Europarecht

Unwirksamer Widerruf eines Darlehensvertrages zur Finanzierung eines Kraftfahrzeuges BMW 525d

Aktenzeichen  19 U 7202/19

Datum:
27.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 27833
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
EGBGB Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3
BGB § 492 Abs. 2

 

Leitsatz

Eine richtlinienkonforme Auslegung des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB aF scheitert daran, dass es einem Gericht verwehrt ist, ein vom deutschen Gesetzgeber verabschiedetes Umsetzungsgesetz entgegen dessen erklärten Willen auszulegen (contra legem). Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des EuGH (ebenso EuGH BeckRS 2019, 288).  (Rn. 8 – 23) (red. LS Andy Schmidt)

Verfahrensgang

22 O 1247/19 2019-11-14 Endurteil LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 14.11.2019, Aktenzeichen 22 O 1247/19, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 30.713,16 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger verfolgt mit der Berufung seine vermeintlichen Ansprüche auf Rückabwicklung eines Darlehensvertrages mit der Beklagten vom 04.04.2014 über einen Nettodarlehensbetrag in Höhe von EUR 21.713,16 zuzüglich einer Anzahlung i. H. v. EUR 9.000,00, abgeschlossen zur Finanzierung des Kaufes eines Fahrzeuges der Marke BMW, 525 d, weiter, den er mit Schreiben vom 24.03.2018 widerrufen hat. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 14.11.2019, Aktenzeichen 22 O 1247/19, Bezug genommen (§ 522 Abs. 2 S. 4 ZPO). Das Landgericht München I hat die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung.
Der Kläger beantragt im Berufungsverfahren, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts München I vom 14.11.2019, Az.: 22 O 1247/19, wie folgt zu erkennen:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft einen Betrag in Höhe von Euro 29.073,74 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen, hilfsweise nach, Rückgabe des Kraftfahrzeuges BMW 525d (Diesel) mit der Fahrgestellnummer: …87 und Zug um Zug gegen Zahlung einer von der Beklagten noch darzulegenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs.
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 09.04.2018 mit der Annahme des im Antrag zu 1. genannten Fahrzeuges in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kläger schafft von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von Euro 2033,00 freizustellen.
Die Beklagte beantragt im Berufungsverfahren:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 27.03.2020 (Bl. 320 / 337 d.A.) wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass und warum der Senat beabsichtigt, seine Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen. Mit Schriftsatz vom 06.04.2020 (Bl. 338 / 342 d.A.) nahm der Kläger dazu Stellung. Darauf wird jeweils Bezug genommen.
Im Übrigen und ergänzend wird auf die im Berufungsverfahren eingegangenen Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 14.11.2019, Aktenzeichen 22 O 1247/19, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Der Senat hält das angefochtene Urteil für offensichtlich zutreffend und nimmt darauf Bezug. Bezug genommen wird ferner auf den Hinweis vom 27.03.2020. Auch der weitere Schriftsatz des Klägers vom 06.04.2020 gab keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung.
Soweit die Berufung erneut die sogenannte Kaskadenverweisung angreift, führt auch dies nicht zum Erfolg der Berufung:
Vorauszuschicken ist, dass die Beklagte für ihre Widerrufsinformation das Muster aus Anlage 6 zu Art. 247 § 6 Abs. 2 EGBGB a.F. verwandt hat. Die Ansicht der Berufung, die Beklagte könne sich nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion gemäß Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a.F. berufen, denn die Musterwiderrufsinformation sei wegen des sog. Kaskadenverweises in Satz 2 nicht klar und verständlich, greift nicht durch. Entgegen der Auffassung der Berufung lässt sich diese Rechtsfolge auch nicht mit der Entscheidung des EuGH vom 26.03.2020 – C-66/19 begründen.
