Europarecht

Versagung der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis trotz langjährigen Aufenthalts wegen fehlender Sprachkenntnisse

Aktenzeichen  M 27 K 17.5631

Datum:
18.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 5178
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG § 9, § 28 Abs. 2, § 44 Abs. 3, § 85, § 104
AufenthG-VwV Ziff. 9.2.2.2.2.
IntV § 4 Abs. 2

 

Leitsatz

1 Der Lauf der Dreijahresfrist nach § 28 Abs. 2 S. 1 AufenthG beginnt grundsätzlich mit der erstmaligen Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Aufenthalt unter einer Aufenthaltserlaubnis durch zwischenzeitliche Auslandsaufenthalte unterbrochen war. (Rn. 25) (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 S. 1 AufenthG beurteilt sich nicht nach dem Zeitpunkt der Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis, sondern nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Antragstellung auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis. (Rn. 28) (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Soweit § 28 Abs. 2 S. 1 AufenthG in der aktuellen Fassung “ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache” für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis verlangt, bedeutet dies, dass der ausländische Familienangehörige eines Deutschen ebenso wie nicht privilegierte Ausländer Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (§ 2 Abs. 11 AufenthG) nachzuweisen hat. (Rn. 29) (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Soweit Ziffer 9.2.2.2.2 VwV-AufenthG das Vorliegen eines Härtefalls iSv § 28 Abs. 2 S. 1 iVm § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 S. 2 AufenthG beispielhaft bei Ausländern annimmt, die bei der Einreise bereits 50 Jahre alt waren, ist für das Absehen vom Spracherfordernis gleichwohl nicht allein auf das Alter, sondern auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls abzustellen.  (Rn. 31 – 36) (red. LS Clemens Kurzidem)
5 Die Anwendung von § 104 Abs. 2 S. 1 AufenthG erfordert nicht, dass der Ausländer seit dem Zeitraum vor dem 1. Januar 2005 im ununterbrochenen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis war. Entsprechend der Regelung in § 85 AufenthG bleiben bei einer Unterbrechung des Aufenthalts jedoch nur Zeiträume bis zu einem Jahr außer Betracht. (Rn. 42) (red. LS Clemens Kurzidem)
6 Schutzwürdiges Vertrauen auf die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ohne die gesetzlich vorgesehenen Sprachnachweise erwirbt ein Ausländer nicht dadurch, dass die zuständige Behörde im Rahmen der Erteilung vorgelagerter Aufenthaltserlaubnisse auf die Sprachnachweise verzichtet hat. Denn bei der Niederlassungserlaubnis handelt es sich um einen Aufenthaltstitel anderer Qualität, dem ein gesondertes Antragsverfahren vorausgeht. (Rn. 44 – 45) (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten vorher hierzu angehört wurden (§ 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG noch aus § 9 AufenthG.
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Ausweislich § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist dem Ausländer in der Regel eine Niederlassungserlaubnis nur dann zu erteilen, wenn er drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis ist, die familiäre Lebensgemeinschaft mit dem Deutschen im Bundesgebiet fortbesteht, kein Ausweisungsinteresse besteht und er über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. Der Regelanspruch auf Erteilung der Erlaubnis besteht lediglich bei einer kumulativen Erfüllung vorgenannter Voraussetzungen. Nach § 28 Abs. 2 Satz 3 AufenthG wird im Übrigen die Aufenthaltserlaubnis verlängert, solange die familiäre Lebensgemeinschaft besteht.
