Europarecht

Verkehrsverbot für Tabakerzeugnisse

Aktenzeichen  20 BV 18.2234

Datum:
10.10.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
ZLR – 2020, 547
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
TabakerzG § 11
RL 2014/40/EU Art. 2 Nr. 8
BayVwVfG Art. 3 Abs. 1 Nr. 2, Art. 28, Art. 45 Abs. 1 Nr. 3
BayGDVG Art. 1 Abs. 2 Nr. 4, Art. 4 Abs. 1 S. 1, Art. 21 Abs. 2 Nr. 2

 

Leitsatz

1. Art. 2 Nr. 8 i.V.m. Art. 2 Nr. 6 der Richtlinie 2014/40/EU ist dahin auszulegen, dass zum Kauen bestimmte Tabakerzeugnisse im Sinne dieser Bestimmungen nur Tabakerzeugnisse sind, die an sich nur gekaut konsumiert werden können, was vom nationalen Gericht anhand aller relevanten objektiven Merkmale der betreffenden Erzeugnisse wie ihrer Zusammensetzung, ihrer Konsistenz, ihrer Darreichungsform und ggf. ihrer tatsächlichen Verwendung durch die Verbraucher zu beurteilen ist. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Ausnahme von „zum Kauen bestimmte“ Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch ist eng auszulegen. (Rn. 40 – 44) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Eignung zum Kauen ist nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung für die Annahme eines „zum Kauen bestimmten“ Tabakerzeugnisses. (Rn. 45 – 49) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 1 K 15.187 2015-07-28 Urt VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 28. Juli 2015 wird geändert. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 15. Januar 2015, mit dem die Klägerin verpflichtet wurde, das Tabakerzeugnis „… Chewing Tobacco …“ sowie alle anderen Sorten „… Chewing Tobacco“ nicht mehr in den Verkehr zu bringen, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Das Verwaltungsgericht hat der Klage daher zu Unrecht stattgegeben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Bei dem im streitgegenständlichen Bescheid angeordneten Verbot handelt es sich um einen Dauerverwaltungsakt, sodass die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts anhand der im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats geltenden Rechtslage zu beurteilen ist (BVerwG, U.v. 29.9.1994 – 3 C 1/93 – BVerwGE 96, 372; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 113 Rn. 58). Maßgeblich sind damit das Tabakerzeugnisgesetz (TabakerzG) vom 4. Februar 2016 (BGBl. I S. 569), in Kraft seit dem 20. Mai 2016 und die Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG (ABl. L 127/1 v. 29.4.2014), die gemäß ihres Art. 29 bis zum 20. Mai 2016 umzusetzen war.
Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Die Beklagte war zu seinem Erlass sachlich nach Art. 27 Abs. 1 Satz 1 TabakerzG, Art. 21 Abs. 2 Nr. 2, Art. 1 Abs. 2 Nr. 4, Art. 4 Abs. 1 Satz 1 GDVG und nach Art. 3 Abs. 1 Nr. 2 BayVwVfG örtlich zuständig. Die unterbliebene Anhörung der Klägerin vor Bescheidserlass (Art. 28 BayVwVfG) wurde im gerichtlichen Verfahren geheilt (§ 45 Abs. 1 Nr. 3 BayVwVfG). Darüber hinaus sind keine formellen Fehler vorgetragen oder ersichtlich.
Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Seine Rechtsgrundlage ist die Befugnisnorm des § 29 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 4 TabakerzG. Danach treffen die Marktüberwachungsbehörden die erforderlichen Maßnahmen, wenn sie den begründeten Verdacht haben, dass ein Erzeugnis nicht die Anforderungen dieses Gesetzes, der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen und der unmittelbar geltenden Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft oder der Europäischen Union im Anwendungsbereich dieses Gesetzes erfüllt. Sie sind insbesondere befugt zu verbieten, dass ein Erzeugnis in den Verkehr gebracht wird. § 29 Abs. 2 Satz 1 TabakerzG verpflichtet die zuständige Behörde, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn die dort genannten Voraussetzungen vorliegen. Sie hat dabei kein Entschließungsermessen. Es steht ihr jedoch ein Auswahlermessen zu, welche von verschiedenen zulässigen Maßnahmen sie trifft (Boch, TabakerzG, § 29 Rn. 2).
