Europarecht

Unzulässige Angaben im Zutatenverzeichnis von veganen Lebensmitteln

Aktenzeichen  33 O 3572/21

Datum:
21.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
WRP – 2022, 513
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
UWG § 3, § 3a
VO (EU) Nr. 1169/2011 Art. 2 Abs. 2 lit. o, Art. 18 Abs. 2, Abs. 4, Art. 22

 

Leitsatz

1. Die Verwendung des Begriffs “Mandelerzeugnis” im Zutatenverzeichnis von veganen Lebensmitteln verstößt gegen Art. 18 Abs. 2 VO (EU) Nr. 1169/2011, weil es sich weder um eine vorgeschriebene noch um eine übliche Verkehrsbezeichnung handelt. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Art. 18 Abs. 2 VO (EU) Nr. 1169/2011 stellt eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG dar. (Rn. 54) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es verstößt gegen Art. 22 VO (EU) Nr. 1169/2011, wenn die Menge der bei der Herstellung verwendeten Zutat „Mandeln“ nicht im Verhältnis zum Gesamtgewicht des Produktes angegeben wird, obwohl sie auf der Produktverpackung  besonders hervorgehoben wird. (Rn. 61) (redaktioneller Leitsatz)
4. Art. 22 (EU) Nr. 1169/2011 stellt eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3a UWG dar. (Rn. 67) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fällig werdenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, letztere zu vollziehen an ihrem Geschäftsführer, zu unterlassen,
a) vorverpackte vegane Lebensmittel anzubieten oder zu vertreiben, wenn in deren Zutatenverzeichnis der Begriff „Mandelerzeugnis“ als Zutat angegeben wird, wie geschehen in den nachstehend eingeblendeten Zutatenverzeichnissen der Produkte
aa) „S…V Kräuter Vegane Genießerscheiben“
und/oder
bb) „S… Veganer Streichgenuss“
und/oder
cc) „S… Burger Scheiben“
und/oder
dd) „S… Reibegenuss“
und/oder
ee) „S… FRISCHE GENUSS#
und/oder
b) die Menge der bei Herstellung oder Zubereitung der angebotenen vorverpackten veganen Lebensmittel verwendeten Zutat „Mandeln“ (in Verhältnis gesetzt zu allen anderen Zutaten) nicht anzugeben, wenn auf „Mandeln“ durch Worte und/oder Abbildungen gesondert hingewiesen wird, wie auf den folgenden Produktverpackungen der Fall:
aa) Vorder- und Rückseite
und/oder
bb) Vorder- und Rückseite
und/oder
cc) Vorder- und Rückseite
und/oder
dd) Oberseite- und Seitenaufdruck „S…V Frische Genuss“
II. Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 374,50 EUR zzgl. 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit 17.04.2021 zu bezahlen.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
IV. Das Urteil ist in Ziffer I. vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000,- Euro. In Ziffer II. und III. ist das Urteil vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Gründe

A.
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist der Klageantrag zu I.a) hinreichend bestimmt.
Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO darf ein Verbotsantrag nicht derart undeutlich gefasst sein, dass Gegenstand und Umfang der Entscheidungsbefugnis des Gerichts nicht erkennbar abgegrenzt sind, sich der Beklagte deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und letztlich die Entscheidung darüber, was dem Beklagten verboten ist, dem Vollstreckungsgericht überlassen bleibt (st. Rspr.; vgl. nur BGH NJW 2011, 2657 – Double-opt-in-Verfahren). Eine hinreichende Bestimmtheit ist für gewöhnlich gegeben, wenn eine Bezugnahme auf die konkrete Verletzungshandlung oder die konkret angegriffene Verletzungsform antragsgegenständlich ist und der Klageantrag zumindest unter Heranziehung des Klagevortrags unzweideutig erkennen lässt, worin die Verletzungshandlung und damit der Anknüpfungspunkt des Unterlassungsgebots liegen soll (vgl. BGH GRUR 2018, 1161 Tz. 16 – Hohlfasermembranspinnanlage II).