a) Die erforderliche Aufenthaltszeit ist erfüllt, da die Klägerin den 3-jährigen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nachweisen kann. Die 3-jährige Frist nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG beginnt grundsätzlich mit der erstmaligen Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zur Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft (Tewocht in: BeckOK Ausländerrecht (Februar 2019), AufenthG, § 28 Rn. 30). Durch die fehlende Präposition „seit“ kommt es nicht darauf an, ob der Aufenthalt unter einer Aufenthaltserlaubnis durch zwischenzeitliche Auslandsaufenthalte unterbrochen war (vgl. Oberhäuser in: NK-AuslR, 2. Aufl. 2016, AufenthG, § 28 Rn. 49). Selbst unter Heranziehung des § 85 AufenthG, wonach lediglich Unterbrechungen der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts bis zu einem Jahr außer Betracht bleiben können, weist die Klägerin den Besitz einer wenigstens 3-jährigen Aufenthaltserlaubnis vor. Zuletzt hat sie zum … … 2013 eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Auch wenn man darauf abstellen sollte, dass die 3-jährige Frist in dem Zeitpunkt der Antragsstellung auf Erteilung der Niederlassungserlaubnis am … … 2016 noch nicht erfüllt war, ist die Zeit bis zur Entscheidung über den Antrag anzurechnen. Zu dem Zeitpunkt, in dem über den Antrag der Klägerin entschieden wurde, war sie seit mehr als drei Jahren im Besitz einer rechtsgültigen Aufenthaltserlaubnis. Lediglich zwischen dem … … 2014 und dem … … 2014 hatte die Klägerin das Bundesgebiet für drei Monate verlassen. Eine Zäsur des Aufenthalts findet dadurch nicht statt.
b) Die Klägerin erfüllt auch die weitere Voraussetzung des Bestehens einer familiären Lebensgemeinschaft mit einem Deutschen im Bundesgebiet. Unstreitig hat die eheliche Lebensgemeinschaft zwischen der Klägerin und ihrem Ehegatten Bestand und beide haben ihren gewöhnlichen Aufenthalt wenigstens seit der Wiedereinreise im Mai 2013 im Bundesgebiet. Ausweislich der Akten halten sich die Eheleute seit der Wiedereinreise am 22. Mai 2013 weit überwiegend im Bundesgebiet auf. Darüber hinaus ist der Lebensunterhalt der Klägerin gesichert und sie war bislang nicht auf staatliche Leistungen angewiesen. Aus den Akten ergeben sich daneben keinerlei Umstände, die auf ein besonderes Ausweisungsinteresse hinweisen.
c) Die Klage auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis scheitert jedoch daran, dass die Klägerin nicht über die erforderlichen Sprachkenntnisse verfügt. Als weitere Voraussetzung für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis sieht § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG vor, dass der Antragsteller über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt. Die Klägerin hat weder nachgewiesen, dass sie sich auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann, noch hat sie ein Sprachzertifikat vorgelegt.
aa) Es kommt zur Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, entgegen der Rechtsansicht des Bevollmächtigten der Klägerin, nicht auf die Rechtslage in dem Zeitpunkt der Antragstellung auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis (13. Juni 2013) an, sondern auf die Rechtslage in dem Zeitpunkt der Antragstellung auf Erteilung der Niederlassungserlaubnis (* … … 2016). Die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ist lediglich für die Bemessung der Dreijahresfrist nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG (vgl. 1. a) vorliegender Entscheidungsgründe) maßgeblich. Insofern ist nicht darauf abzustellen, ob die Klägerin sich auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann (so die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in der Fassung bis zum 5.09.2013), sondern darauf, ob sie über „ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache“ verfügt. Es handelt sich bei der Niederlassungserlaubnis als unbefristetem Aufenthaltstitel um eine Genehmigung gänzlich anderer Qualität, als der Aufenthaltserlaubnis. Es liegt somit fern, für die Beurteilung der Sprachkompetenz zur Erteilung der Niederlassungserlaubnis auf den vorgelagerten Zeitpunkt der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abzustellen. Selbst wenn auf die alte Gesetzesfassung abzustellen wäre, hat die Klägerin ausweislich der Aktenlage nicht dargelegt, zu dem maßgeblichen Zeitpunkt über die Fähigkeit verfügt zu haben, sich auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen zu können. Die Klägerin selbst hat durch ihren Ehegatten zuletzt mit Schreiben vom 9. Mai 2017 (Bl. 167 BA) vortragen lassen, dass sie sich maßgeblich auf Englisch und nur mit „einigen Worten Deutsch“ verständlich machen kann.