Die Voraussetzungen dieser Befugnisnorm liegen vor. Denn bei dem Tabakerzeugnis „… Chewing Tobacco“ handelt es sich um ein Tabakerzeugnis zum oralen Gebrauch, das nicht zum Kauen bestimmt ist i.S.v. Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40/EU. Nach § 1 Nr. 1 TabakerzG gelten die Begriffsbestimmungen des Art. 2 der RL 2014/40/EU auch im Anwendungsbereich des TabakerzG. Damit ist es nach § 11 TabakerzG, der Art. 17 der Richtlinie 2014/40/EU in deutsches Recht umsetzt, verboten, das streitgegenständliche Tabakerzeugnis in Deutschland in den Verkehr zu bringen.
1.
Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 17. Oktober 2018 (C-425/17) auf die Vorlage des Senats entschieden, dass Art. 2 Nr. 8 i.V.m. Art. 2 Nr. 6 der Richtlinie 2014/40/EU dahin auszulegen ist, dass zum Kauen bestimmte Tabakerzeugnisse im Sinne dieser Bestimmungen nur Tabakerzeugnisse sind, die an sich nur gekaut konsumiert werden können, was vom nationalen Gericht anhand aller relevanten objektiven Merkmale der betreffenden Erzeugnisse wie ihrer Zusammensetzung, ihrer Konsistenz, ihrer Darreichungsform und ggf. ihrer tatsächlichen Verwendung durch die Verbraucher zu beurteilen sei (Rn. 37). Dem Urteil lassen sich aber über die genannte unmittelbare Antwort auf die Vorlagefragen auch weitere Rechtssätze, die für die rechtliche Beurteilung eines Tabakerzeugnisses relevant sind, entnehmen:
So führt der EuGH zunächst (Rn. 22) aus, dass entgegen der These, die der zweiten Vorlagefrage des Senats zugrunde liege, keine Unterscheidung zwischen dem Begriff „Tabak, der zum Kauen bestimmt ist“ i.S.d. Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40/EU und dem Begriff „Kautabak“ gem. Art. 2 Nr. 6 dieser Richtlinie getroffen werden könne. Kautabak ist daher gleichbedeutend mit einem Tabakerzeugnis, das zum Kauen bestimmt ist i.S.v. Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40/EU.
Weiter entnimmt der EuGH den gemeinschaftsrechtlichen Regelungen, dass die Neuartigkeit oder „herkömmliche“ Erscheinungsweise eines Produkts ohne Bedeutung für die Einstufung eines Tabakerzeugnisses zum oralen Gebrauch sei (Rn. 27/28 unter Verweis auf die Schlussanträge des Generalanwalts im Verfahren C-434/02). Damit erteilt der EuGH jedem Versuch, eine Einstufung als Tabakerzeugnis zum oralen Gebrauch, das nicht zum Kauen bestimmt ist, mit der Begründung zu verhindern, dass das Tabakerzeugnis doch einem in einem Mitgliedsstaat bereits seit alters her als Kautabak anerkannten Produkt ähnlich sei, eine Absage.
In Rn. 29 geht der EuGH dann auf den schwedischen Snus ein, der in der Diskussion quasi als „Leitprodukt“ und Regelbeispiel für ein in der Union (mit Ausnahme Schwedens) nicht verkehrsfähiges Tabakerzeugnis zum oralen Gebrauch herangezogen wird. Er stellt klar, dass Snus unter das Verbot des Tabaks zum oralen Gebrauch fällt, indem er auf das Urteil des EuGH vom 16. Juli 2015 (C-468/14 – Rn. 24/25) verweist. Snus könne als „fein gemahlener oder geschnittener Tabak, der lose oder in kleinen Portionsbeuteln verkauft und zum Konsum zwischen Zahnfleisch und Lippe geschoben wird“ beschrieben werden (EuGH v. 17.10.2018, Rn. 29).
In Rn. 30 stellt der EuGH fest, dass sich sowohl aus dem Zusammenhang als auch der Zielsetzung der Richtlinie 2014/40/EU, wie sie den Rn. 19-26 des vorliegenden Urteils zu entnehmen sei, insbesondere aus dem Ausnahmecharakter der Bestimmung des Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie ergebe, dass der Begriff „Tabakerzeugnisse, die zum Kauen bestimmt sind“ eng auszulegen sei, sodass er Lutschtabak wie solchen des Typs Snus nicht umfassen könne. Damit stellt der EuGH einen allgemeinen Grundsatz, der von den nationalen Gerichten bei der ihnen obliegenden Anwendung der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmung auf den konkreten Sachverhalt bzw. hier das jeweilige Tabakerzeugnis (Rn. 35 des EuGH-Urteils) zu beachten ist, auf. Dieser entspricht auch allgemeinem juristischen Verständnis, wonach Ausnahmebestimmungen grundsätzlich eng auszulegen sind.
