Europarecht

Verwaltungsgerichte, Verkehrsverbot, Lebensmittelunternehmer, Verbot des Inverkehrbringens, Aufschiebende Wirkung, Lebensmittelrecht, Lebensmittel-Basisverordnung, Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit, Lebensmittelhandel, Sicheres Lebensmittel, Lebensmittelbehörde, Gesundheitsschädliche Lebensmittel, Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit, Streitwertfestsetzung, Unterliegen, Beschwerdebegründung, Entscheidung im Beschwerdeverfahren, Beschwerdevorbringen, Kosten des Beschwerdeverfahrens

Aktenzeichen  20 CS 20.2720

Datum:
8.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4734
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 146 Abs. 1
LFGB § 44 Abs. 4a
VO (EG) 178/2002 Art. 14 Abs. 1

 

Leitsatz

Verfahrensgang

RO 5 S 20.2507 2020-11-02 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert wird für beide Rechtszüge auf jeweils 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Die Antragstellerin verfolgt mit ihrer Beschwerde das Ziel, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den Bescheid des Landratsamts Schwandorf vom 9. Oktober 2020 wiederherzustellen, mit dessen Ziffer 1. sie unter Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit (Ziffer 2.) verpflichtet wurde, Auskunft über die Probe Probenummer … (Rohstoffmischung Rohwurst) unter Angaben zum Auftraggeber, den Auftragszeitpunkt und der Herkunft des Probenmaterials zu erteilen. In der streitgegenständlichen Probe hatte die Antragstellerin „Salmonellen – Ergebnis: verdächtig“ festgestellt. Nach den Feststellungen des Antragsgegners besteht Grund zu der Annahme, dass der befundete Salmonellentyp in Zusammenhang mit einem größeren und noch andauernden Ausbruchsgeschehen in … steht.
Das Verwaltungsgericht Regensburg hat den Antrag mit Beschluss vom 2. November 2020, der Antragstellerin zugestellt am 6. November 2020, abgelehnt und im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen der §§ 44 Abs. 4a Satz 2 i.V.m. 42 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 LFGB seien erfüllt und die Antragstellerin daher zur Auskunft verpflichtet.
Es handele sich bei der Rohwurstmischung um ein Lebensmittel im Sinne des Art. 2 der VO (EG) 178/2002. Insbesondere spiele für diese Einordnung keine Rolle, dass die Rohstoffmischung bis zum Endprodukt „… …“ noch weiterer Zwischenschritte wie der Abfüllung und Fermentierung bedürfe. Es habe für die Antragstellerin Grund zur Annahme bestanden, dass das Lebensmittel einem Verkehrsverbot nach Art. 14 der VO (EG) 178/2002 unterliege, denn es sei wegen des Salmonellenbefundes von einer Gesundheitsschädlichkeit im Sinne des Art. 14 Abs. 2 lit. a) VO (EG) 178/2002 auszugehen (wird ausgeführt). Abzustellen sei für die Frage der Gesundheitsschädlichkeit auf die untersuchte Rohwurstmischung. Daraus ergebe sich bereits, dass auch der Verzehr des Endproduktes gesundheitsschädlich sein könne. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Herstellungsprozess von … das vollständige Abtöten von Salmonellen, z.B. durch Erhitzung, gewährleiste. Offenbleiben könne, ob bereits ein „Inverkehrbringen“ i.S. des Art. 14 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 vorliege. Denn das Verbot des Inverkehrbringens beziehe sich auf jede Stufe des Herstellungsprozesses. Dies folge daraus, dass unter den Lebensmittelbegriff i.S. Art. 2 VO (EG) 178/2002 auch alle Vorprodukte fielen. Dabei sei für den Laborverantwortlichen nur schwer erkennbar, ob sich der Untersuchungsgegenstand noch im Herstellungsprozess nach § 5 LFGB befinde, oder ob bereits ein „Inverkehrbringen“ vorliege. Da mit Einführung mit § 44 Abs. 4a LFGB der Kreis der Meldepflichtigen im Zuge des Dioxin-Skandals erweitert werden sollte, könne auch nicht maßgebend darauf abgestellt werden, dass es sich um eine sog. Freigabeuntersuchung gehandelt habe, d.h. dass das Produkt nur bei negativem Salmonellenbefund überhaupt in Verkehr gebracht werden sollte. Denn dann müsse der Laborverantwortliche der Angabe seines Auftraggebers vertrauen. § 44 Abs. 4a LFGB habe aber eine selbständige Informationspflicht des Laborbetreibers begründen wollen. Unbeachtlich sei deshalb auch, dass eine Verpflichtung des Lebensmittelunternehmers aus Art. 19 Abs. 1 und 3 der VO (EG) 178/2002 noch nicht bestanden habe.