bb) Die seit dem 1. August 2015 – und somit vor Antragstellung auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis – geltende Fassung des § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG sieht die Notwendigkeit „ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache“ vor, die ausweislich des Wortlautes in dem Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis vorzuliegen haben. Dies bedeutet, dass der ausländische Familienangehörige eines Deutschen, der gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die Niederlassungserlaubnis erwerben möchte, nunmehr ebenso wie ein nicht privilegierter Ausländer Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (§ 2 Abs. 11 AufenthG) nachzuweisen hat.
Ausweislich der Akten hat die Klägerin keinen entsprechenden Nachweis vorgelegt. Vielmehr ergibt sich sowohl aus der Klagebegründung, als auch aus dem eigenen Vorbringen der Klägerin und ihres Ehegatten im Vorfeld der behördlichen Entscheidung, dass diese der festen Überzeugung ist, dass ein entsprechender Nachweis und die Durchführung eines Integrationskurses nicht notwendig seien.
cc) Die von der Klägerin dargelegten Umstände genügen darüber hinaus nicht den Anforderungen, die an das Vorliegen eines Härtefalls in dem Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 4 AufenthG zu stellen sind.
(1) Zunächst hat die Klägerin keinerlei Umstände dargelegt, wonach von der Anforderung der ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache nach Maßgabe des § 28 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 3 AufenthG abgesehen werden kann. Hiernach wird von vorbezeichneter Voraussetzung nämlich nur dann abgesehen, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht erfüllen kann.
(2) Auch sonstige, einen Härtefall begründenden Umstände nach § 28 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 4 AufenthG sind nicht dargelegt. Die Klägerin trägt hierzu vor, bei ihr sei deswegen ein Härtefall gegeben, weil sie bei Erteilung der Aufenthaltserlaubnis am … … 2013 bereits 54 Jahre alt gewesen sei und sich aus Ziff. 9.2.2.2.2. der Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des AufenthG (Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26. Oktober 2009 vom Bundesministerium des Innern (VwV)) ergebe, dass ein Härtefall stets dann vorliege, wenn der Ausländer bei Einreise über 50 Jahre alt gewesen sei.
Da es sich bei dem Begriff des Härtefalls um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, kann im Zuge der Konkretisierung zwar die VwV herangezogen werden. Entgegen der Rechtsauffassung des Bevollmächtigten der Klägerin ergibt sich aus der Verwaltungsvorschrift, die ohnehin nicht das Gericht bindet sondern lediglich eine Auslegungshilfe darstellt, nicht zwingend, dass bei einem Ausländer, der bei Einreise bereits über 50 Jahre alt war, stets ein Härtefall vorliegt. Ziff. 9.2.2.2.2. VwV nennt exemplarisch für die Annahme eines Härtefalls, dass der Ausländer bei Einreise in das Bundesgebiet bereits über 50 Jahre alt war. Abzustellen ist hierbei jedoch nicht alleine auf das Alter, sondern vielmehr auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Ausweislich Ziff. 9.2.2.2.2. Satz 2 VwV hat sich aus den geltend gemachten, nachzuweisenden Gründen im Einzelfall unmittelbar nachzuvollziehen lassen, dass eine Erschwernis vorliegt. Dies ist bei der Klägerin weder nachgewiesen noch nachvollziehbar. Der pauschale Hinweis, dass es ihr aufgrund der Herkunft und ihrer Bildung nahezu unmöglich sei, die deutsche Schriftsprache zu erlernen, genügt den sich aus der VwV ergebenden Anforderungen nicht. Zum einen trägt die Klägerin selbst vor, dass sie die Sprache Englisch beherrsche, wobei sich auch diese Sprache hinsichtlich ihrer Schrift aus dem lateinischen Alphabet zusammensetzt. Zum anderen wäre es der Klägerin über die nunmehr gesamte Dauer von über 20 Jahren seit der Ersteinreise in das Bundesgebiet möglich gewesen, durch den Besuch einer Sprachschule wenigstens den Willen zum Ausdruck zu bringen, die deutsche Sprache zu erlernen zu wollen. Die Beklagte hat erstmals