Diesen Anforderungen genügt der unter Ziffer I.a) gestellte Unterlassungsantrag. Nach dem Wortlaut des Unterlassungsantrags, welcher die angegriffene Verletzungshandlung durch Einlichtung der angegriffenen Produktaufmachung weiter konkretisiert, wendet sich die Klägerin gegen die Verwendung des – aus ihrer Sicht – Phantasiebegriffs „Mandelerzeugnis“ im Zutatenverzeichnis veganer Lebensmittel. Ob der Anspruch tatsächlich im begehrten Umfang besteht, ist eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit.
B.
Die Klage ist weiter begründet.
I.
Der Klägerin steht der mit Klageantrag Ziffer I. a) geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, 3 Abs. 1, 3 a UWG i.V.m. Art. 18 Abs. 2 LMIV gegen die Beklagte zu.
1. Die Klägerin ist als rechtsfähiger Verband im Sinne von § 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG aktivlegitimiert.
2. Durch die Verwendung des Begriffs „Mandelerzeugnis“ im Zutatenverzeichnis der Produkte „S…V Kräuter Vegane Genießerscheiben“, „S… Veganer Streichgenuss“, „S… Burger Scheiben“ „S… Reibegenuss“ sowie „S…V FRISCHE GENUSS“ (vgl. K 6 bis K 10, K 12) verstößt die Beklagte gegen Art. 18 Abs. 2 LMIV.
a) Gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. b) LMIV haben Lebensmittel verpflichtend ein Zutatenverzeichnis zu enthalten. Art. 18 Abs. 1 S. 2 LMIV schreibt vor, dass dieses Zutatenverzeichnis aus einer Aufzählung sämtlicher Zutaten des Lebensmittels in absteigender Reihenfolge ihres Gewichtsanteils zum Zeitpunkt ihrer Verwendung bei der Herstellung des Lebensmittels zu bestehen hat. Gemäß Art. 18 Abs. 2 LMIV sind die Zutaten „mit ihrer speziellen Bezeichnung, gegebenenfalls nach Maßgabe der Bestimmungen in Art. 17 und Anhang VI“ zu bezeichnen.
b) Grundsätzlich müssen nach Art. 18 Abs. 1 LMIV danach alle Zutaten unabhängig davon angegeben werden, wann sie im Rahmen des Herstellungsprozesses verwendet wurden. Das bedeutet zugleich, dass Vormischungen und Zwischenerzeugnisse bei der Angabe der Zutaten grundsätzlich unberücksichtigt bleiben (vgl. Zipfel/Rathke/Meisterernst, LebensmittelR, 179. EL, Art. 18 LMIV Rdn. 60).
c) Von diesem Grundsatz lässt Art. 18 Abs. 4 LMIV i.V.m. Anhang VII Teil E Nr. 1 insoweit eine Ausnahme zu, als im Zutatenverzeichnis im Einzelfall auch eine zusammengesetzte Zutat erscheinen darf. Dies setzt allerdings voraus, dass für die zusammengesetzte Zutat eine vorgeschriebene oder übliche Verkehrsbezeichnung besteht und unmittelbar danach eine Aufzählung ihrer Zutaten folgt (Art. 18 Abs. 4 LMIV i.V.m. Anhang VII Teil E Nr. 1).
d) Als „verkehrsübliche Bezeichnung“ definiert Art. 2 Abs. 2 lit. o) LMIV eine Bezeichnung, „die von den Verbrauchern in dem Mitgliedstaat, in dem das Lebensmittel verkauft wird, als Bezeichnung dieses Lebensmittels akzeptiert wird, ohne dass eine weitere Erläuterung notwendig wäre“. Von dem Begriff der verkehrsüblichen Bezeichnung sind folglich nur solche Bezeichnungen umfasst, die bereits verkürzt – nämlich ohne weitere Erläuterung – vom Verbraucher verstanden werden (vgl. Zipfel/Rathke/Meisterernst, LebensmittelR, 179. EL, Art. 2 LMIV Rdn. 115). Es gilt mithin ein strenger Maßstab. Denn die LMIV strebt ein hohes Verbraucherschutzniveau in Bezug auf Informationen über Lebensmittel an (vgl. Art. 1 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 LMIV). Die Informationen, welche dem Verbraucher erteilt werden, sollen so klar und transparent wie möglich sein.
