Europarecht

Unterbrechung der Überstellungsfrist nur bei relevanter Aussetzungsentscheidung

Aktenzeichen  AN 17 K 20.50158

Datum:
11.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 26548
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a
VwGO § 80 Abs. 4
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 27 Abs. 4, Art. 29 Abs. 1, Abs. 2, Art. 42
AufenthG § 11 Abs. 1

 

Leitsatz

Die Aussetzung des Vollzugs einer Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO führt nur dann zur Unterbrechung der sechsmonatigen Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO, wenn die Aussetzung dem Zweck der Ermöglichung von gerichtlichem Rechtschutz dient. (Rn. 20 – 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 16. Oktober 2019 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Sprungrevision wird zugelassen.

Gründe

Das Gericht konnte gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich der Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 13. Juli 2020 und die Beklagte mit Schriftsatz vom 20. Juli 2020 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt haben.
Die Klage ist zulässig und begründet.
1. Die Klage ist zulässig.
Die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) ist die einzig statthafte Klageart gegen die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG (Ziffer 1 des Bescheides des Bundesamtes vom 16. Oktober 2019) und die Folgeentscheidungen. (BVerwG, U.v. 1.6.2017 – 1 C 9/17 – juris Rn. 15; Pietzsch in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 25. Ed. 1.3.2020, § 34a AsylG Rn. 26). Mit der Anfechtungsklage als statthafter Klageart bleibt es auch prozessual bei der Gliederung des Asylverfahrens in zwei Prüfungsstufen, nämlich zunächst der Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrages zuständigen Staates nach der Dublin III-VO und sodann der materiellen Prüfung (Pietzsch in Kluth/Heusch, a.a.O.).
Die Klagebefugnis gemäß § 42 Abs. 2 VwGO ist gegeben. Der Kläger ist Adressat eines belastenden Verwaltungsaktes und macht den Ablauf der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO geltend, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs drittschützende Wirkung hat (etwa EuGH, U.v. 25.10.2017 – C-201/16 – NVwZ 2018, 43 Ls. 2 u. Rn. 35 ff.; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 29 AsylG Rn. 42).
2. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid des Bundesamtes vom 16. Oktober 2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
a) Die Anfechtungsklage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des Bescheides vom 16. Oktober 2019 ist begründet. Das Bundesamt hat den Antrag des Klägers im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zu Unrecht als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG abgelehnt und ihn damit in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Zwar war die Republik Frankreich ursprünglich einmal im gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO für die Zuständigkeitsbestimmung nach dem Dritten Kapitel der Dublin III-VO maßgeblichen Zeitpunkt der ersten Asylantragstellung des Klägers am 6. August 2019 in Deutschland nach Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO für dessen Asylverfahren zuständig, da er über ein durch Frankreich ausgestelltes Schengen-Visum, gültig vom 24. Juni 2019 bis zum 20. Dezember 2019 verfügte. Frankreich hatte seine Zuständigkeit nach Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO nach einem Übernahmeersuchen des Bundesamtes vom 16. August 2019 mit Schreiben vom 15. Oktober 2019 auch anerkannt.