Im Weiteren geht der EuGH nun auf den Inhalt dieser Ausnahmebestimmung ein und führt aus, dass Tabakerzeugnisse, die zum Kauen bestimmt sind, nur solche sein können, die an sich nur gekaut konsumiert werden können, d.h. die ihre wesentlichen Inhaltsstoffe im Mund nur durch Kauen freisetzen können (Rn. 32). In Abgrenzung dazu führt er in der folgenden Rn. 33 aus, dass nicht so eingestuft werden könne ein Tabakerzeugnis, das, obwohl es auch gekaut werden könne, im Wesentlichen zum Lutschen bestimmt sei, „d.h. ein Erzeugnis, das nur im Mund gehalten werden muss, damit seine wesentlichen Inhaltsstoffe freigesetzt werden“.
Damit sind die wesentlichen Grundsätze für die Auslegung der europarechtlichen Bestimmungen genannt. In Rn. 35 stellt der EuGH ergänzend und abschließend noch fest, dass es die Aufgabe des nationalen Gerichts sei, anhand aller relevanten objektiven Merkmale der in Rede stehenden Erzeugnisse wie ihrer Zusammensetzung, ihrer Konsistenz, ihrer Darreichungsform und ggf. ihrer tatsächlichen Verwendung durch die Verbraucher festzustellen, ob sie an sich nur gekaut konsumiert werden können.
2.
Entgegen der Auffassung der Klägerin lässt sich dem Urteil des EuGH, insbesondere dessen Rn. 32 und 33, nach der Überzeugung des Senats nicht entnehmen, dass der EuGH Erzeugnisse, bei denen der Großteil der extrahierbaren Menge an wesentlichen Inhaltsstoffen nur durch Kauen freigesetzt werden könne, als zum Kauen bestimmte Erzeugnisse ansehe. Eine derartige Aussage, dass es auf die Quantität oder den Anteil der extrahierbaren Menge der wesentlichen Inhaltsstoffe, der nur durch Kauen freigesetzt werden könne, ankomme, lässt sich den Rn. 32 und 33, auf die die Klägerseite zur Begründung ihrer Rechtsauffassung Bezug nimmt, nicht entnehmen. Dass der EuGH diesen Standpunkt gerade nicht eingenommen hat, ergibt sich auch in Zusammenschau mit der fünften Vorlagefrage des Senats. Darin hatte der Senat gerade danach gefragt, ob es ausreichend sei, wenn durch eine leichte, wiederkehrende Druckausübung mit den Zähnen oder der Zunge auf das Tabakerzeugnis mehr (Hervorhebung durch den Senat) von den Inhaltsstoffen des Erzeugnisses gelöst werde, als wenn es nur im Mund gehalten werde. Der Senat hat mit dieser Vorlagefrage auf die erkennbar auch der Entscheidung der dänischen Sicherheitsbehörde vom 19. Januar 2017 zu dem im Parallelverfahren zum vorliegenden Verfahren (20 BV 18.2231) streitgegenständlichen Tabakerzeugnis „… … Chewing Bags“ zugrunde liegende Rechtsauffassung (auch) der Klägerin, dass es auf die Menge oder den Anteil der durch Kauen herausgelösten bzw. herauslösbaren wesentlichen Inhaltsstoffe für die Einstufung des Tabakerzeugnisses als „zum Kauen bestimmt“ ankomme, Bezug genommen. Daneben hat auch die Regierung der Tschechischen Republik in ihrem Schriftsatz an den EuGH vom 31. Oktober 2017 (dort Rn. 8) explizit diese Rechtsauffassung vertreten. Dem EuGH war daher aufgrund der Vorlagefrage des Senats und der von einem Beteiligten explizit im Verfahren eingenommenen Position eine derartige Rechtsauffassung bzw. Auslegung bekannt. Dass er in seinem Urteil hierzu schweigt, kann daher nur so verstanden werden, dass er diese Auffassung nicht teilt. Anderenfalls wäre es ihm ein Leichtes gewesen, z.B. in der Rn. 32 des Urteils seine Ausführungen dahingehend zu ergänzen, dass er geschrieben hätte „d.h. die den wesentlichen Anteil (Hervorhebung durch den Senat) ihrer wesentlichen Inhaltsstoffe im Mund nur durch Kauen freisetzen können“. Dies hat der EuGH aber nicht getan.
Daher ist hier auch kein Raum für eine erneute Vorlage an den EuGH. Denn die vom EuGH vorgenommene Auslegung ist eindeutig und lässt keine Fragen offen.
