Europarecht

Verlust des Freizügigkeitsrechts

Aktenzeichen  10 ZB 19.2195

Datum:
12.12.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 34549
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 4, § 124a Abs. 4, § 154 Abs. 2
FreizügG/EU § 4a Abs. 1 S. 1, Abs. 6, § 6 Abs. 4
RL 2004/38/EG Art. 7 Abs. 1, 16 Abs. 1, Abs. 2
StGB § 51 Abs. 1, § 57 Abs. 4, § 57a Abs. 2, § 66 Abs. 4 S. 2

 

Leitsatz

Zur Unterbrechung des rechtmäßigen Aufenthalts durch Untersuchungshaft, die in eine Strafhaft mündet. (Rn. 6 – 9)
1. Für die Annahme der Zulässigkeit eines Antrags auf Zulassung der Berufung reicht aus, wenn das Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags zumindest der Sache nach eindeutig einem oder mehreren Zulassungsgründen zuzuordnen ist. (Rn. 3 – 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zeiträume, in denen ein Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat eine Untersuchungshaft verbüßt hat, die in Strafhaft mündet, können nicht für die Zwecke des Erwerbs des Daueraufenthaltsrechts berücksichtigt werden. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Untersuchungshaft, die in eine Strafhaft mündet, macht deutlich, dass der Betroffene die von der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats in dessen Strafrecht zum Ausdruck gebrachten Werte nicht beachtet und es folglich an der für den Erwerb des Daueraufenthaltsrechts erforderlichen (qualitativen) Integration fehlt.  (Rn. 11 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine nicht abschließend erfolgreich therapierte Medikamentenabhängigkeit kann im Rahmen der Gefahrenprognose als ein gegen den Antragsteller sprechender Faktor erachtet werden. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 10 K 18.1011 2019-09-19 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,- Euro
festgesetzt.