Allerdings hat die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat nach Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO binnen sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahmegesuchs durch den ersuchten Staat zu geschehen, da ansonsten die Zuständigkeit für das Asylverfahren gemäß Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO auf den ersuchenden Mitgliedstaat, hier Deutschland, übergeht. Diese Frist beginnt nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Unterabs. 1 Alt. 1 Dublin III-VO grundsätzlich mit der Annahme des (Wieder) Aufnahmegesuchs durch den ersuchten Staat. Die Fristberechnung richtet sich nach Art. 42 Dublin III-VO. Frankreich hat das Aufnahmegesuch der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich des Antragstellers am 15. Oktober 2019 basierend auf Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO angenommen. Damit begann die Sechsmonatsfrist gemäß Art. 42 Buchst. a Dublin III-VO am 16. Oktober 2019, endete gemäß Art. 42 Buchst. b Dublin III-VO am 15. April 2020 und ist, im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abgelaufen, ohne dass eine Überstellung des Klägers nach Frankreich erfolgt wäre. Somit ist die beklagte Bundesrepublik Deutschland für das Asylverfahren des Klägers zuständig geworden, weshalb dessen Asylantrag durch das Bundesamt nicht nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG als unzulässig abgelehnt werden darf.
Es kam auch nicht zu einer Hemmung oder Unterbrechung mit Neubeginn der Sechsmonatsfrist des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO.
Die Aussetzung des Vollzugs der Abschiebungsanordnung gemäß § 80 Abs. 4 VwGO durch das Bundesamt vom 7. April 2020, also nur acht Tage vor dem Ablauf der Überstellungsfrist am 15. April 2020, hatte nach Überzeugung der Kammer, die bereits im Beschluss vom 23. Juli 2020 niedergelegt ist (VG Ansbach, B.v. 23.7.2020 – AN 17 E 20.50215 – juris), keine Unterbrechung der sechsmonatigen Überstellungsfrist zur Folge.
Nach Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO können die Mitgliedstaaten zwar vorsehen, dass die zuständigen Behörden beschließen können, von Amts wegen tätig zu werden, um die Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfes oder der Überprüfung auszusetzen. Liegt eine derartige behördliche Aussetzung vor, kommt dieser nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, ungeachtet der Tatsache, dass Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO nicht Bezug nimmt auf Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO, die gleiche Wirkung zu wie einer gesetzlichen oder gerichtlichen Aussetzung (BVerwG, U.v. 8.1.2019 – 1 C 16/18 – juris Rn.20).
Eine behördliche Aussetzungsmöglichkeit in diesem Sinne sieht nach Bundesverwaltungsgericht das deutsche Recht mit § 80 Abs. 4 VwGO vor (BVerwG, U.v. 8.1.2019 – 1 C 16/18 – juris Rn. 22 ff.).
Auch unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung ist mit der hier streitgegenständlichen behördlichen Aussetzung aber keine Fristunterbrechung bewirkt worden. Mit der – soweit ersichtlich – überwiegenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. VG Schleswig-Holstein, U.v. 15.5.2020 – 10 A 596/19; VG Münster, B.v. 22.5.2020 – 8 L 367/20.A; VG Aachen, U.v. 10.6.2020 – 9 K 2584/19.A; VG München, U.v. 7.7.2020 – M 2 K 19.51274 – jeweils juris, auch OVG Schleswig-Holstein, B.v. 9.7.2020 – 1 LA 120/20 – juris; a.A. VG Düsseldorf, U.v. 21.7.2020 – 22 K 8760/18.A; VG Osnabrück, B.v. 12.5.2020 – 5 B 95/20; VG Gießen, B.v. 8.4.2020 – 6 L 1015/20.GI.A – jeweils juris) geht die Kammer davon aus, dass die Unterbrechungswirkung nach dem Wortlaut des Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO nur eintritt, wenn die Aussetzung mit dem Ziel der Ermöglichung von gerichtlichem Rechtschutz erfolgt ist. Der Wortlaut des Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO ermöglicht die behördliche Aussetzung mit Unterbrechungswirkung den nationalen Gesetzgebern nämlich nur „bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung“.
Vorliegend ist im Zeitpunkt der Aussetzungsentscheidung der einzig noch offene Rechtbehelf die anhängige Anfechtungsklage vom 25. Oktober 2019 (AN 17 K 20.50158) gewesen. Die Aussetzungsentscheidung diente in der vorliegenden Konstellation aber nicht der Ermöglichung des Abschlusses dieser Klage. Die Aussetzung erfolgte nach den schriftlichen Äußerungen der Antragsgegnerin vielmehr aus vom noch anhängigen Klageverfahren völlig unabhängigen Gründen, stand nämlich allein im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemielage. Diese Pandemielage in Europa machte die Überstellung des Klägers nach Frankreich wegen geschlossener Grenzen vorübergehend unmöglich. Wegen der Ansteckungsgefahr erschien dem Bundesamt eine Überführung nach Frankreich außerdem unvertretbar (wobei das Bundesamt offenließ, ob die Unzumutbarkeit gegenüber dem Kläger oder gegenüber Frankreich als Übernahmestaat oder gegenüber beiden gesehen wurde). Die Aussetzung erfolgte ausdrücklich „bis auf weiteres“ und „unter [dem] Vorbehalt des Widerrufs“, was zusätzlich die Abhängigkeit der Aussetzung von der tatsächlichen Pandemielage deutlich macht und die Aussetzung vom Fortgang des Klageverfahrens entkoppelt.
