Europarecht

Unzulässige Klage wegen Bestandskraft eines Haftungsbescheids

Aktenzeichen  M 10 K 18.3371

Datum:
9.10.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 28815
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 60, § 70, § 84 Abs. 1
ZPO § 178, § 180 S. 1
VwZG § 3 Abs. 2

 

Leitsatz

Die Zustellung durch Niederlegung in den zu den Geschäftsräumen gehörenden Briefkasten nach §§ 178, 180 S. 1 ZPO setzt nicht voraus, dass eine Zustellung in den Geschäftsräumen nur innerhalb der Öffnungszeiten oder Anwesenheitszeiten des Personals erfolgt oder der Empfänger von der Zustellung Kenntnis genommen hat. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Nach Anhörung der Beteiligten konnte das Gericht durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 84 Abs. 1 VwGO).
Die Klage hatte keinen Erfolg, sie ist unzulässig.
Der Haftungsbescheid vom 20. Mai 2015 ist zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits bestandskräftig gewesen. Die einmonatige Widerspruchsfrist des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO begann am 23. Mai 2015 mit der Zustellung an die Klägerin zu laufen und ist am 23. Juni 2015, somit vor Einlegung des Widerspruchs am 26. Juni 2015 abgelaufen. Der Klägerin wurde der Haftungsbescheid am 23. Mai 2015 durch Einlegung in den Briefkasten zugestellt, wie die Postzustellungsurkunde beweist. Die Zustellung an einem Samstag erfolgte wirksam nach § 3 Abs. 2 VwZG i.V.m. §§ 178, 180 Satz 1 ZPO durch Niederlegung in den zu den Geschäftsräumen gehörenden Briefkasten der Klägerin, welche durch die Postzustellungsurkunde nachgewiesen ist. Das Gesetz sieht nicht vor, dass eine Zustellung in Geschäftsräumen nur innerhalb der Öffnungszeiten oder Anwesenheitszeiten des Personals möglich ist. Ob die Klägerin von dieser Zustellung Kenntnis genommen hat, ist unerheblich. Ausweislich der Postzustellungsurkunde hatte der Zusteller den Tag der Zustellung auf dem Umschlag des Schriftstücks vermerkt. Die Beweiswirkung der Postzustellungsurkunde hat die Klägerin nicht erschüttert.
Gründe für die Wiedereinsetzung nach § 60 VwGO sind nicht glaubhaft gemacht. Denn die Unkenntnis der Klägerin über den Beginn der Klagefrist ist ein Rechtsirrtum, den sie durch Recherche oder anwaltliche Beratung hätte vermeiden können. Die Klägerin kannte die tatsächlichen Umstände. Dass man auf Klägerseite von einem späteren Zugang ausging, beruht auf einem Irrtum, der nicht unverschuldet im Sinne des § 60 VwGO ist. Mangelnde Rechtskenntnisse, etwa eine unrichtige Beurteilung der Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs, entschuldigen ein Fristversäumnis nicht (BeckOK VwGO/Brink VwGO § 60 Rn. 9-11, m.w.N.). Berechnet ein Rechtsunkundiger den Beginn oder den Ablauf einer Rechtsbehelfsfrist selbst, muss er die Folgen einer unrichtigen Berechnung auf sich nehmen. Mangelnde Rechtskenntnis vermag eine Fristversäumnis grundsätzlich nicht zu entschuldigen; eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 Abs. 1 VwGO) wegen unverschuldeter Fristversäumnis kommt nicht in Betracht (BVerwG, B.v. 15.08.2017 – 4 B 38.17 – juris).
Die Klage ist daher unzulässig erhoben und abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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