am … … 2013 die Klägerin darauf hingewiesen, dass sowohl für die Verlängerung weiterer Aufenthaltstitel als auch für die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis der Nachweis entsprechender Sprachkenntnisse notwendig sei. Über den gesamten Zeitraum von drei Jahren bis zu dem erstmaligen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis hat die Klägerin aber keinerlei Bemühungen walten lassen, einen entsprechenden Nachweis zu erbringen. Vielmehr hat sie sich stets auf den Standpunkt gestellt, es bedürfe in ihrem besonderen Fall keines entsprechenden Nachweises. Alleine durch dieses aus der eigenen Sphäre herrührende und beeinflussbare Verhalten kann die Klägerin kein besonderes, im Rahmen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 4 AufenthG berücksichtigenswertes Erschwernis als Härtefall herbeiführen.
Darüber hinaus erscheint es widersprüchlich, wenn sich die Klägerin zum einen darauf beruft, bei ihr handele es sich um einen „Altfall“ und man müsse auf die erstmalige Einreise im Jahre 1999 abstellen (zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin 40 Jahre alt), sich demgegenüber aber auf den Standpunkt stellt, sie sei bei der maßgeblichen Einreise in das Bundesgebiet im Jahre 2013 bereits 54 Jahre alt gewesen und könne nun nicht mehr die deutsche Sprache erlernen.
Auch das Argument, die Klägerin sei bereits hinreichend integriert, obwohl sie kein Deutsch könne, und somit das Telos der Norm bei ihr ins Leere laufe, verfängt vorliegend nicht. Im Vergleich zu § 9 AufenthG sieht § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG eine Privilegierung von Familienangehörigen von Deutschen vor. Hiernach ist dem Ausländer bereits eine Niederlassungserlaubnis in der Regel u. a. dann zu erteilen, wenn er nur drei Jahre im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis war. Dies wird unter anderem damit begründet, dass Familienangehörigen von Deutschen es besonders leicht fallen sollte, die Sprache zu lernen. Das geforderte Sprachniveau fördere die Eigenmotivation, weitere Integrationserfolge anzustreben und verbessere die Möglichkeit, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen (BT-Drucks. 17/13022, Seite 21). Die Klägerin hat jedoch trotz der über 20-jährigen Ehe mit ihrem Ehemann offensichtlich keine Fortschritte bei dem Erlernen der deutschen Sprache gemacht. Abzustellen ist hierbei auch auf die Verbesserung der Möglichkeit, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Wenn die Klägerin, wie sie selbst vorträgt, lediglich Englisch und einige Worte Deutsch versteht, läuft gerade dieses Ziel der Norm in dem Falle der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ohne den Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse ins Leere.
dd) Auch die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Satz 2 AufenthG i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 2 AufenthG liegen nicht vor. Hiernach ist die Voraussetzung ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG) nachgewiesen, wenn ein Integrationskurs erfolgreich abgeschlossen wurde. Auch nach mehrfacher Aufforderung seitens der Beklagten zu der Teilnahme an einem Integrationskurs hat die Klägern zu keinem Zeitpunkt einen Nachweis über eine Anmeldung oder den Abschluss eines entsprechenden Kurses vorgelegt.
ee) Darüber hinaus sind auch die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Satz 2 AufenthG i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 5 AufenthG nicht gegeben. Hiernach wird von dem Erfordernis des Nachweises ausreichender Sprachkenntnisse abgesehen, wenn der Ausländer sich auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen kann und er nach § 44 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG keinen Anspruch auf Teilnahme am Integrationskurs hatte oder er nach § 44a Abs. 2 Nr. 3 AufenthG nicht zur Teilnahme am Integrationskurs verpflichtet war. Beide Voraussetzungen liegen bei der Klägerin nicht vor, so dass es auch nicht darauf ankommt, ob sie sich tatsächlich auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen kann.