Gründe

Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihre in erster Instanz erfolglose Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 7. Februar 2018 weiter, mit dem der Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt im Bundesgebiet festgestellt, die Einreise und der Aufenthalt für (zunächst) sieben Jahre untersagt sowie die Klägerin zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland aufgefordert und ihr für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung nach Ungarn angedroht wurde.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig (I.), aber unbegründet (II.). Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder die angeführte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3, noch eine Divergenz im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO, noch der weiter zumindest der Sache nach geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung erweist sich als zulässig. Die Antragsbegründung vom 8. Dezember 2019 erfüllt (noch) die formellen Darlegungsanforderungen aus § 124a Abs. 4 Satz 4 und 5, Abs. 5 Satz 2 VwGO. Zwar hat die Klägerin in ihrer Begründungsschrift zunächst ausgeführt, dass das angegriffene „Urteil keinen Bestand haben“ könne, weil „zu Unrecht … davon ausgegangen (werde), dass die Klägerin kein Daueraufenthaltsrecht im Sinne des § 4a FreizügG/EU besitzen würde“ und anschließend eine Frage zur Auslegung des Begriffs des rechtmäßigen Aufenthalts im Sinne des § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU formuliert, ohne deutlich zu machen, auf welchen Zulassungsgrund sich die jeweiligen Ausführungen beziehen. Allerdings ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 24.8.2010 – 1 BvR 2309/09 – juris Rn. 12; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33 m.w.N.) für eine den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Darlegung eines oder mehrerer Berufungszulassungsgründe nicht notwendig, dass die Klägerin ausdrücklich eine der in § 124 Abs. 2 VwGO normierten Ziffern oder die dort angeführten tatbestandlichen Voraussetzungen benennt. Ebenso ist es unschädlich, wenn die Klägerin ihr Vorbringen dem falschen Berufungszulassungsgrund zuordnet oder verschiedene Gesichtspunkte, die bei unterschiedlichen Zulassungsgründen im Sinne von § 124 Abs. 2 VwGO relevant sein können, miteinander vermengt. Es reicht vielmehr aus, wenn das Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags zumindest der Sache nach eindeutig einem oder mehreren Zulassungsgründen zuzuordnen ist. Die abschließende Aufzählung von Zulassungsgründen in § 124 Abs. 2 VwGO legt es nahe, dies als Mindestvoraussetzung für eine den Anforderungen von § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechende Darlegung zu verlangen.
Diese Mindestvoraussetzungen werden durch die Zulassungsbegründung in Bezug auf die Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 4 VwGO (noch) erfüllt. Denn in angemessener Würdigung des klägerischen Vortrags kann dieser dahingehend ausgelegt werden, dass der Sache nach ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung sowie eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Divergenz geltend gemacht werden.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist aber unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich weder die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.), noch liegen die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 (2.) oder der Divergenz im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (3.) vor bzw. sind schon nicht hinreichend dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn die Klägerin im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 17; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16). Dies ist hier in Bezug auf die gegenüber der Klägerin erfolgte Verlustfeststellung des Freizügigkeitsrechts nicht der Fall.
a) Die Klägerin macht geltend, dass sie aufgrund ihres rechtmäßigen fünfjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU erlangt habe. Sie befinde sich seit 18. September 2011 im Bundesgebiet. Zwar treffe es zu, dass sie am 13. April 2016 in Untersuchungshaft gekommen sei, jedoch habe sie eine Freiheitsstrafe frühestens ab 29. Juni 2017 mit Eintritt der Rechtskraft des Urteils des Landgerichts München verbüßt.
Dieser Einwand begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Denn dieses hat zutreffend festgestellt, dass zugunsten der Klägerin die Einschränkung des § 6 Abs. 4 FreizügG/EU mangels Erwerbs eines Daueraufenthaltsrechts im Sinne des § 4a FreizügG/EU nicht greift. Bei dieser Prüfung ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass Zeiträume, in denen der Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat eine Freiheitsstrafe verbüßt (hat), nicht für die Zwecke des Erwerbs des Daueraufenthaltsrechts berücksichtigt werden können, weil der Unionsgesetzgeber die Erlangung eines Daueraufenthaltsrechts nach Art. 16 Abs. 1 RL 2004/38/EU von der Integration des Unionsbürgers in den Aufnahmemitgliedstaat abhängig macht, diese Integration nicht nur auf territorialen und zeitlichen Faktoren, sondern auch auf qualitativen Elementen im Zusammenhang mit dem Grad der Integration im Aufnahmemitgliedstaat beruht, und die Verhängung einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung durch ein nationales Gericht dazu angetan ist, deutlich zu machen, dass der Betroffene die von der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaates in dessen Strafrecht zum Ausdruck gebrachten Werte nicht beachtet, so dass die Berücksichtigung von Zeiträumen der Verbüßung einer Freiheitsstrafe für die Zwecke des Erwerbs eines Daueraufenthaltsrechts dem mit der Einführung dieses Aufenthaltsrechts verfolgten Ziel eindeutig zuwider laufen würde (vgl. EuGH, U.v. 16.1.2014 – Onuekwere, C-378/12 – juris Rn. 25 und 26; U.v. 16.1.2014 – M.G., C-400/12 – juris Rn. 31 f.; U.v. 17.4.2018 – C-316/16 u.a. – juris Rn. 58 f.; BayVGH, B.v. 18.3.2015 – 10 C 14.2655 – juris Rn. 23). Nach Auffassung des Senats ist auch eine Untersuchungshaft, die – wie vorliegend – in eine Strafhaft mündet, im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. EuGH, U.v. 16.1.2014 – Onuekwere, C-378/12 – juris Rn. 26 u. 31; U.v. 16.1.2014 – M.G., C-400/12 – juris Rn. 31 f.) dazu angetan, deutlich zu machen, dass der Betroffene die von der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats in dessen Strafrecht zum Ausdruck gebrachten Werte nicht beachtet, so dass derartige Zeiten grundsätzlich die Kontinuität des Aufenthalts unterbrechen (vgl. OVG NW, B.v. 7.4.2014 – 18 B 219/14 – juris Rn. 14; VG Saarland, B.v. 19.4.2017 – 6 L 2600/16 – juris – 3. Ls-). Die Anrechnung einer Untersuchungshaft nach § 51 Abs. 1 StGB bewirkt, dass diese der vollstreckten Strafe gleichgeachtet wird und damit alle Wirkungen der Strafverbüßung erfüllt (vgl. Kett-Straub in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 2017, § 51 Rn. 23). In den Schlussanträgen des Generalanwalts vom 3. Oktober 2013 in der Rechtssache C-378/12 (abrufbar unter: https://curia.europa.eu/ des Gerichtshofs der Europäischen Union) kommt dies ebenfalls deutlich zum Ausdruck. Denn dort wird zum Begriff des „rechtmäßigen Aufenthalts“ im Sinne von Art. 16 Abs. 1 und 2 RL 2004/38/EG ausgeführt, dass „42. (…) Gefängnisaufenthalte nicht als Zeiten eines rechtmäßigen Aufenthalts im Sinne dieser Vorschrift angesehen und damit bei der Berechnung des Zeitraums von fünf Jahren berücksichtigt werden (können), der gemäß dieser Bestimmung erforderlich ist, um ein Recht auf Daueraufenthalt zu erlangen.“ Weiter betont der Generalanwalt, dass „50. Gefängnisaufenthalte zwangsläufig auf einen geringen Integrationsgrad des Betroffenen“ hinweisen. (…) Ein strafrechtlich vorwerfbares Verhalten zeigt meines Erachtens deutlich den fehlenden Willen des Betroffenen, sich in die Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats zu integrieren.“
b) Soweit die Klägerin einwendet, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht eine Wiederholungsgefahr wegen ihrer nicht bewältigten Suchterkrankung und ihrer Zahlungsunfähigkeit angenommen habe, dringt sie damit ebenfalls nicht durch. Denn nach den strafgerichtlichen Feststellungen lag bei der Klägerin eine Suchtmittelproblematik in Form einer Medikamentenabhängigkeit vor (Landgericht München I, U.v. 21.6.2017, Bl. 183 der Behördenakten). Auch in ihrer Stellungnahme vom 15. Januar 2018 räumt die Klägerin eine Alkohol- und Medikamentensucht im Zusammenhang mit ihren Straftaten ein (Bl. 241 der Behördenakten). Im Strafvollstreckungsverfahren wurde die Klägerin im Beschluss zur Aussetzung des Strafrests zur Bewährung vom 8. Januar 2018 angewiesen, sogleich nach Entlassung eine stationäre Therapie aufzunehmen, sucht- und drogenmittelabstinent zu leben und sich mindestens sechsmal und höchstens 24-mal jährlich Drogen- und Suchtmittelabstinenzkontrollen zu unterziehen (Bl. 244 f. der Behördenakten). Vor diesem Hintergrund begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, wenn das Verwaltungsgericht die weiterhin nicht abschließend erfolgreich therapierte Medikamentenabhängigkeit als einen im Rahmen der Gefahrenprognose gegen die Klägerin sprechenden Faktor erachtet. Entsprechendes gilt im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation der Klägerin. Auch insofern ist nichts daran zu erinnern, dass die immer noch bestehenden erheblichen Schulden als ein weiterer Risikofaktor erachtet werden. Den bisherigen Lebensweg der Klägerin sowie ihre Straffreiheit seit der Haftentlassung hat das Verwaltungsgericht ebenfalls angemessen gewürdigt.
2. Die Berufung ist auch nicht wegen rechtsgrundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Die Klägerin formuliert als klärungsbedürftige Frage, ob „die Inhaftierung zu einer Untersuchungshaft, die dann später – im Rahmen einer Strafvollstreckung – auf die Strafhaft angerechnet wird, als Zeitunterbrechung für den Zeitraum, welcher für den Erwerb eines Daueraufenthaltsrechts berücksichtigt werden kann, zu werten“ sei. Sie trägt hierzu unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs (s. EuGH, U.v. 16.1.2014 – Onuekwere, C-378/12 – juris) vor, dass eine Untersuchungshaft keine Freiheitsstrafe sei und dementsprechend ihren rechtmäßigen Aufenthalt nicht habe unterbrechen können.
Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2019 – 10 ZB 18.1768 – Rn. 11; B.v. 14.2.2019 – 10 ZB 18.1967 – juris Rn. 10; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 72).
