Europarecht

Verwirkung von Schadensersatzansprüchen wegen eines vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs

Aktenzeichen  32 U 5915/20

Datum:
14.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 49254
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 242, § 323 Abs. 2 Nr. 3, § 826
ZPO § 138

 

Leitsatz

1. Hat der Kläger keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstands von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen, besteht eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten nicht.  (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Hat der Leasingnehmer sein Fahrzeug bereits zurückgegeben, greift der Anspruch aus § 826 BGB, der es dem Geschädigten ermöglichen soll, sich von dem ungewollten Vertrag zu lösen, nicht. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, kann die Rückabwicklung eines Leasingvertrags auf Grundlage deliktischer Ansprüche nur verlangt werden, wenn die Rückabwicklung nach einem Rücktritt von dem Kaufvertrag ohne Erfolg bleibt. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
4. Schadensersatzansprüche sind verwirkt, wenn ein Leasingnehmer den Vertrag einvernehmlich nach öffentlicher Bekanntmachung des Diesel-Skandals schon Anfang 2016 abgewickelt hat, diese Ansprüche aber erst drei Jahre später geltend macht.  (Rn. 16 – 19) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

73 O 1757/19 2020-09-08 Urt LGINGOLSTADT LG Ingolstadt

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 08.09.2020, Az. 73 O 1757/19, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