Die Antragstellerin führt zur Begründung ihrer Beschwerde, die am 13. November 2020 beim Verwaltungsgericht Regensburg erhoben wurde, aus, es handele sich schon nicht um ein Lebensmittel nach Art. 2 VO (EG) 178/2002, weil die untersuchte Rohwurstmischung nicht zum Verzehr bestimmt gewesen sei. Die Antragstellerin habe auch für den Fall der Annahme der Lebensmitteleigenschaft nicht Grund zu der Annahme, dass die Rohwurstprobe einem Verkehrsverbot nach Art. 14 VO (EG) 178/2002 unterliegen würde. Das Verwaltungsgericht habe nicht geprüft, ob die Rohwurstmischung unter Art. 14 Abs. 3 lit. b) VO (EG) 178/2002 falle. Außerdem sei für die Beurteilung der Gesundheitsschädlichkeit nicht auf die Rohwurstmischung abzustellen. Das Endprodukt „…“ sei nicht Gegenstand der Untersuchung gewesen. Vielmehr habe sich das Endprodukt noch im Herstellungsprozess befunden und sei aufgrund der Salmonellenbelastung nicht in den Verkehr gelangt. Wegen des Rohzustandes der Probe habe die Antragstellerin nicht davon ausgehen müssen, dass es sich um ein Lebensmittel handele. § 44 Abs. 4a LFGB solle lediglich gewährleisten, dass die Öffentlichkeit bei einem pflichtwidrigen Verhalten des Lebensmittelunternehmers, der eine Mitteilung unterlasse, obwohl er dazu rechtlich verpflichtet sei, informiert werde, indem eine eigenständige Verpflichtung des Laborbetreibers zur Mitteilung begründet werde. Deshalb könne eine Mitteilungspflicht des Laborbetreibers nur dann bestehen, wenn auch eine des Lebensmittelunternehmers bestehe. Dies sei hier nicht gegeben, da der Herstellungsprozess noch angedauert und eine entsprechende Verpflichtung aus Art. 19 Abs. 1 und 3 VO (EG) 178/2002 nicht bestanden habe. Diese werde erst mit dem Inverkehrbringen nach Abschluss des Herstellungsprozesses ausgelöst. Wurstbrät zur Herstellung von … befinde sich nie im Verkehr.
Sie beantragt,
unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Bescheid des Landratsamtes Schwandorf vom 9. Oktober 2020 wiederherzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er führt aus, ein Produkt werde nicht erst nach einer Freigabeuntersuchung zum Lebensmittel. Auch schon davor könne vernünftigerweise erwartet werden, dass das Produkt im verarbeiteten Zustand verzehrt werden solle. Das Verwaltungsgericht habe zutreffend festgestellt, dass auch unter Berücksichtigung der weiteren Verarbeitungsschritte nicht davon ausgegangen werden könne, dass es sich bei der Rohwurstmischung um ein sicheres Lebensmittel handele, da eine Abtötung der Salmonellen nicht sichergestellt werden könne. Aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 44 Abs. 4a LFGB („würde“) ergebe sich vielmehr, dass das Produkt – anders eben als bei Art. 19 VO (EG) 178/2002 – nicht bereits in Verkehr gebracht sein müsse. Durch die Information der Behörde solle auch sichergestellt werden, dass ein unsicheres Produkt gar nicht erst in Verkehr gelange. Dies sei nur möglich, wenn die Behörde Kenntnis erlange, wer Hersteller des Produkts sei.