Dass für die „Verkehrsüblichkeit“ ein strenger Maßstab gelten muss, folgt auch aus der Überlegung, dass es andernfalls der Lebensmittelhersteller in der Hand hätte, durch „Verklammerung“ von Zutaten („neue“) zusammengesetzte Zutaten zu schaffen, die aufgrund ihres dann höheren Gewichtsanteils das Zutatenverzeichnis anführen, obgleich den Einzelzutaten lediglich ein untergeordneter Anteil am Gesamtgewicht zukommt. Einer möglichst umfassenden Information der Verbraucher zum Zwecke einer fundierten Wahl und sicheren Verwendung von Lebensmitteln (vgl. Art. 3 Abs. 1 LMIV) liefe dies zuwider.
e) Bei dem von der Beklagten verwendeten Begriff des „Mandelerzeugnisses“ handelt es sich um eine zusammengesetzte Zutat. Die Verwendung dieses Begriffs wäre folglich nur dann zulässig, wenn sie die Anforderungen des Art. 18 Abs. 4 LMIV i.V.m. Anhang VII Teil E Nr. 1 erfüllen würde. Dies ist indes nicht der Fall. Denn bei dem Begriff „Mandelerzeugnis“ handelt es sich weder um eine vorgeschriebene noch um eine übliche Verkehrsbezeichnung.
aa) Unstreitig handelt es sich bei dem Begriff des „Mandelerzeugnis“ um keine in Rechtsvorschriften festgelegte und damit vorgeschriebene Bezeichnung.
bb) Der Begriff des „Mandelerzeugnisses“ ist ferner auch nicht verkehrsüblich im Sinne von Art. 2 Abs. 2 lit. o) LMIV. Denn der Verbraucher erkennt nicht sofort und ohne weitere Erläuterungen, um was es sich bei einem „Mandelerzeugnis“ handelt.
Die Kammer kann das Verständnis der maßgeblichen Verkehrskreise dabei selbst feststellen, weil sie auf Grund ihrer ständigen Befassung mit Kennzeichen- und Wettbewerbsstreitsachen in der Lage ist, das Verkehrsverständnis anhand ihrer Erfahrungen selbst zu beurteilen (st. Rspr., vgl. nur OLG München GRUR-RR 2016, 270 – Klosterseer), und weil die Kammermitglieder selbst zum angesprochenen Verkehr, nämlich dem des Durchschnittsverbrauchers und potenziellen Käufers von veganen Lebensmitteln, gehören.
Ein anderes Verkehrsverständnis folgt auch nicht aus den von der Beklagten vorgelegten Unterlagen:
(1) Soweit die Beklagte auf eine von ihr durchgeführte Marktrecherche Bezug nimmt (vgl. Intemetausdrucke, Anlage B 1 sowie Anlage K 3 S. 2 ff.), ergibt sich hieraus gerade keine einheitliche und verbreitete Verwendung des Begriffs (Mandel-) „Erzeugnis“. Der Begriff „Mandelerzeugnis“ findet sich lediglich vereinzelt. Überwiegend werden Begriffe wie „Mandelzubereitung“, „Haferbasis“, „Sojabasis“ und „Lupinenzubereitung“ verwendet (vgl. Anlage B 1, Anlage K 3 S. 2 ff.). Ob diese Begriffe ihrerseits rechtmäßig benutzt werden, kann offenbleiben. Eine Verkehrsübung dahingehend, Wasser-Pflanzen-Gemische als „[Pflanzen-] Erzeugnis“ zu bezeichnen, folgt hieraus gerade nicht.
(2) Auch die auf der Facebook-Seite der Beklagten durchgeführte Verbraucherumfrage (vgl. Anlage B 2) vermag ein abweichendes Verkehrsverständnis nicht zu stützen. Bereits die Fragestellung begegnet Bedenken.
Entscheidend für die rechtliche Bewertung ist, ob der Verbraucher den Begriff „Mandelerzeugnis“ auch ohne weitere Erläuterungen und damit unabhängig von der nachfolgenden Aufzählung der Einzelzutaten, versteht (s.o.). Die Voraussetzung der „üblichen Verkehrsbezeichnung“ und der „Aufzählung ihrer Zutaten“ gelten kumulativ und damit unabhängig voneinander.