(1) Ein erkennbar geringer Integrationsbedarf nach Maßgabe des § 44 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG besteht bei der Klägerin nicht. Der unbestimmte Rechtsbegriff „erkennbar geringer Integrationsbedarf“ wird in § 4 Abs. 2 Satz 2 Integrationskursverordnung (IntV) durch Regelbeispiele konkretisiert, die jedoch keineswegs abschließend sind (Eichenhofer in: BeckOK AuslR, 21. Ed. Februar 2019, AufenthG, § 44 Rn. 14). Nach § 4 Abs. 2 Satz 2 IntV ist in der Regel ein geringer Integrationsbedarf dann anzunehmen, wenn (1) ein Ausländer (a) einen Hochschul- oder Fachhochschulabschluss oder eine entsprechende Qualifikation besitzt, es sei denn, er kann wegen mangelnder Sprachkenntnisse innerhalb eines angemessenen Zeitraums keine seiner Qualifikation entsprechende Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet erlaubt aufnehmen, oder (b) eine Erwerbstätigkeit ausübt, die regelmäßig eine Qualifikation nach (a) erfordert, und (2) die Annahme gerechtfertigt ist, dass sich der Ausländer ohne staatliche Hilfe in das wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Leben der Bundesrepublik Deutschland integrieren wird.
Die Klägerin hat zu keinem Zeitpunkt vorgetragen, dass sie über einen Hochschuloder Fachhochschulabschluss verfügt. Vielmehr hat die Klägerin stets vorgetragen, dass es ihr wegen ihrer mangelnden Bildung nicht möglich sei, die deutsche Sprache zu erlernen. Entgegen der Rechtsauffassung des Bevollmächtigten der Klägerin steht § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 IntV nicht als eigenständig erfüllbare Voraussetzung, sondern in einem Zusammenspiel mit § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 IntV. Dies wird dadurch deutlich, dass die beiden Voraussetzungen durch ein „und“ miteinander verbunden sind und somit kumulativ vorzuliegen haben, damit von einem geringen Integrationsbedarf auszugehen ist. Dass die Voraussetzungen von Nr. 1 und 2 kumulativ vorliegen müssen, trägt dem Umstand Rechnung, dass ein Ausländer im Falle eines erkennbar geringen Integrationsbedarfs weder einen Anspruch auf Teilnahme hat noch zur Teilnahme verpflichtet werden kann (Eichenhofer in: BeckOK AuslR, 21. Ed. Februar 2019, AufenthG, § 44 Rn. 14 m. w. N.). Auch im Übrigen liegt kein Fall des § 44 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG vor. Dies wäre etwa dann anzunehmen, wenn sich die Klägerin erkennbar nur kurz im Bundesgebiet aufhalten möchte (vgl. VG München U.v. 7.3.2013 – M 12 K 12.5497 – BeckRS 2013, 50310).