Die Antragstellerin führt ergänzend aus, der Lebensmittelunternehmer bestimme durch einen Widmungsakt, wann die Lebensmitteleigenschaft gegeben sei. Dem könne nicht dadurch vorgegriffen werden, dass ein Vorprodukt nach dem Durchlaufen weiterer Verarbeitungsschritte zu einem Lebensmittel werde. Ein Verkehrsverbot nach Art. 14 VO (EG) 178/2002 könne schon deshalb nicht bestehen, weil die Rohwurstmischung als Vorprodukt nicht verkehrsfähig sei. Ihr fehle die Verzehrfertigkeit. Eine Meldepflicht des Laborbetreibers, die verhindern solle, dass ein unsicheres Produkt in Verkehr gelange, könne im Rahmen einer Freigabeuntersuchung nicht angenommen werden. Denn damit solle gerade ausgeschlossen werden, dass sich die Kontamination eines Vorprodukts bei der Weiterverarbeitung in dem Lebensmittel möglicherweise fortsetze und damit zu einem Verkehrsverbot führe. Eine derartige Rechtsauffassung hätte zur Folge, dass die Lebensmittelunternehmer keine Freigabeuntersuchungen mehr durchführen lassen würden. Der Antragstellerin lägen keine Informationen zu dem hier inmitten stehenden Ausbruchsgeschehen mit Salmonellen vor. Sie könne daher auch nicht einordnen, ob es sich um ein aktuelles Ausbruchsgeschehen handele, das die streitgegenständliche Anordnung, insbesondere die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit, rechtfertigen könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Behörden- und Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
Die Antragstellerin dringt mit dem Vorbringen ihrer Beschwerde, auf dessen Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Beschwerdeverfahren grundsätzlich beschränkt ist, im Ergebnis nicht durch. Nach der im Beschwerdeverfahren nach § 146 Abs. 1 VwGO nur möglichen summarischen, an den Erfordernissen des Art. 19 Abs. 4 GG orientierten Prüfung (siehe zur Prüfungsintensität in Verfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO Hoppe in Eyermann, VwGO,15. Auflage 2019, § 80 Rn. 4) der Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage wird diese voraussichtlich keinen Erfolg haben, da der Bescheid voraussichtlich rechtmäßig ist und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt (§§ 113 Abs. 1 Satz, 80 Abs. 5 VwGO).
1. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherstellen. Der Verwaltungsgerichtshof hat – unter Zugrundelegung des Beschwerdevorbringens, auf das sich die Prüfung des Senats grundsätzlich beschränkt (146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) – bei seiner Entscheidung eine originäre Interessenabwägung auf der Grundlage der sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung darstellenden Sach- und Rechtslage darüber zu treffen, ob die Interessen, die für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung streiten, oder diejenigen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, überwiegen. Dabei sind die Erfolgsaussichten der Klage im Hauptsacheverfahren wesentlich zu berücksichtigen, soweit sie bereits überschaubar sind und in einem Fall, in welchem wie vorliegend mit der Entscheidung über die Beschwerde die Entscheidung der Hauptsache vorweggenommen wird, abschließend zu prüfen. Nach allgemeiner Meinung besteht an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer voraussichtlich aussichtslosen Klage kein überwiegendes Interesse. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein, ist regelmäßig die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen (BayVGH, B.v. 27.3.2019 – 8 CS 18.2398 – ZfB 2019, 202 = juris Rn. 25 m.w.N.).
2. Die Vollzugsanordnung dürfte dem formalen Begründungserfordernis des § 80 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügen und (noch) in ausreichendem Umfang erkennen lassen, dass die anordnende Behörde selbst davon ausgeht, in einer besonderen Ausnahmesituation abweichend vom Regelfall des Eintritts der aufschiebenden Wirkung einer Klage (§ 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO) eine Ermessensentscheidung nach Abwägung der öffentlichen Belange mit den Belangen des Antragstellers zu treffen und das öffentliche Vollzugsinteresse als überwiegend anzusehen.