Zwar hätten die Auswirkungen der Pandemielage auch im noch offenen Klageverfahren eine Rolle spielen können, die Beklagte beabsichtigte mit der Aussetzung aber gerade nicht, dem Antragsteller die Entscheidung des Gerichts zu ermöglichen, sondern hat die Entscheidung hierzu selbst getroffen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat zur Frage der Zielsetzung der Ermöglichung gerichtlichen Rechtschutzes in seinem Urteil vom 8. Januar 2019 (1 C 16/18 – juris) als Voraussetzung für die behördliche Aussetzung zwar nicht konkret Stellung bezogen, hatte hierzu aber auch keinen Anlass, da dieses Ziel im entschiedenen Fall offensichtlich gegeben war. Die behördliche Aussetzung dort erfolgte gerade wegen und zur Ermöglichung des Gerichtsverfahrens und beruhte auf Stillhalteersuchen von Gerichten.
Ausdrücklich verlangt das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil als Mindestvoraussetzung einer behördlichen Aussetzungsentscheidung zum einen nur, dass ein Rechtsbehelf für den Kläger noch offen ist und zum anderen, dass sachlich vertretbare Erwägungen für die Aussetzung vorliegen, die Aussetzung nicht missbräuchlich oder willkürlich erfolgt ist und nicht allein dazu gedient hat, die Überstellungsfrist zu unterbrechen, die aufgrund behördlicher Versäumnisse sonst nicht mehr zu wahren gewesen wäre (BVerwG, U.v. 8.1.2019 – 1 C 16/18 – juris Rn. 26 und 27). Da in der hier vorliegenden Konstellation, wie dargelegt, als Motivation des Bundesamtes für die behördliche Aussetzung realistischer Weise nur der ansonsten zu befürchtende Ablauf der Überstellungsfrist bleibt, ist auch ein Missbrauch im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anzunehmen. Bis zum Ablauf der Überstellungsfrist blieben im Zeitpunkt der Aussetzungsentscheidung nur noch acht Tage, die angesichts der Pandemielage und gesetzlichen Restriktionen in Deutschland und Frankreich und davon abgesehen wohl auch angesichts der üblichen Vorlaufzeiten und Ankündigungsfristen bei Vollzug einer Abschiebungsanordnung abgelaufen wären, ohne dass eine Überstellung in dieser Zeit möglich gewesen wäre. Letztlich wurde die Aussetzung durch das Bundesamt auch nach Ablauf der ursprünglichen Überstellungsfrist (15. April 2020) am 24. Juni 2020 wieder aufgehoben.
Auch die Europäische Kommission ging in ihrem Leitfaden zur COVID-19-Pandemie vom 16. April 2020 davon aus, dass keine Regelung der Dublin III-VO es erlaubt, von der Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO aufgrund der Pandemielage abzuweichen. Zwar stellt die Auffassung der Europäischen Kommission keine rechtsverbindliche Festlegung dar, jedoch stützt diese Auffassung die hier vorgenommene Auslegung, dass eine behördliche Aussetzung nur Unterbrechungswirkung hat, wenn sie mit dem Ziel der Wahrung des Rechtschutzes erfolgt ist, aber andere, auch sachliche oder vernünftige Gründe, insbesondere die Unmöglichkeit der Abschiebung hierfür nicht ausreichen.
Nach alldem ist von einem Ablauf der Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO auszugehen, womit die beklagte Bundesrepublik Deutschland nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO für das Asylverfahren des Klägers zuständig geworden ist. Die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des Bescheides vom 16. Oktober 2019 nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist somit rechtswidrig und aufzuheben.