Aus dem gleichen Grunde konnte auch der in der mündlichen Verhandlung gestellte Beweisantrag abgelehnt werden: Die unter Beweis gestellte Tatsache, dass nämlich das streitgegenständliche Tabakerzeugnis seine wesentlichen Inhaltsstoffe, d.h. den Großteil der extrahierbaren Menge der wesentlichen Inhaltsstoffe, im Mund nur durch Kauen freisetzen könne, konnte als wahr unterstellt werden, da es hierauf nicht entscheidungserheblich ankommt (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 86 Rn. 75).
Soweit die Klägerin darüber hinaus argumentiert, dass bei einem wortlautgetreuen Verständnis der Entscheidung des EuGH alle „Kautabakerzeugnisse“, egal ob herkömmlich oder neuartig, unter das Verbot des § 11 TabakerzG fielen, da es keine Tabakerzeugnisse gebe, die ihre wesentlichen Inhaltsstoffe nur durch Kauen freisetzten, kann dies nicht zu einem anderen Ergebnis führen. Denn der EuGH hat in seiner Entscheidung ebenfalls klar zu erkennen gegeben, dass es für die Auslegung des Verbots der Richtlinie irrelevant ist, ob ein Tabakerzeugnis „herkömmlich“ ist, also ob es seit vielen Jahren unter der Bezeichnung „Kautabak“ hergestellt und benutzt wird (Rn. 27 d. Urteils). Im Ergebnis hat sich nach der verbindlichen Rechtsauslegung des EuGH jedes rauchlose Tabakerzeugnis zum oralen Gebrauch einer Beurteilung nach den in der Entscheidung vom 17. Oktober 2018 dargestellten Kriterien zu stellen. Dabei gilt nach Rn. 30 des Urteils der Grundsatz, dass die Ausnahme für „zum Kauen bestimmte“ Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch eng auszulegen ist. Der Senat verkennt nicht und gesteht der Argumentation der Klägerin auch zu, dass dies im Ergebnis durchaus bedeuten könne, dass bisher aufgrund traditioneller Verbreitung als verkehrsfähig angesehene Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch aufgrund einer Anwendung der vom EuGH in Auslegung der Richtlinie 2014/40/EU gewonnenen Erkenntnis des geltenden Rechts nunmehr dem Verbot unterfallen. Dies ist aber nicht der Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits. Hier geht es vielmehr darum, festzustellen, ob das streitgegenständliche Produkt „… Chewing Tobacco“ unter das Verbot des § 11 TabakerzG fällt.
Soweit die Klägerin mit ihrer Argumentation begründen möchte, dass das Verbot des Tabaks zum oralen Gebrauch in der Auslegung des EuGH nach dem Urteil vom 17. Oktober 2018 rechtswidrig wäre, da es auch „echten Kautabak“ erfasse, kann sie keinen Erfolg haben. Denn die Rechtmäßigkeit des Verbots des Tabaks zum oralen Gebrauch nach Art. 17 der Richtlinie 2014/40/EU hat der EuGH unlängst in seinem Urteil vom 22. November 2018 (C-151/17) bestätigt. Damit bestehen auch keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des dieses Verbot in deutsches Recht umsetzenden § 11 TabakerzG.
3.
Die Bewertung des streitgegenständlichen Produkts nach Zusammensetzung, Konsistenz und Darreichungsform, wie sie der EuGH dem nationalen Gericht zur Aufgabe macht, führt zu dem Ergebnis, dass es sich dabei nicht um ein Tabakerzeugnis zum oralen Gebrauch, das zum Kauen bestimmt ist, handelt. Wie die tatsächliche Verwendung durch die Verbraucher erfolgt, was nach dem Urteil des EuGH (Rn. 35) „gegebenenfalls“ herangezogen werden kann, konnte daher im vorliegenden Fall offen bleiben.
Betrachtet man die Zusammensetzung des Produkts, so handelt es sich dabei (insoweit zwischen den Beteiligten unstreitig) um gemahlenen Tabak, der in einem aufwendigen Verfahren aufbereitet und schließlich gemahlen wird. Aufgrund der Tatsache, dass der Tabak in gemahlenem Zustand zu dem Tabakerzeugnis verarbeitet wird, ist die Struktur des Tabakblatts im starken Maße zerstört, was die Freigabe der wesentlichen Inhaltsstoffe erleichtert.