3. Da die Klage gegen Ziffer 1 des Bescheides aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird, war die Beschwerde zurückzuweisen. Die Antragstellerin ist zur Unterrichtung des Antragsgegners in dem Umfang, wie er im Bescheidstenor zum Ausdruck kommt, verpflichtet.
a.) Nach § 44 Abs. 4a LFGB hat der Verantwortliche eines Labors, das Analysen bei Lebensmitteln durchführt, unverzüglich die zuständige Behörde von dem Zeitpunkt und dem Ergebnis der Analyse, der angewandten Analysemethode und dem Auftraggeber schriftlich oder elektronisch zu unterrichten, wenn er aufgrund einer von dem Labor erstellten Analyse einer im Inland von einem Lebensmittel gezogenen Probe Grund zu der Annahme hat, dass das Lebensmittel einem Verkehrsverbot nach Art. 14 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 unterliegen würde. Der Senat geht davon aus, dass die im Tenor des angefochtenen Bescheides ausgesprochene Verpflichtung zur Unterrichtung über die Herkunft des Probenmaterials so zu verstehen ist, dass sie sich in der Benennung des Auftraggebers erschöpft. Denn die Verpflichtung der Antragstellerin kann nur soweit reichen, wie sie Kenntnis haben kann.
b.) Das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm wird mit dem Beschwerdevorbringen nicht erschüttert.
aa.) Bei der untersuchten „Rohstoffmischung Rohwurst * … … … … …“ handelt es sich um ein Lebensmittel im Sinne des § 44 Abs. 4a LFGB i.V.m. § 2 Abs. 2 LFGB i.V.m. Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit. Davon ist das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen. Nach dem hier maßgeblichen Art. 2 Unterabsatz 1 VO (EG) 178/2002 sind „Lebensmittel“ alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Die allgemeine Zweckbestimmung erfasst nach dem Ziel der Verordnung (hohes Maß an den Schutz der Gesundheit) alle Stoffe, die ihrer Gattung nach und allgemein zum Verzehr bestimmt sind. Maßgebend ist die Verkehrsanschauung, die durch die allgemeine Verwendung seitens der Verbraucher bestimmt ist (Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand Juli 2020, Teil 1, 101, EG-Lebensmittel-Basisverordnung Art. 2 Rn. 25). Nach der zur Feststellung der Lebensmitteleigenschaft erforderlichen, aber ausreichenden allgemeinen Zweckbestimmung handelt es sich bei dem beprobten Wurstbrät zweifellos um ein Lebensmittel im genannten Sinn, weil es zum Verzehr durch den Menschen hergestellt wird und deshalb auch zum menschlichen Verzehr bestimmt ist. Damit kommt es auf die mit der Beschwerde aufgeworfene Behauptung, dass nach vernünftigem Ermessen eine Aufnahme durch den Menschen nicht erwartet werden könne, nicht an (Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand Juli 2020, Teil 1, 101, EG-Lebensmittel-Basisverordnung Art. 2 Rn. 31). Nicht erforderlich ist nach der Legaldefinition des Art. 2 Unterabsatz 1 VO (EG) 178/2002, dass für die Annahme der Lebensmitteleigenschaft der Herstellungsprozess zum Endprodukt (hier zu …*) abgeschlossen sein muss. Insofern ist nicht nachvollziehbar, warum die Beschwerdebegründung davon ausgeht, dass „kein Mensch auf den Gedanken käme, das unfertige Wurstbrät zu verzehren“, zumal mit der Beschwerde nicht dargelegt wird, welche Produktionsschritte zum fertigen Endprodukt noch zu durchlaufen waren. Auch der ausschließlich auf den Lebensmittelunternehmer beschränkte Produktzugriff und das nach Vorliegen des Analyseergebnisses mögliche Absehen von einem Inverkehrbringen (etwa wegen des Bestehens eines Verkehrsverbotes nach Art. 14 Abs. 1 VO (EG) 178/2002), ändert nichts an der rechtlichen Einordnung des Untersuchungsgegenstandes als Lebensmittel i.S. des § 2 Abs. 2 i.V.m. Art. 2 B VO (EG) 178/2002. Gleiches gilt für die Gefahr, dass das Lebensmittel verdorben sein könnte. Auch verdorbene oder gesundheitsschädliche Lebensmittel bleiben Lebensmittel (Pfohl in Müller-Gugenberger, Wirtschaftsstrafrecht, 7. Auflage 2021, Lebensmittel- und Gesundheitswesen, 72.8; Rohnfelder/Freytag in Erbs/Kohlhaas, Stand Oktober 2020, § 2 LFGB Rz. 7 m.w.N.).
bb.) Die vom Verwaltungsgericht vertretene Rechtsauffassung, wonach die Antragstellerin Grund zu der Annahme habe, dass das beprobte Lebensmittel einem Verkehrsverbot nach Art. 14 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 unterliegen würde, wird mit der Beschwerde nicht in Frage gestellt.
