesen, ggf. den Beschwerdeweg zu beschreiten.
C.
Wegen der aufgezeigten Rechtsfehler ist auf die Rechtsbeschwerde der StA das angefochtene freisprechende Urteil mitsamt den getroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das AG zurückzuverweisen (§ 79 VI OWiG).
D. 
Für die neue Hauptverhandlung ist auf Folgendes hinzuweisen: Das AG wird insbesondere aufzuklären haben, ob und ggf. in welcher Weise der Betr. schon vor Durchführung der Datenabrufe 1-13 seine privat erlangten Erkenntnisse den zuständigen Stellen zur Kenntnis gebracht hat oder ob er diese nach Durchführung der Datenabrufe 1-13 erstmals mit Schreiben vom 20.06.2016 dem LRA sowie nach Durchführung der Datenabrufe 14-16 in einem weiteren Schreiben vom 05.12.2016 dem Hauptzollamt mitgeteilt hat. Sollte Letzteres der Fall gewesen sein, so kommt auch dem Umstand, ob der Betr. in diesen Schreiben seine dienstliche Funktion sowie Anlass, Gegenstand und Ergebnis der von ihm getätigten Datenabfragen offen gelegt hat, indizielle Bedeutung für die Frage zu, ob die Datenabrufe jeweils dienstlich oder rein privat motiviert waren. […]


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