b) Nachdem die Unzulässigkeitsentscheidung in Ziffer 1 des Bescheides vom 16. Oktober 2019 aufzuheben war, kann die Feststellung des Nichtvorliegens von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG in Ziffer 2 ebenfalls nicht bestehen bleiben, da sie jedenfalls verfrüht ergangen ist (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 21). Denn das Bundesamt ist nunmehr zunächst verpflichtet, den Antrag des Klägers materiell zu prüfen. Erst im Rahmen dieser inhaltlichen Prüfung kann und muss das Bundesamt über Abschiebungsverbote hinsichtlich des Herkunftslandes befinden (so auch VG Aachen, U.v. 20.7.2020 – 10 K 1678/19.A – juris Rn. 187 f.). Hinsichtlich des Herkunftslandes des Klägers, Syrien, erfolgte bislang keine Prüfung von Abschiebungsverboten und war dies aufgrund der Zweistufigkeit des Asylverfahrens auch nicht veranlasst. Insoweit hat das Bundesamt in der Folge erst noch zu entscheiden. Abschiebungsverbote sind bisher nur in Bezug auf Frankreich geprüft.
c) Mit Aufhebung der Unzulässigkeitsentscheidung muss auch die in Ziffer 3 des Bescheides vom 16. Oktober 2019 getroffene Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG nach Frankreich aufgehoben werden, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG nicht mehr vorliegen.
d) Die in Ziffer 4 des angefochtenen Bescheids erfolgte Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 10 Monate ist mit dem Wegfall der Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG gegenstandslos geworden und ebenfalls aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2, Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
4. Die Sprungrevision wird gemäß § 78 Abs. 6 AsylG, § 134 VwGO zugelassen. Die Rechtssache hat gemäß § 134 Abs. 2 Satz 1, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO insofern grundsätzliche Bedeutung, als dass durch das Bundesverwaltungsgericht bislang nicht abschließend geklärt ist, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes nach § 80 Abs. 4 VwGO bezüglich einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylG zu einer Unterbrechung und gegebenenfalls zu einem Neubeginn der Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1, Abs. 2 Dublin III-VO führt. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 8. Januar 2019 (1 C 16/18 – juris) entschieden, dass die Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO von sechs Monaten durch eine Aussetzung der Vollziehung nach § 80 Abs. 4 VwGO jedenfalls dann unterbrochen werde, wenn sie aus sachlichen Erwägungen erfolge, was auch europarechtskonform sei (BVerwG, U.v. 8.1.2019 – 1 C 16/18 – juris Rn. 18 ff.). Allerdings gab die entschiedene Konstellation keinen Anhaltspunkt, näher auf die Frage einzugehen, wann genau die Aussetzung der Überstellung nach § 80 Abs. 4 VwGO dem sich aus Art. 27 Abs. 3, Abs. 4, Art. 29 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO nach deren Sinn und Zweck ergebenden Ziel der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes dient oder nur losgelöst davon erfolgt. Der Wortlaut des Art. 27 Abs. 4 Dublin III-VO ermöglicht die behördliche Aussetzung mit Unterbrechungswirkung den nationalen Gesetzgebern nämlich nur „bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung“. Auf Grund des europarechtlichen Anwendungsvorranges sind die genannten Vorschriften der Dublin III-VO in der Lage, den nach nationalem Recht im Rahmen des § 80 Abs. 4 VwGO grundsätzlich gegebenen weiten Handlungsspielraum einzuschränken. In der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts diente die Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes nach § 80 Abs. 4 VwGO hingegen und anders als hier ohne Weiteres der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes, weil der dortige Kläger Verfassungsbeschwerde eingelegt, Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und das Bundesverfassungsgericht das Bundesamt um ein Stillhalten gebeten hatte.
Die Frage, unter welchen Voraussetzungen in der vorliegenden Konstellation eine Aussetzungsentscheidung des Bundesamtes zur Unterbrechung der Überstellungsfrist führt, hat auch fallübergreifende Bedeutung und ist im Interesse einer einheitlichen Auslegung und Anwendung des Rechts für eine revisionsgerichtliche Klärung geeignet.


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