(a) Eine am Wortlaut, Sinn und Zweck und Entstehungsgeschichte der Norm orientierte Auslegung der Norm ergibt, dass der Begriff des „Grund(es) zu der Annahme eines Verkehrsverbots“ eine objektive und eine subjektive Komponente hat. Der Grund für die vom Laborverantwortlichen zu treffende Einschätzung muss sich aus konkreten tatsächlichen Umständen ergeben. Diese Umstände müssen aber für den Laborverantwortlichen – bei vernünftiger Betrachtung – erkennbar sein (Rathke, a.a.O., § 44 Rn. 51). Dies bildet sich in dem Begriff der „Annahme“ ab. So sind Fallkonstellationen denkbar, in welchen der Laborverantwortliche einer Informationspflicht nicht unterliegt, wenn er z.B. aufgrund einer rechtlich vertretbaren Auffassung annimmt, das Verkehrsverbot des Art. 14 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 greife nicht ein.
Gestützt wird dieses Auslegungsergebnis durch die Entstehungsgeschichte der Norm. § 44 Abs. 4a LFGB wurde durch Artikel 1 des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches sowie anderer Vorschriften (2. LFGBuaÄndG) vom 27. 7. 2011, BGBl. I S. 1608, in das LFGB eingefügt. Anlass dazu war der sogenannte Dioxinskandal, der durch kriminelles Handeln eines Einzeltäters ausgelöst wurde (vgl. zur Entstehungsgeschichte der Norm: Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand Juli 2020, § 44 LFGB Rn. 72). Mit der Einbeziehung von Laborverantwortlichen sollte ein Personenkreis zur Information verpflichtet werden, der keine eigenen wirtschaftlichen Interessen verfolgt und so die Sicherheit des Verkehrs mit Lebensmitteln erheblich erhöht werden (BR-Drs. 52/11, S. 53/54). Der Gesetzestext wurde im Gesetzgebungsverfahren von der Formulierung „unterliegen wird“ (BT-Drs. 17/4984, S. 24) aufgrund der Empfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in „unterliegen würde“ abgeändert (BT-Drs. 17/5953, S. 6) mit der Begründung, dass die Adressaten für eine Entscheidung über eine Verkehrsfähigkeit eines Erzeugnisses nicht die Labore seien; es erscheine sachgerecht, dies in den Absätzen 4a und 5a zu verdeutlichen (BT-Drs. 17/4984, S. 19).
(b) Da die Beurteilung, ob ein Analysegegenstand einem Verkehrsverbot nach Art. 14 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 unterliegen würde, je nach Sachverhaltsgestaltung auf subjektiver Seite detaillierte Tatsachenkenntnis von den Umständen der Produktion und dem Stand des Herstellungsprozesses, insbesondere darüber voraussetzt, ob es sich z.B. um ein um Vor- oder Zwischenprodukt handelt, kommt es für die Beantwortung der Frage, ob der Laborverantwortliche Grund zur Annahme eines Verkehrsverbots hat, immer auf die Umstände des Einzelfalls an. Stellt der Laborverantwortliche eine Belastung in dem Lebensmittel fest, die ein Verkehrsverbot in dem Fall begründen würde, dass das Produkt in dem untersuchten Zustand im Sinne der Legaldefinition des Art. 3 Nr. 8 VO (EG) 178/2002 in Verkehr gebracht würde und ist das Inverkehrbringen des Produktes in seinem stofflichen Zustand im Zeitpunkt der Analyse und Untersuchung auf belastende Inhaltsstoffe beabsichtigt (Boch, LFGB, Stand 2019, § 44 Rn. 9), so besteht Grund zu der Annahme eines Verkehrsverbots unter der Voraussetzung, dass der Laborbetreiber aufgrund seines Kenntnisstandes von der Produktionsstufe des Lebensmittels beurteilen kann, ob das Inverkehrbringen ohne wesentliche weitere Verarbeitungsschritte erfolgen soll. Dies ist dann nicht der Fall, wenn ein Rohstoff oder ein Zwischenprodukt untersucht wird oder wenn die Weiterverarbeitung voraussichtlich dazu führen wird, die festgestellte Belastung, die ein Lebensmittel unsicher im Sinne des Art. 14 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 machen kann, zu beseitigen (etwa durch Erhitzung).