Gründe

1.
Eine Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die erstinstanzliche Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 513 Abs. 1 Fall 1 i.V.m. § 546 ZPO) oder die Tatsachenfeststellung unrichtig ist (§ 513 Abs. 1 Fall 2 i.V.m. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) oder neue berücksichtigungsfähige Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorliegen (§ 513 Abs. 1 Fall 2 i.V.m. §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 2 ZPO).
Dabei hat eine Berufung nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn eine Abänderung des Ersturteils zugunsten des Berufungsführers zu erwarten ist, was nur bei einem durchgreifenden Fehler des Ersturteils zu bejahen ist.
Entsprechende Rechtsfehler kann die Berufung nicht aufzeigen. Der Senat bezieht sich insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts im Endurteil vom 08.09.2020. Mit der vorliegenden Begründung kann das Ersturteil nicht mit Erfolg angegriffen werden.
2.
Der Kläger geht davon aus, dass die Beklagte als Herstellerin des im Leasingfahrzeug verbauten Motors aus der Baureihe EA189 auf Schadensersatz nach § 826 BGB haften müsse. Damit gehen die Klage und die Berufung von einer unzutreffenden Prämisse aus. Der gegenständliche Motor wurde nicht von der Beklagten, sondern von der … AG entwickelt und hergestellt. Der Bescheid des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) vom 15.10.2015 richtete sich folgerichtig gegen die … AG. Der Kläger hat somit mit seinem auf eine Haftung der … AG zugeschnittenem Vorbringen zu den Grundlagen einer deliktischen Haftung nach § 826 BGB nicht ausreichend vorgetragen.
§ 826 BGB verlangt, dass der Täter hinsichtlich des Sittenverstoßes und des Schadens schuldhaft gehandelt hat. Für die subjektive Seite der Sittenwidrigkeit genügt es, wenn der Schädiger die Tatumstände kannte, die sein Verhalten im konkreten Einzelfall sittenwidrig gemacht haben (BGH NJW 2004, 3706). Als einziger deliktischer Haftungstatbestand setzt § 826 BGB aber Vorsatz hinsichtlich der Schädigung voraus. Es genügt nach allgemeiner Ansicht, dass der Schädiger mit bedingtem Vorsatz gehandelt hat. Der Ersatzpflichtige muss in Hinblick auf die Entstehung des Schadens vorsätzlich gehandelt haben. Er muss also mindestens mit der Möglichkeit einer Schädigung durch sein Handeln gerechnet und sie billigend in Kauf genommen haben (BGH NJW-RR 2009, 1207). Der Schädigungsvorsatz braucht sich zwar nicht auf den genauen Kausalverlauf und den Umfang des Schadens zu erstrecken, muss jedoch die gesamten Schadensfolgen sowie Richtung und Art des Schadens umfassen.
Die Haftung einer juristischen Person aus §§ 826 BGB i.V.m. § 31 BGB setzt voraus, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht (BGH, NJW 2017, 250 Rn. 27).
Der Kläger hat keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Vorstands von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen. Der pauschale gehaltene Vortrag ist nicht geeignet, eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten auszulösen.
3.
Es kann im Ergebnis aber dahingestellt bleiben, ob das gegenständliche Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet war und ob weitere Feststellungen die Annahme einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung stützen würden.
Selbst wenn festgestellt werden könnte, dass der Kläger das Fahrzeug in Kenntnis der behaupteten Mängel nicht geleast hätte, steht ihm der geltend gemachte Schadensersatz nicht zu. Grundsätzlich kann bereits der ungewollte Vertragsabschluss einen Schadensersatzanspruch begründen. Er ist darauf gerichtet, so gestellt zu werden, als ob der Kläger den Vertrag nicht abgeschlossen hätte (BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 -, Rn. 55, juris). Dies führt bei einem ungewollt abgeschlossenen Kaufvertrag dazu, dass der Käufer Schadensersatz nur Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs an den in Anspruch genommenen Hersteller verlangen kann.
Bei der konkreten Schadensberechnung sind grundsätzlich alle adäquaten Folgen des haftungsbegründenden Umstands bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung, dem aus prozessualen Gründen letztmöglichen Beurteilungszeitpunkt, in die Schadensberechnung einzubeziehen. Dabei ist hier vor allem zu berücksichtigen, dass der Kläger das Fahrzeug bereits zurückgegeben hat. Der Vertrag ist insoweit bereits abgewickelt. Wenn der Anspruch aus § 826 BGB dem Geschädigten ermöglichen soll, sich von dem ungewollten Vertrag zu lösen, so greift dieser Zweck nicht im vorliegenden Fall.
4.
Wenn man dem Grunde nach einen Schadensersatzanspruch bejahen würde, müsste sich der Kläger wegen der Nutzung des Fahrzeugs nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung die gezogenen Nutzungsvorteile anrechnen lassen. Diese sind hier genauso hoch wie die von dem Kläger an die Leasinggeberin erbrachten Zahlungen.