Was die Konsistenz des Produkts angeht, so handelt es sich um eine mit weicher Knetmasse vergleichbare Masse, wie sich der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 10. Oktober 2019 überzeugen konnte. Diese „Knetmasse“ kann vom Verbraucher zu Kugeln geformt werden und dann entweder so, als Kugel oder im Rahmen des „Selbermach-Sets“ in einem Zellulosebeutel in den Mund gelegt werden. Aufgrund ihrer Konsistenz ist sie sowohl ohne die besondere Darreichungsform des Zellulosebeutels als auch mit ihm geeignet, einer gewissen, wenn auch nur leichten Druckausübung mit der Zunge oder den Zähnen standzuhalten. Geht man mit der Klägerin davon aus, dass unter „Kauen“ eines Kautabakprodukts i.S.v. Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40/EU eine leichte Druckausübung mittels der Zunge oder der Zähne zu verstehen ist, ist das Tabakerzeugnis zum Kauen geeignet. Dass ein Tabakerzeugnis überhaupt zum Kauen geeignet ist, bedeutet aber noch nicht, dass es auch zum Kauen bestimmt ist. Denn die Eignung zum Kauen ist nach der vom EuGH vorgenommenen Auslegung eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung für die Bewertung als zum Kauen bestimmt i.S.v. Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2014/40/EU (vgl. Rn. 35 des U.v. 17.10.2018).
Das Tabakerzeugnis wird in zwei unterschiedlichen Darreichungsformen in den Verkehr gebracht. Dabei verbessert seine Verpackung in einem Zellulosebeutel im Rahmen des „Selbermach-Sets“ die Eignung zum Kauen, da diese eine Verteilung des Produktes im Mund aufgrund der Druckausübung (des „Kauens“) verhindert. Ohne den Zellulosebeutel ist das Tabakerzeugnis, wenn auch in geringerem Maße, aber ebenfalls zum Kauen geeignet.
Bewertet man das Produkt zusammenfassend, so ist zunächst festzustellen, dass aufgrund seiner Zusammensetzung aus gemahlenem Tabak das Tabakerzeugnis auch ohne Kauen geeignet ist, seine wesentlichen Inhaltsstoffe durch bloßes im Mund halten freizugeben. Die entsprechenden Feststellungen des LGL wurden durch die Klägerin nicht substantiiert in Frage gestellt. Sie verweist für das streitgegenständliche Produkt nur auf ihren erstinstanzlichen Vortrag, in dem sie jedoch allein argumentierte, dass das Tabakerzeugnis aus verschiedenen Gründen nicht mit Snus vergleichbar sei. Darauf kommt es, wie oben bereits dargestellt wurde, nach dem Urteil des EuGH vom 17. Oktober 2018 aber nicht an. Die besondere Verarbeitung des gemahlenen Tabaks hin zu einer mit weicher Knetmasse vergleichbaren Masse führt zwar dazu, dass das Tabakerzeugnis grundsätzlich geeignet ist, gekaut zu werden. Verbessert wird diese Eignung durch Verpackung des Tabakerzeugnisses in den Zellulosebeutel des „Selbermach-Sets“. Die Eignung zum Kauen ist aber nur eine notwendige, keine hinreichende Bedingung für die Annahme eines „zum Kauen bestimmten“ Tabakerzeugnisses nach der Definition des EuGH (vgl. Rn. 35 des U.v. 17.10.2018). Vielmehr ist es nach der Auslegung des EuGH nicht ausreichend, dass das Erzeugnis nur im Mund gehalten werden muss, damit seine wesentlichen Inhaltsstoffe freigesetzt werden. Aufgrund der Zusammensetzung aus gemahlenem Tabak und seiner daraus resultierenden Offenheit für Speichel gibt das streitgegenständliche Produkt aber seine wesentlichen Inhaltsstoffe auch ohne Kauen frei, wenn auch möglicherweise in geringerem Umfang. Damit ist es aber nicht im Sinne der Definition des EuGH zum Kauen bestimmt. Im Ergebnis handelt es sich damit um ein nicht verkehrsfähiges Tabakerzeugnis i.S.v. § 11 TabakerzG.
Anhaltspunkte für einen Ermessensfehler bei der Auswahl der Maßnahme durch die Beklagte sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Daher ist der Bescheid rechtmäßig.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, da keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe vorliegt. Die Rechtslage ist aufgrund des Urteils des EuGH vom 17. Oktober 2018 geklärt. Bei der vorliegenden Entscheidung ging es allein um die Anwendung der vom EuGH aufgestellten Kriterien auf einen konkreten Sachverhalt. Tatsachenfragen können aber eine Revision zum Bundesverwaltungsgericht nicht rechtfertigen.


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