(c) Dabei begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass die Verpflichtung des Laborbetreibers, über ein unsicheres Lebensmittel zu unterrichten, zu einem Zeitpunkt einsetzt, zu dem der Lebensmittelunternehmer selbst noch nicht zu einer Meldung an die Behörden verpflichtet ist. Naturgemäß kann es für den zeitlichen Anwendungsbereich des § 44 Abs. 4a LFGB nicht darauf ankommen, ob der Lebensmittelunternehmer Meldepflichten nach Art. 19 Abs. 1 und 3 VO (EG) 178/2002 unterliegt, da diese erst zu einem Zeitpunkt greifen, zu dem das Produkt in Verkehr gebracht ist, was einen noch andauernden Herstellungsprozess, in dem das Lebensmittel beprobt und auf Belastungen untersucht wird, die seine Verkehrsfähigkeit möglicherweise ausschließen, denklogisch ausschließt. Maßgeblich abzustellen ist vielmehr auf Art. 14 Abs. 1 VO (EG) 178/2002, der nicht sichere Verkehrsmittel einem Verkehrsverbot unterwirft. Damit ist klargestellt, dass die Unterrichtungspflicht nach § 44 Abs. 4a LFGB nur in den Fällen eingreifen kann, in welchen der Lebensmittelunternehmer nicht schutzwürdig ist, weil ihm das Inverkehrbringen des einem Verkehrsverbot nach Art. 14 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 unterliegenden Produkts gesetzlich untersagt ist und ein (rechtswidriges) Inverkehrbringen nur noch von seinem Willen abhängig ist. Das Interesse des Lebensmittelunternehmers, einem Verkehrsverbot unterliegende Produkte der Kenntnis der Lebensmittelbehörden vorzuenthalten, steht weder in Einklang mit Art. 1 Abs. 3 VO (EG) 178/2002, der den Anwendungsbereich der VO für alle Produktions-, Verarbeitungs- und Betriebsstufen von Lebensmitteln eröffnet, noch mit Art. 5 Abs. 1 VO (EG) 178/2002, der festlegt, dass das Lebensmittelrecht eines oder mehrere der allgemeinen Ziele eines hohen Maßes an Schutz für das Leben und die Gesundheit der Menschen, des Schutzes der Verbraucherinteressen, einschließlich lauterer Handelsgepflogenheiten im Lebensmittelhandel, gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Schutzes der Tiergesundheit, des Tierschutzes, des Pflanzenschutzes und der Umwelt verfolgt.
(d) Der Senat geht aufgrund der Angaben der Antragstellerin im gerichtlichen Verfahren davon aus, dass es sich bei dem beprobten Wurstbrät um ein Produkt handelt, das ohne wesentliche weitere Verarbeitungsschritte zum Inverkehrbringen bestimmt war und insbesondere keiner weiteren chemischen Analyse unterzogen werden sollte. Die Antragstellerin hat hierzu ausgeführt, die Laboranalyse habe der Freigabe gedient. Das Produkt habe nur im Falle der Unbedenklichkeit in den Verkehr gebracht werden sollen. Damit legt die Beschwerde nicht dar, dass das Produkt wesentliche weitere Verarbeitungsschritte durchlaufen sollte, die seine Beschaffenheit vor allem im Hinblick auf seine Lebensmittelsicherheit maßgeblich hätten verändern können. Vielmehr ergibt sich aus dem Analyseprotokoll vom 1. Juli 2020 (Anlage Bf. 2 zur Beschwerdebegründung vom 3. 12 2020) bereits konkret die beabsichtigte Verpackung und Bezeichnung für den Verkauf. Das bedeutet, dass es sich bei der untersuchten Rohstoffmischung im Wesentlichen um ein bereits fertiggestelltes Produkt handelte. Soweit geltend gemacht wird, es habe noch der Fermentierungsprozess gefehlt, weshalb der Herstellungsprozess noch nicht abgeschlossen gewesen sei und deshalb kein Verkehrsverbot nach Art. 14 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 habe bestehen können, führt dies nicht zu einem anderen Ergebnis, weil die Fermentierung nicht zur