Dieses Verkehrsverständnis vermag die Umfrage nicht zu ermitteln, da sie dem Verbraucher die Angabe „Mandelerzeugnis“ stets mit dem Zusatz „(Wasser, 2 % Mandelerzeugnis)“ präsentiert.
Auch die – insoweit offen – formulierte Frage „Gibt es eine Zutat, die für dich unverständlich formuliert ist“ trägt nicht zur Klarung des Verkehrsverständnisses bei. Denn der Verbraucher, der einem Irrtum unterliegt, erkennt seinen Irrtum gerade nicht und wird die Frage daher stets verneinen.
Im Übrigen muss eine Umfrage so durchgeführt werden, dass sie auch potenzielle Abnehmer einbezieht (vgl. Tilmann, GRUR 1984, 716, 721). Da die Umfrage auf der Facebook-Seite der Beklagten durchgeführt wurde, sprach sie naturgemäß nur Verbraucher an, welche die Facebook-Seite der Beklagten besuchten und damit lediglich solche, welche die Beklagte und ihre Produkte bereits kannten, nicht jedoch solche, die erstmalig (beispielsweise im Supermarkt) mit den Produkten der Beklagten in Berührung kommen.
(3) Die von der Beklagten zitierten Leitsätze für vegane und vegetarische Lebensmittel der Lebensmittelbuchkommission (vgl. Anlage B 3) geben lediglich Hinweise zur Kennzeichnung veganer und vegetarischer Lebensmittel. Ausführungen zur Gestaltung des Zutatenverzeichnisses enthalten sie nicht. Für die Bezeichnung eines Lebensmittels gelten indes weniger strenge Anforderungen als für die Angaben im Zutatenverzeichnis (vgl. Art. 17 Abs. 1 LMIV). Denn die Funktion der vollständigen Beschreibung aller Bestandteile eines Lebensmittels wird erst und gerade durch das Zutatenverzeichnis erfüllt (vgl. Voit/Grube/Grube, 2. Auflage, LMIV, Art. 17 Rdn. 86).
Im Übrigen weisen die Leitsätze in Ziffer 1. darauf hin, dass unionsrechtliche oder deutsche Bestimmungen, welche die Zusammensetzung oder Bezeichnung von Lebensmitteln regeln, den Leitsätzen vorgehen.
(4) Im Übrigen verwendet selbst die Beklagte die Bezeichnung „Mandelerzeugnis“ nicht einheitlich, sondern für die Zusammensetzung verschiedener Einzelzutaten („Wasser“, „Mandelprotein“ und „Mandeln“ einerseits und „Wasser“ sowie „Mandeln“ andererseits).
3. Bei Art. 18 Abs. 2 LMIV handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3 a UWG.
Eine Norm regelt das Marktverhalten im Interesse der Mitbewerber, Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer, wenn sie einen Wettbewerbsbezug in der Form aufweist, dass sie die wettbewerblichen Belange der als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen in Betracht kommenden Personen schützt. Nicht erforderlich ist eine spezifisch wettbewerbsbezogene Schutzfunktion in dem Sinne, dass die Regelung die Marktteilnehmer speziell vor dem Risiko einer unlauteren Beeinflussung ihres Marktverhaltens schützen muss. Die Vorschrift muss jedoch – zumindest auch – den Schutz der wettbewerblichen Interessen der Marktteilnehmer bezwecken; lediglich reflexartige Auswirkungen zu deren Gunsten genügen daher nicht (BGH GRUR 2017, 819, 821 – Aufzeichnungspflicht; BGH GRUR 2016, 513 Tz. 21 – Eizellspende).
