Europarecht

Vertrags(zahn)arztangelegenheiten

Aktenzeichen  S 49 KA 5196/15

Datum:
30.9.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 132572
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 95 Abs. 3 Satz 3, § 95d Abs. 3 Satz 3

 

Leitsatz

Bei Vergütung der vertragszahnärztlichen Leistungen im Wege der Einzelleistungsvergütung haben die Krankenkassen einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch auf Auskehrung der von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung vorgenommenen Honorarkürzungen nach § 95 Abs. 3 S. 3 SGB V. (Rn. 9)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft über die Höhe der seit dem 01.01.2011 von ihr vorgenommenen Honorarkürzungen nach § 95d Abs. 3 S. 3 SGB V zu erteilen, soweit sie anteilig auf die Klägerin entfallen und an die Klägerin den nach Erteilung der Auskunft sich ergebenden Betrag auszubezahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die in Form einer Stufenklage erhobene Auskunfts- und Leistungsklage ist zulässig. Wie sich aus der Klageschrift ergibt, soll der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Auskunft über die vorgenommenen Honorarkürzungen dazu dienen, die fehlende Bestimmtheit des geltend gemachten Anspruchs auf Erstattung der anteilig auf sie entfallenden gekürzten Honorare herbeizuführen. Auch im Sozialgerichtsverfahren ist eine Stufenklage gemäß § 202 SGG iVm § 254 ZPO möglich. Die Voraussetzungen des § 254 ZPO liegen vor, eine Klage auf Rechnungslegung im Sinne des § 254 ZPO erfasst Informationsansprüche jeglicher Art (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl., § 56 Rn. 5). Auch das notwenige Rechtsschutzinteresse der Klägerin ist gegeben. Diese kann ihre Rechte nicht auf einfachere Weise verwirklichen, die Beklagte hat die erstrebte Auskunftserteilung und Leistung abgelehnt.
Die Klage ist auch weitgehend begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Auskehrung des auf sie entfallenden Anteils der wegen fehlenden Fortbildungsnachweises nach § 95d Abs. 3 S. 3 SGB V vorgenommenen Honorarkürzungen und in diesem Zusammenhang auf der ersten Stufe auch einen Anspruch auf Auskunft über die vorgenommenen Honorarkürzungen. Die Klage war lediglich insoweit abzuweisen, als die Klägerin keinen Anspruch auf Prozesszinsen hat.
Da die Vergütung der vertragszahnärztlichen Leistungen durch die Klägerin im Wege der Einzelleistungsvergütung erfolgt (§ 12 Gesamtvertrag -Zahnärzte), hat die Klägerin gegen die Beklagte einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch auf Auskehrung der von der Beklagten vorgenommenen sachlich-rechnerischen Berichtigungen (BSG, Az: 6 RKa 17/88), zu denen auch die Honorarkürzungen gemäß § 95d Abs. 3 S. 3 SGB V zählen.
Entgegen der Ansicht der Beklagten stellt § 95d Abs. 3 S. 3 SGB V, der gemäß § 72 Abs. 1 S. 2 SGB V auch auf Zahnärzte anwendbar ist, eine spezielle Ermächtigungsgrundlage für die Vornahme von sachlich-rechnerischen Berichtigungen durch die Beklagte dar. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. z. B. B6 KA 21/09R) zielt die sachlich-rechnerische Richtigstellung der Abrechnungen des Vertrags(zahn) arztes auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts – mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots -, abgerechnet worden sind. Bei mangelndem Fortbildungsnachweis fehlt es aber gerade an diesem Einklang mit den gesetzlichen Vorschriften, so dass es sich bei der Honorarkürzung systematisch um eine sachlich-rechnerische Richtigstellung handelt. Wenn in der Gesetzesbegründung