Herstellung eines sicheren Lebensmittels im Hinblick auf Salmonellen führen kann. Salmonellen können nur durch Erhitzung zuverlässig abgetötet werden (vgl. Stellungnahme des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit vom 21. Oktober 2020, Blatt 115 der Akte des Verwaltungsgerichts). Dass das untersuchte Produkt vor dem Abschluss des Herstellungsprozesses noch erhitzt werden sollte, trägt die Beschwerde nicht vor. Damit ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin Kenntnis davon hatte, dass das fertiggestellte Lebensmittel „… … … …“ nicht sicher im Sinne des Art. 14 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 war. Eine Salmonellenbelastung von Lebensmitteln ist grundsätzlich nicht hinzunehmen. Derartig belastete Produkte unterliegen einem Verkehrsverbot (vgl. auch BVerwG, U.v. 14.10.2020 – 3 C 10.19 – BeckRS 35313). Dies war für die Antragstellerin auch erkennbar.
(e) Dass die Antragstellerin Grund zur Annahme eines Verkehrsverbotes hatte, wird dadurch erhärtet, dass die Analyse der Freigabe des untersuchten Produkts gedient hat. Insofern geht der Einwand der Beschwerde, das Verwaltungsgericht habe die Bedeutung der Freigabeuntersuchung verkannt, fehl. Denn bei Erteilung der Freigabe hätte das Produkt den Herstellungsprozess ohne Vornahme weiterer mikrobiologischer Untersuchungen abgeschlossen. Damit bestand bereits zum Zeitpunkt des Vorliegens des Analyseergebnisses die konkrete Gefahr, dass das Produkt in Verkehr gelangt. Auf die Angabe des Herstellers, das Produkt bei festgestellter Belastung nicht in Verkehr zu bringen, kann sich die Antragstellerin nicht verlassen und diesen Einwand dem Unterrichtungsverlangen der zuständigen Lebensmittelbehörde nicht entgegenhalten, da diese Entscheidung allein dem Willen des Lebensmittelunternehmers unterliegt. Durch die Unterrichtungsverpflichtung der Laborbetreiber nach § 44 Abs. 4a LFGB soll aber gerade verhindert werden, dass unsichere Lebensmittel durch unzuverlässige Lebensmittelunternehmer trotz Bestehens eines Verkehrsverbots in den Verkehr gebracht werden (in diesem Sinn auch VG Aachen, U.v. 8.12.2017 – 7 K 1859/17 – LMuR 2018, 165, noch nicht rechtskräftig; kritische Anmerkungen Meisterernst/Eberlein, „Zur Mitteilungspflicht von Laboren gem. § 44 Abs. 4a LFGB“, LMuR 2018, 137).
(f) Der Einwand der Antragstellerin, die Unterrichtungsverpflichtung könne dazu führen, dass Lebensmittelunternehmer ihre Produkte seltener untersuchen ließen, da sie mit einer Weitergabe von Informationen an die Lebensmittelbehörden rechnen müssten, wodurch es zu einer Verschlechterung der Lebensmittelsicherheit kommen könnte, erscheint zwar nicht ganz fernliegend (in diesem Sinn auch Meyer/Streinz, LFGB, Basis – VO – HCVO, 2. Auflage 2012, § 44 LFGB Rn. 34). Der Gesetzgeber hat jedoch diese Gefahr als weniger gravierend angesehen, als die Gefahr, dass Lebensmittelunternehmer wider besseres Wissen unsichere Lebensmittel in den Verkehr bringen könnten. Dieses Verhalten war Grund für das gesetzgeberische Tätigwerden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 i.V.m. 53, 52 GKG, wobei von einer Reduzierung des Streitwerts nach Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit abgesehen wurde, da mit der Entscheidung im Beschwerdeverfahren die Hauptsache vorweggenommen wird. Insofern war auch der Streitwertbeschluss des Verwaltungsgerichts nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG abzuändern.
Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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