Klärungsbedürftig sind solche Rechts- oder Tatsachenfragen, deren Beantwortung zweifelhaft ist oder zu denen unterschiedliche Auffassungen vertreten werden und die noch nicht oder nicht hinreichend ober- und höchstrichterlich geklärt sind (vgl. BVerfG, B.v. 28.4.2011 – 1 BvR 3007/07 – juris Rn. 21; Roth in Posser/Wolff BeckOK, VwGO, Stand: 1.10.2019, § 124 Rn. 55 m.w.N; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124 Rn. 38). Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregelungen auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantwortet werden kann (stRspr, BVerwG, B.v. 9.4.2014 – 2 B 107.13 – juris Rn. 9 m.w.N.; BVerfG, B.v. 29.7.2010 – 1 BvR 1634/04 – juris Rn. 64).
Gemessen hieran fehlt es an der Klärungsbedürftigkeit der von der Klägerin aufgeworfenen Frage. Sie zeigt schon nicht auf, dass hierzu unterschiedliche Auffassungen in der Rechtsprechung vertreten werden würden, die einen entsprechenden Klärungsbedarf auslösen könnten (noch offen gelassen in: BayVGH, B.v. 15.3.2015 – 10 C 14.2655 – juris Rn. 24). In der im Zulassungsvorbringen angeführten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wird zwar darauf abgestellt, dass Zeiträume der „Verbüßung einer Freiheitsstrafe“ nicht für die Zwecke des Erwerbs eines Daueraufenthaltsrechts berücksichtigungsfähig sind (EuGH, U.v. 16.1.2014 – Onuekwere, C-378/12 – juris -Ls-, Rn. 26 f. und 31; U.v. 16.1.2014 – M.G., C-400/12 – juris Rn. 31 f.). Allerdings wurde in diesen Entscheidungen hinsichtlich der Inhaftierungszeiträume nicht weiter differenziert (siehe EuGH, U.v. 16.1.2014 – Onuekwere, C-378/12 – juris Rn. 12 f.) und die Fragen zur Vorabentscheidung beschränkten sich auf den dort genannten „Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe“ (EuGH, U.v. 16.1.2014 – Onuekwere, C-378/12 – juris Rn. 16). Die Entscheidung des Gerichtshofs vom 16. Januar 2014 (M.G., C-400/12 – juris) betrifft in erster Linie die Auslegung von Art. 28 Abs. 3 Buchst. a RL 2004/38/EG und damit die Gewährung des verstärkten Ausweisungsschutzes nach zehnjährigem Aufenthalt. Andererseits betont der Gerichtshof in seiner jüngsten Rechtsprechung unter Verweis auf den 17. Erwägungsgrund der RL 2004/38/EG, dass unter einem rechtmäßigen Aufenthalt im Sinne von Art. 16 Abs. 1 RL 2004/38/EG nur ein Aufenthalt zu verstehen ist, der im Einklang mit den in dieser Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen, insbesondere denjenigen, die in deren Art. 7 Abs. 1 RL 2004/38/EG angeführt sind, steht. Ein Unionsbürger, der die qualitativen Elemente im Zusammenhang mit dem Grad der Integration nicht erfüllt, kann auch nicht das Recht auf Daueraufenthalt erwerben und sich darum auch nicht auf den erhöhten Ausweisungsschutz berufen (vgl. EuGH, U.v. 17.4.2018 – C-316/16 u.a. – juris Rn. 57-60). Im Lichte dieser Auslegung des Begriffs des „rechtmäßigen Aufenthalts“ und unter Berücksichtigung der Ausführungen des Generalanwalts in den Schlussanträgen in der Rechtssache C-378/12 (a.a.O.) hierzu ist eine Untersuchungshaft, die – wie vorliegend – in eine Strafhaft mündet, jedenfalls dazu angetan, deutlich zu machen, dass der Betroffene die von der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats in dessen Strafrecht zum Ausdruck gebrachten Werte nicht beachtet und es folglich an der für den Erwerb des Daueraufenthaltsrechts erforderlichen (qualitativen) Integration fehlt (vgl. EuGH, U.v. 7.10.2010 – Lassal, C-162/09 – juris Rn. 32 und 37; U.v. 16.1.2014 – Onuekwere, C-378/12 – juris Rn. 24; U.v. 17.4.2018 – C-316/16 u.a. – juris Rn. 60). Für diese Auslegung streitet im Übrigen auch § 51 Abs. 1 StGB, wonach eine Untersuchungshaft aus Anlass der Tat auf die zeitige Freiheitsstrafe angerechnet wird. Einer gerichtlichen Entscheidung oder Begründung im Urteil bedarf es hierfür nicht (Heintschel-Heinegg in BeckOK StGB, v. Heintschel-Heinegg, Stand: 1.11.2019, § 51 Rn. 5 und 20; Heger in Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl. 2018, § 51 Rn. 4 m.w.N.). Die durch Anrechnung der Freiheitsentziehung erledigte gilt als verbüßte Strafe (vgl. § 57 Abs. 4, § 57a Abs. 2, § 66 Abs. 4 Satz 2 StGB; Kinzig in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Aufl. 2019, § 45a Rn. 6 u. § 51 Rn. 22). Auch der Gerichtshof verwendet u.a. die Begriffe „Haft“, „Haftstrafe“, „Inhaftierung“ und „Haftzeitraum“ bei der Beurteilung der Frage des Abreißens einer Integrationsverbindung (vgl. U.v. 17.4.2018 – C-316/16 u.a. – juris Rn. 70 ff.).
3. Der weiter benannte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) ist schon nicht hinreichend im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt.
Abgesehen davon, dass die Klägerin nicht darlegt, welchen tragenden abstrakten Rechtssatz das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hätte, der einem Rechtssatz der in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannten Gerichte widersprechen würde, kann das Urteil auch nicht auf der behaupteten Abweichung beruhen. Denn die insofern „hilfsweise“ gemachten Ausführungen der Klägerin beziehen sich ausdrücklich nur auf den besonderen Ausweisungsschutz nach § 6 Abs. 4 FreizügG/EU. Hierauf kann sich die Klägerin aber, wie oben dargelegt, mangels Erwerbs eines Daueraufenthaltsrechts gerade nicht berufen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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