I) Zwar vertritt der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 26.03.2020 – C-66/19, auf dessen Ausführungen Bezug genommen wird, die Auffassung, dass eine sog. Kaskadenverweisung den Beginn der Widerrufsfrist nicht hinreichend klar und prägnant bezeichne.
I) Eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Auffassung ist jedoch nicht geboten, da sich die Beklagte jedenfalls auf die Gesetzlichkeitsfiktion gemäß Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a.F. i. V. m. Anlage 6 berufen kann. Nach der eindeutigen Regelung des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a.F. i. V. m. Anlage 6 genügt der Darlehensgeber seinen Informationspflichten, wenn er in hervorgehobener und deutlich gestalteter Form eine Vertragsklausel verwendet, die bei Allgemein-Verbraucherdarlehensverträgen dem Muster in Anlage 6 entspricht.
(1) Eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung von Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a.F. i. V. m. Anlage 6 ist nicht möglich.
Verbraucherdarlehensverträge, zur (a) Der Gesetzgeber des Gesetzes zur Einführung einer Musterwiderrufsinformation für Änderung der Vorschriften über das Widerrufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen und zur Änderung des Darlehensvermittlungsrechts vom 24. Juli 2010 (BGBl. I S. 977) hat – worauf der Bundesgerichtshof zutreffend hinweist (vgl. Beschluss vom 19.03.2019 – XI ZR 44/18) – den Verweis auf § 492 Abs. 2 BGB mit Gesetzesrang als eine klare und verständliche Gestaltung der Information über die Voraussetzungen für das Anlaufen der Widerrufsfrist vorgegeben. Aus dem Gesetzeswortlaut, der Systematik und den Materialien der zum 30. Juli 2010 in Kraft getretenen Änderungen des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche ergibt sich, dass der Gesetzgeber selbst eine Erläuterung anhand des um Beispiele ergänzten § 492 Abs. 2 BGB nicht nur für sinnvoll (BT-Drucks. 17/1394, S. 25 f.), sondern als mit den sonstigen gesetzlichen Vorgaben in Einklang stehend erachtete. Durch die schließlich Gesetz gewordene Auswahl der für eine Mehrzahl unterschiedlicher Vertragstypen relevanten Beispiele (BT-Drucks. 17/2095, S. 17) brachte der Gesetzgeber überdies zum Ausdruck, dem normal informierten, angemessen aufmerksamen und verständigen Verbraucher die Ermittlung der für den einschlägigen Vertragstyp jeweils relevanten Pflichtangaben anhand des Gesetzes zuzutrauen. Über dieses gesetzgeberische Gesamtkonzept dürfen sich die Gerichte, die ihrerseits der Gesetzesbindung unterliegen, bei der Auslegung des gleichrangigen übrigen nationalen Rechts zur Umsetzung der Richtlinie 2008/48/EG nicht hinwegsetzen (OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.02.2019 – 6 U 88/18, juris Rn. 12 ff., 19).
(b) Eine richtlinienkonforme Auslegung des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a.F. scheitert jedenfalls daran, dass es dem Senat verwehrt ist, ein vom deutschen Gesetzgeber verabschiedetes Umsetzungsgesetz entgegen dessen erklärten Willen auszulegen (contra legem).
Die in Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB a.F. getroffene Regelung ist offensichtlich keiner Auslegung, die sie im Ergebnis ins Gegenteil verkehren würde und faktisch auf eine Nichtanwendung hinausliefe, zugänglich. Sie beruhte auch nicht auf einer ungewollten Regelungslücke oder Nachlässigkeit des deutschen Gesetzgebers, sondern war ausdrücklich gewollt.
(c) In der Entscheidung, der Verweis auf § 492 Abs. 2 BGB sei unzureichend klar und verständlich, läge eine Missachtung der gesetzlichen Anordnung, die dazu führte, dass das Regelungsziel des Gesetzgebers in einem wesentlichen Punkt verfehlt und verfälscht und einer nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Norm ein entgegengesetzter Sinn gegeben würde. Dazu sind die Gerichte nicht befugt (BGH, Beschluss vom 19.03.2019 – XI ZR 44/18; BGH, Urteil vom 03.07.2018 – XI ZR 702/16 und Beschluss vom 02.04.2019 – XI ZR 488/17).