zu § 95d Abs. 3 SGB V (BT-Drs. 15/1525, S. 110) davon die Rede ist, dass die pauschalen Honorarkürzungen ein Abschlag für die schlechtere Qualität der Leistungen sind und zum anderen eine ähnliche Funktion wie ein Disziplinarverfahren haben, spricht auch dies dafür, dass es sich vorliegend um sachlich-rechnerische Berichtungen handelt. Es handelt sich danach gerade nicht um eine Disziplinarmaßnahme im eigentlichen Sinne, vielmehr wird die sachlich-rechnerische Richtigstellung vom Vertrags(zahn) arzt „auch“ sanktionierend wahrgenommen. Ähnlich wie bei einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung z. B. wegen fehlender Genehmigung im vertragsärztlichen Bereich, wird ein pauschaler Abschlag unabhängig davon vorgenommen, ob die konkret erbrachte Leistung auch tatsächlich eine „Schlechtleistung“ darstellt. Auch die Tatsache, dass die Beklagte von Gesetzes wegen zur Honorarkürzung verpflichtet ist und keinen Ermessensspielraum hat zeigt, dass es sich vorliegend nicht um eine Disziplinarmaßnahme, sondern eine sachlich-rechnerische Richtigstellung handelt. Entgegen der Ansicht der Beklagten stützt auch die neuere Rechtsprechung des BSG die auch vom SG Münster in der zitierten Entscheidung vertretene Ansicht, dass die streitigen Honorarkürzungen eine sachlich-rechnerische Berichtigung darstellen. Das BSG führt insbesondere in der unter dem Az: B6 KA 50/14B ergangenen Entscheidung aus:
„…Gibt das Gesetz – wie durch § 95d Abs. 3 S. 3 SGB V bei Nichterfüllung der Fortbildungspflicht – vor, dass das an den Vertragsarzt zu zahlende Honorar aus vertragsärztlicher Tätigkeit zwingend zu kürzen ist, wird der Vergütungsanspruch von vornherein nur in entsprechend verminderter Höhe „konkretisiert“ und nicht – wie die Klägerin meint – nachträglich vermindert. …“
Auch daraus ist zu ersehen, dass die Honorarkürzung nach § 95d Abs. 3 SGB V von ihrer Rechtsnatur her eine sachlich-rechnerische Richtigstellung darstellt und es gerade soweit die Krankenkassen wie hier eine Einzelleistungsvergütung erbringen, auch sachgerecht ist, den Krankenkassen die „zu viel“ gezahlte Vergütung zurückzuerstatten. Zutreffend ist, dass das BSG in seiner neueren Rechtsprechung zu § 95d Abs. 3 SGB V immer wieder auf dessen Sanktionscharakter abstellt. Wie bereits ausgeführt spricht aber die Tatsache, dass die sachlich-rechnerische Berichtigung einen Sanktionscharakter hat, nicht dagegen, diese als sachlich-rechnerische Berichtigung einzustufen. Wie die Klägerin näher dargelegt hat, ergibt sich auch daraus, dass die Honorarkürzung jeweils ein gesamtes Quartal erfasst, obwohl z. B. bereits ein Zulassungsentziehungsverfahren eingeleitet oder auch beendet wurde und eine disziplinierende Wirkung ins Leere läuft, dass eben keine Disziplinarmaßnahme im engeren Sinne vorliegt. Schließlich sieht die in § 81 Abs. 5 S. 2 SGB V enthaltene, abschließende Aufzählung der möglichen Disziplinarmaßnahmen eine Honorarkürzung nicht vor, was zeigt, dass die Honorarkürzung iSd § 95d Abs. 3 S. 3 SGB V keine Disziplinarmaßnahme im engeren Sinne ist, sondern, wie in der Gesetzesbegründung ausgeführt und auch vom BSG immer wieder so betont, lediglich einen disziplinierenden/sanktionierenden Charakter hat. Wenn die Beklagte darauf abstellt, dass die Verletzung der Fortbildungspflicht eine Verletzung von vertrags(zahn)ärztlichen Pflichten darstellt, was zur Verhängung von Disziplinarmaßnahmen führen kann, so ist zu berücksichtigen, dass solche Disziplinarmaßnahmen gemäß § 81 Abs. 5 SGB V bei verletzter Fortbildungspflicht auch ohne die ausdrückliche Regelung des § 95d Abs. 3 S. 3 SGB V verhängt werden könnten. Dies spricht ebenfalls dafür, dass der Gesetzgeber in § 95d Abs. 3 S.3 SGB V über die allgemeinen Disziplinarmaßnahmen hinaus eine Ermächtigungsgrundlage für sachlich-rechnerische Richtigstellungen geschaffen hat.