Deshalb hat im Falle des Finanzierungsleasings der Leasingnehmer eines vom Abgasskandal betroffenen Pkw keinen Anspruch auf Ersatz der von ihm gezahlten Leasingraten gegen den Automobilhersteller, da die im Rahmen der Vorteilsausgleichung anzurechnenden Gebrauchsvorteile den gezahlten Leasingraten entsprechen (OLG Karlsruhe Urt. v. 21.1.2020 – 17 U 2/19, BeckRS 2020, 519). Wegen der nur auf eine bestimmte Laufzeit ausgerichteten Nutzung berechnen sich die anzurechnenden Nutzungsvorteile bei einem Leasingvertrag – anders als bei einem Kaufvertrag – nicht nach der zeitanteiligen linearen Wertminderung, also nach einem Vergleich zwischen dem tatsächlichen Gebrauch und der voraussichtlichen Gesamtnutzungsdauer der Sache unter Berücksichtigung des Werts der Sache oder des Kaufpreises (OLG Karlsruhe a.a.O.).
5.
Es sind weiter die Besonderheiten zu beachten, die sich aus der leasingtypischen Vertragskonstruktion ergeben. Die Leasinggeberin hat dem Kläger die kaufrechtlichen Gewährleistungsrechte übertragen. Bei Vorliegen eines Sachmangels (vgl. BGH Hinweisbeschluss vom 8.1.2019 – VIII ZR 225/17, NJW 2019, 1133) kann der Kläger als Leasingnehmer aus den Rechten der Leasinggeberin gegen die Verkäuferin vorgehen und Nacherfüllung verlangen oder ggfs. von dem Kaufvertrag zurücktreten. Der Hersteller ist im Rahmen der leasingtypischen Vertragskonstellation rechtlich nicht in die Abwicklung eines Leasingvertrages eingebunden.
Grundsätzlich hat der Kläger zunächst die Gewährleistungsrechte gegenüber der Verkäuferin geltend zu machen. Wenn es ihm gelingt, aus abgetretenem Recht vom Kaufvertrag zurückzutreten und anschließend im Rahmen der Rückabwicklung des Leasingvertrags ihre gezahlten Leasingraten wieder zu erlangen, hat sich bei dem Kläger der Schaden in Form der gezahlten Leasingraten nicht realisiert (Harriehausen NJW 2018, 3137). Die an sich bestehende Anspruchskonkurrenz zwischen den Schadensersatzansprüchen aus eigenem Recht gegen den Hersteller und den übertragenen Gewährleistungsansprüchen gegen den Verkäufer ist aufgrund der leasingtypischen Besonderheiten einzuschränken, wenn sich beide Ansprüche im Ergebnis auf die Rückabwicklung des Vertrages richten. Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, kann die Rückabwicklung auf Grundlage deliktischer Ansprüche nur verlangt werden, wenn die Rückabwicklung nach einem Rücktritt von dem Kaufvertrag ohne Erfolg bleibt.
Der Kläger hat vorgetragen, dass er Anfang 2016 oder sogar schon Ende 2015 von dem sog. Diesel-Skandal erfahren hat. Damit hätte er gegenüber der Verkäuferin (der … GmbH) in unverjährter Zeit Gewährleistungsansprüche geltend machen können. Ein Rücktritt vom Kaufvertrag wäre nach § 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB ohne Fristsetzung zur Nacherfüllung möglich gewesen, wenn man nach dem unterstellten Vortrag des Klägers von einem arglistigen Verschweigen eines Mangels, einer vorsätzlichen Verletzung der Leistungspflicht oder einer Täuschung durch die Verkäuferin (gleichzeitig die Herstellerin des gegenständlichen Motors) ausgeht (Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Auflage 2020, § 323 BGB Rn. 22). Kann der Leasingnehmer wirksam vom Kaufvertrag zurücktreten, erfolgt die Rückabwicklung der Vertragsverhältnisse beim Leasing zwischen den ursprünglichen Vertragspartnern. Nach Umwandlung des Kaufvertrags in ein Rückgewährschuldverhältnis kann der Leasingnehmer wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage ebenfalls Rücktritt vom Leasingvertrag gemäß § 313 Abs. 3 BGB erklären und seine Leasingraten gem. § 346 Abs. 1 BGB zurückfordern.
6.
Der Geltendmachung des Anspruchs steht die Einwendung der Verwirkung entgegen, die im Prozess von Amts wegen zu berücksichtigen ist (Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Auflage 2020, § 32 U 5915/20 – Seite 5 – 242 BGB Rn. 96).
Die Verwirkung eines Rechts infolge Zeitablaufs bedeutet, dass dem Inhaber die Ausübung eines Rechts versagt wird, weil er davon über einen längeren Zeitraum keinen Gebrauch gemacht und dadurch bei der Gegenseite den Eindruck erweckt hat, mit der Inanspruchnahme des Rechts werde in Zukunft nicht mehr zu rechnen sein.
Der sogenannte Diesel-Skandal wurde an September 2015 in der Öffentlichkeit u.a. durch Pressemitteilungen des KBA und des …-Konzerns und der sich daran anschließenden Berichterstattung in den Medien bekannt. Spätestens mit dem Schreiben der … AG vom Februar 2016 (Anlage K 5) war dem Kläger bewusst, dass auch sein Fahrzeug betroffen war(in der Berufung trägt der Kläger sogar eine Kenntnis Ende 2015 vor). Der Kläger hat den Anspruch erst mit Mahnbescheid vom 07.01.2019 geltend gemacht.
Der Umstandsmoment liegt in der einvernehmlichen Abwicklung des Leasingvertrags nach regulärem Ablauf der Vertragszeit (Rückgabe am 16.01.2016; Schlussrechnung vom 04.02.2016, Anlage K 4) in Kenntnis der Umstände.
7.
Eine unzutreffende Würdigung der Anhörung des Klägers kann die Berufung nicht darstellen. Die Berufung unternimmt den untauglichen Versuch, den Gegenstand der abgelehnten Protokollberichtigung inhaltlich in das Verfahren einzuführen. Die stellt keinen durchgreifenden Angriff auf die Beweiswürdigung dar.
8.
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
9.
Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 24.442,92 € festzusetzen.
10.
Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.


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