Das Zutatenverzeichnis ist eines der Kemetemente der Verbraucherinformation (vgl. Voit/Grube/Grube, 2. Auflage, LMIV, Art. 18 Rdn. 1). Es soll dem Verbraucher eine „informierte Wahl“ ermöglichen und mittelbar zu einer verbesserten Lebensmittelkenntnis führen (vgl. Art. 3 Abs. 1 LMIV). Zugleich soll es Anreize für die Lebensmittelunternehmer schaffen, sich im Wettbewerb mit „clean labels“ zu profilieren (vgl. Voit/Grube/Grube, 2. Auflage, LMIV, Art. 18 Rdn. 1). Die Vorgaben, die Art. 18 LMIV für das Zutatenverzeichnis aufstellt, schützen somit sowohl die Interessen der Verbraucher als auch die der Mitbewerber.
4. Die Zuwiderhandlung der Beklagten gegen die Marktverhaltensregelung des Art. 18 LMIV ist ferner geeignet, die Interessen von Verbrauchern spürbar zu beeinträchtigen im Sinne des § 3 a UWG.
Der Verstoß gegen eine Marktverhaltensregelung indiziert im Regelfall die Eignung zur spürbaren Beeinträchtigung der Marktteilnehmer, an die sich die Handlung richtet (vgl. Köhler/Bomkamm/Feddersen/Köhler, UWG, 39. Auflage, § 3 a Rdn. 1.112). Umstände, die diese tatsächliche Vermutung erschüttern könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die angegriffene Ausgestaltung des Zutatenverzeichnisses führt zu einem höheren Mandelanteil als dem tatsächlich vorhandenen und ist daher geeignet den Kaufentschluss von Verbrauchern zu beeinflussen.
5. Durch die erfolgten Verletzungshandlungen wird die für den geltend gemachten Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr indiziert; eine strafbewehrte Unterlassungserklärung hat die Beklagte nicht abgegeben.
II.
Der Klägerin steht ferner der mit Klageantrag Ziffer I. b) geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, 3 Abs. 1, 3 a UWG i.V.m. Art. 22 LMIV gegen die Beklagte zu.
1. Die Beklagte verstößt gegen Art. 22 LMIV, indem sie die Menge der bei der Herstellung verwendeten Zutat „Mandeln“ nicht im Verhältnis zum Gesamtgewicht des Produktes „S…V Vegane Genießerscheiben“, „S…V Streichgenuss“, „S…V Reibegenuss“ bzw. „S…V FRISCHE GENUSS“ angibt, obgleich sie auf den Vorderseiten der jeweiligen Produktverpackungen die Zutat „Mandeln“ durch Worte („mit Mandeln“) und/oder Abbildungen (vgl. Lichtbild, Anlage K 9) besonders hervorhebt.
a) Gemäß Art. 22 Abs. 1 lit. b) LMIV ist die Angabe der Menge einer bei der Herstellung oder Zubereitung eines Lebensmittels verwendeten Zutat erforderlich, wenn die betreffende Zutat auf der Kennzeichnung durch Worte, Bilder oder eine graphische Darstellung hervorgehoben ist. Die Mengenanhabe hat grundsätzlich als Prozentsatz der Menge der Zutat bzw. Zutaten zum Zeitpunkt ihrer Verwendung zu erfolgen (Art. 22 Abs. 2 i.V.m. Anhang VIII Nr. 3 a) LMIV). Bezugsgröße für die Prozentangabe ist das Gewicht des Lebensmittels und damit grundsätzlich das Gewicht des Gesamtproduktes (vgl. Voit/Grube/Grube, 2. Auflage, LMIV, Art. 22 Rdn. 40), da in der Regel nur dies dem vom Verordnungsgeber angestrebten „umfassenden Schutz der Gesundheit und Interessen der Verbraucher“ (Art. 3 Abs. 1 LMIV) gerecht wird.
b) Eine abweichende Bezugsgröße kommt lediglich für „heterogene Erzeugnisse“ in Betracht, also für Kombinationspackungen, die aus mehreren verschiedenen Lebensmitteln bestehen. Entsprechendes kann für Lebensmittel gelten, die – wie ein „Stollen mit Marzipanfüllung“ (vgl. Voit/Grube/Grube, 2. Auflage, LMIV, Art. 22 Rdn. 41) – aus äußerlich erkennbar trennbaren Komponenten bestehen. Dem Informationsbedürfnis des Verbrauchers kann es in diesen Fällen eher entsprechen, die Mengenangabe für die QUID-Zutat lediglich auf eine konkrete Teileinheit zu beziehen (vgl. Voit/Grube/Grube, 2. Auflage, LMIV, Art. 22 Rdn. 40).