(2) Auch für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 44a Abs. 2 Nr. 3 AufenthG bestehen keine Anhaltspunkte. Hiernach sind von der Teilnahmeverpflichtung an einem Integrationskurs nur solche Ausländer ausgenommen, deren Teilnahme auf Dauer unmöglich oder unzumutbar ist. Die „Unmöglichkeit“ der Kursteilnahme in dem Sinne von § 44a Abs. 2 Nr. 3 AufenthG ist restriktiv auszulegen, wobei ein Umstand oder ein Ereignis erforderlich ist, das die Kursteilnahme mit absoluter Sicherheit ausschließt (Eichenhofer in: BeckOK AuslR, 21. Ed. Februar 2019, AufenthG, § 44a Rn. 15.3). Im Rahmen der „Unzumutbarkeit“ ist zu unterscheiden zwischen räumlicher, zeitlicher oder finanzieller Unzumutbarkeit (Eichenhofer a. a. O.). Aus dem Vortrag der Klägerin ergeben sich keine Umstände oder Ereignisse, die für eine Unmöglichkeit oder für eine Unzumutbarkeit sprechen. Vielmehr hat die Klägerin ausweislich der Behördenakte stets betont, dass sie keine entsprechenden Maßnahmen benötige, da sie bereits integriert sei. Der Ehemann der Klägerin teilte darüber hinaus im Namen seiner Gattin gegenüber der Behörde mit, dass er für einen Integrationskurs „keine Erforderlichkeit“ sehe (Bl. 134 BA). Dies bergründet nicht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 44a Abs. 2 Nr. 3 AufenthG.
d) Darüber hinaus liegen die Voraussetzungen der Übergangsvorschrift des § 104 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nicht vor. Hiernach ist bei Ausländern, die vor dem 1. Januar 2005 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Aufenthaltsbefugnis sind, bei der Entscheidung über die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU hinsichtlich der sprachlichen Kenntnisse nur erforderlich, dass sie sich auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen können. Zwar verfügte die Klägerin in dem Jahre 1999 bereits über eine befristete Aufenthaltserlaubnis und auch bei der Vorschrift des § 104 Abs. 2 Satz 1 AufenthG kommt es wegen der fehlenden Präposition „seit“ nicht darauf an, dass der Ausländer seit dem Zeitraum vor dem 1. Januar 2005 in dem ununterbrochenen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis war. Entsprechend der Regelung des § 85 AufenthG bleiben bei einer Unterbrechung des Aufenthaltes jedoch nur Zeiträume bis zu einem Jahr außer Betracht (für die Anwendbarkeit des § 85 AufenthG im Rahmen des § 104 Abs. 2 AufenthG: Fränkel in: Hoffmann, NK-AuslR, 2. Aufl. 2016, AufenthG, § 104 Rn. 9). Längere Unterbrechungen des Aufenthaltes führen zu einer Zäsur, weil sonst auch nicht das Ziel des Gesetzes in Gestalt der Integrationsförderung erreicht werden kann. Eine solche Zäsur ist bei der Klägerin etwa in dem 7-jährigen Aufenthalt in Malaysia zwischen den Jahren 2001 und dem Jahre 2008 zu sehen. Für die Beurteilung der Voraussetzungen der Erteilung der Niederlassungserlaubnis kommt es mithin lediglich auf die Zeiten nach der Wiedereinreise am 22. Mai 2013 an.
2. Aus vorgenannten Erwägungen kann der Klägerin auch keine Niederlassungserlaubnis auf der Grundlage des § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG erteilt werden. Die Voraussetzung des Vorliegens ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache gilt es auch im Rahmen des § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG zu erfüllen. Erleichterungen nach § 9 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 AufenthG liegen für die Klägerin, wie zuvor festgestellt, nicht vor. Im Übrigen gilt es nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 AufenthG, über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet zu verfügen. Einen entsprechenden Nachweis hat die Klägerin auch hier nicht vorgelegt.