(d) Dass den deutschen Gerichten eine – grundsätzlich gebotene (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 14. Juli 1994 – C – 91/92, Rz. 26) – richtlinienkonforme Auslegung contra legem verwehrt ist, entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH, Urteil vom 22.01.2019 – C-193/17 -, Rn. 74; EuGH, Urteil vom 17.04.2018 – C-414/16 -, Rn. 71, juris; in diesem Sinne Urteil vom 19. April 2016, DI, C-441/14, ECLI:EU:C:2016:278, Rn. 31 und 32 sowie die dort angeführte Rechtsprechung; EuGH, Urteil vom 26.09.1996 – C -168/95; vgl. etwa auch BAG, Beschluss vom 18.02.2003 – 1 ABR 2/02, Rz. 66 m. w. N., DB 2003, 1387, 1389).
(2) Es ist dem Senat schließlich verwehrt, die Vorschrift des Art. 247 § 6 Abs. 2 S. 3 EGBGB a.F. nicht anzuwenden.
Etwas anderes ergibt sich weder aus der Rechtsnatur der zugrundeliegenden Richtlinie 2008/48 EG noch aus der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH.
(a) Richtlinien sind gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV grundsätzlich nicht unmittelbar anwendbar, sondern müssen erst von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgewandelt werden. Unmittelbar anzuwenden sind die zur Umsetzung einer Richtlinie ergangenen mitgliedstaatlichen (Umsetzungs-) Gesetze, hier also Art. 247 § 6 Abs. 2 Satz 3 EGBGB. Selbst insgesamt nicht umgesetzten Richtlinien kommt im Verhältnis zwischen Bürgern untereinander grundsätzlich keine unmittelbare Geltung zu. Die Zuerkennung einer unmittelbaren (horizontalen) Wirkung auch im Verhältnis von Privatrechtssubjekten würde die Kompetenzordnung des EG-Vertrags zu Lasten der Mitgliedstaaten verschieben, die insoweit auf ihre souveränen Rechte nicht zugunsten der Gemeinschaftsorgane verzichtet haben (BAG, Beschluss vom 18.02.2003 – 1 ABR 2/02 -, BAGE 105, 32, Rn. 85; EuGH, Urteil vom 14.07.1994 – C-91/92). Eine Ausdehnung der Möglichkeit, sich auf nicht oder nicht richtig umgesetzte Richtlinien zu berufen, auf den Bereich der Beziehungen zwischen Privaten liefe nämlich darauf hinaus, der Union die Befugnis zuzuerkennen, mit unmittelbarer Wirkung Verpflichtungen zulasten der Einzelnen anzuordnen, obwohl sie dies nur dort darf, wo ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zugewiesen ist (vgl. EuGH, Urteil vom 22.01.2019 – C-193/17, Rn. 72, juris; EuGH, Urteil vom 06.11.2018, Bauer und Willmeroth, C-569/16 und C-570/16, ECLI:EU:C:2018:871, Rn. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung; EuGH, Urteil vom 10.10.2017, C-413/15; EuGH, Urteil vom 14. Juli 1994 – C-91/92).
(b) Ein mitgliedstaatliches Umsetzungsgesetz nicht anzuwenden – mit der faktischen Konsequenz der unmittelbaren Anwendung der Richtlinie – kommt auch nach der Rechtsprechung des EuGH nur in Ausnahmefällen in Betracht. Dazu zählt der Fall, wenn die Beklagte – unmittelbar oder mittelbar – Teil der staatlichen Gewalt ist, (vgl. EuGH, Urteil vom 22.01.2019 – C – 193/17 (Cresco); EuGH, Urteil vom 06.10.2015, C-508/14 m. w. N.; EuGH, Urteil vom 26.09.1996 – C-168/95; EuGH, Urteil vom 10.06.1982 – 255/81; EuGH, Urteil vom 19. 01.1982 – 8/81; BVerwG, Urteil vom 28.10.2010 – 2 C 52/09).
Vergleichbares gilt, wenn die nationalen Rechtsvorschriften nicht im Einklang mit einer Richtlinie ausgelegt werden können, das vorlegende Gericht aber gleichwohl gehalten wäre, den Rechtsschutz zu gewährleisten, da andernfalls die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts oder die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt wären (vgl. EuGH, Urteil vom 22. Januar 2019 – C-193/17 -, Rn. 78); hier kommt im Verhältnis zweier nicht staatlicher Beteiligter aber letztlich nicht die Richtlinie zur unmittelbaren Anwendung, vielmehr entfalten die dahinterstehenden allgemeinen Grundsätze resp. Grundrechte unmittelbare Wirkung.
Beide Ausnahmen greifen hier nicht. Weder ist die Beklagte (unmittelbar oder mittelbar) Teil der Staatsgewalt, noch werden im Falle einer Anwendung des nationalen Rechts allgemeine Grundsätze des Unionsrechts oder Grundrechte verletzt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
IV.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, 711 ZPO.
V.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 40, 47, 48 GKG i.V.m. § 3 ZPO bestimmt, wobei Nettodarlehensbetrag und Anzahlung zu Grunde gelegt wurden.


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