Bei den streitgegenständlichen Produkten der Beklagten handelt es sich jedoch nicht um heterogene Erzeugnisse oder um damit vergleichbare Produkte. Vielmehr stellen die Produkte sämtlich homogene Mischungen dar. Die (lediglich) von der Beklagten hervorgehobene Teileinheit „Mandelerzeugnis“ ist für den Verbraucher nicht vom übrigen Produkt abgrenzbar. Es entspricht daher nicht dem Informationsbedürfnis des Verbrauchers die Menge der hervorgehobenen Zutat „Mandeln“ lediglich im Verhältnis zur (selbst gewählten) Bezugsgröße „Mandelerzeugnis“ zu erfahren, sondern vielmehr, die Mengenangabe im Verhältnis zum Gesamtprodukt zu erfahren.
c) Nichts anderes folgt aus der Regelung in Anhang VIII Nr. 4 LMIV. Soweit die Vorschrift auf das „Endprodukt“ als Bezugsgröße rekurriert, kann hieraus nicht im Umkehrschluss gefolgert werden, dass das „Endprodukt“ im Regelfall des Anhang VIII Nr. 3 LMIV als Bezugsgröße ausscheidet.
Anhang VIII Nr. 4 LMIV betrifft Lebensmittel, die während des Herstellungsprozesses infolge Erhitzungs- oder Trocknungsprozessen Feuchtigkeit verlieren und/oder Gewichtsveränderungen unterliegen, weil sie flüchtige, rekonstituierte bzw. getrocknete Zutaten enthalten. In diesen Fällen kann es zu Berechnungsproblemen kommen, weil das Gewicht des Gesamtproduktes zum Zeitpunkt der Verwendung der Zutat nicht dem Gewicht des Endproduktes entspricht. Anhang VIII Nr. 4 LMIV enthält für diese Konstellationen abweichende Mengenberechnungen, ohne jedoch von dem Grundsatz abzuweichen, dass als Bezugsgröße für die Mengenangabe das jeweilige Endprodukt maßgeblich ist.
2. Auch bei Art. 22 LMIV handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung im Sinne von § 3 a UWG. Die Vorschrift soll dem Verbraucher die informierte Wahl zwischen gleichartigen Erzeugnissen ermöglichen und dient insoweit dem Verbraucherschutz. Gleichzeitig soll sie mögliche Wettbewerbsverzerrungen im Binnenmarkt vermindern, die daraus resultieren können, dass sich Produktunterschiede in unterschiedlichen Mengen wertbestimmender Zutaten ausdrücken können (vgl. Voit/Grube/Grube, 2. Aufl. 2016, LMIV Art. 22 Rdn. 3).
3. Die Zuwiderhandlung der Beklagten gegen die Marktverhaltensregelung des Art. 22 LMIV ist ferner geeignet, die Interessen von Verbrauchern spürbar zu beeinträchtigen im Sinne des § 3 a UWG (s.o.).
4. Da die Beklagte auch insoweit keine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hat, besteht auch bezüglich des Verstoßes gegen Art. 22 LMIV eine Wiederholungsgefahr.
III.
Die Klägerin kann von der Beklagten darüber hinaus die Erstattung von Abmahnkoslen in Höhe der geforderten Pauschale von 374,50 Euro, die der Höhe nach von der Beklagten zu Recht nicht beanstandet wird, aus § 13 Abs. 3 UWG verlangen, denn die Abmahnung der Klägerin vom 14.01.2021 war nach dem oben Gesagten berechtigt und begründet.
IV.
Der zuerkannte Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen ist gemäß §§ 280 Abs. 1 und 2, 286, 288 Abs. 1 BGB begründet, wobei der Klageantrag insoweit entsprechend auszulegen war (vgl. dazu Palandt/Grüneberg, BGB, 81. Auflage, § 288 Rdnr. 7 m.w.N.).
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 S. 1 und 2 ZPO.


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