3. Auch aus den Grundsätzen des Vertrauensschutzes kann die Klägerin keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis herleiten. Das Vertrauen wäre nur dann schutzwürdig und die Klägerin könnte hieraus einen Anspruch herleiten, wenn sie im Zusammenhang mit der Erteilung der Niederlassungserlaubnis hätte darauf vertrauen dürfen, dass diese ohne die gesetzlich vorgesehenen Sprachnachweise erlassen werde. Ein entsprechender Vertrauenstatbestand wurde jedoch seitens der Beklagten weder geschaffen noch aufrechterhalten. Nicht streitentscheidend ist insofern, dass die Beklagte möglicherweise im Rahmen der Erteilung vorgelagerter Aufenthaltserlaubnisse einen Vertrauenstatbestand geschaffen haben könnte. Da es sich bei der Niederlassungserlaubnis um einen Titel anderer Qualität handelt, dem ein gesondertes Antragsverfahren vorausgeht, ist das hinsichtlich eines anderen Sachverhaltes geschaffene Vertrauen nicht übertragbar. Die Beklagte hat zudem mehrfach vor der Beantragung der streitgegenständlichen Niederlassungserlaubnis auf die Notwendigkeit der Vorlage eines entsprechenden Sprachzertifikates hingewiesen. Bereits im Zuge der Erteilung der letzten Aufenthaltserlaubnis (etwa mit Schreiben vom 21.2.2014 – Bl. 71 f. BA) wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass in dem Falle der Beantragung einer Niederlassungserlaubnis für die Erteilung selbiger ein Sprachnachweis oder die Teilnahme an einem Integrationskurs notwendig sei. In der Folge wurde die Klägerin ausweislich der Aktenlage mindestens zwölf Mal (etwa Bl. 71, 75, 97, 104, 129, 132, 134, 140, 142, 162, 164, 169 BA) auf die Notwendigkeit der Vorlage eines entsprechenden Nachweises hingewiesen, so dass kein Vertrauenstatbestand hinsichtlich der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis ohne die nach § 28 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nachzuweisenden Sprachkenntnisse geschaffen werden konnte.
Insofern liegt auch kein widersprüchliches Verhalten der Beklagten vor. Das Behördenversehen aus dem Jahre 2008 und der Verzicht auf den Nachweis der Deutschkenntnisse aus dem Jahre 2013 bezogen sich jeweils auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Darüber hinaus wurde der Klägerin bereits im Rahmen der Antragstellung betreffend die Aufenthaltserlaubnis am … … 2013 mitgeteilt, dass nunmehr die Vorlage eines Sprachzertifikates notwendig sei (Bl. … BA). Spätestens durch die deutlichen Hinweise in dem Schreiben vom 21. Februar 2014 (Bl. … f. BA) durften jegliche Zweifel über die Erforderlichkeit eines Nachweises über die Kenntnisse der deutschen Sprache ausgeräumt worden sein.
4. Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) liegt fern. Dazu müsste durch die Beklagte wesentlich Gleiches ungleich oder wesentlich Ungleiches gleich behandelt worden sein. Anhaltspunkte bestehen dafür nach Ansicht des Gerichtes nicht. So verfängt das Argument der Klägerin nicht, wonach es auch Deutsche in Kanada oder Großbritannien gebe, die nicht über deutsche Sprachkenntnisse verfügen würden. Dieser Sachverhalt ist mit dem der Klägerin in keiner Weise vergleichbar. Zunächst ist die Klägerin keine Deutsche, für welche die entsprechenden Gesetze und bilateralen Abkommen für deutsche Staatsbürger anwendbar sind. Sofern darauf abgestellt wird, dass Deutsche in Großbritannien leben würden, die jedoch kein Deutsch sprächen, ist deren Aufenthalt etwa bereits von den europarechtlichen Freizügigkeitsnormen gedeckt und hat keinen Drittstaatenbezug wie bei der Klägerin. Fernliegend ist darüber hinaus die Vergleichbarkeit mit einem in Kanada lebenden Deutschen in Bezug auf den vorliegenden Streitgegenstand.
5. Im Übrigen liegt auch unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG keine unbillige Härte durch die Versagung der begehrten Niederlassungserlaubnis vor. Durch die Regelung des § 28 Abs. 2 Satz 3 AufenthG ist die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis bei Vorliegen der Voraussetzungen weiterhin möglich. Unter deren Geltung können die Klägerin und ihr Gatte die eheliche Lebensgemeinschaft in Deutschland führen.
Die Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.


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