Die Rechtsnatur der Honorarkürzungen nach § 95d Abs. 3 S. 3 SGB V, die eine sachlich-rechnerische Berichtigung darstellen, führt schließlich auch dazu, dass der Gesetzgeber gerade keine Regelung zu einer Auskunfts- und Weitergabepflicht der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen entsprechend der Regelung in § 85 Abs. 4d, 4e SGB V betreffend die Degressionskürzungen vorgesehen hat. Die Frage, ob sachlich-rechnerische Berichtigungen an die Krankenkassen weiterzugeben sind, hängt davon ab, in welcher Weise die von den Krankenkassen an die Kassen(zahn)ärztliche Vereinigung zu leistende Gesamtvergütung berechnet wird. Nur für den Fall, dass wie vorliegend eine Einzelleistungsvergütung vorgesehen ist, sind sachlich-rechnerische Richtigstellungen an die Krankenkassen weiter zu geben (vgl. z. B. Engelhard in Hauck/Noftz, SGB XII/15, § 106a SGB V, Rn. 32d). Da in anderen Bereichen keine Einzelleistungsvergütung vorgesehen und deshalb auch keine Auskehrungspflicht der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigung besteht und weil die Fortbildungsverpflichtung nicht auch, wie die Degressionsregelungen, dem Ziel der Kosteneinsparung dient, kann aus der vom Gesetzgeber laut der Gesetzesbegründung als „klarstellend“ bezeichneten Regelung zu den Auskunfts- und Weitergabepflichten bei der Degression gerade nicht im Umkehrschluss geschlossen werden, die „fehlende“ Regelung einer solchen Auskehrungspflicht in § 95d Abs. 3 SGB V führe dazu, dass die Beklagte die gekürzten Honorare für sich behalten darf.
Dem Anspruch der Klägerin stehen auch die in § 16 Abs. 4ff. des Gesamtvertrag-Zahnärzte geregelten Antragsfristen bzw. deren Ablauf für sachlich-rechnerische Richtigstellungen sowie das dort vorgesehene Schlichtungsverfahren nicht entgegen. Dies ergibt sich schon daraus, dass in § 16 Abs. 3 GV-Z die bereits in § 106a SGB V ausdrücklich kodifizierte Amtspflicht der Beklagten zur Richtigstellung von sachlich-rechnerischen Unrichtigkeiten enthalten ist. Wie das BSG in seinem Urteil vom 23.03.2016 (B6 KA 14/15 R) ausführlich darlegt, können solche zu den Amtspflichten gehörenden Prüftätigkeiten der Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen nicht von einer – vertraglich vereinbarten – Antragstellung der Krankenkassen abhängig gemacht werden. Im vorliegenden Fall hätte die Klägerin, wie der Auskunftsanspruch zeigt, aufgrund mangelnder Information über vorliegende Fortbildungsnachweise auch gar keine Möglichkeit, einen Antrag auf sachlich-rechnerische Berichtigung zu stellen und das im Gesamtvertrag-Zahnärzte vorgesehene Schlichtungsverfahren einzuleiten.
Die Klage war insoweit abzuweisen, als die Klägerin einen Anspruch auf Prozesszinsen geltend macht. Nach gefestigter Rechtsprechung des BSG (B6 KA 71/04R), auf die verwiesen wird, sind im Bereich des Vertragsarztrechts Prozesszinsen ausdrücklich ausschließlich auf Ansprüche von Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen auf Zahlung fälliger Gesamtvergütungen in entsprechender Anwendung des § 291 BGB zu bezahlen. Solche Ansprüche sind vorliegend nicht streitig.
Die Entscheidung über die Kosten basiert auf § 197a Abs. 1 S. 1 2. HS SGG iVm § 154 Abs. 1 VwGO.


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